04.05.2025

Taiwan Today

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Unwillkommene Aufwertung

01.03.1992
Hohe Devisenreserven, ein großer Handelsüberschuß und Taiwans ökonomische Stabilität führten zu einem stetigen Anstieg des NT-Dollars. Schadet dies jetzt der Wirtschaft?
Der Wechselkurs des NT-Dollars befindet sich wieder einmal in einer Aufwärtsentwicklung, und Exporteure sowie Wirtschaftsexperten sind uneins, wie die Zentralbank reagieren soll.


Der NT-Dollar steigt wieder, was unter Exporteuren und Wirtschaftsexperten eine hitzige Debatte darüber ausgelöst hat, ob die Zentralbank Chinas (Central Bank of China) eine weitere Aufwertung verhindern sollte. Auf der einen Seite stehen Taiwans Exporteure, die starken Druck für eine Intervention der Zentralbank ausüben. Sie behaupten, daß das fortgesetzte Steigen des NT-Dollars im Verhältnis zu anderen Währungen Taiwans Wettbewerbsfähigkeit ernsthaft schwächt und den ohnehin schon starken Trend von Firmen auf Taiwan, das Land zu verlassen und in Niedriglohngebieten wie zum Beispiel dem chinesischen Festland zu investieren, weiter verstärkt.

Andererseits argumentieren viele Wirtschaftsexperten, daß die Zentralbank einer Aufwertung des NT-Dollars nicht im Weg stehen sollte. Dafür werden zwei Argumente ins Treffen geführt: aufgrund Taiwans wirtschaftlicher Stärke sei die Zentralbank ohnehin nicht in der Lage, ein Steigen des NT-Dollars zu verhindern. Außerdem würden Versuche in dieser Richtung nur die einheimischen Konsumenten, Importeure und internationalen Handelspartner verärgern. Nach ihrer Analyse könnte sich ein starker NT-Dollar sogar günstig auf die Industrie Taiwans auswirken, weil dadurch die Produzenten gezwungen würden, ihre Geschäftstätigkeiten auf ein höheres Niveau zu bringen.

Im Ergebnis findet sich die Zentralbank zwischen Scylla und Charybdis. Topmanager betonen, daß die Zentralbank sich konsequent nicht in die Entwicklung des Wechselkurses eingeschaltet habe und nur dann eingeschritten sei, wenn eine Unterbindung von Währungsspekulation notwendig wurde. Aber ein Blick auf die frühere Einstellung der Bank zu diesem Thema zeigt eine Neigung zur Begünstigung der Exporteure: ein größeres Anziehen des NT-Dollar-Wechselkurses wurde zu verhindern versucht, wenn es schlecht für die Wirtschaft war. Ob die Bank diesen Trend 1992 fortsetzen wird, ist deshalb Gegenstand einer hitzigen Debatte.

Der NT-Dollar ist in den letzten sieben Jahren steil und stetig gestiegen; von 1985 bis 1990 betrug sein Anstieg gegenüber dem US-Dollar mehr als 40 Prozent. Der NT-Dollar beendete seinen riesigen Sprung in der Tat erst 1990 und sank gegen Jahresende sogar um 4 Prozent, was durch Kapitalabfluß in Form von starker Investitionstätigkeit im Ausland bedingt war. Aber schon im Frühjahr 1991 fand sich der NT-Dollar wieder auf seiner gewohnten Aufwärtsbahn, und Mitte des Jahres stieg er wieder schnell. Von Juli bis November war ein Anstieg von vier Prozent auf einen Kurs von 25,77 NT$ gegenüber 1 US$ zu verzeichnen.

Der Generaldirektor der Zentralbank, Samuel Shieh, weist auf die gegenwärtige Rezession in den Vereinigten Staaten als einen wichtigen Faktor in der letzten Aufwertungsphase hin. Ein Sinken des US-Dollars bedeute ein Steigen des NT-Dollars. Taiwans Wirtschaftsklima aber trägt die Hauptverantwortung für den dauernden Anstieg. Der Außenhandel Taiwans bringt weiterhin große Handelsüberschüsse, was wiederum den Bedarf für NT-Dollars verstärkt. Bei einem Gesamthandelsvolumen von 139 Milliarden US$ stieg der Handelsüberschuß zugunsten der Republik China 1991 um vier Prozent auf einen Spitzenbetrag von 13 Milliarden US$.

