27.04.2025

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Tu Fu - Chinas größter Dichter?

01.01.1991
Ein posthumes Porträt Tu Fu's: so wenig bekannt der Dichter zu seinen Lebzeiten war, so sehr wuchs sein Ruhm und seine Bedeutung für spätere Generationen im Lauf der Jahrhunderte.
Unter den Dichtern der Tang-Zeit (618-907), der klassischen Epoche der chinesischen Lyrik, ist eine ihrer bedeutendsten Gestalten im Bewußtsein des westlichen Lesers fast unbekannt geblieben - oder, wenn überhaupt, dann stets im Schatten eines älteren und berühmteren Zeitgenossen gesehen worden: die Rede ist von Tu Fu (杜甫, 712-770) und Li Po (李白, 701-762). In ihrem eigenen Lande dagegen kann man fast schon von einer Umkehrung dieses Verhältnisses sprechen: dort ist Tu Fu's Wirkung auf die chinesische Dichtung bis zum Beginn der Moderne durchaus mit derjenigen Goethes in der deutschen Literatur vergleichbar; ja, der Dichter ist kanonisiert worden als "Heiliger der Dichtkunst" (Shih-sheng 詩聖), und eine Tu-Fu-Biographie des chinesisch-amerikanischen Sinologen William Hung (1952) trägt schlicht den Untertitel: "China's Greatest Poet". Wer also war dieser im Westen fast übersehene Klassiker? Und worin liegen die Gründe für seine große Wertschätzung auf der einen, seine relative Unbekanntheit auf der anderen Seite?


Im Jahre 757 entstand in Ch'ang-an, der Hauptstadt des T'ang-Reiche , eines der wohl ungewöhnlichsten Frühlingsgedichte der chinesischen Dichtung. Sein Autor, der zu jener Zeit etwa 45jährige Tu Fu, als Dichter nur wenigen Freunden bekannt und als angehender Beamter fast eine gescheiterte Existenz, hielt sich nicht etwa freiwillig in der Hauptstadt auf; er befand sich dort als der Quasi-Gefangene rebellischer Truppen, die Ch'ang-an seit dem vergangenen Sommer besetzt hielten, und dieser "Blick in den Frühling"(春望), wie der Achtzeiler schlicht überschrieben ist, hat denn auch nicht etwa die heiteren Gefühle, die ein Titel erwarten läßt, sondern eine der großen Katastrophen der chinesischen Geschichte zum Hintergrund:

Das Reich ist vernichtet, was bleibt, sind Berge und Flüsse.
Frühling herrscht in der Stadt: wild wuchern Bäume und Gras.
Berührt von den Zeiten, vergießen die Blumen selbst Tränen;
Trennungsschmerz erschüttert das Vogelherz.
Wachtfeuer brennen drei Monate schon ununterbrochen.
Ein Brief der Familie wäre zehntausend Goldstücke wert.
Ich raufe mein weißes Haar, es wird dünner und dünner;
Bald findet die Kappennadel in ihm keinen Halt.


Ende 755 hatte ein im Nordosten residierender Militärgouverneur sogdisch-türkischer Herkunft mit Namen An Lu-shan(安祿山)gegen die Dynastie rebelliert, war mit seinen Truppen fast ungehindert nach Süden marschiert, hatte sich in der "Östlichen Hauptstadt" Loyang selbst zum Kaiser erklärt und zum Sturm auf Ch'ang-an gerüstet, welches seine Truppen dann auch, nach einer vernichtenden Niederlage der Regierungstruppen, im Sommer 756 einnahmen. Kaiser Hsüan-tsung (玄宗, reg. 712-756) hatte zuvor in überstürzter nächtlicher Flucht die Hauptstadt mit wenigen Gefolgsleuten verlassen. Tu Fu selbst befand sich bei Ausbruch der Kämpfe bei Frau und Kindern westlich der Hauptstadt; als ihn die Nachricht vom Aufstand erreichte, brachte er seine Angehörigen weiter nördlich in Sicherheit; eine mühevolle Reise, die er später in einem langen Gedicht mit eindringlichem, prosa-nahem Realismus geschildert hat.

Auf dem Rückweg nach Süden wurde er dann, so scheint es, von Rebellentruppen gefangengenommen und schließlich in das besetzte Ch 'ang-an verbracht; dort, abgeschnitten von allen Nachrichten von der Familie ("zehntausend Goldstücke" wäre ihm ein Brief von der Familie wert, heißt es im "Blick in den Frühling") und die Verheerungen vor Augen, die der Krieg über Hauptstadt und Reich gebracht hatte, entstand eine Reihe von Gedichten, die wie kaum ein anderes Zeitzeugnis eine "Innenansicht" jener dramatischen Monate zu geben vermögen: so berichtet er von einer (echten oder fiktiven?) Begegnung mit einem kaiserlichen Prinzen, der sich vor den Mordkommandos der Rebellen (die zuvor ein Massaker unter Kaiserfamilie und Konkubinen angerichtet hatten) in der Stadt zu verbergen sucht ("Klage um einen Prinzen", 哀王孫), schildert den desolaten Zustand der Stadt im Gegensatz zu ihrem früheren Glanz ("Klage am Seeufer", 哀江頭) oder verfolgt von Ch'ang-an aus die Nachrichten vom Kriegsschauplatz - ein typisches Gedicht dieser Art ("Die Tragödie von Ch'en-t'ao", 悲陳陶) beschreibt den Untergang einer Ende 756 gegen die Rebellen aufgebotenen Freiwilligenarmee:

