05.05.2025

Taiwan Today

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Wiederhergestellte Größe

01.03.1991
Das Gebäude nach Abschluß der Restaurierungsarbeiten, nun wieder in klassischem unaufdringlichem Rostrot gehalten.
Taiwans ältester Konjuzius-Tempel, errichtet im Jahre 1665, ist vor der Zerstörung durch Termiten und Wetter und durch die langwährende öffentliche Gleichgültigkeit gerettet worden.

Die Stadt Tainan, die an der südwestlichen Küste Taiwans liegt, wurde im 17. Jahrhundert zum ersten wichtigen Hafen und Verwaltungszentrum in der Geschichte der Insel. Nachdem im Jahre 1644 die Ming-Dynastie den Mandschu-Armeen unterlag, wurde Taiwan unter der Führung von Cheng Ch'eng-kung und seiner Familie zum Sammelpunkt von Ming-Loyalisten. Die Insel blieb bis zum Jahre 1683 frei von direkter Kontrolle durch die Ch'ing-Dynastie.

Während dieser Zeit waren die zivilen und militärischen Herrscher über die Insel sorgsam darauf bedacht, die Verfeinerungen chinesischer Erziehung und Kultur in Taiwan einzuführen, das damals wegen seiner Wildwest-Atmosphäre berüchtigt war. Sie erbauten im Jahre 1665 den ersten Konfuzius-Tempel der Insel, der als ein Zentrum konfuzianischer Erziehung und als ein Modell "korrekter" chinesischer Kultur im Unterschied zum "barbarischen" Lebensstil der Mandschu-Eindringlinge dienen sollte.

Heute ist der Konfuzius-Tempel in Tainan(台南孔廟)325 Jahre alt und steht in wiederhergestellter Größe an seiner ursprünglichen Stätte, der alten Nanmen ("Südtor")-Straße, nicht weit von Tainans Stadthalle. Der Tempelkomplex wird von einer rostroten Mauer eingefaßt und ist entlang einer Nord-Süd-Achse angelegt, wobei die Hauptgebäude nach Süden blicken, die maßgebliche Kompaßrichtung im alten China.

Besucher betreten den Tempel gewöhnlich durch das Tor der Großen Vollendung(大成門)an der südwestlichen Ecke der Anlage. Das gewölbte Tor ist mit einem elegant geschnitzten Dach gekrönt, das an den Enden in sechs geschweifte Dachvorsprünge ausläuft. Genau unterhalb des Daches ist eine große Tafel mit roter Umrandung angebracht, die den Tempel in goldenen chinesischen Schriftzeichen auf schwarzem Grund zu "Taiwans Erster Einrichtung der Bildung" erklärt.

Nur wenige Jahre zuvor waren Besucher unweigerlich enttäuscht, wenn sie den 9000 qm großen Komplex betreten hatten, denn er war besorgniserregend baufällig geworden. Der Tempel war nahe daran, zu einem Haufen von verrotteten Balken und zerbrochenen Ziegeln zu verfallen. Dieser bedrückende Anblick gehört nun der Vergangenheit an. Ausgiebige Restaurierungen, die, Planung und Ausführung zusammengenommen, ein Jahrzehnt umspannten, wurden im September 1989 abgeschlossen. Heute werden Besucher von den anmutigen Linien der goldfarbenen Dachziegel, gewölbten Tore und majestätischen zinnoberroten Säulen begrüßt. Der Tempel ist sorgfältig wiederhergestellt worden, und sein traditioneller Geist wurde bewahrt.

Im Lauf der Jahrhunderte ist der Konfuzius-Tempel in Tainan 37 verzeichneten Reparaturen oder Restaurierungen unterzogen worden. Er wurde vom Zahn der Zeit, von Wetter, Feuer, Erdbeben, Insekten und sogar Bombardements beschädigt. Doch niemals zuvor waren die Aussichten für sein Fortbestehen so trübe wie gerade vor seiner letzten Restaurierung. Der Tempel war bereits am Ende der Besetzung Taiwans durch die Japaner im Jahre 1945 am Verwittern, und gelegentliche Reparaturarbeiten in den vergangenen Jahrzehnten konnten die Tempelanlage nur knapp vor dem gänzlichen Zusammenfallen bewahren.

Unglücklicherweise wurden diese Arbeiten gewöhnlich mit modernen Konstruktionsmaterialien wie Nägeln, Stahlklammern, Eisenstangen, Zement und Latex-Farbe vorgenommen. Das der Holz-und-Stein-Konstruktion hinzugefügte Metall begann in der Luftfeuchtigkeit Tainans bald zu oxidieren, es ließ die Teile des Tempels, die es eigentlich hätte zusammenhalten sollen, sich erst fleckig verfärben und dann zersplittern. Gleichzeitig drohte die Verwendung von Zement und Latex-Farbe das Aussehen des Tempels ein für allemal zu verändern. Außerdem war das Vernageln und Verklammern der hölzernen Balken und Säulen wegen der bereits beträchtlichen Termitenschäden nicht mehr als ein kurzfristiger Versuch, den Tempel zu erhalten.

Obwohl sogar einzelne Persönlichkeiten und Organisationen gelegentlich Besorgnis über den allmählichen Verfall des Tempels äußerten, gab es wegen des Mangels an Gesetzen zum Schutz von Architekturdenkmälern und des nahezu vollständigen Verschwindens traditioneller Zimmermannstechniken im heutigen Taiwan kaum eine Chance für die Erhaltung der historischen Stätte. Ende der siebziger Jahre war die Lage besonders ernst geworden. Man mußte kein Experte in chinesischer Architektur sein, um zu erkennen, daß der Tempel in außerordentlich schlechtem Zustand war. Abgesehen vom Wen-ch'ang-Pavillon(文昌閣), der im Jahre 1978 instand gesetzt worden war, waren die Schäden an den anderen 24 Tempelgebäuden nur allzu offensichtlich.

