Taipei entstand entlang dem Tamsui, dem einzigen schiffbaren Fluß Taiwans, und noch vor dreißig Jahren wuschen die in dem Gebiet Ansässigen ihren Reis und kochten Tee mit dem Flußwasser. "Als ich klein war, sind wir oft im Tamsui geschwommen", erinnert sich ein älterer Bewohner Taipeis, Huang Tsai-jung, der dort, wo der Fluß in die Taiwanstraße mündet, aufwuchs. "Er war sehr sauber, besonders während der Flut, und wenn man im Wasser tauchte, konnte man wunderschöne bunte Fische sehen."
Heutzutage ist der Spaziergang an den unteren Läufen des Flusses alles andere als erbaulich, und Schwimmen kommt erst gar njcht in Frage. Der 103 Kilometer lange Unterlauf des sich über 159 Kilometer hinwegziehenden Flusses ist zum großen Teil mit Unrat übersät, und das Wasser ist extrem verschmutzt. Das ekelhaft stinkende Gewässer enthält so gut wie keinen Sauerstoff mehr, und die trüben Wellen bieten nur noch Lebensraum für einzellige Organismen. Vögel, Fische und Menschen halten sich fern.
Die Quellwässer, die mit einem jährlichen Durchschnitt von 300 Millimetern Regen gespeist werden, sind in den Hochlagen des sich am Südrand des Taipei-Beckens entlangziehenden Zentralgebirges noch kristallklar. Doch der Charakter des Flusses ändert sich, sobald er das 300 Quadratkilometer große Taipei-Becken erreicht und seinen sich schlängelnden Weg zur Taiwanstraße hin einschlägt. Hier nehmen der Tamsui und seine wichtigsten Zuflüsse - der Hsintien-, Keelung- und Tahan-Fluß - ihre schwere Last an Schadstoffen auf, welche hauptsächlich von Menschen, Fabriken, Schweinen und Mülldeponien herrühren.
Das Becken, welches in die Verwaltungsbereiche Stadt Taipei und Kreis Taipei eingeteilt ist, wird von etwa 6 Millionen Menschen, das sind 30 Prozent der Gesamtbevölkerung Taiwans, bewohnt. Die Anwohner sind nicht sehr sorgfältig mit den die Ebene durchziehenden Flüssen umgegangen. Eine Analyse der den Tamsui verpestenden Schadstoffe zeigt die Hauptursachen der sinkenden Wasserqualität auf: 65 Prozent Haushalts- und 18 Prozent Industrieabwässer, 14 Prozent Reststoffe von Tierfarmen und 3 Prozent Verschmutzung durch Sickerwasser. (Dieses bezeichnet die Verunreinigung, die entsteht, wenn Regenwasser durch die Müllschichten der Deponien sickert und in die Erde oder in den nächsten Fluß eindringt.) Das Resultat ist ein toter Fluß, der nicht nur für die Erholung unbrauchbar geworden ist, sondern auch ein großes Gesundheitsrisiko darstellt.
Als im Jahre 1987 die Abteilung für Umweltschutz zu einem Amt (Environmental Protection Administration, EPA) aufgewertet wurde, war die Säuberung des Tamsui-Flusses eines der Hauptanliegen. Aber das Problem erwies sich als außerordentlich komplex. Frühere Voraussagen über den Zeitraum, die Geldmittel und die Bemühungen, derer es für eine Wiederbelebung des Gewässers bedarf, haben sich als zu optimistisch erwiesen.
1987 wies die Regierung 740 Millionen US$, die Teil eines von der EPA verwalteten Planes waren, an, um zur Verbesserung des Zustandes des Flusses beizutragen. Die Ergebnisse im Jahre 1990 sprachen für sich selbst: der vertraute Gestank und die Farbe deuteten darauf hin, daß der Fluß immer noch extrem verschmutzt war. Tatsächlich war die einzige bemerkbare Veränderung, daß das ursprünglich geplante Budget um das Doppelte auf 1,48 Milliarden US$ angestiegen war, was ein Ergebnis der Inflation, explodierender Grundstückspreise und erhöhter Arbeitskosten ist. Als Premierminister Hau Pei-tsun den damaligen Leiter der EPA, Eugene Chien, zu einer außerordentlichen Kabinettssitzung rief, um zu erfahren, warum das Flußsäuberungsprojekt nicht erfolgreich gewesen war, verwies Chien besonders auf die Schwierigkeiten der Landaneignung für den Bau von Kläranlagen und anderen Einrichtungen zur Kontrolle der Verschmutzung sowie auf die schlechte, wie er es formulierte, "zwischenbehördliche Zusammenarbeit".