Anfang Winter sind die Sümpfe von Ch'en-t'ao getränkt
Mit dem Blut der Söhne guter Familien aus zehn Präfekturen.
Weit sind die Ebenen, der Himmel klar, kein Kriegslärm zu hören; VierzigTausend Freiwillige starben hier an einem einzigen Tag.
Die Tataren kehren zurück, waschen das Blut von den Pfeilen;
Sie singen Tatarengesänge, sie trinken auf Plätzen und Märkten.
Die Menschen der Hauptstadt jedoch wenden sich weinend nach Norden,
Hoffend bei Tag und bei Nach  auf die Ankunff des Kaiserheers.


Aber auch andere, ehr private Gedichte sind in dieser Zeit entstanden, so das berühmte Gedicht "Mondnacht", das nicht etwa des Dichters eigenen Blick auf den Mond beschreibt, sondern - in imaginativer Vergegenwärtigung - den der Gattin, die ihn in der Ferne "allein" betrachtet - eine visionäre Vorausnahme des erhofften Wiedersehens:

In dieser Nacht: in Fu-chou scheint der Mond;
Im Frauengemach schaut sie allein ihn an.
Nach Sohn und Töchtern sehn' ich mich von ferne,
Die sich an Ch'ang-an nicht erinnern können.
Von duftenden Nebeln feucht ihr Wolkenhaar,
Und kalt im klaren Licht die Jadearme. Wann stehen wir vor durchsichtigem Vorhang,
Doppelt-beschienen, daß die Tränen Trocknen?


Schließlich gelang Tu Fu die (wiederum poetisch ausführlich dokumentierte) Flucht aus der besetzten Stadt; im Sommer 757 erreichte er das Hauptquartier des neuen Kaisers Su-tsung(肅宗), dessen nach Szu-ch'uan geflohener Vater auf den Thron verzichtet hatte. Erst im Herbst konnte er sich auf den Weg zu seiner Familie machen; die "Reise nach Norden" 北征), eines seiner längsten Gedichte, gibt davon Zeugnis, gipfelnd in einer bewegenden Szene des Wiedersehens mit der Familie:

(...) Selbst ich bin tief in den Tatarenstaub gefallen;
Nun kehre ich zurück, das Haar vollkommen weiß.
Ein ganzes Jahr brauchte ich, die Strohhütte zu erreichen,
Nun seh ich meine Frau, ihr Kleid mit hundert Flicken.
Ihr Weinen tönt wie Wind in Kiefernwipfeln,
Ihr Tränenquell strömt mit unterdrückten Seufzern.
Mein Sohn, der ganze Stolz meines Lebens,
Bleicher als Schnee ist die Farbe seines Gesichtes.
Er wendet mir den Rücken zu und weint,
Und seine Füße, schwarz, sind ohne Schuh und Strümpfe.
Vor dem Bett stehen meine beiden Töchter.
Die Flickenkleider reichen kaum über ihre Knie.
Das Meeresmuster darauf: zerrissene Wellen,
Herausgeschnitten aus Resten alten Stoffs;
Seeungeheuer, Purpurphönix, Kopfüber auf den kurzen Rock genäht. (...)


Im gleichen Jahr noch ist Tu Fu mit dem Hof in die inzwischen wiedereroberte Hauptstadt zurückgekehrt.

Es wäre nur natürlich anzunehmen, der Schock der Ereignisse, die einer mehr als hundertjährigen Epoche des Friedens und der Prosperität ein Ende setzten und das Land in den wirtschaftlichen Ruin stürzten (zwar wurde An Lu-shan selbst schon 757 von eigenen Anhängern ermordet, doch setzten andere Militärgouverneure die blutigen Kämpfe noch jahrelang, bis 763, fort), hätte tiefe Spuren in den Außerungen der Zeitgenossen hinterlassen. Das ist jedoch, überraschenderweise, nicht der Fall; selbst Dichter, die auf ganz unmittelbare Weise von dem Geschehen betroffen waren (der große Naturdichter Wang Wei gehört zu ihnen), sind über das Erlebte fast immer mit Schweigen hinweggegangen. Die eigentliche intellektuelle Reaktion auf den An Lu-shan-Aufstand setzte im Grunde erst eine Generation später ein: mit einer aggressiv vorgetragenen Ablehnung alles Fremden und Un-Chinesischen, mit der die tausendjährige kulturelle "Einigelung" Chinas ihren Anfang nahm.