Dächer hingen durch, weil ihre modernden Streben und Stützpfeiler das Gewicht nicht mehr länger tragen konnten, und viele Dächer hatten Löcher, die das Innere der Gebäude der Unbill von Wind und Regen aussetzten. Der Boden war mit zerbrochenen Ziegeln übersät, der Verputz an den äußeren und inneren Wänden hatte sich geschält und war abgesprungen, und die Sockel der tragenden Säulen sahen aus, als ob ein riesiger Hund an ihnen herumgenagt hätte. An einigen Stellen waren die Mauern bereits bedenklich aus der Senkrechten geneigt, und es schien nur noch eines Windstoßes zu bedürfen, um sie zum Umkippen zu bringen.

Glücklicherweise gab es einen Menschen, der die Notwendigkeit für eine umfassende Restaurierung des historischen Tempels in Tainan erkannt hatte und auch willens war, sich dafür einzusetzen. Kuo Tsang-lung(郭蒼龍), damals ein 30 Jahre alter Ingenieur im Amt für Öffentliche Arbeiten der Stadtverwaltung von Tainan, war zutiefst besorgt über den Verfall des Tempels, und er machte dessen Erhaltung zu seinem persönlichen Ziel. Zu der Zeit hatte er jedoch noch keine Ahnung, daß das Projekt mehr als zehn Jahre seines Lebens in Anspruch nehmen würde.

Bevor mit der Arbeit begonnen werden konnte, mußte Kuo Politiker auf allen Verwaltungs- und Regierungsebenen überzeugen, daß die Wiederherstellung des Tempels die dafür sehr hoch angesetzten Kosten wert war. Nachdem er das Projekt tatsächlich auf den Weg gebracht hatte, arbeitete Kuo ganze Tage lang und bis spät in die Nacht, um Forschungsmaterial zu sammeln, Hunderte von Entwürfen anzufertigen (527, um genau zu sein), bei den wenigen noch verbliebenen Handwerkern mit traditioneller Ausbildung Rat zu suchen und den eigentlichen Restaurierungsvorgang zu überwachen. Während dieser Zeit studierte er Geomantie, schlief monatelang in seinem Büro und ertrug die Kritik von örtlichen Zeitungsjournalisten bis hin zu Architekturexperten , die seine Fähigkeit, diese Arbeit erfolgreich durchzuführen, in Frage stellten.

Schon in seiner Kindheit hatte Kuo eine besondere Zuneigung zu dem konfuzianischen Tempel entwickelt. Sein Vater, der zur Zeit der japanischen Besetzung als Versicherungsmakler tätig war, hatte den Tempel oft besucht, denn er war ein Angestellter der japanischen Firma, die den ganzen Komplex versichert hatte. Sein Vater sprach oft mit ihm über die traditionelle Architektur und über die Anordnung der Anlage. Diese frühe Vertrautheit mit architektonischen Fragen brachte Kuo schließlich dazu, an der Chien Kuo-Ingenieurschule technisches Zeichnen zu lernen.

Nach seiner Graduierung im Jahre 1974 begann Kuo, bei der Stadtverwaltung von Tainan zu arbeiten. Drei Jahre später wurde er zum Techniker befördert und in das Städtische Amt für Tourismus versetzt, welches zu jener Zeit mit der Aufsicht über die Erhaltung von Kulturdenkmälern beauftragt war.

Kuo war über seine neue Tätigkeit begeistert, und am Tag vor dem Antritt seiner neuen Stelle fragte er seinen Vorgänger nach allen verfügbaren Informationen und Forschungsunterlagen über Tainans Kulturdenkmäler, vor allem über den Konfuzius-Tempel. Kuo wurde ein Schlüssel ausgehändigt und gesagt, daß alle derartigen Materialien im Büro in einem großen Stahlschrank verwahrt seien. "Ich ging am nächsten Morgen in aller Frühe in mein Büro und öffnete mit großer Erwartung den Schrank", erinnert sich Kuo. "Es war nichts darin, außer ein paar leere Reiswein-Flaschen. Das war bezeichnend für das Maß an Aufmerksamkeit, die in jenen Tagen dem Denkmalschutz geschenkt wurde."

Kuo wirkte erstmals im Jahre 1978 in amtlicher Funktion an der Erhaltung des Konfuzius-Tempels mit, als seine Behörde im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Förderung des Tourismus Reparaturarbeiten am Tempel durchführen ließ. Tainan, lange Zeit als Taiwans "kulturelle Hauptstadt" betrachtet, war eine beliebte Station für Touristen, die die Insel besuchten. Doch mußten in der Stadt außerdem Konfuzius-Tempel noch viele andere Kulturdenkmäler dringend repariert werden. Die begrenzten Mittel wurden zu Reparaturen am Wen-ch'ang-Pavillon verwendet, der sich in gefährlicher Weise zur Seite neigte und nahe am Zusammenfallen schien. Kuo war von den Erhaltungsversuchen nicht besonders angetan.

"Obwohl wir versuchten, gute Arbeit zu leisten", sagt er, "hatte keiner von den Leuten, die an dem Projekt arbeiteten, mich selbst eingeschlossen, irgendwelche Erfahrung in der Restaurierung historischer Gebäude. Die ortsansässigen Firmen waren nicht einmal willens, die Aufgabe zu übernehmen. Auf die ersten sieben öffentlichen Ausschreibungen für das Projekt erhielten wir keine Antwort. Schließlich reparierten wir den Pavillon, aber ich würde es nicht als Restaurierung bezeichnen."

Im Jahre 1979 bekam Kuo eine Gelegenheit, seine Wissenslücken auf dem Gebiet der Erhaltung historischer Bauwerke zu füllen. Sein Vorgesetzter sandte ihn nach Japan, damit er sich die japanischen Methoden der Erhaltung und Pflege traditioneller Architektur ansehe. "Es war eine unglaubliche Erfahrung, vor diesen wunderschönen alten Tempeln zu stehen, die aussahen, als wären sie gerade gestern gebaut worden", erinnert sich Kuo.

