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01.01.1991
Dem Nachwuchs bereits im Kindesalter den konstruktiven Austausch von Ansichten und Argumenten beibringen: ein Kinderprogramm im Fernsehen.
Hochwertige Programme für Kinder lassen die Eltern zweimal überlegen, bevor sie die Röhre abstellen.

"Uniformen erzeugen ein Gefühl des Schulstolzes. Sie lassen uns sauber und adrett aussehen. Wenn alle Schüler Uniformen tragen würden, könnten die Kinder reicher Eltern nicht so herausstechen und ärmere Kinder würden sich nicht wegen ihrer Kleidung schämen. Wenn man Uniformen trägt, braucht man nicht lange zu überlegen, was man anziehen soll. Außerdem ist es einfacher, den Rest der Gruppe zufinden, wenn man einen Ausflug macht."

"Aber der Trend geht heute in Richtung gesellschaftliche Vielfalt. Junge Leute lernen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen und ihre individualität zum Ausdruck zu bringen. Wenn man sie ihre eigene Kleidung für die Schule wählen läßt, trägt das dazu bei, sie zu Unabhängigkeit und gutem Geschmack zu erziehen. Es gibt keinen großen Unterschied zwischen Reichen und Armen mehr; insgesamt ist der Lebensstandard gestiegen. Und sieht es nicht langweilig aus, wenn alle das Gleiche anhaben?"


Eine Sitzung des Schulrates? Eine Versammlung des Elternbeirates? Falsch, es handelt sich um zwei Teams von Sechstkläßlern, die ihre Urteilsfähigkeit in "Laßt uns vernünftig sein"(理尚往來), einem neuen Kinderprogramm des Fernsehens, zur Schau stellen. Das Programm, das von Chinese Television System (CTS) im Mai 1990 gestartet wurde, ist eines der vielen neuen Versuche, die Qualität des Kinderfernsehens zu verbessern. Der Name des Programms ist eine Abwandlung der chinesischen Redensart Li-shang-wang-lai(禮尚往來), was soviel wie "Höflichkeit bringt Höflichkeit hervor" bedeutet. Das Zeichen für "Höflichkeit", Li"(禮), wurde jedoch durch das homophone Li(理), das Vernunft bedeutet, ersetzt, um zu betonen, wie wichtig es ist, vernünftig miteinander umzugehen, wenn es aus ist mit der Höflichkeit.

Den unmittelbaren Anstoß zu dieser unkonventionellen Show, so sagt Alex Wu(吳錡), Direktor der Fernsehproduktion von Heavenly Melody Video, ist der unkontrollierte Mangel an "Vernunft", den politische Parteien im vergangenen Jahr besonders im Legislativ-Yüan der Republik China an den Tag legten. Kinder wurden mit Fernseh- und Zeitungsausschnitten eines Gesetzgebungsstils in Wildwest-Manier konfrontiert, wo Abgeordnete oft mit den Fausten ihren Ansichten Nachdruck verliehen. Besorgte Erwachsene fragen sich, welchen Eindruck ein solcher Regierungsstil auf die Kinder macht. Um den Kindern einen anderen Diskussionsstil beizubringen, bei dem eher der Kopf als die Fauste benutzt würden, dachte sich Wu, daß eine Gelegenheit zum Debattieren im Kinderprogramm helfen könnte, den Entscheidungsträgern von morgen konstruktivere Mittel beizubringen, einen Entschluß zu treffen.

"Laßt uns vernünftig sein" wird jeden Dienstag um sechs Uhr abends ausgestrahlt und stellt zwei Kindermannschaften aus verschiedenen Schulen vor, die ihre gegensätzlichen Meinungen vortragen und sie gemäß den üblichen Regeln einer Debatte verteidigen. Zielgruppe der Sendung sind Kinder zwischen elf und zwölf. Das Programm beginnt mit einführenden Sequenzen, die auf den Schulhöfen der gegnerischen Grundschulen gedreht wurden, und diese Idee hat begeisterten Beifall der Schüler gefunden, denen es gefällt, wenn sie ihre Schule im Fernsehen sehen können. Danach werden die Mannschaften und die Zuschauer in kurzen, aber lebhaften Szenen mit den Pros und Contras des aktuellen Diskussionsthemas vertraut gemacht. In der Diskussion über Uniformen beispielsweise wurde in einer Szene gezeigt, wie ein Mädchen versucht, seine Schulgarderobe zusammenzustellen. Sie probiert verschiedene Kleider an, schüttelt dann jedesmal ihren Kopf und legt das Kleid beiseite.