So ist Tu Fu der vielleicht einzige Zeitgenosse gewesen, der fast jedes Stadium dieser historisch schicksalhaften Monate und Jahre dichterisch beschrieben und kommentiert hat, und zwar nicht nur aus der privaten Sicht des persönlich Betroffenen (kein Autor vor Tu Fu hat, nebenbei gesagt, so wie er Frau und Familie zum Gegenstand seiner Dichtung gemacht), sondern auch von einem objektiveren Standpunkt aus, unabhängig von der eigenen Situation: immer wieder, auch in seinem späteren Werk, hat er in seinen Gedichten die Zeitereignisse verfolgt und beobachtet, und es ist dieser ausgesprochen politische (und oft auch stark sozialkritische) Zug in seinem Werk, der ihm bei späteren Kommentatoren geradezu den Titel eines "Dichter-Historiographen" (Shih-shih 詩史) eingetragen hat.

Und dennoch wäre es falsch zu glauben, die Bedeutung des Dichters Tu Fu habe sich in einer solchen Chronistenfunktion erfüllt. Im Gegenteil: der größte Teil seines Werkes, jener, der ihn erst als einen der großen poetischen Neuerer seiner Zeit ausweisen sollte, entstand erst in den Jahren nach der An Lu-shan-Rebellion, wenn auch in kaum minder bedrückenden Lebensumständen.

Hier ist es an der Zeit, in der Biographie dieses Dichters einen Blick auf die Jahre zu werfen, die den geschilderten Ereignissen vorausgingen. Tu Fu, aus einer angesehenen, aber weder besonders wohlhabenden noch einflußreichen Familie stammend, wird im Jahre 712 in Shao-ling südwestlich von Ch'ang-an geboren. Über seine Jugend ist wenig bekannt; eigenen autobiographischen Versen läßt sich allenfalls entnehmen, daß er, wohl zu Beginn der dreißiger Jahre des 8. Jahrhunderts, ausgiebig den Südosten Chinas bereist hat - eine Art "Grand Tour", die zu seiner Zeit nicht wenige Angehörige der wohlhabenden und gebildeten Jugend der Hauptstadt absolviert haben.

Tu Fu's Gedicht "Blick auf den Heiligen Berg" in Kalligraphie und Darstellung eines zeitgenössischen Malers aus Taiwan. Hsiung I-chung(熊宜中).

736 stellt er sich in Ch'ang-an der Großen Staatsprüfung, dem offiziellen Eingangstor für jede Beamtenlaufbahn, und fällt durch. Nun war das Staatsamt für einen Mann aus Tu Fu's Klasse, von der Verwaltung etwa vorhandener eigener Güter abgesehen, die buchstäblich einzig denkbare Form der Anstellung; ein Scheitern in der Beamtenprüfung konnte Existenzen zerstören oder zumindest völlig aus der Bahn werfen. Was Tu Fu angeht, so sehen wir ihn von nun an für ein volles Jahrzehnt teils unstet im Nordosten umherziehen, teils sich in Loyang aufhalten, wir wissen nicht, mit welcher Beschäftigung. Aus dieser Zeit stammen auch seine ersten erhaltenen Gedichte; eines der frühesten unter ihnen ist der "Blick auf den Heiligen Berg"(望嶽), d. h. auf den T'ai-shan (in Shantung), den östlichen der fünf Heiligen Berge Chinas. Das Gedicht, in einer langen Tradition mythisch überhöhter Bergbeschreibungen stehend, ist zugleich ein frühes Beispiel für Tu Fu's Tendenz, sich und die Welt in kosmischen Begriffen zu sehen und auszudrücken:

Der T'ai-shan: wie seine Natur beschreiben?
Sein Grün erstreckt sich endlos über Ch'i und Lu.
Göttliche Wunder hat die Schöpfung hier versammelt.
Yin-Seite, Yang-Seite trennen Dämmerung und Frühe.
Das Herz erschütternd, steigen Wolkenschichten auf,
Das Blickfeld sprengend, senken sich heimkehrende Vögel.
Wenn ich einst erst zum höchsten Gipfel gelange:
Klein scheint dem Blick dann jeder andere Berg.


(Yin- und Yang-Seite, d. h. schattige Nord- und besonnte Südseite des Berges, die hier in dichterisch überhöhter Formulierung Tag und Nacht, Licht und Finsternis trennen, sind zugleich die beiden kosmischen Kräfte Yin und Yang, in deren Mitte der T'ai-shan als mythischer Weltberg steht). Von ganz anderem Charakter (und in anderen Traditionen stehend) ist das ebenfalls in jenen Wanderjahren entstandene Gedicht "Im Feng-hsien-Kloster bei Lung-men übernachtend"(遊龍門奉先寺), in dem sich buddhistische und taoistische Begrifflichkeit verbinden:

Erst bin im Kloster ich umhergewandert,
Und nun verbringe im Kloster ich die Nacht.
Aus dunklen Tälern dringt Musik der Leere.
Der monddurchschienene Wald wirft seine klaren Schatten.
Das Himmelstor ist nahe den Gestirnen,
Vom Schlaf unter Wolken sind die Kleider feucht.
Eben erwachend, höre ich die Morgenglocke,
Die uns zu tiefer Einkehr kommen heißt.