Kuo suchte die Archive verschiedener japanischer Tempel auf und war beeindruckt von den peinlich genauen Aufzeichnungen, die dort über die Geschichte und Restaurierungen eines jeden Tempels geführt worden waren. Auch detaillierte und maßstabsgetreue Zeichnungen wurden dort aufbewahrt. "Was ich in diesen zwei Wochen sah, machte mich ein wenig traurig, wenn ich an das fast vollständige Verschwinden unserer eigenen historischen Architektur dachte", ergänzt Kuo. "Aber es machte mich zugleich noch entschlossener, das wenige, das wir noch hatten, nicht gänzlich verkommen zu lassen."

Auf solch ausgeklügelten Konstruktionen aus Balken, Stützpfeilern, Verstrebungen und hölzernen Konsolen (Tou-kung), die durch Zapfen zusammengehalten werden, ruht die schwere Last des Tempeldaches.

Nachdem Kuo nach Taiwan zurückgekehrt war, begann er alles zu lesen, was er über die Geschichte der chinesischen Architektur finden konnte. In seiner Freizeit besuchte er bereits in Ruhestand lebende Handwerker und Zimmerleute und fragte sie über die Konstruktionstechniken alter Bauwerke aus. Das vielleicht charakteristischste strukturelle Merkmal chinesischer Gebäude aus früheren Zeiten ist die Konstruktion mit Hilfe von Zapfen, die in Bohrungen eingepaßt werden. Die Methode, die eine Verwendung von Nägeln ausschließt, verbindet zwei Holzstücke, indem schmale vorstehende Teile am Ende eines Stückes (Zapfen) in Löcher (die Zapfenpassungen) des anderen Stücks eingepaßt werden. Archäologische Funde zeigen, daß Zapfen-Konstruktionen in China schon während der Jungsteinzeit verwendet wurden. Dies wird beispielsweise durch eine 1973 entdeckte und auf 7000 v. Chr. datierte Grabungsstätte in der Provinz Chekiang belegt.

Weiterentwicklungen der Zapfen-Technik machten es möglich, große Balken und Säulen aus Holz zu verbinden, was ihnen mehr als genug Tragfähigkeit für schwere Gewichte wie zum Beispiel ein Ziegeldach gab. Kuo war auf der Ingenieurschule nicht mit dieser Konstruktionsmethode in Berührung gekommen, die bei zeitgenössischen Gebäuden keine Verwendung findet.

Andere Schwierigkeiten tauchten auf, als Kuo nach Wegen suchte, den Tempel in Übereinstimmung mit seinem historischen Aussehen zu bewahren. So sind beispielsweise die heute gebräuchlichen Schlußfirnisse glatt und glänzend und nehmen betagten Gebäuden die reichhaltige Alterspatina. Nachdem er die fertigen Arbeiten am Wen-Ch'ang-Pavillon gesehen hatte, hatte sich Kuo gefragt, ob es überhaupt möglich ist, die ursprüngliche Schönheit alter und verfallender Architektur wiederherzustellen.

Kuo erhielt wichtige Unterstützung bei dem Restaurierungsprojekt durch die langjährigen Beziehungen seines Vaters mit dem japanischen Versicherungsunternehmen. Die Firma hatte um die Jahrhundertwende eine Serie von Maßstabszeichnungen anfertigen lassen, die sich noch immer in den Akten der Unternehmenszentrale in Japan befanden. Kuo's Vater bat um die Rückgabe der Zeichnungen, und die Firma willigte ein. Weil während und nach der japanischen Besetzung einige Veränderungen am Tempel vorgenommen worden waren, vermittelten die Zeichnungen ein genaueres Bild von seinem früheren Aussehen.

Kuo erkannte, daß es nötig sein würde, den Zustand des Tempels vor Beginn der Restaurierungsarbeiten genauer zu untersuchen. "Es war leicht zu sehen, daß der Tempel heruntergekommen war", sagt er, "aber ich war gleichermaßen besorgt über die Schäden, die man nicht sehen konnte. Das Wetter auf Taiwan ist heiß und feucht, und zusammen mit dem Regenwasser, das durch die Löcher im Dach hereinkam, war der Tempel eine ideale Umgebung für die Vermehrung von Termiten. Ich war der Meinung, daß eine detaillierte Begutachtung durch Spezialisten über das Ausmaß der Schäden erforderlich war."

In einem umfassenden Memorandum an seinen Vorgesetzten legte Kuo die Notwendigkeit eines Schadensberichts dar und schlug die Bereitstellung von 36 000 US$ vor, um einheimische Gelehrte und Experten zur Erstellung des Gutachtens unter Vertrag zu nehmen. Die Bitte wurde durch offizielle Kanäle weitergeleitet, und einige Wochen später wurde ihm von seinem Vorgesetzten eröffnet, daß er gute und schlechte Nachrichten zu berichten habe. Die gute war, daß der Stadtrat formell Mittel für den Schadensbericht gebilligt hatte, aber die schlechte lautete, daß nur 3,60 US$ für das Projekt vorgesehen waren.

"Daß man uns so eine lächerlich kleine Geldsumme gab, war kein schlechter Scherz des Stadtrates", erklärt Kuo. "Das war seine Art und Weise auszudrücken, daß wir weitermachen und den Schaden feststellen lassen konnten, aber daß dafür keine Mittel verfügbar waren. Ich hatte keine andere Wahl als es selbst zu tun, denn ohne detaillierten Schadensbericht wäre es nicht möglich gewesen, von der Zentralregierung das Geld für die nötigen Instandsetzungen zu bekommen."

