Taiwans Bankkunden ernten bereits die Früchte der kürzlich erfolgten Liberalisierung im Bankenwesen. Am 26. Juni des letzten Jahres billigte das Finanzministerium 15 Anträge für neue Banken und beendete damit einen Stop für Neugründungen in dieser Branche. Anfang Februar dieses Jahres hatten bereits 5 der 15 neuen Geldinstitute, denen Lizenzen für Handelsbanken ausgestellt wurden, ihre Geschäfte aufgenommen. Im Kampf um Marktanteile verwenden sie eine Reihe von Strategien, die zu einer Reduzierung der Darlehenszinsen und Erhöhung der Sparzinsen, zu einem Zuwachs an Finanzdienstleistungen und verbessertem Kundenservice geführt haben.
Als die Grand Commercial Bank am 30. Dezember 1991 die Schalter öffnete, war sie die erste der neuen Banken, die ihre Geschäfte aufnahm. Sie war es auch, die mit Senkung der Kreditzinsen um 0,25 Prozentpunkte einen Krieg um Zinssätze begann. Um nicht unterboten zu werden, öffneten zwei weitere neue Banken - Dah An Commercial Bank und die Chinese Bank - mit noch niedrigeren Zinssätzen. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels [April 1992] war der Jahreszinssatz der Chinese Bank mit 7.85 Prozent der niedrigste auf Taiwan.
Reduzierungen aufgrund des Konkurrenzdrucks sind nicht auf die Zinssätze beschränkt geblieben. Viele der neuen Banken haben bei dem Versuch, bestehenden Geldinstituten Kunden abzujagen, die Hypothekenzinsen gesenkt. William W. L. Chen (陳文林), dem Vizepräsidenten der Land Bank of Taiwan, zufolge hat diese Strategie für die etablierten Banken eine bedeutende Bedrohung geschaffen. Hypotheken auf Landeigentum machen den Großteil des Kreditgeschäfts der Land Bank aus. Um ihre Klientel zu behalten, offerierten die Land Bank und viele der etablierten Banken auf Anfrage eine Ermäßigung bei ihren Hypothekenzinsen.
Trotz solcher Gegenmaßnahmen erfreuen sich die neuen Banken weiterhin gutgehender Geschäfte. Hypothekendarlehen konstituieren sogar mehr als die Hälfte aller Kredite, die sie vergeben. Die Leute kamen in Scharen zu den neuen Banken, um von den niedrigeren Zinssätzen zu profitieren, die sich zwischen 9.75 Prozent und 10 Prozent pro Jahr bewegen. Kunden wurden auch von anderen Angeboten wie längeren Darlehenszeiträumen und geringeren monatlichen Rückzahlungsraten angelockt.
Die neuen Banken haben nicht nur verringerte Kreditzinsen eingeführt, sondern bewirkten auch die Anhebung von Zinsen für Sparguthaben. Im Konkurrenzkampf um Sparer erhöhten die Neulinge ihre Einlagezinsen. Und die alten Banken zogen schleunigst nach. Die Union Commercial Bank, eine andere neue Bank, erhöhte Anfang dieses Jahres die Jahreszinsen für Bankguthaben auf 5 Prozent.
Indem sie mehr Konkurrenzdruck in das Bankensystem brachten, brachen die neuen Geldinstitute ein langbestehendes Industriekartell. Jahrzehntelang hatten sich einheimische Banken in die Hände gearbeitet, um ihre Zinssätze zu Ungunsten der Verbraucher festzulegen. Die intensive Konkurrenz hat offenbar die notorische Branchenpraxis der Angleichung von Zinssätzen beendet. In der Vergangenheit waren Taiwans Geldinstitute immer schnell dabei, zu Zeiten restriktiver Kreditwirtschaft die Darlehenszinsen zu erhöhen. Doch setzten sie den Zinssatz nur zögernd wieder herunter, wenn sich der Markt erholte.
Mit dem Markteintritt von 15 neuen Banken hat sich die Situation verändert. Branchenmitglieder legen sich krumm, um Kreditnehmer und Sparer mit günstigen Zinssätzen zu locken. Die Konkurrenz zwischen den Banken hat zu einer beträchtlichen Verengung der Margen zwischen Spar- und Kreditzinsen geführt. Früher war die durchschnittliche Differenz mit etwa 3 Prozent ungewöhnlich hoch. Dies machte das Bankenwesen zum profitabelsten Geschäftsfeld auf Taiwan. Jetzt bedeuten neue wettbewerbsfähige Raten und die kleineren Margen gesunkene Profite für die Banken, und die Kunden haben den Gewinn davon.