Um dieselbe Zeit (744 in Loyang) macht Tu Fu auch die Bekanntschaft des von ihm heftig bewunderten (und damals schon hochberühmten) Li Po, dem er im Laufe seines Lebens eine Reihe bewegender Freundschaftsgedichte widmen wird. Von 745 bis 755, also für ein weiteres volles Jahrzehnt, hält sich Tu Fu dann aufs neue in der Hauptstadt auf, immer damit beschäftigt, sich durch das Knüpfen von Beziehungen vielleicht doch noch den Weg zu einer Anstellung zu öffnen. In dieser Zeit, wir wissen nicht, wann, muß er geheiratet haben. 751 greift er zu dem Mittel, drei Eingaben in Form von Prosadichtungen (Fu 賦) an eine Art kaiserlichen Sonderbriefkasten für übersehene Talente zu richten, findet gnädige Aufnahme und erhält Bescheid, auf die Zuteilung einer Stelle zu warten. Tu Fu wartet vier Jahre, dann (755) wird ihm endlich ein niedriges und rein dekoratives Amt im Gefolge des Kronprinzen zugewiesen. Noch bevor er freilich diese erste Stelle seines Lebens antreten kann, bricht der Aufstand der Militärgouverneure aus.

Für Tu Fu's Leben bedeutete die Rebellion, wie bereits angedeutet, einen entscheidenden Einschnitt. Zunächst, nach Überwindung der Gefahr und der Trennung von der Familie, mit durchaus hoffnungsvollen Perspektiven: nachdem er den Hof des neuen Kaisers erreicht hat, erhält er als Lohn für seine Loyalität den respektablen Posten eines Shih-i(拾遺)oder "Aufgreifers der Unterlassungen", sprich eines Beamten, der den Kaiser an "versäumte Pflichten zu erinnern" hat. Nach der Rückeroberung von Ch'ang-an und der Rückkehr des Hofes darf er das Amt auch in der Hauptstadt ausüben: vielleicht die glücklichste Zeit seines Lebens. Es braucht kaum betont zu werden, daß eine solche Tätigkeit vor allem zeremoniellen Charakter hat; nicht jedoch für Tu Fu, von dem wir wissen, daß er seine Aufgabe, den Kaiser zu ermahnen, ausgesprochen ernst nimmt und sich dabei mehrfach den Zorn des Allerhöchsten Herrn zuzieht. Von dem Ernst, mit dem er seinen Posten ausfüllt, spricht auch das in jener Zeit entstandene Gedicht "Frühlingsnacht in der Kaiserlichen Kanzlei"(春宿左省). Es zeigt den Dichter, die verschiedenen Stadien der Nacht in seinen Amtsräumen mit der Abfassung einer Eingabe verbringend, in ungeduldiger Erwartung des Morgens; schon glaubt er in seiner Imagination die Beamten zur Frühaudienz einreiten und sich die Schlüssel in den Schlössern drehen zu hören. Es ist sehr verschieden von den tragischen, bitteren und realistischen Dichtungen über die politischen Ereignisse, die doch fast zur gleichen Zeit geschrieben wurden; obgleich ein "privat" entstandenes Gedicht, leben in ihm Geist und Tradition der älteren Hofdichtung fort:

Verborgen von Blüten, der Wall des Palastes am Abend.
Chiu-chiu: Schreie der Vögel, die nestwärts vorüberziehn.
Funkelnde Sterne blicken herab auf die zehntausend Tore;
Stärker werdendes Mondlicht naht sich dem neunfachen Himmel.
Schlaflos, höre ich schon die goldenen Schlüssel der Tore,
Halte den Wind für der Pferde Jadegeläut.
Morgen früh ist Versiegeltes zu überreichen.
Immer wieder frag' ich: wie weit ist die Nacht?


Nicht so sehr Tu Fu 's respektloser Pflichteifer als vielmehr Säuberungen nach dem Sturz eines hochgestellten Gönners führen jedoch schon nach kurzer Zeit dazu, daß Tu Fu seine Stellung wieder verliert. 758 wird er auf einen kleinen Provinzposten abgeschoben, der ihm unerträglich erschienen sein muß: bereits im folgenden Jahr gibt er dieses Amt wieder auf. Von einer vorübergehenden Ausnahme abgesehen, wird Tu Fu von nun an nie mehr eine Stelle bekleiden. Zugleich wird in diesem letzten Jahrzehnt seines Lebens, unter drückenden materiellen Verhältnissen, der allergrößte Teil (genauer: fünf Sechstel) der nicht ganz 1500 erhaltenen Gedichte des Autors entstehen.