Die nächsten Monate wohnte Kuo praktisch nur noch im Tempel, wo er nahezu dreihundert Formulare ausfertigte, die die Schäden und die geschätzten Reparaturkosten aufschlüsselten. Seine Beurteilung zeigte, daß der Umfang der Schäden die Ersetzung eines Großteils der Holzkonstruktion erforderlich machte.

Im April 1981 legte Kuo den gesamten Budgetvorschlag in Höhe von 5 Millionen US$ vor. Insgesamt 3 Millionen US$ waren bestimmt für die tatsächlichen Kosten, und die restlichen 2 Millionen US$ sollten in Reserve gehalten werden für den Fall, daß die Preissteigerung die Materialkosten vor Abschluß der Restaurierung in die Höhe trieb. Diese Kostenberechnung belief sich somit sogar nach Kuo's eigenen Schätzungen auf das Doppelte der Ausgaben, die für den vollständigen Wiederaufbau des Tempels benötigt worden wären - selbst wenn man dafür traditionelle Methoden benutzt hätte.

"Die Kosten lagen doppelt so hoch, weil zweimal soviel Arbeit notwendig war. Nehmen Sie zum Beispiel die hölzernen Strukturen. Jedes Stück mußte sorgfältig herausgenommen, repariert und dann wieder eingesetzt werden. Zudem hat es so beträchtlich mehr Zeit gekostet, einen Abschnitt beschädigter Säulen oder Balken zu ersetzen, als einfach einen gänzlich neuen herzustellen."

Sein Budgetvorschlag rief einen wahren Wirbel hervor, und in der Bevölkerung wurde hitzig debattiert, ob der Tempel restauriert oder neu erbaut werden sollte. Tainans Bürgermeister Su Nan-cheng votierte zugunsten eines Neubaus, und sogar Chang Teng-lin, der Chef der Abteilung für Öffentliche Arbeiten in der Behörde, in der auch Kuo arbeitete, äußerte Zweifel über den Versuch, den schwer beschädigten Tempel wieder instandzusetzen. "Damals war ich dafür, den Tempel abzureißen und einen neuen zu bauen", erklärt Chang, "nicht weil ich nicht den geschichtlichen Wert erkannt oder die Kosten für zu hoch gehalten hätte. Aber der Schaden war so schwer, daß die vorgeschlagene Restaurierung praktisch ein gleichermaßen neues Gebäude zu sein schien."

Andere Leute, ob sachkundig oder nicht, lehnten die Pläne von Kuo als zu radikal ab. Die Kritik, die ein Tempelhüter äußerte, dessen Familie seit drei Generationen im Tempel gearbeitet hatte, wurde vielfach wiederholt: Als er hörte, daß Kuo daran dachte, den ganzen Tempel auseinanderzunehmen und dann wieder zusammenzusetzen, nannte er das "einen Versuch von einem Haufen bekloppter Architektur-Studenten."

Während die Debatte in Tainan weiterging, billigte die Regierung prinzipiell das von Kuo vorgelegte Budget, verlangte jedoch detaillierte Konstruktionszeichnungen des ganzen Tempels. Mit Hilfe von Angestellten aus anderen Abteilungen fertigte Kuo zwei Serien von Zeichnungen an, die eine vom Tempel in seinem beschädigten Zustand, die andere ein Konstruktionsentwurf, der die Grundlage für die Restaurierungsarbeiten bilden sollte.

Chen Miao-ling(陳妙齡), die, obwohl bei einem anderen Amt der Stadtregierung angestellt, Kuo freiwillig zur Hand ging, erinnert sich der Schwierigkeiten, die das Team durchlebte: "Die Arbeit war manchmal zum Fürchten. Wir mußten von der Dachspitze aus ein Senklot werfen, um den Neigungswinkel zu berechnen, aber da es kein Budget gab, konnten wir kein Gerüst erstellen. Wir stiegen auf Leitern nach oben und wanderten um die Dachspitze herum. Wir konnten die Holzstützen knacken hören, und manchmal brachen Dachziegel unter unseren Füßen. Glücklicherweise gab es keine schweren Unfälle."

Die Frage, ob neu gebaut oder restauriert werden sollte, wurde auf eine Weise gelöst, die weder Kuo noch seine Kritiker vorausgesehen hatten. Im Jahre 1982 verkündete der inzwischen verstorbene Präsident Chiang Ching-kuo die Verabschiedung des "Gesetzes zur Erhaltung von Kulturdenkmälern", ein umfassendes Gesetz, das die Klassifizierung der einheimischen Kulturdenkmäler gemäß ihrem geschichtlichen und kulturellen Wert in eine erste, zweite und dritte Klasse vorschreibt. Daneben legt es die Anforderungen für ihre Erhaltung fest. Von den Hunderten von Kulturdenkmälem auf ganz Taiwan ist der Konfuzius-Tempel in Tainan eines der sieben, die in die Kategorie erster Klasse aufgenommen wurden.

Der Gesetzestext war sehr detailliert. Kapitel III, Abschnitt 35 beispielsweise hatte einen direkten Bezug auf Tainans Konfuzius-Tempel: "Sofern es nicht aus Gründen der nationalen Sicherheit oder aufgrund bedeutender nationaler Bauprojekte notwendig sein sollte, dürfen Relikte der kulturellen Vergangenheit nicht von ihrem Platz entfernt oder abgerissen werden. Das ursprüngliche Äußere eines Kulturdenkmals soll erhalten werden, und wenn es, aus welchen Gründen auch immer, beschädigt wurde, dann soll es in Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Aussehen restauriert werden."

Obwohl dieser gerade zur rechten Zeit erlassene Abschnitt des Gesetzes zur Erhaltung von Kulturschätzen bedeutete, daß der Konfuzius-Tempel in Tainan nicht abgerissen und wiederaufgebaut würde, war die Aufgabe jedoch keineswegs leichter geworden. Das Gesetz unterstellte die Restaurierung von Kulturdenkmälern in der Kategorie erster Klasse der ausschließlichen Kontrolle des Innenministeriums und der Provinzregierung, und es setzte strenge Maßstäbe für alle daran zu verrichtenden Arbeiten.