Oftmals werden die Abwässer, wie hier in Tamsui nördlich von Taipei, ohne jegliche Behandlung in die Flüsse oder ins Meer geleitet, was zu einer dreckigen Küste führt.
Und dennoch geht die Säuberungsaktion des Tamsui weiter, und ein genauer Blick auf den Prozeß illustriert, wie schwierig es ist, jedwedes Umweltproblem auf Taiwan zu lösen. Das Problem wurde dabei durch sowohl den raschen Bevölkerungszuwachs der letzten drei Dekaden, unkontrollierte industrielle Expansion, kurzsichtige Landwirtschaftspolitik als auch durch eine Menge sich überschneidender und verwirrender Verwaltungszuständigkeiten verschlimmert.
Obgleich das Versagen, den Tamsui zu säubern, ein herber Schlag für das Image der EPA gewesen ist, so liegt die Schuld, sagt Jaw Shau-kong (趙少康), seit Juni 1991 Leiter der EPA, nicht alleine bei seiner Organisation. "Obwohl wir dieses Projekt koordinieren, soll es doch eigentlich von den lokalen Autoritäten durchgeführt werden", erklärt er. "Und oft genug verstecken und verschweigen diese die Probleme nur."
Als Beispiel führt Jaw die Behauptung der Regierung des Kreises Taipei an, daß es keinerlei Probleme mit der Landaneignung für eine Abwasserleitung mit einem geplanten Ausfluß ins Meer gäbe. Tatsächlich aber wollten die Grundbesitzer entlang der Strecke ihr Land nicht hergeben oder verlangten astronomische Preise dafür. Darüber hinaus weigerten sich die Fischer in dem Hafen, durch den die Abwasserleitung auf ihrem Weg ins Meer verlaufen sollte, den Bautrupps ihre Werften zum Arbeiten zur Verfügung zu stellen, es sei denn, diese stimmten äußerst unangemessenen Bedingungen und Forderungen nach zumeist hohen Entschädigungssummen zu.
Eine weitere irritierende Schwierigkeit, die mit der Abwasserhauptleitung verbunden ist, ergab sich nicht weit von der Flußmündung in der Nähe der Stadt Tamsui. Arbeiter stießen auf ein zwei Kilometer langes Stück extrem harten Felsens, der das Projekt sehr schnell stoppte. "Es wurde doch entlang der Route alle 600 Meter eine geologische Untersuchung durchgeführt, bevor das Projekt überhaupt begonnen wurde", wundert sich Jaw. "Ich verstehe nicht, wie das Gestein damals übersehen werden konnte. Man weiß bis heute noch nicht, wie man dieses Problem handhaben soll." Er fügt hinzu, daß die EPA zum Teil die Schuld trägt, da sie die Bodenuntersuchung nicht gründlicher überwachte.
Obwohl einige Umweltschützer der Meinung sind, daß es für den Fluß keine Hoffnung mehr gibt, sind andere Leute doch optimistischer. Edward Rimberg, ehemaliger Direktor des Forschungsinstituts für die Kontrolle Risikoreicher Materialien (Hazardous Material Control Research) in Washington, D.C., und nun Leiter einer hiesigen Umweltberatungsfirma, ist der Ansicht: "Das Problem der Säuberung des Tamsui-Flusses ist dann nicht unüberwindlich, wenn Jaw es fertigbringt, ein multidisziplinarisches politisches Team aus den verschiedenen Regierungsämtern, einschließlich des Militärs und des Gesundheitsamtes, zusammenzubringen. Dann kann er sich mit ihnen an einen Tisch setzen und sagen: 'Dies ist unser gemeinsames Problem, laßt es uns so angehen, wie es in anderen Ländern auch angegangen wurde.'"
Rimberg bezieht sich dabei auf so erfolgreiche Flußreinigungen wie in den USA und in Spanien, wo unter Berücksichtigung der ökologischen, gesundheitlichen und rechtlichen Probleme Flußbecken-Kommissionen mit allen Betroffenen eingerichtet wurden. "In diesen Fällen wurde ein Plan erstellt, der das gesamte Flußbecken umfaßte", kommentiert er. "Ein ähnlicher Plan würde sich hier über verschiedene Verwaltungszuständigkeiten hinziehen."