Es ist bereits gesagt worden, daß die chinesische Gesellschaft für einen Mann aus Tu Fu 's Klasse lediglich zwei Alternativen vorsah: entweder das Staatsbeamtentum oder aber den "Rückzug aus der Welt", der in der Regel ein komfortables Leben auf den eigenen Ländereien meinte. Der Entschluß des Dichters, der über keine derartigen Ressourcen verfügte, aus dem Staatsdienst auszuscheiden und sich nicht mehr um ein weiteres Amt zu bemühen, hat daher etwas ungewöhnlich Dramatisches, auch wenn man ihm keineswegs die Entscheidung zu einer Existenz als "freier Schriftsteller" im modernen Sinne unterstellen kann: die "Freiheit", in die er sich nun (zusammen mit seiner wohl schon umfangreichen Familie) begibt, ist von höchst ungewisser und bedrohlicher Art. Vor einem solchen Hintergrund entsteht Tu Fu's Spätwerk, ein selbst in der so fruchtbaren T'ang-Dichtung einzigartiger literarischer Komplex, einzigartig sowohl in seiner Vielfalt der dichterischen Themen wie auch in der der Ausdrucksformen und poetischen Neuerungen.

Aus uns unbekannten Gründen begibt sich die Familie zunächst nach Ch'in-chou, einen abgelegenen, halbwilden Ort in der nordwestlichen Grenzregion. Der Aufenthalt währt weniger als zwei Monate, ist aber dichterisch ausgesprochen fruchtbar; vor allem den dort entstandenen Landschaftsgedichten scheint die Ödnis der Gegend oft einen neuen, düsteren und kraftvollen Ton zu verleihen:

Ein klarer Herbst: kein Blick an seine Grenzen.
In Weiten hebt sich Dunkel, Schicht um Schicht.
Die fernen Wasser rein, eins mit dem Himmel,
Einsame Festung, tief verhüllt in Dunst.
Schütteres Laub: der Wind reißt mehr noch nieder;
Die Bergefern, da die Sonne sinken will.
Einsamer Kranich: wie spät kehrt er wieder!
Krähen der Dämmerung füllen schon den Wald.


Von Ch'in-chou aus begibt sich die Familie nach Ch'eng-tu, der alten Metropole von Szu-ch'uan. Da kurz darauf ein alter Freund Tu Fu's Militärgouverneur von Ch'eng-tu wird, den Dichter unter seine Protektion nimmt und ihm später auch das (gewiß eher nominelle) Amt eines Militärberaters überträgt, erstreckt sich die Zeit, die er in der Stadt verbringt, über fünf Jahre, die zu den unbeschwertesten in seinem Leben zählen. Tu Fu baut sich dort seine berühmte "Grashütte" (ts'ao-t'ang 草堂), deren Schicksale er von Baubeginn an in zahlreichen Gedichten festhält, er versucht sich in Gemüseanbau und Hühnerzucht. Die Zeit in Ch'eng-tu endet, als sein Gönner stirbt und sich die Familie erneut auf Wanderschaft begibt.

Der Weg führt sie nunmehr den Yang-tzu abwärts; unter den Aufenthalten, die sich anschließen, ist der längste der in der Stadt K'uei-chou im Grenzgebiet zwischen den heutigen Provinzen Szu-ch'uan und Hu-nan, wo Tu Fu, wiederum unter der Protektion eines lokalen Beamten, die Jahre von 766 bis 768 verbringt. Unmittelbar an den drei Yangtzu-Schluchten gelegen, bis heute eines der berühmtesten Naturwunder Chinas, muß dieser Ort "am Rande der Welt" einen tiefen Eindruck auf den Dichter ausgeübt haben: die düstere Großartigkeit seiner Landschaft ist in fast jedem der dort entstandenen Gedichte gegenwärtig. Es ist die dichterisch reichste Zeit in Tu Fu's Leben; ein Viertel seines Gesamtwerks entsteht allein in diesen zwei Jahren. Eines der berühmtesten und zugleich charakteristischsten Gedichte aus der K'uei-chou-Periode ist die "Nacht auf dem Turmhaus"(閣夜); gemeint ist ein altes Turmgebäude, das Tu Fu vom lokalen Präfekten als Wohnsitz zur Verfügung gestellt worden war und das immer wieder in seinen Gedichten auftaucht. Die nächtliche Landschaft der winterlichen Yang-tzu-Schluchten schildernd, geht es doch zugleich weit über ein traditionelles Naturgedicht hinaus; die dargestellten Natureindrücke, seltsam inkohärente Bilder von ominöser Gewalt, werden zu symbolischen Chiffren, die den Blick auf kosmische Abläufe (Yin und Yang und ihre Rolle im Jahreslauf), auf Geschichtliches ("Schlafender Drache" und "Springendes Pferd" in der vorletzten Zeile sind zwei mit K'uei-chou verbundene Gestalten der Historie), aber auch auf die gegenwärtige politische Situation und auf die persönliche Lage des Dichters freigeben:

Am Ende des Jahres eilen Yin und Yang das Licht des Tages zu kürzen.
Am Rande der Welt sind Frost und Schnee klar in der kalten Nacht.
In der fünften Stunde Trommeln und Hörner - Klänge, trauervoll, machtvoll;
In den drei Schluchten der Sternenstrom - zitternde, schwankende Spiegelungen.
Aus wieviel Häusern ist wildes Jammern zu hören um Feldzüge, Schlachten!
Überall steigen Barbarengesänge auf unter Holzfällern, Fischern.
Schlafender Drache, springendes Pferd  wurden längst schon zu braunem Staub,
Und Briefund Nachricht von Menschendingen verliert sich in endloser Öde.