Im Juni 1983 übergab Kuo die beiden fertigen Serien von Konstruktionszeichnungen, seine Pläne zur Restaurierung und seine Forschungsunterlagen an die Zentralregierung. Bald danach gründete die Regierung ein Komitee, um den gesamten Vorschlag zu überprüfen. "Es war, als wäre man den Haien vorgeworfen worden", erinnert sich Kuo. "Das Prüfungsgremium bestand aus fünfzig einheimischen Gelehrten und Experten, die zu allem Fragen stellten, von den Zeichnungen bis zu meinen Zeugnissen. Die Restaurierung des Konfuzius-Tempels von Tainan war die erste wichtige nach Verabschiedung des Gesetzes über den Denkmalschutz, und jeder übertrieb ein bißchen."

Nicht ein Punkt entging den prüfenden Blicken. Beispielsweise gab es bei einer Zusammenkunft des Komitees eine vierstündige Diskussion über die ursprüngliche Lage der öffentlichen Toiletten. Kuo hatte die Stelle auf seinen Entwürfen auf der westlichen Seite des Tempels eingezeichnet, und dies, obwohl für jedermann klar zu sehen war, daß sie zum Zeitpunkt der Planungen auf der östlichen Seite lagen. "Ich war mir nicht sicher, wann, aber ich wußte, daß die Lage der Toiletten verändert worden war", versichert Kuo.

Als das Komitee ihn fragte, welche Anhaltspunkte er denn für diese Verlegung hätte, erklärte er den Komiteemitgliedern, daß er seine Überlegungen auf der Grundlage der Geomantie angestellt hatte, des klassischen esoterischen Systems, nach welchem die Anordnung architektonischer Strukturen in Übereinstimmung mit den Energieflüssen der Erde festgelegt wird. Von der Geomantie nimmt man an, daß es Jahre hingebungsvollen Studiums bedarf, um diese Kunst zu meistern, aber Kuo ist zur Ansicht gelangt, daß "die Leute die Geomantie eigentlich mystischer machen als sie wirklich ist. Die Geomantie ist der klassische chinesische Architekturkodex, dessen Prinzipien jede traditionelle Architektur folgt."

Zwar feixten einige Gelehrte in der Komiteerunde bei dem Gedanken, Geomantie anzuwenden, und waren über Kuo's Auffassung davon amüsiert, doch einigte sich das Komitee widerstrebend darauf, jemanden an der Stelle graben zu lassen, die Kuo als den ursprünglichen Platz der Toiletten ausgewiesen hatte. Sehr zum Erstaunen der Skeptiker wurden die Fundamente der alten Toilettengebäude auch genau dort gefunden.

Besonders kritisch verhielt sich das Komitee gegenüber Kuo's Absicht, so viele Teile des Tempels für so hohe Beträge zu ersetzen. "Sie konnten sich kaum vorstellen, warum so viel von der Holzkonstruktion ersetzt werden mußte", erklärt Kuo. "Ich dagegen hatte monatelang in meiner Freizeit die taiwanesischen Termiten beobachtet, und ich wußte ganz sicher, daß 40 oder 50 Prozent der hölzernen Balken und Säulen nicht mehr zu retten waren. Man verlangte von mir, einen weiteren vollständigen Schadensbericht zu erstellen."

Schließlich stimmte das Komitee dem Kostenvoranschlag von Kuo zu und übersandte ihn der Regierung zur Billigung. Er wurde ohne irgendwelche Kürzungen bewilligt. Tainans Stadtverwaltung mußte 20 Prozent der Kosten übernehmen; den Rest teilten sich die Provinz- und die Zentralregierung. Die Restaurierung wurde in drei Phasen aufgeteilt, deren erste 1985 beginnen sollte. Die Ausschreibungen für das Projekt waren wie für Bauverträge mit der Regierung üblich gehalten, mit einer Ausnahme: Die Firma, die den Auftrag übernahm, mußte bereits Erfahrung bei der Restaurierung historischer Gebäude haben. Diese Auflage machte die Angelegenheit um einiges komplizierter. "Wenn ich darauf bestanden hätte, daß die Erfahrungen der Firma den Anforderungen entsprächen, wie ich sie für den Konfuzius-Tempel festgelegt hatte", konzediert Kuo, "dann wäre niemand in der Lage gewesen, sich um den Zuschlag zu bewerben."

Lebhaft bemalte Träger formen eine stilisierte Lotusblume, Zeichen der Reinheit in einer unreinen Welt: in einem Konfuzius-Tempel lassen sich auch buddhistische Einflüsse finden.

Der Auftrag zur Restaurierung wurde an die Ching Jen Construction Co. in Taichung vergeben, die den Konfuzius-Tempel in Changhua, Zentraltaiwan, restauriert und einen Teil von Nan Yüan, einem Erholungszentrum der United Daily News Group, im kaiserlichen Stil der Ch'ing-Zeit gebaut hatte. Lin Jui-hsiung(林瑞熊), der Vorsitzende von Ching Jen, blickt zurück: "Ich habe das Projekt nicht als eine für die Firma gewinnbringende Sache angesehen; entsprechend lag mein Gebot ziemlich niedrig. Ich empfand es als eine Ehre, die Aufgabe übernehmen zu dürfen. Tatsächlich passierte etwas Seltsames, kurz bevor ich das Angebot machte. In letzter Minute entschied ich, die Nennkosten von 286 000 US$ um 500 US$ zu verringern. Es zeigte sich, daß mein Angebot um eben diese 500 US$ niedriger lag als das meines nächsten Konkurrenten. Möglicherweise war es letztendlich Konfuzius, der befürwortete, daß wir die Aufgabe übernahmen."