Die Odyssee von einem Schalter zum anderen hat bei vielen Banken jetzt ein Ende. Besserer Service bedeutet auch, alle notwendigen Formalitäten für eine Angelegenheit an einem Schalter abwickeln zu können.
Nach Ansicht von Samuel Shieh (謝森中), Direktor der Chinesischen Zentralbank (Central Bank of China), ist die Verringerung der Kluft zwischen Kredit- und Einlagezinssätzen ein willkommener Neuansatz im Vergleich zu den jahrzehntelang festgelegten Zinssätzen. Doch hat er auch Gründe, zur Vorsicht zu mahnen. "Wir sind erfreut zu sehen, daß die Banken die Differenz zwischen den Zinssätzen verengen", erklärt er. "Gleichzeitig müssen sie sich jedoch im Zaum halten und dürfen nicht in einen mörderischen Konkurrenzkampf verfallen. Ein solches Vorgehen würde den Markt möglicherweise destabilisieren und könnte zu einer Finanzkrise führen."
Die fünf neuen Banken haben auch in anderen Bereichen Neuland betreten, indem sie zahlreiche neue Finanzdienste entwickelten. In der Vergangenheit waren die Dienstleistungen der Banken auf althergebrachte Geschäftsbereiche wie Verwaltung der Sparguthaben. Vergabe von Darlehen und Krediten sowie Abwicklung von Transaktionen in Fremdwährungen beschränkt. Die Banken wagten sich selten in Felder wie Beratung für Kapitalanlagen in ausländischen Währungen und in Wertpapieren vor. Derzeit offerieren die Banken nahezu ein Dutzend neue Finanzdienstleistungen. die alle auf die Bedürfnisse zweier bislang weitgehend unerschlossener Marktsegmente zugeschnitten wurden - Kleinunternehmen und private Verbraucher.
Die bestehenden Banken haben es bislang bevorzugt, Kredite an große statt an kleine Firmen zu vergeben. Großunternehmerische Kreditnehmer können für gewöhnlich genügend Garantien bieten, um sich ein Darlehen zu sichern - oft werden dabei 100 Prozent der Kreditsumme verlangt. Der Grund hierfür ist, daß viele Banken ihre in diesem Bereich zuständigen Angestellten für jedes nicht zurückgezahlte Darlehen persönlich haftbar machen. Folglich schenkten trotz der hohen Sparrate auf Taiwan für Kreditvergabe zuständige Bankangestellte einheimischen Kunden bis vor kurzem kaum Beachtung. "Die Zeiten, als die Banken ausschließlich für die Großunternehmen da waren, sind vorbei. Die neuen Banken konzentrieren sich auf die Märkte mit den kleinen Firmen und privaten Verbrauchern", erklärt Alexander T. Y. Dean (丁桐源), Präsident der Grand Commercial Bank.
Zu den am meisten begrüßten der neuen Finanzdienstleistungen zählt das Wohndarlehensprogramm der Grand Commercial Bank mit einer Laufzeit über zwei Generationen. Es erlaubt im ersten fälligkeitszeitraum von zehn oder zwanzig Jahren Eltern, einen Teil der Hypothek abzutragen, worauf der Kreditvertrag dann um weitere zehn bis zwanzig Jahre verlängert und von den Kindern der Hypothekennehmer übernommen werden kann. Unter dem gegenwärtigen Gesetz über das Bankenwesen beträgt die maximale Laufzeit für eine Hypothek zwanzig Jahre. Das neue Darlehensprogramm ist bei Käufern von Eigentumswohnungen und Häusern deshalb so populär, weil sich eine Durchschnittsfamilie aufgrund der längeren Laufzeit des Kredits ein Eigenheim nun eher leisten kann. Der Preis für Wohnraum ist in den großen Städten Taiwans sehr hoch. Der Kauf eines Eigenheims ist mit einer 20-Jahres-Hypothek für viele Mittelklassefamilien einfach nicht realisierbar. Indem nun der Schuldendienst über einen längeren Zeitraum verteilt wird, sind die Raten niedriger und damit leichter zu tragen.
Ein anderes bedeutendes Darlehensprogramm, welches die neuen Banken initiiert haben, sind Kredite für Unternehmensgründungen. Dieses Kreditangebot wurde im Hinblick auf die Anforderungen von kleinen Firmen hinsichtlich Start- und Geschäftskapital geschaffen. Von den Banken Taiwans waren Kredite für neue Kleinunternehmen immer nur begrenzt verfügbar. Die meisten haben sich gescheut, das Risiko einzugehen und solche Darlehen zu vergeben. Doch stellen die kleinen Unternehmen einen beachtlichen Markt dar, und die neuen Banken sind darauf bedacht, daran zu profitieren. Das Maximum für einen Kredit an ein Kleinunternehmen ist auf 400 000 US$ festgesetzt. Die Jahreszinsen liegen bei 8.5 bis 9.5 Prozent, und das Darlehen wird nach sechs Monaten fällig.