Jaw zufolge hat die Regierung solch eine Möglichkeit schon in Betracht gezogen. "Es gab den Plan zur Schaffung einer Organisation ähnlich der Tennesseetal-Verwaltung, um das ganze Flußgebiet zu behandeln", sagt er. "Doch statt dessen haben wir uns entschieden, die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Regierungsebenen zu verbessern. Die EPA koordiniert zwar das Projekt, doch bis jetzt haben wir unsere Sache nicht sehr gut gemacht."
Ein Teil des Problems ist der Mangel an Arbeitskräften. "Zuerst wurde nur eine Person dazu bestimmt, das Flußreinigungsprojekt zu koordinieren", erläutert er. "Das war lächerlich. Später wurde das Personal dann auf fünf erhöht, was aber immer noch nicht genug ist. Ich habe inzwischen um weiteres angefragt." Die ausschließliche Aufgabe eines der neuen Mitarbeiter wird es sein, als EPAs Verbindung zu Stadt-, Kreis- und Provinzregierungen zu fungieren. "Dies ist notwendig", macht Jaw deutlich. "Man kann nicht im Büro der EPA sitzen und auf ihre Berichte warten, die alle zwei bis drei Wochen hereinkommen."
Unansehnliche Uferbänke sind typisch für Taiwans Flüsse. Kilometerlang säumt Müll die Ränder der Flüsse oder treibt auf ihnen dahin, was durch Taifune und starke Winde noch verschlimmert wird.
Das Problem selber ist gewaltig. Wenn man nur die Hauptursachen für die Verschmutzung des Tamsui in Betracht zieht - ungeklärte Haushalts- und Fabrikabwässer, tierische Reststoffe von Schweinefarmen und Mülldeponien -, dann können einem für die EPA schon die Tränen kommen.
Taiwans rapider Bevölkerungszuwachs hat oftmals die Bemühungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Infrastruktur überrollt. Einer der auffälligsten Mängel liegt in den Einrichtungen zur Wasser- und Abwasserklärung. Derzeit werden nur drei Prozent aller Abwässer Taiwans behandelt. Die übrigen 97 Prozent werden, abgesehen von dem, was in primitiven Faulbehältern landet, direkt in die Flüsse und Ströme abgelassen. Die meisten Haushalte haben zwei Abwassersysteme: eines für die Abwässer der Toiletten und eines für Haushaltsabwässer, die durch Waschbecken, Badewannen und Bodenabflüsse ablaufen. Die Exkremente werden gewöhnlich in unterirdische Faulbehälter geleitet, die Abwässer jedoch in Abwassergräben entlang der Straßen, die normalerweise, wenn auch nicht immer, durch städtische Gemeinden überbaut sind. Dieses Schmutzwasser erhält selten eine spezielle Behandlung, bevor es in die Wasserstraßen geleitet wird.
Obgleich etwa 2,7 Millionen Einwohner Taipeis über ein besseres Kanalisationssystem verfügen als das übrige Taiwan, so wird doch lediglich 22 Prozent des Abwassers geklärt, bevor es im Tamsui landet. Es gibt gerade auf der anderen Seite des Flusses im Kreis Taipei - zum Beispiel in Yungho-Stadt, mit einer Bevölkerungsdichte von etwa 41 000 Menschen pro Quadratkilometer - praktisch keinerlei Abwasserbehandlung. Das Ergebnis: die Bewohner des Beckens fügen dem Fluß täglich Tonnen ungereinigten Abwassers hinzu.
Eine aktuelle EPA-Einschätzung besagt, daß der Fluß bis 1993 soweit gesäubert sein wird, daß sein charakteristischer Gestank beseitigt ist. Aber der erste Abschnitt des Projektes zur Kontrolle der Umweltverschmutzung, welcher ein großes unterirdisches Kanalisationsnetz einschließt, wird erst im Jahre 1998 fertiggestellt sein. Die Gesamtlänge des Systems, das gerade gebaut wird, beträgt 1150 km. Die Hauptleitung von vier Metern Durchmesser, die von Westen nach Osten verläuft, wird 90 km lang sein. Theoretisch werden sich alle Abwässer von Haushalten, Fabriken und Tierfarmen in das neue Kanalisationssystem ergießen. Endgültiger Zielort ist eine geplante Kläranlage in Pali an der Flußmündung. Diese Einrichtung, die voraussichtlich 2 Millionen US$ kosten wird, soll 1997 ihren Betrieb aufnehmen. Dann soll sie laut Plan 3,3 Millionen Tonnen Abwasser pro Tag bewältigen. Das teilweise behandelte Wasser wird dann zu einem Ausfluß gepumpt, der 7 km im Meer liegt.
