Einer der Gründe für ihre Verehrung als Beschützerin der Fischer liegt darin, daß sie einmal auf einem Webstuhl schlafend geträumt haben soll, ihr Vater und ihre zwei Brüder seien durch ein Unwetter in Seenot geraten, worauf sie sich eiligst und ohne Rücksicht auf ihre eigene Person zur Rettung in die Fluten stürzte. In ihrem Traum gelang es ihr, jeweils einen Arm ihrer Brüder zu greifen sowie den Vater an seiner Kleidung mit den Zähnen zu halten und in Richtung Ufer zu schwimmen. Unglüklicherweise soll ihre Mutter sie in diesem Moment gerufen haben, woaufhin Ma-tsu im Traum zur Erwiderung den Mund öffnete und dabei den Vater verlor, der hilflos ertrank. In Tränen aufgelöst habe sie ihrer Mutter von dem Traum berichtet, die sie mit den Worten tröstete, es sei ja nur ein Traum gewesen und damit nicht weiter ernst zu nehmen. Kurz darauf erreichte die beiden die Nachricht, daß der Vater tatsächlich während eines Sturms umgekommen sei, wogegen die Geschwister errettet worden sein. Sie habe sich danach geschworen, nicht zu heiraten und ihrer Mutter immer zur Seite zu stehen. Mit 28 Jahren soll sie dann friedlich gestorben und in den Himmel aufgestiegen sein. Die Tatsache, daß sie als junge Frau starb, läßt es verwunderlich erscheinen, daß ihre Abbilder nicht schlank sind und lebhafte Züge tragen, doch spiegelt ihr etwas volles, aber erhabenes Äußeres, die elegant-feine Pose und der reife, ernsthafte Ausdruck eine Vorstellung der Chinesen über das ideale Aussehen wider. Es gibt zahlreiche Berichte, nach denen Ma-tsu oft gesehen wurde, wie sie in Rot gekleidet über das Meer schwebte und den Menschen zur Hilfe eilte.
Besonders jene Auswanderer aus dem Festland, die auf ihrem Weg nach Taiwan die stürmische Taiwanstraße überqueren mußten, beteten zu ihr, denn der Legende nach soll sie nachts mit aufgelöstem Haar und mit einer Laterne an der Küste gestanden haben, um den Booten sicher den Weg zum Ufer zu zeigen. Nach gelungener Überfahrt wurden ihr häufig aus Dankbarkeit Tempel errichtet, welche nun im ganzen Gebiet Taiwans zu finden sind. Da die Insel Taiwan einen starken Bezug zum Meer hat und mit ihren reichen Fischgründen vielen Menschen einen Lebensunterhalt als Fischer bietet, war es nur natürlich, daß Ma-tsu zur Schutzpatronin der meisten Leute wurde. Die Fischer, welche Tag um Tag mit der unberechenbaren See zu kämpfen hatten und oftmals in Seenot gerieten, suchten vermehrt Schutz bei ihr. Und auch noch heute scharen sich die Gläubigen um sie, wie hier in unserem zweiten Bild um eine Statue der Göttin im Lungfeng-Tempel in Miaoli.
Der Chaotien-Tempel in Peikang enthält ein Bildnis Ma-tsu's, welches 1694 von einem Mönch aus ihrer Heimat Mei-chou nach Taiwan gebracht wurde. Viele andere Ma-tsu-Statuen werden hier geweiht, bevor sie an ihren eigentlichen Bestimmungsort gelangen. Weitere wichtige Tempel befinden sich in Tamsui, Lukang, Tainan und Penghu. Bei vielen von ihnen ist fast so etwas wie ein Konkurrenzkampf um die Gunst der Göttin ausgebrochen. Sie organisieren Pilgerfahrten nach Mei-chou oder versuchen, von dort Statuen der Göttin nach Taiwan zu bringen, um das Prestige des Tempels zu steigern. Aber es gibt auch private Reisende, die sich bis zu dieser Insel wagen und ihre eigene Statue ergattern wollen. Im allgemeinen herrscht bei den Gläubigen die Ansicht, daß ein Abbild aus der Heimat der Göttin wesentlich wirkungsvoller und echter sei.
Im Rahmen der Feierlichkeiten werden von den Gläubigen Pilgermärsche zu den wichtigen Ma-tsu-Tempeln unternommen. Die beiden größten Gruppen kommen von Paishantun aus der Stadt Tunghsiao nahe von Miaoli und aus Tachia in der Nähe von Taichung. Die erste Pilgerfahrt nimmt etwa neun Tage in Anspruch, wobei die Gläubigen bei Leuten, die ihnen freiwillig einen Platz zur Verfügung stellen, übernachten – man glaubt, daß dies den Gastgebern Glück bringt. Die Prozession aus Tachia benötigt einen Tag weniger, dafür schließen sich ihr aber Tausende von Menschen entlang der Route an. Am Anfang und Ende einer jeden Pilgerreise findet der Göttin zu Ehren ein Fest statt.
Aber nicht nur auf den Straßen herrscht buntes Treiben. So finden zum Beispiel im Hof des Tempels in Peikang Vorführungen von Kampfsportkünsten, Löwentänzen oder chinesischer Oper statt. Und man kann spiritistische Medien, die der Göttin dienen, nach verschiedenen Aspekten seines Lebens und der Zulkunft befragen. Auch nimmt Ma-tsu in einer Prozession von Sänften mit Abbildern der Göttin "ihr" Gebiet in Augenschein, inmitten des Getöses und Rauchs abgefeuerter Knallkörper sowie in Begleitung zweier Schutzgottheiten, deren Namen von ihren Charakterzügen herrühren: "Augen, die tausend Meilen sehen" und "Ohren, die dem Wind zuhören" waren einst Bösewichte, die in einem Kampf mit Ma-tsu verloren und danach zu ihren Begleitern wurden. Eine Philosophie wird der Chinesen deutlich im Gegensatz zur feinen, weichen Ma-tsu ist für die beiden Ungeschlachtheit und Stärke charakteristisch, was darauf hinweist, daß man durch Zartheit Grobiane durchaus überwinden kann. Die Abende werden von den Lichtern der Paradewagen, auf denen Geschichten über Moral aus der chinesischen Mythologie und Historie dargestellt werden, erhellt, wobei oft Kinder in traditionellen Kostümen als Schauspieler fungieren.