Dem Aufenthalt in K'uei-chou folgt ein erneutes unstetes Wanderleben, diesmal zu Schiff, das den Dichter mit seiner Familie den Yang-tzu abwärts bis zu der Region der großen Seen um den berühmten Tung-t'ing-See führt. In dieser Gegend der unendlich weiten Wasserflächen, deren fast unirdischen Charakter er in einer berühmten Gedichtstelle in kosmischen Begriffen schildert, hat Tu Fu schließlich die letzten Monate seines Lebens verbracht:

Schon lange habe ich vom Tung-t'ing-See gehört;
Nun endlich steige ich den Yüeh-yang-Turm hinauf.
Hier scheiden Wu und Ch'u sich, Ost und Süd;
Himmel und Erde treiben Tag und Nacht dahin. (...)


Blickt man von hier aus zurück auf das Werk des Dichters und zumal auf sein in den Jahren nach 758/59 entstandenes Spätwerk, so ist zu fragen, worin nun dessen so oft apostrophierte Bedeutung und nachhaltige Wirkung auf kommende Generationen beruht. Sie liegt, denke ich, auf verschiedenen Ebenen, von denen nicht alle gleichermaßen unmittelbar einzusehen und zu erklären sind. Zunächst einmal (wie bereits mehrfach betont wurde) besteht sie in einer für die chinesische Dichtung bisher unerhörten Ausweitung des thematischen Materials, dessen, was "würdig" ist, in ein Gedicht aufgenommen zu werden. Bei Tu Fu will es scheinen, als habe er in seinen letzten Jahren mit einer geradezu manischen Beobachtungs- und Ausdrucksbesessenheit nahezu alles, was in sein Wahrnehmungsfeld trat, in Dichtung zu verwandeln versucht: das reicht von Landschafts- und Reiseeindrücken (die Stationen der letzten Reisen sind Ort für Ort und manchmal Tag für Tag dokumentiert) über fast alle Nuancen der Witterung und der Tageszeiten, über die großen "menschlichen" Themen wie Freundschaft und Familie und die desolate, von fortdauernden Kämpfen gekennzeichnete Lage des Landes bis hin zu den alleralltäglichsten, zuvor wohl kaum je in ein chinesisches Gedicht aufgenommenen Gegenständen: zeugten bereits manche autobiographischen und sozialkritischen Verse des Dichters aus der Zeit vor und während der Rebellion von ungewöhnlichem Realismus, so können nun der Bau einer Hütte, das Legen einer Wasserleitung, das pflanzen von Gemüse, ja selbst Kochrezepte zum Stoff dichterischer Ausformung werden.

Ein weiterer Grund für die außerordentliche Wirkung Tu Fu's ist auf der formalen Ebene seiner Dichtung zu suchen. Tu Fu gilt als der Vollender des sogenannten "Regelgedichts" (Lü-shih 律詩), einer Gedichtform, in der sowohl Reim und Zeilen- und Silbenzahl (acht Zeilen zu je fünf oder sieben Silben) als auch einzelne Worttöne und die Abfolge parallel gebauter oder nicht parallel gebauter Zeilenpaare genauen Vorschriften unterworfen sind (Beispiele dafür sind etwa die oben zitierten Gedichte "Blick in den Frühling" und "Frühlingsnacht in der Kaiserlichen Kanzlei"). Diese vielleicht strengste lyrische Form, die je entwickelt wurde, entstand gegen Ende des 7. Jahrhunderts und wurde seit dem 8. Jahrhundert zum klassischen chinesischen Gedichttypus schlechthin; es ist bezeichnend, daß Tu Fu gerade in ihr, in der höchsten Beschränkung, die größte Freiheit und Kühnheit des Ausdrucks erreicht hat.

Ähnliches gilt für den Bereich des Stils und des poetischen Vokabulars. Ein späterer Dichter hat über Tu Fu (gewiß mit Übertreibung, aber doch auch nicht ganz ohne Grund) geäußert, es gebe kein Wort in seinen Gedichten, das nicht Zitat sei. Das dürfte eher bewundernd als kritisch gemeint sein, gehört doch in China das Zitieren früherer Dichtung oder klassischer philosophischer und historischer Texte zu den altehrwürdigsten dichterischen Mitteln. In vielen von Tu Fu's Gedichten ist in der Tat das Zitat- und Anspielungsgewebe so dicht geknüpft, daß sich hinter den reinen Worten eine ganze Reihe immer tieferer Bedeutungsschichten auftun können, andererseits aber der Ausdruck eine solche Knappheit und Dichte erhält, daß jede Übersetzerkunst vor ihm versagt und lediglich umfangreiche Kommentare und Paraphrasen etwas von seinem Inhalt vermitteln könnten.