Wenn Taiwans Textilexporteure auch bei einem starken NT-Dollar weiterhin international konkurrenzfähig bleiben wollen, müssen sie modernisieren und ihre Geschäftstätigkeiten auf ein höheres Niveau bringen.

Zusätzlich bringen Taiwans außerordentlich hohe Summen an Devisenreserven, derzeit mehr als 76 Milliarden US$, jährlich allein schon fünf Milliarden US$ an Kapitalgewinnen ein. Und schließlich ziehen Taiwans Zinssätze, die über dem Weltmarktniveau liegen, weiterhin Kapital aus dem Ausland an. Alle diese Faktoren bedingen eine verstärkte Nachfrage für NT-Dollars, was den Druck auf die hiesige Währung zu einer Aufwertung verstärkt.

Für Taiwans Exporteure sind das alles schlechte Nachrichten. "Die dauernde Wertsteigerung der Währung beeinträchtigt unsere Geschäfte nachhaltig", meinte der Vorsitzende des Verbandes der Textilindustrie Taiwans (Taiwan Textile Federation), Chao Liang-kung, kürzlich auf einem Treffen der zweiundzwanzig Mitglieder umfassenden Vereinigung. Die Mitgliedsfirmen stellen eine Vielzahl an Produkten her, von Synthetikfasern, Garnen, Stoffen bis zu Kleidungsstücken, und repräsentieren ein Gesamtexportvolumen von 10 Milliarden US$. Das Treffen wurde einberufen, um Möglichkeiten zum Umgang mit der Wertsteigerung der Währung zu studieren.

"Die große Mehrheit unserer Mitglieder sind Klein- und Mittelbetriebe, die mit ihren Exporten nur geringfügige Gewinne erzielen können", führt Chao weiter aus. "Die meisten von ihnen machen jetzt wegen des fortgesetzten Anstiegs des NT-Dollars Verluste." Chao hat verschiedene andere Organisationen aufgerufen, sich zusammenzutun, um gemeinsam die Zentralbank zu Interventionen aufzufordern. Er warnt: "Wenn die Zentralbank den NT-Dollar nicht stabilisieren kann, werden wir auf die Straße gehen und unseren Protest ausdrücken!"

"Der starke NT-Dollar hat Taiwans Wettbewerbsfähigkeit im Export ernsthaft geschwächt", betonte William Hsieh, der Vorsitzende des Industrieverbandes der Holzmöbelhersteller Taiwans (Taiwan Wooden Furniture Industrial Association), vor kurzem in einem Interview mit der "United Daily News", einer chinesischsprachigen Tageszeitung in Taipei. Hsieh glaubt, daß die starken 13 Prozent Wachstum, die 1991 im Export Taiwans erzielt wurden, irreführend seien. "Ein großer Teil dieser Exporte des Jahres wurde eigentlich auf dem chinesischen Festland von Firmen aus Taiwan, die sich dort in den letzten Jahren niedergelassen haben, um die niedrigen Arbeitskosten und Grundstückspreise auszunützen, hergestellt", sagt er. "Diese Produkte wurden in Wirklichkeit vom Festland hierhergebracht, die Aufträge aber in Taiwan angenommen und ausgeführt."

In einer vor kurzem stattfindenden Fernsehdiskussion zwischen Exporteuren und Wirtschaftsfachleuten drängte Richard Wu, der Vorsitzende von Kingtel Telecommunication Corp., einem führenden Elektronikexporteur, die Zentralbank vehement, die Wettbewerbsfähigkeit der Exporteure zu unterstützen, indem sie eine weitere Aufwertung des NT-Dollars verhindere. "Eine noch viel größere Anzahl von Unternehmen wird unter Zugzwang stehen, ihre Standorte nach Übersee zu verlegen, wo sie noch profitabel arbeiten können", meinte Wu. "Der permanente Wertanstieg des NT-Dollars hat unsere Gewinne ausradiert, und ohne Gewinne können wir keine Forschungsprogramme durchführen - Investitionen, die für eine Wettbewerbsfähigkeit auf lange Sicht wesentlich sind."