Das Unternehmen hatte eine komplexe Aufgabe vor sich, die gewissenhaft auszuführen war. Zunächst mußte der Boden in den Höfen mit verschiedenen hölzernen Verschalungen und Schaumgummi-Unterlagen geschützt werden, damit herabfallende Objekte die alten Steine nicht beschädigten. Dann wurde jeder Gebäudeteil photographiert, bevor er auseinandergenommen, mit Markierungen versehen und nochmals untersucht wurde, um zu sehen, ob der ursprüngliche Schadensbericht korrekt war. "Wegen der Kritik, daß ich von der Originalstruktur nicht soviel wie möglich erhalten würde", erklärt Kuo, "hatte ich bei meinen Planungen dazu geneigt, ein tragendes Teil noch als verwendbar einzustufen, auch wenn sein Zustand eigentlich schon an der Grenze zur Irreparabilität war. An dem Tempel war schon viel mehr verrottet, als die Leute glauben wollten."

Weil der Kontrakt vorschrieb, daß sich Ching Jen nur traditioneller Baumethoden bedienen durfte, waren Nägel und andere moderne Konstruktionsmaterialien strikt verboten. Dies entsprach den Vorgaben des neuen Gesetzes über den Denkmalschutz, womit folglich die Auflagen für das Unternehmen viel strikter waren als zur Zeit der Restaurierung des Konfuzius-Tempels in Changhua.

Zeitweise waren bis zu sechzig Arbeiter neun verschiedenen Arbeitskategorien zugeteilt: Zimmermanns- und Schreinerarbeiten, dem Verputzen der Wände, Dachdecken, dem Formen von Ornamenten aus Ton, Schnitzerei, Malereiarbeiten, der Bemalung der Wände und Schnitzereien sowie grundlegendere, allgemein übliche Bauarbeiten. Obgleich die Arbeiter die notwendigen Fähigkeiten hatten, wurden die Vorschriften für die Erhaltung von Kulturdenkmälern zunächst nicht immer vollständig eingehalten.

"Das größte Problem, mit dem wir uns auseinanderzusetzen hatten, war nicht die Technik, sondern vielmehr die Kommunikation mit unseren Arbeitern", sagt Chuang Min-hsin(莊敏信), der Polier. "Zuerst verstanden viele nicht, warum wir nicht einen einzigen Nagel verwenden konnten. Noch verwirrender aber war für sie, daß wir solche Mühen auf uns nahmen, verrottete Hölzer zu reparieren, wenn es doch einfacher gewesen wäre, sie zu ersetzen."

Chuang betonte gegenüber seinen Arbeitern, daß die Restaurierungsmethoden vom Vertrag diktiert seien, und er nahm sich während Pausen und Mahlzeiten die Zeit, um sie über die besondere Natur des Projektes aufzuklären. "Ich habe ihnen gesagt, daß wir hier arbeiten, um einen Teil unserer Kultur für zukünftige Generationen zu erhalten, und daß ein erfolgreicher Abschluß etwas sein würde, worauf sie später mit Stolz zurückblicken könnten", erzählt er.

Trotz der Hilfe von Chuang lastete die Verantwortung dafür, daß jede Arbeit gemäß den höchsten Maßstäben ausgeführt wurde, letztlich auf den Schultern von Kuo. "Da ich in meinen Skizzen näher ausgeführt hatte, welche Art von Konstruktionstechnik in jedem Bauabschnitt benutzt werden solle, wurde von mir erwartet, daß ich sie den Arbeitern vorführen könne, wenn sie Fragen hätten."

Es war das Verbot, Nägel zu benutzen, das anfangs die meisten Schwierigkeiten verursachte. "Von Zeit zu Zeit versuchten die Arbeiter, einen Nagel hineinzuschmuggeln", sagt Kuo, "aber sie gaben es schließlich auf, weil sie zur Überzeugung gelangten, ich hätte übersinnliche Kräfte. Da ich nahe dem Tempel wohnte, ging ich oft um Viertel nach elf nach Hause zum Mittagessen. Die Arbeiter dagegen gingen nicht vor ein Uhr in die Mittagspause. Mehrere Male bekam ich, wenn ich zu Hause beim Mittagessen saß, ganz plötzlich heftige Kopfschmerzen. Ich eilte zum Baugelände zurück, und nachdem ich ein bißchen herumgesucht hatte, fand ich unweigerlich einen Nagel, der in einen der Balken gehämmert worden war. Wenn wir den Verantwortlichen herausgefunden hatten, hat der Polier den verblüfften Arbeiter bestraft. Das ist so oft vorgekommen, daß sie es schließlich aufgaben."

Die Baumaterialien, die in der traditionellen chinesischen Architektur Verwendung finden, sind relativ einfach: Holz, Stein und gebrannte Backsteine oder Ziegel. Trotzdem war es unter den gegenwärtigen Umständen nicht einfach, die entsprechenden Materialien aufzutreiben. Beispielsweise waren die Holzkonstruktionen in dem Tempel ursprünglich aus Zypressenholz, Kuai-mu(檜木)genannt, gewesen, und Zypresse ist auch zur Verwendung bei der Restaurierung ausgewählt worden. In der Vergangenheit hatte Taiwan große Bestände dieser Baumart, aber Jahre des Kahlschlags, vor allem um die Nachfrage auf dem japanischen Markt zu decken, haben die vorhandenen Reserven in bedenklicher Weise verringert. Kuo hatte viele Holzlager aufzusuchen, um Zypressenstämme zu finden, und sie waren nicht billig. "Wir mußten bei der Auswahl des Bauholzes sehr wählerisch sein, vor allem bei dem Holz für die Hauptsäulen", ergänzt Kuo. "Manchmal konnten wir nur einen von zehn großen Stämmen auswählen, weil die meisten in sich leicht verzogen waren oder große Verwachsungen hatten."

