29.04.2025

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Ansprache an die Internationale Konferenz über ''Die Asiatische Regionalwirtschaft - Wachsende Verbindungen, globale Implikationen"

01.09.1992
Präsident Lee Teng-hui nimmt zahlreiche internationale Verpflichtungen wahr. Hinsichtlich der Förderung der Wirtschaftszusammenarbeit zwischen den Nationen betont er den guten politischen Willen hierzu, wie z. B. in seiner Rede vor der internationalen Konferenz über die asiatische Regionalwirtschaft.

Die internationale Konferenz über "Die Asiatische Regionalwirtschaft - Wachsende Verbindungen, globale Implikationen" fand vom 7. bis 9. Mai dieses Jahres in Taipei statt. Unter den Teilnehmern befanden sich so hochgestellte Gäste wie der ehemalige französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing, Lee Hsien Loong, stellvertretender Premierminister von Singapur und zugleich dessen Minister für Handel Wirtschaft, sowie Kimimasa Tarumizu, Präsident der Asiatischen Entwicklungsbank. Die Überlegungen der Vortragenden kreisten hauptsächlich um die Frage, wieviel an Wirtschafts- und Entwicklungszusammenarbeit zwischen den Ländern im asiatisch-pazifischen Raum möglich ist. Nachstehend die programmatische Rede, welche von Lee Teng-hui, dem Präsidenten der Republik China, am 7. Mai 1992 auf der Konferenz gehalten wurde.


Sehr geehrter Vorsitzender Whitehead, werte Gäste, meine Damen und Herren!

Herausragende Spitzenpolitiker, Gelehrte und Führungskräfte der Wirtschaft aus allen Teilen der Welt haben sich heute hier in Taipei, Republik China, versammelt, um diesem internationalen Seminar über "Die Asiatische Regionalwirtschaft - Wachsende Verbindungen, globale Implikationen" beizuwohnen. Dieses vom "Asian Wall Street Journal", von der "Asia Society" und vom Institut für Nationale Politikforschung unterstützte Seminar wird die Verbindungen zwischen den verschiedenen Ökonomien Asiens untersuchen sowie die daraus resultierenden Einflüsse und Entwicklungen bewerten. Es ist in der Tat ein Ereignis von weitreichender Bedeutung, und ich fühle mich sehr geehrt, eingeladen worden zu sein, zu Ihnen zu sprechen. Im Namen des Volkes und der Regierung der Republik China möchte ich alle unsere hochverehrten Gäste, die aus verschiedenen, so weit entfernten Ländern gekommen sind, herzlich willkommen heißen.

Die Welt hat in den letzten Jahren dramatische Veränderungen erfahren. Dazu gehört das Auseinanderbrechen der Sowjetunion, das Nachlassen der Spannungen in den Ost-West-Beziehungen, die Zunahme von Protektionismus und die Formierung regionaler Wirtschaftsorganisationen. In der Folge haben bei der Gestaltung einer neuen Weltordnung wirtschaftliche Fragen die militärischen Konfrontationen als Schwerpunkt ersetzt.

Die Weltwirtschaft, welche sich immer auf Europa und Nordamerika konzentriert hatte, tendiert nun zu einer stetigen Verschiebung zum asiatisch-pazifischen Raum. Vor allem seit Ende der achtziger Jahre haben die meisten asiatischen Länder eine aggressivere Entwicklungsstrategie angewendet, welche in Zukunft sicherlich enorme Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben wird.

Wenn die Aufmerksamkeit der Welt heute zunehmend auf die asiatisch-pazifischen Ökonomien gerichtet ist, dann hauptsächlich wegen des ungeheuren Wirtschaftspotentials und des raschen Wirtschaftswachstums in diesem Gebiet. Die Häufigkeit wirtschaftlicher Interaktion in diesem Raum hat ebenfalls offensichtlicher werden lassen, daß die Weltwirtschaft zur Regionalisierung neigt.