Bei der Dah An Commercial Bank denkt man über eine weitere Finanzdienstleistung nach, den sogenannten "Sofortkredit". Damit könnte jeder Kunde, der bei der Bank seit mehr als sechs Monaten ein Girokonto unterhält, ein Darlehen ohne Mitunterzeichnenden und zusätzliche Sicherheiten erhalten. Antragsteller könnten innerhalb von dreißig Minuten einen Kredit bekommen, welcher nach drei Monaten fällig und von der Bank mit einer Kreditobergrenze von 120 000 US$ angeboten wird.
Die Neulinge sind klar die treibende Kraft hinter den allgemeinen Bemühungen zur Verbesserung der Finanzdienstleistungen einschließlich einer freizügigeren Kreditpolitik. Einheimische Bankiers wurden seit langem kritisiert, ihre Institute wie Pfandhäuser zu führen. Sie hielten stur an ihrer Anforderung fest, daß ein Darlehen genehmigt werde, wenn der Kreditnehmer eine Menge Sicherheiten vorzuweisen habe. In der Folge wurden etwa die Hälfte aller diesbezüglichen Anträge von den Banken abgelehnt, weil die Antragsteller nicht ausreichende Sicherheiten vorweisen konnten. War ihnen der Zugang zu regulären Finanzinstitutionen versperrt, mußten die Kleinunternehmer in der Regel bei illegalen Geldverleihern um teurere Kredite anfragen. Auch hatten früher Antragsteller im allgemeinen an den für Kreditvergabe zuständigen Angestellten "Teegeld" zu berappen, damit er ihrem Antrag überhaupt angemessene Beachtung schenken würde. Diese und andere schädliche Praktiken werden in dem neuerdings wettbewerbsorientierten Markt eliminiert.
Nach Aussagen hochrangiger Manager von vielen der neuen Banken werden sie nicht unbedingt darauf bestehen, daß ihre Kreditkunden als eine Sicherheit bei ihnen Konten eröffnen, um sich für einen Kredit zu qualifizieren. "Bei der Entscheidung, ob wir einem Kredit zustimmen oder nicht, werden wir die Frage der Sicherheiten nicht zum einzigen Kriterium machen. Jedes kleinere Unternehmen, das Wachstumspotential aufweist und bereit ist, mit unserer Hilfe eine solide Buchhaltung aufzubauen, kann bei uns ein Darlehen bekommen", versichert Huang Yung-jen (黃永仁), Präsident der E. Sun Bank, eines weiteren neuen Geldinstituts.
Wenn es nach den neuen Banken geht, werden auch dürftiger Dienst am Kunden und Ineffizienz bald der Vergangenheit angehören. Die meisten haben eigens einen Mitarbeiter dafür eingestellt, Kunden behilflich zu sein und sie über die verschiedenen, von dem jeweiligen Institut angebotenen Programme und Dienstleistungen zu beraten. Die Mehrheit hat bereits Automaten installiert, an denen rund um die Uhr Geld eingezahlt und abgehoben werden kann. Da ihr Hauptaugenmerk auf Annehmlichkeit für die Kunden gerichtet ist, haben mehrere der neuen Banken eine "Ein-Schalter-Abwicklung" geschaffen. Früher mußten beispielsweise Kunden, die einen Darlehensantrag stellen wollten, zu drei oder vier verschiedenen Schaltern gehen. Heute brauchen sie für alle Angelegenheiten, die sie auf der Bank zu erledigen haben, nur noch zu jeweils einem Schalter zu gehen. Kundenorientierung und Effizienz sind die Parolen der Branche geworden. "Die effektivste Waffe, die uns in der Konkurrenz gegen die alten Banken zur Verfügung steht, ist prompter und freundlicher Service", weiß Frank Kwang-seng (王光生), Vizepräsident des Neueinsteigers Bank SinoPac.