Das starke Bevölkerungswachstum der letzten Jahrzehnte überrollte oftmals die Infrastruktur Taiwans, so haben viele Haushalte keine Einrichtungen zum Anschluß an ein Kanalisationssystem.
Fast die Hälfte des unterirdischen Abwassernetzwerks wurde bis jetzt fertiggestellt, obwohl die Bauarbeiten mit einer Geschwindigkeit von nur ein paar Metern pro Tag voranschleichen. Aber selbst mit seiner Fertigstellung sind die Abwasserprobleme noch nicht gelöst.
"Eigentlich wird es, sobald das Netz bis 1997 vollständig gebaut ist, die Haushaltsabwässer im Tamsui-Fluß nur um 40 Prozent verringern", so der EPA-Berater K. M. Yao. Der Bau eines komplizierten Kanalisationsnetzes wird fast zehn Jahre gekostet haben, doch es wird noch länger dauern, alle Haushalte daran anzuschließen. "Dem Gesetz zufolge", führt Yao weiter aus, "müssen alle Anwohner innerhalb von sechs Monaten an ein Netz angeschlossen sein, sobald es ihnen zur Verfügung steht."
Aber es war sehr schwierig, das Gesetz durchzusetzen. "Auf der einen Seite wurden die meisten Wohnungen ohne Anschlußmöglichkeiten für ein zukünftiges Abwassersystem gebaut", erklärt Yao. "Das bedeutet, daß man die Küchen und Badezimmer der Leute für bis zu einem Monat außer Betrieb setzen müßte, derweil die Umbauten vorgenommen werden. Und außerdem, wer zahlt für das Anschließen? Gemäß dem Gesetz müssen die Hauseigner zahlen. Aber die waren dazu nicht bereit. Die sagen: 'Was geht mich das an, wo unsere Abwässer hingehen?' In einigen Gebieten führen wir ein Pilotprojekt durch, bei dem die Regierung die gesamte Rechnung begleicht, aber auch das ist auf Widerstand gestoßen. Tatsächlich wird ein Großteil der 40 Prozent Haushaltsabwässer, von denen wir erwarten, daß sie 1997 in die Kanalisation fließen, nicht aus den direkten Haushaltsanschlüssen kommen. Statt dessen werden wir Auffangstationen bauen, die das Wasser von den derzeitigen offenen Abwassergräben in die Hauptleitungen führen. Es kann noch weitere dreißig Jahre dauern, bis das Ganze wirklich wie ein richtiges Abwasserkanalisationssystem funktioniert."
Nicht weniger besorgniserregend für die Gesundheit des Tamsui sind die Fabrikabwässer. Der Fluß führt Dreckwasser einiger Hochleistungsverschmutzer aus der Industrie, einschließlich der chemischen und lebensmittelverarbeitenden Branche, Färbereien, Galvanisierungsunternehmen sowie Papierfabriken, ab. Obwohl die Menge der Industrieabwässer, die täglich in den Fluß geschleust wird, nur ein Drittel von der der Haushaltsabwässer beträgt, so sind Statistiken doch irreführend. Was die Giftigkeit betrifft, ist Verschmutzung durch die Industrie in vieler Hinsicht wesentlich schwerwiegender.
Auch hier ist der Tamsui ein Mikrokosmos, der Taiwans Umweltprobleme widerspiegelt. Taiwan verbraucht Schätzungen zufolge insgesamt zwanzigtausend verschiedene Chemikalien, davon sechstausend hochgiftige. Viele landen letztendlich in den Flüssen und Strömen. Die Industrie ist für die beeindruckende wirtschaftliche Entwicklung der letzten drei Jahrzehnte verantwortlich, die hohen Kosten gegenüber der Umwelt werden aber erst jetzt erkannt. Noch bis in die Mitte der achtziger Jahre wurde der Kontrolle von Fabrikabwässern oder ihrer Behandlung, bevor sie in die Flüsse abgelassen werden, wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Jaw Shau-kong erläutert: "Wenn die Menschen arm sind, ist ihr einziger Gedanke, Geld zu machen. Sie sagen: 'Wenn wir einmal reich sind, werden wir etwas für die Umwelt tun.' Aber sobald sie reich sind, müssen sie feststellen, daß es zu spät ist. So ist es nun mal immer."