Wenn wir den "asiatisch-pazifischen Raum" grob als alle Mitgliedsstaaten definieren, welche, abgesehen von den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada, Teil der Konferenz über Aiatisch-Pazifische Wirtschaftskooperation sind, so belief sich die Bevölkerung in diesem Gebiet im Jahr 1991 auf 1,684 Milliarden Menschen und überstieg damit weit die 345 Millionen der Europäischen Gemeinschaft und die 278 Millionen in der Region Nordamerikas. Wenn wir uns das Bruttosozialprodukt dieser drei Gebiete anschauen, so beträgt das des asiatisch-pazifischen Raums gegenwärtig 4,3 Billionen US$, was sich mit den 5,7 Billionen US$ Nordamerikas oder den 5,9 Billionen US$ der Europäischen Gemeinschaft nicht messen kann. Nichtsdestoweniger ist das durchschnittliche Wirtschaftswachstum der letzten zehn Jahre im asiatisch-pazifischen Raum (bei über 6 Prozent pro Jahr) weit über das von Nordamerika (2,7 Prozent pro Jahr) und auch über das der Europäischen Gemeinschaft (2,3 Prozent pro Jahr) hinausgegangen. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, daß die Weltwirtschaft am Ende des 20. Jh.s ein Dreifuß sein wird - auf den drei Beinen der wirtschaftlichen Macht des Nordamerikanischen, europäischen und asiatisch-pazifischen Raums stehend.

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, daß es aufgrund der Verschiedenheit von Rassen, Religionen, Sprachen und kulturellen Hintergründen der Länder im asiatisch-pazifischen Raum sowie wegen des unterschiedlichen Niveaus ihrer Industrialisierung großer und langfristiger Anstrengungen bedarf, um einen regionalen gemeinschaftlichen Markt wie den der Europäischen Gemeinschaft zu bilden. Doch bewirken die reichlichen Human- und Naturressourcen in dieser Region, zuzüglich eines hohen Grades an wechselseitiger wirtschaftlicher Ergänzungsfähigkeit, eine Beschleunigung und Intensivierung der gegenseitigen Zusammenarbeit zwischen den asiatisch-pazifischen Nationen, weshalb die Aussichten äußerst gut sind. Den statistischen Angaben von 1990 zufolge belief sich der internationale Handel in diesem Raum auf 1,45 Billionen US$. Davon entfielen auf Exporte insgesamt 750 Milliarden US$, das ist nahezu ein Viertel des weltweiten Aufkommens. So wäre es nicht übertrieben zu sagen, daß der asiatisch-pazifische Raum der wichtigste Produzent und Markt der Welt werden könnte.

Es gibt viele Gründe für die rasche wirtschaftliche Entwicklung des asiatisch-pazifischen Raums. Der Hauptgrund dafür ist, daß, abgesehen von dem ausgedehnten Markt, welchen die Vereinigten Staaten bieten, und den immensen Investitionen japanischer Unternehmen, es den vier neuindustrialisierten Wirtschaften in Asien - der Republik China, der Republik Korea, Singapur und Hongkong - allen an natürlichen Ressourcen fehlt. Unter dem Druck eines Gefühls der Unsicherheit, das durch die Konkurrenz ums Überleben wachgerufen wurde, haben sie sozusagen keine Mühen gescheut, die Modernisierung voranzutreiben, was in der Folge auf Festlandchina und in anderen, südostasiatischen Ländern eine Kettenreaktion bewirkt hat.