Hinzu kommt, daß Tu Fu, sieht man davon ab, daß er selbst ein unermüdlicher Erfinder neuer und überraschender Wendungen war, sein stilistische Material aus den unterschiedlichsten Quellen schöpft: neben den anerkannten poetischen Konventionen seiner Zeit sind das beispielsweise Elemente archaischer Dichtung, abstrakt-philosophisches und, vor allem, kosmologisches Vokabular, aber auch stilistische und poetische Mittel aus der höfischen Dichtung der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts, die zu Tu Fu's Zeit längst als hoffnungslos veraltet galt, deren kunstvoll-elegante und höchst komplizierte Schreibweise auf den Dichter jedoch einen starken Einfluß ausgeübt hat. Was somit entsteht, ist ein stilistisch vielstimmiges Gebilde, das man vielleicht am ehesten damit vergleichen könnte, wie die Musik Bachs die unterschiedlichsten musikalischen Idiome, höfische und "private", moderne und scheinbar völlig veraltete, aufgenommen und weitergebildet hat.

Aus alledem wird deutlich, daß jeder Versuch, Tu Fu's Dichtung adäquat in eine andere Sprache umzusetzen, von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Weder die Knappheit und Wucht ihrer Diktion noch die Vielfalt der Bedeutungsschichten und Assoziationsfelder, die darin oft jedem einzelnen Zeichen eigen sind, kann auf dem Wege der Übersetzung wiedergegeben werden; unter den ohnehin schwer zu übertragenden chinesischen Dichtern ist Tu Fu mit Sicherheit der am wenigsten übersetzbare (und auch die oben angeführten Wiedergaben meist weniger komplizierter Gedichte können wenig mehr als ein ungefähre Bild von ihrem Original vermitteln). Wenn wir un also fragen, weshalb Tu Fu im Bewußtsein des Westens immer im Schatten anderer Dichter gestanden hat, so ist hierin der wohl wesentlichste Grund dafür zu suchen.

Heißt das also, daß Tu Fu's Gedichte dem modernen (vor allem westlichen) Leser nichts zu sagen vermögen, daß sie ein hermetischer Code bleiben, den Eingeweihten und den Gelehrten vorbehalten? Sicherlich nicht, denn sie besitzen, wie ich meine, noch weit umfassendere Qualitäten, die jedem Leser zugänglich sind. Tu Fu's oben angesprochener Realismus gehört dazu, und er verdient um so mehr unser Interesse, als daraus immer die eigenartig grüblerische Persönlichkeit des Dichters spricht, seine tiefe, sich zuweilen in krasser Sozialkritik äußernde Menschlichkeit und eine Sicht auf die Welt und die Dinge, die ihn oft zu radikal pessimistischen Schlüssen kommen läßt. Ein wenig bekanntes Gedicht aus einer Serie, die sich ausgerechnet mit dem Thema der Hühnerzucht befaßt, macht deutlich, daß für diesen Dichter der banalste Gegenstand nur einen Schritt von den tiefsten Fragen entfernt war. Es läßt zugleich ahnen (wie an anderen Beispielen noch deutlicher zu sehen wäre), daß ihm die traditionelle konfuzianische Weitsicht dort, wo existentielle Sinnfragen gestellt werden, keinen Halt mehr bieten konnte:

Mein kleiner Diener bindet Hühner, sie auf dem Markt zu verkaufen.
Die Hühner, vom Fesseln und Binden erschreckt, wehren sich, zappeln und schreien.
Meine Familie haßt es, wenn die Hühner die Ameisen fressen;
Niemand denkt daran, daß man die Hühner nach dem Verkauf auch schlachtet und kocht.
Ameisen, Hühner - wie kann der Mensch zwischen ihnen Partei ergreifen?
Ich befehle dem Diener, den Hühnern die Fesseln wieder zu lösen.
Im Streit um Hühner und Ameisen kann es kein Ende geben.
Den Blick aufden kalten Strom gerichtet, lehn' ich am Bergpavillon.


Auch in anderer Hinsicht finden wir in Tu Fu's Dichtung immer wieder ein Auseinanderbrechen des Feststehenden und Gesicherten, zumal in einem späteren Werk: nur zu häufig bemerkt man darin - ein völliger Kontrast zu den dichterischen Idealen seiner Zeit - eine vollkommene Zersplitterung der dargestellten Wirklichkeitseindrücke, die durchsetzt werden mit disparatesten Elementen. Da oben zitierte Gedicht "Nacht auf dem Turmhaus", das zwar von Natureindrücken ausgeht, aber alles andere als eine kohärente poetische "Szenerie" zu schaffen versucht, ist ein Beispiel dafüir. Man geht vielleicht nicht zu weit, wenn man darin einen Widerhall der politischen Ereignisse der Zeit sieht, genauer: der An Lu-shan-Rebellion und der auf sie folgenden Kämpfe und Aufstände, die das sichere Weltbild einer ganzen Epoche zusammenbrechen ließen und die in Tu Fu einen ihrer persönlichsten und sensibelsten Chronisten gefunden haben.