Trotz der Ernsthaftigkeit des Problems gibt es derzeit keine Finanzmittel, die speziell zur Verringerung der Verschmutzung durch die Industrie aufgebracht werden. Statt dessen wurde einigen Regierungsbehörden die Verantwortung für die Verbesserung ihrer Inspektionen und Kontrollen von umweltverschmutzenden Fabriken übertragen. Von den letzteren wird erwartet, daß sie ihre eigenen Kläranlagen in Übereinstimmung mit den Regierungsgesetzen bauen. Doch die Überwachung, das Ergreifen und die Zwangsmaßnahmen zur Korrektur von Verstößen seitens der Fabriken waren eine der schwächsten und am meisten kritisierten Funktionen der EPA. Tatsächlich bedürfen die Gesetze und Standards sowie deren Durchsetzung einer Verbesserung.
Edward Rimberg macht deutlich: "Die Fabriken hier haben Möglichkeiten, Vorschriften zu umgehen. Zum Beispiel besteht einer der größten Textilhersteller die Abwasserinspektionen, indem er sein Schmutzwasser mit sauberem Wasser verdünnt. Mal abgesehen davon, daß er immer noch dieselbe Menge Abwasser in den Fluß kippt, verringert er auch Grund- und Speicherwasser." Darüber hinaus ist es nicht ungewöhnlich für Fabriken, ihre Abwässer nachts in den Fluß abzulassen, um einer Entdeckung zu entgehen. Und selbst wenn ein Unternehmen erwischt wird, so sind die Geldstrafen doch zu gering, um wirklich als Abschreckung zu dienen. Im Juni 1991 versuchte der Legislativ-Yüan, mehr Biß in das Umweltgesetz zu bringen, indem er das Gesetz über Sauberes Wasser verabschiedete, welches Geldstrafen für zuwiderhandelnde Unternehmen von bis zu 22 200 US$ pro Tag, den die Abwässer den legalen Pegel überschreiten, vorsieht. Dies ist, gegenüber den vorherigen Bestimmungen, eine zehnfache Erhöhung.
Eine geplante Kläranlage in Pali an der Flußmündung soll das Wasser von Haushalts- und Industrieabfällen sowie toxischen Sickerwässern befreien, bevor es in den Fluß abgeleitet wird.
Doch wie es der Umweltforscher und Schriftsteller H. H. Yang ausdrückt: "Die EPA hat die Eingabe und Annahme von Gesetzen, die Verschmutzer betreffen, gefördert, doch das ist nicht die eigentliche Schwierigkeit. Das tatsächliche Problem ist, daß die Durchsetzung sehr schlecht ist. Die EPA sagt oft, daß die Durchsetzung die Aufgabe der Kreisregierungen ist. Doch während die EPA die Verantwortung übertragen will, möchte sie den lokalen Autoritäten doch nicht die Macht geben, selbst über die Handhabung ihrer Umweltprobleme zu entscheiden."
Aber selbst wenn sie die Autorität zur Durchsetzung des Gesetzes haben, so befinden sich die örtlichen Regierungen oftmals auf unsicherem Terrain. Zum Beispiel erhob die Regierung des Kreises Taipei eine Geldstrafe gegen eine lebensmittelverarbeitende Firma, weil sie für 188 Tage in Folge Schmutzwasser über das erlaubte Volumen hinaus abließ. Das Unternehmen verweigerte die Zahlung der Geldstrafe, welche 200 000 US$ überstieg, mit dem Argument, daß die Methoden zur Abwasserbestimmung auf dem Anteil der verschmutzenden Stoffe, und nicht auf dem Volumen des abgelassenen Wassers, basieren sollten.
Nach sechs Monaten Diskussion entschied die EPA des Kreises Taipei, den Fall aufzugeben. Chen Hui-chen, ein Mitglied der Kreis-EPA, erläutert: "Wir benötigen mehr Zeit, um die Standards, die bei der Bestimmung von Wasserverschmutzung angewendet werden sollen, zu untersuchen." Chen verneinte, die derzeitige Verwirrung in der Verwaltung illustrierend, daß die zentrale Regierung ihnen schon Richtlinien gegeben hätte, und fügte hinzu, daß die EPA des Kreises beschlossen hat, alle Fälle mit ähnlichen Umständen fallen zu lassen.
