30.04.2025

Taiwan Today

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Das Problem mit den Pestiziden

01.03.1992
Das Bild von Taiwans Landwirtschaft wird von Monokulturen und immer größeren Anbauflächen geprägt. Die Folgen sind hoher Pestizidverbrauch und damit Belastung des Bodens, Wassers und letztlich des Menschen.
Die massive Anwendung von Pestiziden in den letzten Jahrzehnten hat dazu beigetragen, daß Taiwans Landwirtschaft gewaltige Erträge erzielen konnte. Doch seit sich die Verbraucher zunehmend über die Gesundheitsgefährdung durch Rückstände von Pestiziden in Obst und Gemüse bewußt werden, sieht sich die Landwirtschaft veranlaßt, auch über andere Fragen als nur über die Höhe ihrer Erträge nachzudenken.

Statistiken der Regierung zeigen, daß die Bauern im Jahre 1989 ungefähr 36 000 Tonnen Pestizide über ein Gebiet von ca. 9 Millionen Quadratkilometern Ackerland verprühten (auf drei Vierteln davon wurde Reis, auf dem übrigen Teil Obst und Gemüse angebaut). Die Kosten der Schädlingsbekämpfungsmittel beliefen sich, nach Großhandelspreisen berechnet, auf insgesamt 110 Millionen US$. Der überwiegende Teil davon war importiert, doch hiesige Pestizidhersteller führen auch halbfertige chemische Produkte zur Weiterverarbeitung ein.

Nach den Statistiken der Landwirtschafts- und Forstbehörde der Provinz Taiwan steht die Insel bei der Anwendung von Pestiziden pro Einheit bebauten Bodens an dritter Stelle in der Welt, wobei Japan die Spitzenstellung einnimmt. Agrarexperten schreiben den hohen Grad der Pestizidanwendung auf Taiwan dem vorherrschenden heißen und feuchten subtropischen Klima, das eine besonders günstige Umgebung für Schädlinge darstellt, und dem jährlichen Produktionszyklus mit mehreren Ernten pro Jahr zu.

Die Bauern haben gute Gründe, Pestizide zu sprühen. Ohne ihre Anwendung würde sich z. B. der jährliche Ertrag der Reisfelder um 15 Prozent bei der ersten und um 30 Prozent bei der zweiten Ernte verringern. Auch die Verbraucher tragen ihren Teil der Verantwortung für den exzessiven Gebrauch von Schädlingsbekämpfungsmitteln, weil sie lieber solches Obst und Gemüse kaufen, das den ästhetischen Ansprüchen genügt und noch nicht von hungrigen Insekten beschädigt wurde.

Doch die Bauern stellen nun fest, daß sich die Kaufgewohnheiten der Verbraucher aufgrund des Pestizidproblems verändert haben. Die erhöhte öffentliche Besorgnis darüber ist sowohl von informierter Seite als auch durch Gerüchte verursacht worden, und beide Quellen hatten Einfluß auf die öffentliche Meinung. Manche Gerüchte haben eine Atmosphäre allgemeiner Angst erzeugt. Eine Geschichte dieser Art, die Anfang 1990 zirkulierte, hatte ihren Ursprung in der südtaiwanesischen Stadt Pingtung. Anscheinend war eine Reihe von Enten tot aufgefunden worden, nicht lange nachdem sie unverkauftes Gemüse gefressen hatten, das ein Marktverkäufer weggeworfen hatte.

Nicht gerade beschwichtigt wird die Angst der Verbraucher vor Pestiziden durch den wachsenden Verdacht, daß die Bauern das, was sie produzieren, nicht selbst essen, sondern ausschließlich auf den Märkten verkaufen. Statt dessen, heißt es, zweigen sie spezielle Stücke Land für sich selbst ab, auf denen sie wenig oder gar keine Pestizide verwenden.