Nehmen Sie unser Land als Beispiel. In den letzten vierzig Jahren hat die Republik China, unter der Bedrohung einer bewaffneten Invasion durch die chinesischen Kommunisten, die Bürde drückender Militärausgaben auf sich genommen und es dennoch geschafft, eine konstante Wirtschaftswachstumsrate von 8,8 Prozent aufrechtzuerhalten. Während der letzten vierzig Jahre haben wir, beginnend mit Landreform und Schaffung einer Allgemeinerziehung, neun Pläne zur Wirtschaftsentwicklung erfolgreich abgeschlossen und das Beste aus unseren begrenzten Ressourcen gemacht. Dies bewirkte einen Anstieg unseres BSP von 1,2 Milliarden US$ im Jahr 1951 auf 180,3 Milliarden im Jahr 1991, womit wir weltweit auf Platz 20 stehen. Es bewirkte auch einen Anstieg unseres Pro-Kopf-Einkommens von 145 US$ im Jahr 1951 auf 8815 US$ im Jahr 1991. Für das laufende Jahr wird erwartet, daß es höher als 10 000 US$ liegt, und unser BSP sollte über 200 Milliarden US$ hinausgehen. Unser Außenhandel wuchs von 300 Millionen im Jahr 1951 auf 139 Milliarden US$ im Jahr 1991, und es wird vorausgesagt, daß er dieses Jahr vielleicht 150 Milliarden US$ überschreitet, was uns in die Lage versetzt, unter den größten Handelsnationen der Welt Platz 13 einzunehmen. Gegenwärtig belaufen sich unsere Devisenreserven auf 84 Milliarden US$, praktisch die höchsten der Welt. All diese Leistungen machen das aus, was Menschen auf der ganzen Welt "die Taiwan-Erfahrung" nennen; sie bringen uns dem Eintritt in die Reihen der entwickelten Nationen noch näher.

Jedoch werden wir uns gewiß nicht auf den Lorbeeren dieser Erfolge ausruhen, denn wir erkennen, daß die nationale Modernisierung eine Straße ohne Ende ist und daß wirtschaftliche Entwicklung unbedingt sozialen Wandel mit sich bringt, die Beteiligung an der Politik erweitert und die Umgestaltung des politischen Umfeldes beschleunigt. Deshalb hat die Republik China den Schwerpunkt ihrer Bemühungen gegenwärtig von wirtschaftlicher Entwicklung auf Verfassungsreform und kulturelle Renaissance verlagert. Unter dem letztes Jahr in Angriff genommenen Nationalen Sechsjahres-Entwicklungsplan werden wir in den nächsten sechs Jahren 300 Milliarden US$ für bedeutende Bauprojekte in Bereichen wie Energieversorgung, Umweltschutz, Luftfahrt, Informationsindustrie, Massentransport und Hochgeschwindigkeitsbahn ausgeben. Wir hoffen, daß Taiwan nach Ausführung des Plans das internationale Zentrum für Transport und Finanz im Westpazifik werden kann. Ferner möchten wir hoffen, daß als ein Ergebnis dieses Plans die allgemeine Lebensqualität für die Menschen von Taiwan, die wirtschaftliche Infrastruktur und das menschliche und soziale Umfeld auf Taiwan einen neuen Höchststand erreichen können. Wir laden alle Nationen der Welt herzlich ein, sich an diesem massiven Entwicklungsplan zu beteiligen, und freuen uns darauf, durch Austausch im Bereich von Investitionen und Technologie unsere Zusammenarbeit mit verschiedenen Ländern auf der Welt zu verstärken.

Darüber hinaus hat die Republik China als ein Mitglied von Gemeinschaften im asiatisch-pazifischen Raum und auf der ganzen Welt nie ihre internationalen Verpflichtungen übersehen. Obwohl seit dem Ausscheiden aus den Vereinten Nationen im Jahr 1971 mit einer schwierigen internationalen Situation konfrontiert, hat unser Land beständig die Prinzipien der Gleichheit und Wechselseitigkeit wie auch eine positive und pragmatische Einstellung aufrechterhalten und hat sich, unseren Freiraum für Vorgehen auf der internationalen Ebene erweiternd, aktiv an zwischenstaatlichen Organisationen beteiligt sowie beharrliche Anstrengungen zur Förderung von Frieden und Wachstum auf der Welt unternommen. Gegenwärtig übersteigen die Investitionen der Republik China im asiatisch-pazifischen Raum 10 Milliarden US$ und werden nur von Japan übertroffen. Wir haben mit 31 freundlich gesinnten Nationen Vereinbarungen über technische Zusammenarbeit unterzeichnet und 43 technische Missionen ausgeschickt, um unseren Freunden auf der ganzen Welt beim Aufbau ihrer Landwirtschaft, Fischerei, Gesundheitsversorgung und handwerklichen Gewerbe zu helfen. Auch haben wir den "Fonds für die Entwicklung der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit" (International Economic Cooperation Development Fund) geschaffen, um freundlich gesinnten Nationen Kredite, Investitionen und technische Hilfe anbieten zu können. In der Hoffnung, daß durch engere Zusammenarbeit und ein höheres Maß an substantiellen Beziehungen die Republik China noch größere Beiträge zum Zusammenschluß der asiatisch-pazifischen Region leisten kann, werden wir von nun an fortfahren, unsere Investitionen sowie wirtschaftliche und technische Hilfe zu intensivieren und uns hinsichtlich regionaler Vorgänge im gesamten asiatisch-pazifischen Raum aktiv zu engagieren.