Obgleich die verschiedenen von den fünfzehn neuen Banken angewendeten Strategien zur Eroberung eines Anteils am Finanzmarkt die bestehenden Institute bedrohen, sind Beobachter aus der Branche der Meinung, daß die neuen Banken in der Anfangsphase keine ernste Gefahr darstellen werden. Die bestehenden Geldinstitute haben den Neuankömmlingen einen beträchtlichen Vorteil voraus: Die Mehrheit der 13 staatlichen und 11 privaten Banken haben ein gut ausgebautes Netz von Zweigstellen auf ganz Taiwan. Beispielsweise unterhalten die drei Handelsbanken, welche der Provinzregierung gehören - Chang Hua, Hua Nan und First Commercial - in allen großen Städten sowie in den Ortschaften auf ganz Taiwan siebenhundert Geschäftsstellen.
Den neuen Banken dagegen ist es im ersten Jahr nur erlaubt, eine Geschäftszentrale, eine Abteilung für Spareinlagen und fünf Zweigstellen einzurichten. In jedem darauffolgenden Jahr können sie bis zu drei weitere Filialen eröffnen. Die Obergrenze bei der Anzahl von Geschäftsstellen wird für die neuen Banken ein klarer Nachteil sein, wenn es um Kundenwerbung geht.
Andererseits haben die staatlichen Geldinstitute mit ihren inhärenten Problemen zu tun. Norman Yin (殷乃平), dem Leiter des Fachbereichs für Bankenwesen an der Nationalen Chengchi-Universität, zufolge müssen die alten Banken in Übereinstimmung mit rigiden Vorschriften über die Vergabe von Krediten arbeiten, welche die für Darlehen zuständigen Angestellten von Bemühungen zu einer Expansion dieses Bereichs abhalten. Darüber hinaus, ergänzt er, stehen diese Banken unter der Aufsicht verschiedener Regierungsinstitutionen, die ihnen häufig Flexibilität verweigern, etwa bei der Schaffung neuer Geschäftsfelder oder der Planung und Entscheidung von Budgets, ja sogar bei der Rekrutierung von Personal. Die Inspektion von Banken beispielsweise liegt in den Händen des Kontroll-Yüans, während Personalfragen vom Prüfungs-Yüan entschieden werden.
Zur Überwindung dieser Nachteile und um mit der Konkurrenz von seiten der neuen Banken gleichzuziehen, schlug Lin Chen-kuo (林振國), Ausschußmitglied im Finanzministerium der Regierung der Provinz Taiwan, kürzlich die Verabschiedung eines Gesetzes vor, das die Banken sowohl der Zentral- als auch der Provinzregierung von der Einmischung von staatlicher Seite befreien und ihnen erlauben würde, auf sich selbst gestellt zu agieren. Fachleute fordern eine weitreichende Deregulierung und in einigen Fällen sogar Privatisierung, so daß die staatlichen Banken konkurrenzfähig bleiben können. Lin wie auch Yin glauben, daß die neuen Banken eine gute Chance haben, besser abzuschneiden als die staatlichen, wenn letztere nicht bald ihre Handikaps überwinden können.
Doch trotz eines vielversprechenden Starts und offensichtlich guter Zukunftsaussichten könnten auch die neuen Banken in Schwierigkeiten geraten. Ihre freizügigere Darlehenspolitik könnte ein Mehr an nicht zurückgezahlten Krediten und erhöhte Verluste bedeuten. Zweitens verringern sich ihre Einkünfte aufgrund der Senkung der Darlehens- und aufgrund der Anhebung der Sparzinsen. Und drittens ergibt sich aus der beträchtlichen Kapitalsumme, die sie in Personal, Ausstattung und Räumlichkeiten investiert habe, ein Aufschub, bis sie anfangen, Gewinne zu machen.
Angesichts dieser Situation glaubt Pan Chih-chi (潘志奇), Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Soochow-Universität, daß die Regierung neue wie auch alte Banken wachsamer überprüfen muß, um sicherzustellen, daß sie sich an die Spielregeln halten. Er ist der Ansicht, daß der mörderische Konkurrenzkampf einige Banken zu unvorsichtigen oder zweifelhaften Verfahrensweisen verleiten könnte; der Verbraucher müsse geschützt werden. Norman Yin stimmt dem zu. Ihm bereitet Sorgen, daß es schon immer an befähigten Inspektoren fehlte und daß dieser Mangel nach dem Eintritt von fünfzehn neuen Banken in die Branche akuter denn je ist.
Gegenwärtig jedoch erfreuen sich die Verbraucher einer Flitterwochenzeit mit dem Bankenwesen. Intensiver Konkurrenzkampf von seiten der neuen privaten Geldinstitute bedeutet, daß die Branche als Ganzes mehr als zuvor auf Verbraucherbedürfnisse reagieren muß. Die einzige Frage ist nur, wie lange dieser Zustand anhalten wird.
(Deutsch von Martin Kaiser)