Lishan in Zentraltaiwan ist eine Landwirtschaftsregion, welche die besondere Aufmerksamkeit von Umweltschützern und Gesundheitsinspektoren auf sich zu ziehen beginnt. Das gebirgige Anbaugebiet, an der quer über die Insel führenden Ost-West-Autostraße gelegen, ist berühmt für seine Birnen, Pfirsiche und Äpfel. Doch die Obstanbauer in Lishan geben jährlich Millionen Dollar für Schädlingsbekämpfungsmittel aus; sie verzeichnen den höchsten Pestizidverbrauch pro Bodeneinheit auf Taiwan. Es gibt Berichte, daß die Anwendung von Schädlingsgiften in dieser Region so intensiv ist, daß es die Bauern nicht wagen, das Wasser der Quellen nahe ihren Obstplantagen zu trinken. Vergrößert wird das Problem noch durch die Tatsache, daß die Pestizide vom Regen zu den Bewässerungssystemen am Fuß des Berges heruntergespült werden. Der starke Gebrauch von Schädlingsbekämpfungsmitteln ist für zwanzig Todesfälle im Zeitraum von 1990 bis Herbst 1991 sowie für das jetzt festzustellende erhöhte Auftreten von Leberzirrhose bei den Einwohnern von Lishan verantwortlich gemacht worden.

Die Verseuchung von Lebensmitteln durch Pestizide ist zu einem wichtigen Thema in der Verbraucherdiskussion geworden. In einer Erhebung, die im letzten Jahr in der Region Taipei durchgeführt wurde, nannte die Hälfte der befragten Hausfrauen die Frage nach Pestizidrückständen eine der wichtigsten Überlegungen beim Einkauf von Obst und Gemüse (ebenfalls in Betracht gezogene Faktoren waren Geschmack, Nährwert und Preis). In Reaktion auf solche Besorgnisse hat die Regierung ihre Tests zur Auffindung derartiger Rückstände bei Gemüse und Obst verstärkt. Nach offiziellen Quellen scheinen die Ergebnisse bis jetzt beruhigender zu sein, als es die Umweltschützer erwartet hatten.

Eine zeitaufwendige, aber saubere Art, Schädlinge abzuhalten: Früchte werden mit Plastik- oder Papiertüten umhüllt. Bereits auf einem wesentlichen Teil der Anbaufläche in Taiwan wird so verfahren.

Das Amt für Lebensmittelhygiene (eine Abteilung des Gesundheitsministeriums) berichtet beispielsweise, daß im Rechnungsjahr 1990, das am 31. Juni 1990 endete, 1066 Obst- und Gemüseproben in den Labors des Amtes getestet wurden. Die Proben wurden aus Arten ausgewählt, bei denen eine Verseuchung durch Pestizidrückstände am ehesten zu erwarten war. Nur 1,6 Prozent bestanden den Test nicht; eine substantielle Verbesserung gegenüber den Testergebnissen von 1989, nach denen 3,4 Prozent von 652 Proben kontaminiert waren. In Taipei testete das Gesundheitsamt der Stadtverwaltung im Jahre 1989 6063 willkürlich auf den Märkten ausgewählte Proben. Die Kontaminationsrate lag bei 0,16 Prozent. Im Jahr davor betrug dieselbe Rate 0,15 Prozent von 3917 Proben.

Chen Shu-kung (陳樹功), stellvertretender Direktor des Büros für Lebensmittelhygiene, erklärt, daß ein ähnlicher Test, der in den USA durchgeführt wurde, eine Kontamination von 2 bis 4 Prozent der Proben ergab. "Seien Sie versichert, die Verbraucher hierzulande können weiterhin Obst und Gemüse essen", beteuert er. Ein anderer Regierungsbeamter, Li Yuan-chi (李元奇), Chef der Pestizidkontrolle bei der Taipei Agricultural Products Marketing Corporation (TAPMARC), weist darauf hin, daß einem medizinischen Forschungsbericht zufolge der Gehalt an Schädlingsbekämpfungsmitteln im Urin der hiesigen Bevölkerung geringer ist als der, der bei Europäern und Amerikanern festgestellt wurde.

Gegenwärtig führt die Regierung Untersuchungen auf Pestizidrückstände in drei Stufen durch. Zunächst reist eine Gruppe von achtzehn Inspektoren aus neun Überwachungsstationen vor der Ernte in wichtige Gemüse- und Obstanbaugebiete, um Proben zu sammeln. Dann, vor Verkauf der Produkte, prüfen Laboratorien, die mit wichtigen Großhandelsmärkten in Verbindung stehen, die Proben auf eine Verseuchung durch Schädlingsgifte. Schließlich testen die Gesundheitsämter der lokalen Verwaltungen regelmäßig Proben, die den Einzelhandelsmärkten entnommen sind.