Die offizielle Tu Fu-Biographie in den "Älteren T'ang-Annalen" berichtet über den Tod des Dichters folgendes: Tu Fu sei während eines Hochwassers auf dem Dach seines Hauses von den Fluten eingeschlossen worden und habe dort mehrere Tage ohne Nahrung und Wasser verbracht. Nachdem er endlich von dort gerettet worden war, habe der lokale Präfekt ihm aus Freude über seine Rettung ein Bankett gegeben, in dessen Folge der Dichter an zu raschem und übermäßigem Essens- und Weingenuß gestorben sei. Diese der Tragikomik nicht entbehrende Geschichte hat seither, in mannigfacher Ausschmückung, Eingang in die verschiedensten Quellen gefunden. Sie ist gleichwohl falsch und, wie man nachgewiesen hat, der fehlerhaften Lesung eines seiner Gedichte entsprungen. Sicher wissen wir nur, daß Tu Fu gegen Ende des Jahres 770 gestorben sein muß, wo genau und unter welchen Umständen, ist unbekannt. Eines seiner spätesten Gedichte, auf einer der unsteten Schiffsreisen seiner letzten Lebensperiode entstanden, zieht gleichsam eine - an radikaler Negativität kaum zu überbietende - Bilanz seines Lebens und Schaffens:

Dünn sind die Gräser im leichten Wind dort am Ufer;
Hoch ragt der Mast: in einsamer Nacht treibt mein Boot.
Endlos die wilde Ebene unter den Sternen.
Der Mond schäumt auf aus der Flut.
Der Große Strom fließt dahin.
Ruhm - wie könnt' ich ihn je noch mit meinen Schriften erwerben?
Ein Amt - mir Altem, Kranken ist es längst versagt.
Endlos umhergetrieben, womit bin ich zu vergleichen?
Einer einsamen Sandmöwe nur zwischen Himmel und Erde!


Zumindest was seinen Nachruhm betrifft, sollte sich Tu Fu mit seiner Einschätzung letztlich - und gründlich -geirrt haben. Zu seinen Lebzeiten nur einem engen Kreis von Freunden bekannt, gewannen seine Gedichte nach seinem Tod eine rasch zunehmende Verbreitung. Den eigentlichen Grundstein für seinen Ruhm legte um 800 der Literat und Dichter Yüan Chen(元稹), indem er ihm eine verehrungsvolle Grabschrift widmete, und endgültig als Dichterfürst kanonisiert wurde er im 12. Jahrhundert durch Yen Yü(嚴羽), Autor einer der maßgeblichen chinesischen Poetiken, der Li Po und Tu Fu einander als die beiden größten Dichter der T'ang-Zeit wie überhaupt der ganzen chinesischen Dichtung schlechthin gegenüberstellte. Seither hat sich eine legendenumrankte Vorstellung von den beiden Poeten als einer Art antipodischen Dichterpaars entwickelt, in der Li Po nicht zu Unrecht den Part des frei schweifenden Taoisten übernommen hat, Tu Fu aber den eines strengen und loyalen Konfuzianers - einer der wesentlichen Gründe für die große Wertschätzung, derer er sich bei der traditionellen Kritik erfreut (in Wahrheit hat Tu Fu, wie wir gesehen haben, mehrfach seine Zweifel am konfuzianischen Weltbild angemeldet und zeigt gelegentlich durchaus auch buddhistische Einflüsse).

Tu Fu's Ruhm und Wirkung hat bis auf den heutigen Tag angehalten, nicht zuletzt gespiegelt in der Tatsache, daß zahllose Generationen von Kommentatoren das Werk des Dichters im Laufe der Jahrhunderte mit einem Wald von Noten und Kommentaren umgeben haben und die chinesische und japanische Literatur zur neueren Tu Fu-Forschung wohl bald Bibliotheksstärke erreicht haben dürfte. Und wenn die Wirkung eines Dichters ein nicht geringes Maß für seine Größe ist (wenn nicht gar mit dieser Größe identisch), dann kann man dem zustimmen, was der amerikanische Sinologe Stephen Owen über Tu Fu geschrieben hat: "Tu Fu ist der größte chinesische Dichter. Seine Größe beruht auf dem Konsens von Lesern aus mehr als einem Jahrtausend und einer seltenen Koinzidenz chinesischer und westlicher literarischer Werte. Innerhalb der chinesischen poetischen Tradition entzieht sich Tu Fu fast jeder Beurteilung, weil (...) seine literarische Leistung selbst ein wichtiger Bestandteil in der historischen Formierung literarischer Werte geworden ist. Die spezifische Natur von Tu Fu's Größe liegt jenseits des begrenzten Rahmens der Literaturgeschichte."

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