Über 70 Prozent von Taiwans Müll endet auf den vierhundert Müllhalden der Insel. Und ein Drittel befindet sich entlang den Flüssen. Eine der größten, die Deponie Neihu, liegt am Tamsui. Die riesige Müllkippe umfaßt geschätzte 8 Millionen Kubikmeter Müll. Obwohl sie 1985 geschlossen wurde, verschmutzt sie weiterhin den Fluß.
"Die Mülldeponie Neihu wurde vor zwanzig Jahren geschaffen, als keiner dem Umweltschutz irgendwelche Beachtung schenkte", so Robert Chen, ein Professor am Graduierteninstitut für Umwelttechnik der Nationalen Taiwan Universität (NTU). "Der Abfall wurde ohne jede Trennung und ohne Erde zur Abdeckung und Isolierung der einzelnen Schichten, wie es in einer sorgsam instand gehaltenen, sicheren und geordneten Deponie Gang und Gäbe ist, dort abgeladen. Außerdem befindet sich zwischen den Lagen normaler Abfalle eine Menge giftiger Materialien. Diese dringen nun in konzentrierter Form als Sickerwasser in die Flüsse ein." Toxische Sickerwässer aus den zahlreichen Deponien entlang des Tamsui machen mittlerweile etwa 3 Prozent der Flußverschmutzung aus.
Auch gelangen große Mengen an Müll von den Deponien in den Fluß. Man kann ihn auf dem Fluß treiben oder kilometerlang die Ufer flußabwärts von den Halden säumen sehen. Und sobald Taifune oder starke Winde wehen, wird der Unrat flußaufwärts zur Mündung von Trinkwasseranlagen geblasen, und es müssen Taucher herbeigeholt werden, um den Abfall zu beseitigen. "Wenn jemand zum ersten Mal an irgendeinem Fluß Taiwans entlang spaziert, wird es ihn überraschen, aufgestapelten Müll an den Flußufern zu finden", zeigt Eddie Yu auf, der ebenfalls ein Professor am Graduierteninstitut für Umwelttechnik der NTU ist. "Man kann sogar auf Lastwagen der örtlichen Regierungen treffen, die dort Müll abladen. Und die Menschen folgen dem Beispiel der Regierungen und werfen ihren Abfall auch dorthin. Uferbänke, welche von Abfall übersät sind, stellen ein Merkmal unserer Flüsse dar. Es scheint, als ob das ihr Sinn wäre."
Aber in vielen Fällen haben die lokalen Autoritäten keine andere Wahl, als an Flußufern abzuladen. Es stehen einfach nicht genug Deponien zur Verfügung. Samuel Chen, dem stellvertretenden Direktor der Abteilung für Giftmüllentsorgung in der EPA, zufolge ist es begrenztes Land, das "uns zum offenen Müllabladen entlang der Flüsse und Meere zwingt." Das Problem wird durch einen Vorfall letzten Sommer in der Gemeinde Sanhsia im Kreis Taipei verdeutlicht. Müll stapelte sich zehn Tage lang auf den Straßen, weil man nicht wußte, wohin damit. Die nahegelegenen Deponien des Kreises waren alle voll.
Unter dem großen Druck der Anwohner, etwas gegen den Abfall, der Nagetiere, Fliegen und Moskitos anlockte, zu tun, befahl der Gemeindechef, den Unrat in der Nähe des Tamsui abzuladen. Aber er wurde nicht nur einige hundert Meter vom Ufer, sondern auch flußaufwärts der Panhsin-Kläranlage, welche Zehntausende von Menschen mit Trinkwasser versorgt, deponiert. Vertreter der Trinkwasseranlage bezeichneten das Entladen des Abfalls als illegal und forderten, daß diese sofort beendet werde. Der Gemeindevorsitzende antwortete darauf: "Sobald der Kreis mir eine andere Stelle anweist, um den Müll loszuwerden, höre ich auf, ihn am Fluß abzuwerfen." Schließlich wurde der Gemeinde eine andere Deponie zur Verfügung gestellt.