Die Regierung hat auch versucht, die Bauern über den Gebrauch von Pestiziden und die schädlichen Folgen ihres Mißbrauchs aufzuklären. Bauern, deren Produkte Rückstände aufweisen, die über den offiziellen Grenzwerten liegen, werden Geldstrafen zwischen 500 und 2800 US$ oder mehrere Monate Haft auferlegt. Landwirte werden regelmäßig zur Teilnahme an Seminaren über die Anwendung von Schädlingsbekämpfungsmitteln aufgefordert. In den vergangenen zwei Jahren hat die Landwirtschafts- und Forstbehörde der Provinzregierung beispielsweise die Anbauer von Tee, Sternfrüchten, Erdbeeren, Weintrauben und Wachsäpfeln zur Teilnahme an solchen Programmen aufgerufen.

Die Verbraucher in den Großstadtgebieten sind noch am ehesten davor geschützt, pestizidverseuchte Lebensmittel in ihren Einkaufskörben nach Hause zu tragen. Jeden Tag, sobald 1000 Tonnen Gemüse und Obst auf dem TAPMARC-Großmarkt eingetroffen sind, entnehmen drei Tester des Labors des Untemehmens fünfzig Proben und untersuchen sie auf Pestizidrückstände. Biochemische Testmethoden ermöglichen es ihnen, um 4 Uhr morgens vorläufige Ergebnisse in der Hand zu haben. Das Labor ordnet dann die Konfiszierung der mutmaßlich kontaminierten Ware an, worauf die Proben für weitere Tests zum städtischen Gesundheitsamt geschickt werden, wo die technisch anspruchsvollere Methode der Gas-Chromatographie angewendet wird.

Viele der Proben (oft ist es ein Drittel) werden in diesem Stadium als unbedenklich eingestuft, und den Bauern, deren Produkte konfisziert, doch nachher freigegeben wurden, zahlt TAPMARC eine Entschädigung. "Unsere Methoden erlauben schnelle Ergebnisse", sagt Tester Li Yuan-chi. "aber sie sind von einer nur ungefähren Genauigkeit. Die Tests werden im Interesse der Verbraucher vorgenommen, und wir sind bereit, die Bauern für zu Unrecht konfiszierte Produkte zu entschädigen."

Auch Taipeis wichtigste Supermärkte tragen zum Anbau "sauberen" Obstes und Gemüses bei, indem sie mit solchen Bauern Verträge schließen, deren Produkte die Tests regelmäßig ohne Beanstandung durchlaufen. Oft decken diese Farmer ihre Felder mit einem Netz oder einem PVC-Tuch ab, um Schädlinge fernzuhalten, und reduzieren damit den Verbrauch an Pestiziden. Auch die strenge Überwachung von Anbau und Ernte durch die Bauernverbände hat zu einer Reduzierung des Mißbrauchs von Schädlingsbekämpfungsmitteln beigetragen.

Können Labortests rückstandfreies Obst und Gemüse garantieren? Trotz moderner Laboratorien und immer größerem Aufwand sind nicht alle Kritiker zu überzeugen, weil die Tests zu zeitraubend sind.

Generell hat die Anwendung von Pestiziden seit 1983 auf der ganzen Insel rapide abgenommen. Ein Grund dafür ist, daß seither effektivere Schädlingsbekämpfungsmittel auf den Markt gekommen sind, die mit größeren Mengen Wasser vermischt werden. Viele der neuen Pestizide sind außerdem sicherer; sie sind todbringend für Schädlinge, aber kaum gefährlich für Menschen und Tiere. Auch hat die Regierung die Verwendung von vierzig Arten von Pestiziden, die eventuell Krebs, Genmutationen und Unfruchtbarkeit erzeugen können, verboten. Die sinkenden Preise für Agrarprodukte haben die Bauern ebenfalls davon abgehalten, Schädlingsgifte in großen Mengen anzuwenden, weil damit zusätzliche Ausgaben verbunden sind.