In krassem Gegensatz zu Wu und anderen Industrievertretern sträuben sich akademische Wirtschaftsexperten hartnäckig gegen Interventionen der Zentralbank. Yin Nai-ping, der Direktor des Fachbereichs für Bankwesen der Nationalen Chengchi-Universität in Taipei, argumentiert: "Der Anstieg des NT-Dollars wird durch den beständigen, beachtlich großen Überschuß, der aus dem Außenhandel resultiert, verursacht. Wenn wir es nicht schaffen, mit wirksameren Maßnahmen unsere Importe zu steigern und den gegenwärtigen Handelsüberschuß abzubauen, wird die Zentralbank Schwierigkeiten haben, den Anstiegstendenzen des NT-Dollars wirksam entgegenzutreten."

Anders gesagt: Intervention wird einfach nicht funktionieren. Wenn man, so führt Yin weiter aus, den NT-Dollar künstlich davon abhält, Taiwans wahre wirtschaftliche Stärke widerzuspiegeln, würden nur die Markterwartung erhöht und Spekulation angeheizt, was am Ende einen noch extremeren Anstieg zur Folge haben würde. In der Tat wurden starke Dollarverkäufe Ende letzten Jahres von Erwartungen eines baldigen Anstiegs des NT-Dollars ausgelöst.

Eine Intervention der Zentralbank würde allerhöchstens die Geschwindigkeit des Anstiegs verzögern, so glaubt Yin, aber auch dafür müßte ein Preis gezahlt werden. Um sein Argument zu belegen, verwies Yin auf die Bemühungen der Zentralbank, das Tempo der Aufwertung des NT-Dollars zwischen 1985 und 1989 zu bremsen. Trotz fortwährender Interventionen, bei denen die Bank Hunderte von Milliarden an NT-Dollar durch Umtauschratenverluste verlor, zog der Kurs in diesen vier Jahren trotzdem auf ein Rekordhoch von 40 NT$ auf 25,5 NT$ gegen den Dollar an.

Lin Chuan, Professor für Finanzen und Steuern an der Nationalen Chengchi-Universität, meint, daß die Zentralbank nur unter Gefährdung der Preisstabilität ein Steigen des NT-Dollars verhindern könne. Nach Lin muß die Zentralbank, wenn sie große Mengen an US$ vom Markt einkauft, zugleich den Gegenwert in NT-Dollar ausgeben. Das wiederum erhöht die im Umlauf befindliche Geldmenge, die sich schon jetzt auf einem extrem hohen Niveau befindet. "Wenn das eine neue Inflationsphase hervorrufen sollte, würde es Konsumenten und Exporteuren gleichermaßen schaden", meint er. "Als Ergebnis wird hohe Inflation höhere Exportpreise bewirken und unsere Wettbewerbsfähigkeit unterminieren."

Wirtschaftsfachleute weisen noch auf einen anderen Nebeneffekt einer möglichen Zentralbankintervention hin. Wesentliche Eingriffe der Zentralbank würden starke Proteste von Taiwans Handelspartnern, vor allem der Vereinigten Staaten, mit denen Taiwan 1991 einen Handelsüberschuß von fast 8 Milliarden US$ einfuhr, bewirken.

In einem jährlichen Überblick über die internationale Wirtschafts- und Wechselkurspolitik, welcher im November veröffentlicht wurde, kritisierte das Finanzministerium der Vereinigten Staaten die Bemühungen der Zentralbank Taiwans, ein Ansteigen des NT-Dollar-Wechselkurses zu verhindern. Der Bericht führt aus: "Die volle Wirkung der Marktkräfte in der Bestimmung des Wechselkurses wird durch die fortgesetzten Beschränkungen der Devisentransaktionen und des Kapitalflusses sowie durch die mögliche Intervention der Zentralbank, um eine Aufwertung zu hemmen, verhindert ... Diese Praktiken kommen einer indirekten Manipulation des Wechselkurses gleich und verhindern einen weiteren Ausgleich der Disparitäten in Taiwans Außenhandel."