Die Bewältigung des Müllproblems entlang des Tamsui wird voraussichtlich 370 Millionen US$ kosten. Doch wenn man die Landknappheit in Betracht zieht, so scheint die Zukunft der Abfallbewältigung in der Verbrennung und nicht in Deponien zu liegen. Eine neue Verbrennungsanlage in Neihu sollte im letzten Jahr ihre Arbeit aufnehmen, und 345 Millionen US$ sollen zum Bau von weiteren im Taipei-Becken verwendet werden. Die Dringlichkeit für Alternativen zu Deponien erhöht sich parallel zum Bevölkerungswachstum. Und der wachsende Reichtum der Gesellschaft wird mit einer Zunahme des Pro-Kopf-Ausstoßes von Abfall einhergehen. Der auf Taiwan anfallende Müll verdoppelt sich alle zehn Jahre, mit geschätzten 36 000 Tonnen pro Tag im Jahre 2000.
Der Deponie-Vorfall von Sanhsia verdeutlicht, wie Probleme der Zuständigkeit die Lösung von Umweltfragen komplizieren können. Manchmal wird der Konflikt zwischen der Zentralregierung und den lokalen Autoritäten um das Aufräumen zu einem politischen Gerangel. You Ching, der Magistrat des Kreises Taipei, hat seinen eigenen Plan zur Bewältigung der Flußverschmutzung vorgelegt, welcher eine Umverlegung von Fabriken und Schweinefarmen weg vom Fluß vorsieht. Aber die Schwierigkeiten des Landerwerbs lassen diese Alternative ziemlich unrealistisch erscheinen. Auch beklagt er sich, daß die zentrale Regierung nicht bereit ist, das für die Säuberung des Flusses notwendige Geld aufzubringen. Nach einer EPA-Veranstaltung berichtete er Reportern: "Wenn die EPA wirklich glaubt, daß sie weniger als 100 Milliarden NT$ [3,7 Milliarden US$] ausgeben und dann bis 1993 einen gestankfreien Tamsui haben wird, dann träumt sie."
Das Problem der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen wird vielleicht nicht nur weiterhin die Klärung des Tamsui behindern, sondern auch andere Projekte. C. R. Yeh, ein hiesiger Rechtsanwalt, der sich auf Umweltfragen spezialisiert hat, meint, daß strengere Gesetze gegen eine Verschmutzung die gegenwärtigen Probleme nicht lösen werden. "Ein Umweltgesetz ist nur ein Aspekt eines ganzheitlichen Rechtssystems", so kommentiert er. "Einige Umweltprobleme resultieren aus anderen Bereichen des Gesetzes, einschließlich verfassungsrechtlichen Fragen wie zum Beispiel die Teilung der Machtbefugnisse zwischen der Zentralregierung und den lokalen Autoritäten. Die ist hier auf Taiwan ein schwerwiegendes Problem. Sollte Jaw Shau-kong es nicht schaffen, mit der Spannung zwischen lokalen Regierungen und der zentralen zurechtzukommen, dann wird er nicht in der Lage sein, die gegenwärtige Politik erfolgreich durchzusetzen."
Jaw ist sich der Herausforderung wohl bewußt. "Die Säuberung des Tamsui ist für einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung eine Angelegenheit von immenser Bedeutung", begründet er. "Ich hoffe, daß alle Regierungsstellen, die an diesem Projekt arbeiten, der Reinigung Priorität vor der Politik einräumen."
Doch trotz all der Probleme, die bisher bei der Säuberung des Tamsui aufkamen, wurde doch einiger Optimismus geweckt. Zum Beispiel sagte Professor Liu Cheng-chun von der Universität Hawaii auf einer Umweltkonferenz: "Wenn die Qualitätskontrolle aufrecht erhalten werden kann, dann wird, so denke ich, die erste Phase des Flußsäuberungsprojekts eine bemerkenswerte Verbesserung bringen." Liu schlug außerdem vor, daß die Regierung von Zeit zu Zeit das Projekt mit Hinblick auf die konstante Verbesserung von Umwelttechnologie überdenken sollte. Er betonte auch die Notwendigkeit direkter kooperativer Schritte von sowohl dem öffentlichen als auch dem privaten Sektor: "Aufgrund der Vielfalt an Schadstoffen, die im Tamsui landen, können wir nicht warten. Wir müssen statt dessen alle anfangen, zusammen an der Klärung der Flüsse auf Taiwan zu arbeiten."