Jedoch sind wir uns wohl bewußt, daß unsere Möglichkeiten, zu einem asiatisch-pazifischen Regionalzusammenschluß beizutragen, begrenzt sind. Es wird sicherlich bei jeglicher Bemühung zu einem solchen Zusammenschluß schwierig sein, Ergebnisse zu zeitigen, wenn Mitgliedsstaaten nicht dazu bereit sind, engstirnige Ideologie und egozentrischen Nationalismus aufzugeben und die gemeinsame Sicherheit und Entwicklung der Region in Betracht zu ziehen. Es ist deshalb unsere leidenschaftliche Hoffnung, daß die Vereinigten Staaten von Amerika fortfahren werden, ihren mächtigen Einfluß auf diesen offenen regionalen Block auszuüben, um die Schranken zu beseitigen, die durch internationalen Handelsprotektionismus geschaffen wurden. Gleichzeitig hoffen wir, daß Japan seine Verantwortung als wirtschaftlicher Steuermann dieser Region akzeptiert und seine moderne Industrietechnologie, Informationen und Märkte zugänglich macht. Dies würde zwischen allen Nationen hier im asiatisch-pazifischen Raum einen engeren Austausch von Resourcen, Technologie, Handel und Dienstleistungen herbeiführen und allen Beteiligten zum Vorteil gereichen. Des weiteren würde es für den wirtschaftlichen Zusammenschluß dieser Region einen Meilenstein in nächster Zukunft bedeuten.

Meine Damen und Herren, der asiatisch-pazifische Raum steht an der Schwelle einer großen Ära. Fortgesetztes hohes Wirtschaftswachstum wird diese Region zum politischen und wirtschaftlichen Zentrum der Welt machen. Jedoch, das zeigt ein Blick auf das Bevorstehende, wird der Weg, der vor uns liegt, sicher nicht leicht, sondern vielmehr mit Herausforderungen gespickt sein. Die Frage, wie wir für einen wirksamen regionalen Zusammenschluß einen umfassenden organisatorischen Rahmen aufbauen werden, harrt der Anwendung von Weisheit und Voraussicht sowie unser aller gemeinsamer Anstrengung.

Das Thema dieser Konferenz ist "Die Asiatische Regionalwirtschaft - Wachsende Verbindungen, globale Implikationen". Diskutiert werden unter anderem "Globale Entwicklungen und Asiens Chancen", "Die Zukunft des Welthandelssystems", "Regionaler Handel und Finanzaktivitäten" und "Asiatisch-pazifische Politikszenarien und Sicherheit" - Themen, die gerade jetzt alle im Zentrum unserer Besorgnisse stehen. Ich bin zuversichtlich, daß wir durch unser gemeinsames Nachdenken in der Lage sind, einen effektiveren Weg für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Asien zu finden und eine noch gesteigerte Vitalität in die wirtschaftliche Entwicklung der Region einzubringen.

Zum Schluß möchte ich meine Bewunderung und Wertschätzung für die Förderer dieser Zusammenkunft und ihre Beteiligten dafür ausdrücken, daß sie gemeinsam dieses so signifikante Ereignis organisiert haben. Auch möchte ich dieser Konferenz guten Erfolg sowie Ihnen alles Gute und viel Glück wünschen. Herzlichen Dank!

(Deutsch von Martin Kaiser)

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