Der Vorwurf aus den Vereinigten Staaten wurde von Perng Fai-nan, dem Leiter der Devisenabteilung der Zentralbank, zurückgewiesen. Er behauptet, daß die Zentralbank nie die Wechselkursrate manipuliert habe, um unfaire Handelsvorteile zu erzielen, und betont, daß es die Politik der Zentralbank sei, die Umtauschrate von den Marktkräften bestimmen zu lassen. Nur wenn Spekulation verhindert werden solle oder jahreszeitliche Schwankungen von Angebot und Nachfrage vorlägen, griffe die Zentralbank ein.

Die Entscheidungsträger der Bank betonen wiederholt den Respekt für den freien Markt und freien Handel. Trotzdem halten sich weiterhin öffentliche Vorwürfe, daß es Interventionen der Zentralbank zur Abschwächung des starken Drucks für eine Aufwertung des Wechselkurses gäbe. Gerade vor kurzem kritisierte zum Beispiel Hsu Chia-tung, der Direktor des Wirtschaftsinstitutes der Academia Sinica (Institute of Economics at Academia Sinica) die Bank für ihre fortwährenden Versuche, den Anstieg des NT-Dollars zu kontrollieren: "Die Zentralbank hätte nicht eine Wechselkurspolitik, die nur die Interessen der Exporteure, nicht aber das Wohlergehen der Importeure und Konsumenten im Auge hat, betreiben sollen."

Es ist klar, daß die Zentralbank 1992 kein weiteres Ansteigen des NT-Dollars sehen will. Topmanager nutzten jede Gelegenheit, Befürchtungen, daß die Währung in neue und gefährliche Höhen steigen könne, zu beschwichtigen. Sie weisen auf den Beginn einer Reihe von 100 Milliarden Dollar teuren Infrastrukturmaßnahmen, die Autobahnen, neue Schienenverbindungen, den Ausbau von Flug- und Schiffshäfen und Umweltschutzeinrichtungen umfassen, hin. Das Projekt wird die Nachfrage für US-Dollar verstärken, da Auftragnehmer Maschinen und Technologien aus dem Ausland importieren. Der Binnenbedarf für US-Dollar wird ebenfalls ansteigen, da immer mehr einheimische Firmen ins Ausland gehen oder Zweigstellen in Übersee eröffnen.

Die Zweifel privater Wirtschaftsfachleute und Forscher konnten allerdings nicht erstickt werden. Viele erwarten 1992 ein weiteres Steigen des NT-Dollars. Sie weisen auf Taiwans robuste Wirtschaft hin: das Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr voraussichtlich 7 Prozent betragen, der Rechnungsüberschuß ist sowohl stabil als auch groß, und Taiwan besitzt riesige Devisenreserven. Das private Institut für Wirtschaftsforschung Taiwans (Taiwan Institute of Economic Research) legt diese Faktoren seiner Voraussage zugrunde, daß der NT-Dollar in diesem Jahr auf ein Niveau von 25 zu einem US$ steigen wird. (Stand Dezember 1991 lag die Umtauschrate bei 25,71 NT$ zu einem US$.)

Wenn der NT-Dollar 1992 weiter steigt und die Zentralbank dieses Steigen nicht unterbindet, wie kann sich Taiwan dann auf eine noch stärkere Währung vorbereiten? Die meisten Experten meinen, daß das beste für die Wirtschaft eine Lockerung der Bestimmungen für den Devisenmarkt der Republik China wäre. Die gegenwärtigen Reglementierungen enthalten eine Beschränkung von 1555 US$ für ein- und ausgeführtes Bargeld pro Person und eine Begrenzung von 3 Millionen US$ jährlich für nicht mit Handel verbundene Ein- oder Ausfuhren von Devisen pro Person oder Unternehmen. (Geldflüsse zu Handelszwecken sind unbeschränkt). Außerdem bestehen weitere Limitationen im Devisenmarkt für Optionen. Diese Beschränkungen verhindern, wie viele Experten glauben, das freie Spiel der Marktkräfte bei der Bestimmung der Wechselkurse.

Entsprechend dieser Experten braucht Taiwan dringend ein freieres Umtauschratensystem, falls es sich wirklich zu einem Finanzzentrum in Asien entwickeln soll und seine Handelsüberschüsse ausgleichen will. Außerdem würde ein freierer Devisenmarkt die häufigen öffentlichen Debatten über die Rolle der Zentralbank bei der Bestimmung der Wechselkurse beenden.

(Deutsch von Matthias Krön)

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