Ein Anzeichen dafür, daß die Dinge in diese Richtung gehen, ist die Bemühung um eine Korrektur der schweren Verschmutzung durch Schweinefarmen entlang des Tamsui. Schweinefleisch ist die beliebteste Fleischart in der hiesigen Ernährung, und es gibt auf Taiwan über 8 Millionen Schweine. Die Menge an Abfall, die jedes Schwein hervorbringt, ist vier bis sechs Mal so hoch wie bei einem Menschen, das bedeutet, daß die Abwässer von Schweinen 160 bis 240 Prozent mehr als die der menschlichen Bevölkerung sind. Eine Viertelmillion Schweine wird in Schweinefarmen entlang der Ufer des Tamsui gehalten. Und genau wie in den übrigen Teilen Taiwans werden sie aus Bequemlichkeit entlang des Flusses gehalten. Die Züchter laden den Schweinemist direkt im Fluß ab; kein Bauer hat irgendwelche Anlagen zur Klärung. Es ist kein Zufall, daß Taiwans zehn meist verschmutzte Flüsse alle Schweinefarmen an ihren Ufern haben.
22 verschiedene Regierungsbehörden aus der Zentral-, Provinz-, Kreis- und Stadtebene kamen im letzten Jahr im Rat für Landwirtschaft zusammen, um das Problem der tierischen Reststoffe in Taiwans Flüssen zu diskutieren. Ein Drei-Punkte-Antrag wurde vorgelegt. Er sieht vor, daß legale Schweinefarmen auf ihre derzeitige Größe begrenzt, das Durchgreifen bei illegalen Farmen verstärkt und Züchtern Anreize geboten werden, ihre Güter zu schließen und sich anderen Geschäftsfeldern zuzuwenden. Der Vorschlag erhielt die grundsätzliche Zustimmung der Regierung, doch müssen die Details noch ausgearbeitet werden, bevor die Eingabe an den Exekutiv-Yüan zur Billigung geht.
Die Lösung des Problems mag auf dem privaten Sektor nicht ganz so leicht sein. K. H. Huang, stellvertretender Direktor der EPA-Abteilung für die Kontrolle der Wasserqualität, meint: "Das Problem zeigt die Konflikte zwischen unserer Umwelt- und unserer Landwirtschaftspolitik auf. Wir ermöglichen es den Schweinezüchtern, auf Kosten der Sauberkeit unserer Flüsse reich zu werden. Nun ist es zu einem gesellschaftlichen Problem geworden. Wir können jetzt nicht mehr alle Schweinefarmen beseitigen, selbst wenn wir das wollten."
Im Moment exportiert Taiwan große Mengen an Schweinefleisch nach Japan und in andere Länder, doch die Regierung faßt die Möglichkeit einer Beschränkung der Schweinezucht ins Auge, die lediglich die Bedürfnisse des einheimischen Marktes deckt. Dies würde zwar die Zahl der Schweine reduzieren, aber den Schweinezüchtern ihr tägliches Brot wegnehmen, was eine unpopuläre politische Entscheidung wäre. Das ist ein weiterer Konflikt zwischen Umwelt und Wirtschaft, in dem die Regierung gefangen ist.
Gleichgültig ob es sich um die Entsorgung von menschlichen, industriellen oder von Schweineabfällen handelt, die Lösung ist sicherlich kompliziert. Wie es der frühere EPA-Vorsitzende, Eugene Chien, einmal ausdrückte: "Wir haben dieser Insel über drei Jahrzehnte hinweg zugesetzt, aber eine EPA gibt es erst seit drei Jahren. Wir werden die Qualität der Umwelt eines Landes wie den USA nicht über Nacht erreichen. Doch wenn wir es schaffen, unsere Umweltpolitik dauerhaft durchzusetzen, dann werden wir ein neues Taiwan ins 21. Jahrhundert schreiten sehen."
Der derzeitige Vorsitzende Jaw Shau-kong hat da eine ähnliche Einschätzung: "Das Projekt Tamsui ist die erste größere Reinigung eines Flusses in Taiwan. Der Fluß ist auf über 100 Kilometern schwer verunreinigt. Wenn man mal rechnet, daß Südkorea vier Jahre gebraucht hat, um 36 Kilometer des Han-Flusses zu säubern, dann kann es sein, daß das Tamsui-Projekt über zehn Jahre benötigt."
(Deutsch von Annette Wiedenbach)