Schließlich hat die wissenschaftliche Forschung wirksame Methoden gefunden, den Bedarf an Pestiziden zu verringern oder sie gänzlich überflüssig zu machen. Eine dieser Methoden besteht darin, die Geschlechtshormone einer bestimmten Schädlingssorte zu isolieren. Mit Hilfe dieser Geschlechtshormone werden die Schädlinge dann an einen bestimmten Ort gelockt, wo sie mit Pestiziden besprüht werden. Eine andere Methode ist, Baumfrüchte zu schützen, indem man sie mit Papiertüten bedeckt; auf Tausenden von Hektar auf ganz Taiwan wird so verfahren.

Dennoch herrscht nicht gerade weitverbreiteter Optimismus über den gegenwärtigen Stand des Problems der Verseuchung durch Schädlingsgifte. Dr. Edward Cheng (鄭允), Chef der Pestizidforschung am Labor des Instituts für Landwirtschaftsforschung (Taiwan Agricultural Research Institute), bleibt vorsichtig, was die positiven Statistiken angeht. "Die Realität ist viel ernster als das offizielle rosige Bild", sagt er. "Die zuständigen Beamten spielen die ganze Angelegenheit herunter, um nicht mit den Bauern und den Pestizidherstellern in Konflikt zu geraten. Doch das hat die Menschen nur dazu verleitet, große Mengen vergifteten Obstes und Gemüses zu verzehren."

Cheng ist Berater von TAPMARC, und er berichtet, daß die Tests von Gemüseproben zu bestimmten Jahreszeiten eine Kontaminationsrate von bis zu 50 Prozent ergeben können. Er weist darauf hin, daß das unzureichende Testsystem einer der Hauptfaktoren ist, die zu dem Problem beitragen. "Ich habe meine eigenen Berechnungen angestellt", sagt er. "Mit nur achtzehn regierungsamtlichen Pestizidkontrolleuren auf ganz Taiwan hat ein Bauer die statistische Chance, alle dreißig Jahre einem von ihnen zu begegnen."

Ein anderes Problem liegt in der verwendeten Testmethode. Cheng sagt, daß, außer TAPMARC, alle Testlabors der Regierung die Gas-Chromatographie anwenden. "Die Regierung gibt Millionen für diese Tests aus, doch es dauert eine Woche, manchmal sogar einen Monat, um sichere Ergebnisse in der Hand zu haben", meint Cheng. "Bis dahin ist das Obst und Gemüse bereits aufgegessen. Was für einen Sinn haben dann diese Tests, wenn die Produkte ohnehin im Magen der Verbraucher landen?"

In einem Versuch, die Situation zu verbessern, hat Cheng, der auch als Berater für den Verbraucherverband arbeitet, vierzig Genossenschaften und Märkten dabei geholfen, ihre eigenen Testsysteme einzurichten. Gleichwohl liegt der beste Schutz vor kontaminiertem Obst und Gemüse - eine Anzahl von Gesundheitsexperten hat darauf hingewiesen - letztlich bei den Verbrauchern selbst. "Zwar besitzt TAPMARC ein sehr effektives Überwachungssystem, doch weniger als ein Prozent der 1000 Tonnen Obst und Gemüse, die jeden Tag nach Taipei kommen, können damit getestet werden", sagt Cheng. "Und jedes Jahr werden 1,3 Tonnen Agrarprodukte beschlagnahmt. Also ist anzunehmen, daß schätzungsweise 150 Tonnen Obst und Gemüse, die möglicherweise verseucht sind, von den Einwohnern Taipeis verzehrt werden."

Um die Verbraucher vor Rückständen von Schädlingsgiften zu bewahren, haben Experten in Fragen der Pestizidkontamination einige Richtlinien für den Kauf und die Zubereitung von Obst und Gemüse zusammengestellt. Sie machen z. B. darauf aufmerksam, daß Bauern nach einem Taifun oder in der Regenzeit die Ernte möglichst schnell einbringen wollen und dabei mehr Pestizide einsetzen, um aus den hohen Marktpreisen Gewinn zu ziehen. Sie weisen auch darauf hin, daß Supermärkte bessere Möglichkeiten zur Feststellung kontaminierter Produkte besitzen als die traditionellen Lebensmittelläden in der Nachbarschaft. Implizit ist damit ausgedrückt, daß das beste Mittel, um von einem übermäßigen Gebrauch von Pestiziden abzuschrecken, der umsichtige Verbraucher ist.

(Deutsch von Klaus Gottheiner)

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