Obwohl der Steinboden, die Backsteine und Dachziegel sich teilweise um einiges dauerhafter als die Holzteile des Tempels erwiesen hatten, zeigten auch sie Anzeichen des Alters und Zerfalls. Das Resultat sorgfliltiger Arbeit ist, daß ungefähr 60 Prozent der originalen Steinplatten und Bodenziegel im Innenhof erhalten werden konnten. Einer der befriedigsten Erfolge für Kuo war der Boden aus 67 Steinplatten direkt vor dem Ch'ung-sheng-tz'u(崇聖祠), einem kleinen Schrein im hintersten Teil des Innenhofes, der dem Vater des Konfuzius gewidmet ist.

"Wir wußten, daß es da einst einen Boden von ungefähr fünf Metern Länge und knapp vier Metern Breite gegeben hatte und daß er aus Fukien-Granit war", sagt Kuo. "Aber als wir mit der Restaurierung anfingen, stellten wir fest, daß viele der Steinplatten im hinteren Teil des Hofes verstreut herumlagen, während andere an einer Seite wie Abfall aufgehäuft worden waren. Sie sind im Gegensatz zu den sie umgebenden Bodenziegeln, die in Größe und Form einheitlich sind, verschieden untereinander. Einige sind quadratisch, andere rechteckig, und viele sind dreieckig. Es war unmöglich vorauszusagen, wieviele fehlten, und es gab keine Möglichkeit festzustellen, wie sie zusammenpaßten. Mehr als zwei Wochen habe ich an dem Boden wie an einem riesigen Puzzlespiel gearbeitet. Als ich damit fertig war, paßte nicht nur alles perfekt zusammen, es fehlte auch kein einziger Stein!"

Die Bauarbeiter setzten die Dachziegel und Backsteine, die noch verwendet werden konnten, beiseite, aber eine große Zahl war mit den Jahren bereits mürbe geworden. Hier tauchte ein anderes Problem auf: Die Standards für Aussehen und Größe der Ziegel und Backsteine sind über die Jahrzehnte verändert worden. Obwohl Ziegel traditioneller Art noch immer am Bau verwendet werden, haben diese nun eine Stärke von nur etwa 0,6 Zentimeter, während die, die bei konfuzianischen Tempeln benutzten wurden, zwischen 1 und 1,3 Zentimeter dick sind. Schließlich mußte Ching Jen zwei Brennereien mit der Anfertigung entsprechender Gußformen beauftragen, um dann die Ziegel und Backsteine gemäß den Abmessungen der Originalziegel brennen zu lassen.

Noch zeitaufwendiger war die Ersetzung des Verputzes an den Wänden. "Niemand hatte eine Vorstellung davon, wie früher ein Wand verputz hergestellt wurde", sagt Kuo. "Wir prüften alte Handbücher, und wir brachten ein abgebrochenes Verputzstück ins Labor zur Analyse. Die Grundbestandteile sind Gips, feuchter Ton, Sand und Fasern von Sackleinen, aber wir kannten die Anteilsmengen nicht. Ich experimentierte mit eigenen Mischungen. Zunächst wölbte sich der Verputz und wurde rissig, aber schließlich bekam ich es hin."

Nicht nur die Arbeit am Tempel, auch die Diskussionen um die angewendeten Methoden gingen weiter. Als im Jahre 1986 die zweite Phase der Restaurierung begann und die Arbeit sich auf die Holzkonstruktion konzentrierte, verlangte dasselbe Komitee, das Kuo's Plan schon einmal überprüft hatte, eine vollständige Neubeurteilung der Schäden an den Holzteilen des Tempels. "Unsere ursprüngliche Einschätzung des Schadens war nicht hundertprozentig richtig", gibt Kuo zu, "weil wir sie vornahmen, als die Balken und Säulen noch standen. Wir erkannten das volle Ausmaß der Schäden erst, als wir den Tempel auseinandernahmen."

Dem Verlangen des Komitees nachzukommen, wäre kostspielig gewesen und hätte die Wiederherstellung um einige Monate verzögert. Schließlich machte Yeh Shu-yuan(葉樹源), ein Professor für Architektur an Tainans Cheng Kung-Universität und ein Mitglied des Komitees, den Vorschlag, von einer traditionellen chinesischen Methode zur Schadensbeurteilung Gebrauch zu machen. "Ein Zimmermann, der Erfahrung mit alten Gebäuden hat, kann den Schaden schätzen, indem er mit einem Hammer auf das Holz klopft und auf den Klang hört", erklärte Yeh. "Das war in diesem Fall möglich, weil die Balken und Säulen bei einer Konstruktion, wie sie beim Konfuzius-Tempel in Tainan verwendet worden ist, gut zugänglich sind. Balken und Säulen, die von Termiten befallen sind, geben einen besonders hohlen Klang, wenn sie getroffen werden." Der Vorschlag wurde angenommen und ein erfahrener Zimmermann gefunden. Die Überprüfung war nach einem Monat abgeschlossen. "Wir entschieden, daß etwa 60 Prozent der Holzkonstruktion ersetzt werden müßte", schließt Yeh.

Im Jahre 1988 schließlich ging man an die dritte und teuerste Phase der Restaurierung des Konfuzius-Tempels - die Ersetzung beschädigter Strukturen und Dekorationen. In dieser Zeit war der Tempel oft voll von Arbeitern und Kunsthandwerkern. Maurer schichteten neue Backsteine vor der äußeren Mauer, die nahe am Zusammenfallen war, und bedeckten dann die Oberfläche mit dicken Lagen von auf traditionelle Weise gemischtem Verputz. Zimmerleute stemmten Zapfen und exakt gepaßte Zapfenlöcher in die Balken und hievten sie an ihre Plätze.

Die Kunsthandwerker beseitigten Schichten alter Farbe von Reliefschnitzereien an hölzernen Türen und Fenstern und brachten die schöngeschwungenen Linien zum Vorschein. Auch schnitzten, malten und formten sie Dachdekors aus Draht und Ton, während andere Arbeiter Tausende neuer Ziegel auf das Gebäude und die Dächer der Torbogen legten.

Schließlich war man beim bedeutenden, abschließenden Schritt der Restaurierung angelangt: die Farbgebung. Während der letzten fünfzig Jahre war der Tempel zunächst mit verschiedenen Ölfarben und dann mit Latex gestrichen worden. Su Ling-hsiang(蘇玲香), die beim Zeichnen der Entwürfe geholfen hatte und nun auf dem Gelände für detaillierte Aufzeichnungen zuständig war, erklärt dazu: "Der Hauptunterschied zwischen moderner Farbe und der nach althergebrachten Rezepturen ist, daß letztere eine Mischung aus Mineralpigmenten und Ölen von Bäumen ist, statt aus Chemikalien zu bestehen." Da auf traditionelle Weise hergestellte Farbe im Gegensatz zu Japan und Korea auf Taiwan seit Jahrzehnten nicht gebraucht worden war, mußten Kuo und seine Mitarbeiter erst wieder experimentieren, bevor sie die richtige Mischung fanden.

In Anbetracht des immensen Aufwandes an Zeit, Geld und Arbeitskraft war Kuo in einem Bereich bereit, Zugeständnisse an moderne Methoden zu machen: bei der Abwehr der Termiten. Jahrelang war es üblich gewesen, den Tempel mit Pestiziden auszusprühen, wenn Termiten entdeckt worden waren. Aber das brachte potentielle Gesundheitsgefährdungen für Besucher des Tempels mit sich, und die Termiten entwickelten schließlich eine Immunität sogar gegen die stärksten Insektengifte.

"Ich habe die Termiten monatelang erforscht. Ich nahm sogar ein Stück Holz, das von Termiten befallen war, nach Hause und hielt die Termiten in einem Aquariumsbehälter", erzählt Kuo. "Ich veränderte die Temperatur und Luftfeuchtigkeit, um zu sehen, welche Bedingungen für das Brüten am günstigsten und am ungünstigsten sind, und erkannte bald, daß der Schlüssel im Umgang mit Termiten die Vorbeugung, nicht die nachträgliche Eliminierung ist." Kuo arbeitete mit der Graduiertenschule für Industrie-Mineralogie der Cheng Kung-Universität zusammen, um ein Verfahren zu entwickeln, bei dem das Holz bis zum Kern mit konzentrierten Insektiziden behandelt und dann mit einer Versiegelung umhüllt wurde, die verhindert, daß die Chemikalien in die Luft entweichen und zu einer Gesundheitsgefährdung werden.

Die Pforte der Großen Vollendung in wiedererstandener Pracht, ein ausgewogenes Zusammenspiel von Holz, Stein und Farbe.

Die Restaurierung des Konfuzius-Tempels in Tainan wurde am 23. September 1989 rechtzeitig für eine besondere Eröffnungsfeier abgeschlossen, bei der Lin Wen-hsiung, der neue Bürgermeister von Tainan, den Vorsitz führte. Aber eine noch bedeutsamere Feier fand fünf Tage später statt. Auf ganz Taiwan wird alljährlich im Morgengrauen des 28. Septembers, dem "Tag der Lehrer", in jedem Konfuzius-Tempel zur Erinnerung an Konfuzius eine besondere Zeremonie abgehalten, die auf die T'ang-Dynastie (618-907) zurückgeht. In der Nacht vor der Feier waren Arbeiter mit dem Aufhängen von Laternen und dem Auspacken von Instrumenten beschäftigt, die im Stil denen gleichen, die zu Zeiten des Konfuzius gebräuchlich waren.

Kuo Tsang-lung war ebenfalls anwesend, und als er gefragt wurde, was er beim Betrachten der Feierlichkeiten im Tempel empfinde, antwortete er: "Eine Menge Leute hatten Zweifel, nicht nur in bezug auf mich, sondern bezüglich der gesamten Restaurierung. Wir alle haben das Beste getan, soweit wir das Know-how hatten, und haben die Aufgabe erfolgreich abgeschlossen. Für eine Beurteilung bin ich wohl zu subjektiv. Die endgültige Bewertung sollte der Geschichte überlassen bleiben."

Mehr als ein Jahr ist seit dem Abschluß der Restaurierung vergangen, und noch immer sind die Meinungen darüber geteilt, inwieweit sie nun ein Erfolg geworden ist. Viele Menschen, einschließlich dem Bürgermeister Tainans, haben sich befriedigt über die geleistete Arbeit geäußert. Die Schlagzeile in der "China Express Daily" nannte Kuo einen "Meister der traditionellen Restaurierung" und lobte ihn für seinen Beitrag zur Bewahrung der chinesischen Kultur. Dennoch meinen einige Leute, daß der Tempel "zu neu" aussehe und fragen sich, wie nahe er wohl dem Original kommen mag.

Ho Pei-fu(何培夫)jedoch, Professor für Geschichte an der Cheng Kung-Universität in Tainan, hat den Tempel ausgiebig erforscht. Er meint: "Ich denke, daß generell gesagt die aktuelle Wiederherstellung sowohl im Material als auch in der äußeren Erscheinung sehr originalgetreu ist. Darüber hinaus wäre es nutzlos, jeden Winkel mit einer Lupe daraufhin überprüfen zu wollen. In den letzten dreihundert Jahre wurde der Tempel bei keiner der Restaurierungen ganz genau so wieder instandgesetzt, wie er vorher war. Geschichte und Geist des Konfuzius-Tempels sind etwas Ewiges; die Architektur ist nichts als eine Fortführung dieses Geistes. Die neueste Restaurierung ist würdig, diesen Geist zu bewahren."

(Deutsch von Martin Kaiser)

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