Schließlich beginnt die Diskussion. Aber an der schnellen Reaktion der Kinder und ihrer auswendiggelernten Beredtheit kann man deutlich sehen, daß die Show sorgfältig geprobt wurde, bevor man sie aufzeichnete. Trotzdem ist es für ein Kind nicht einfach, das ganze vor den Lichtern, den Kameras und einer anspruchsvollen Jury, zu der Lehrer und Abgeordnete des Legislativ-Yüans gehören, zu bewältigen. Showmaster Kou Shao-en(寇紹恩)erklärt, daß man von den Kindern nicht erwarten kann, sofort über etwas Bescheid zu wissen, mit dem sie sich vor der Debatte kaum je beschäftigt hatten.

Die Mannschaften stehen sich in hellen und bunten Dekorationen gegenüber, wobei der Moderator seinen Platz zwischen ihnen hat. Die Sendung bringt den Kleinen bei, sich an die Regeln zu halten. Wenn der Summer ertönt, muß der Vortragende innehalten, selbst wenn er seinen Satz noch nicht zu Ende gebracht hat. Wu sagt, daß die Produzenten hoffen, durch das Programm einiges bewegen zu können. "Wir hoffen, daß Kinder die Erwachsenen daran erinnern können, wie wichtig es ist, sich an die Regeln und Gesetze zu halten", sagt er.

"Laßt uns vernünftig sein" ersetzte "Meine Zukunft ist kein Traum", eine andere hervorragende Sendung, die auch von Wu und seinem Team produziert worden war. Obwohl die lebhafte, "schnelle" Sendung eine Fülle von Informationen über eine Vielzahl von Themen bot, von der Zuckerernte bis zu den Schwierigkeiten geistig behinderter Kinder, wurde sie von der Fernsehanstalt vom Programm gestrichen.

Solche Streichungen kommen häufig genug vor, um als Anzeichen für einen allgemeinen Trend im Kinderfernsehen Taiwans gelten zu können: ungeachtet der Einschaltquoten wechseln die Fernsehstationen häufig das Kinderprogramm, um Platz für etwas Neues zu schaffen.

Kou war enttäuscht über die Absetzung von "Meine Zukunft", weil seine Gesellschaft sehr viel Zeit und Kreativität in das Programm investiert hatte. "Aber jetzt", sagt er, "bieten andere Sendungen denselben Inhalt in derselben Form. Das ist in Ordnung, solange überhaupt jemand so etwas macht. Was die Kinder brauchen, ist Abwechslung, und vielleicht ist dies eine Möglichkeit, das zu erreichen."

Kurzlebige Programmpolitik bei Kindersendungen hat zwei Begleiterscheinungen. Erstens gibt es wenig Programme wie "Sesamstraße", mit denen die Kinder aufwachsen und die sie später mit tiefgehenden Erinnerungen wieder anschauen können. Zweitens können die Programme sich kein Stammpublikum unter den Kindern schaffen, wenn sie nach einer oder zwei Fernsehsaisons wieder aus dem Programm genommen werden. Eine Umfrage, die die Autorin unter 47 Drittkläßlern und 42 Fünftkläßlern durchgeführt hat, ergab, daß eine große Zahl der Kinder einige der besten - und dazu noch unterhaltsamen - Programme mit pädagogischer Zielsetzung nicht einmal dem Namen nach kennt.

Kindersendungen machen 9% der gesamten Sendezeit des Fernsehens aus, und die meisten von ihnen haben einen pädagogischen Hintergrund. Die Vorstellung, daß Kunst und Unterhaltung für Kinder (und Erwachsene) lehrreich sein sollen, existierte schon vor Konfuzius. Die meisten traditionellen chinesischen Märchen, Puppentheaterstücke und Kinderlieder wollen den Kleinen beibringen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und - selbstverständlich - das erstere zu wählen. In Übereinstimmung mit der Tradition schreiben die Richtlinien des Informationsamtes der Regierung der Republik China vor, daß Kindersendungen der "geistigen und körperlichen Gesundheit der Kinder zuträglich" sein sollen. Diese Neigung, in jeder Geschichte eine Moral unterzubringen, wird im allgemeinen als eine positive Sache angesehen, obwohl viele Eltern vielleicht der jungen chinesischen Mutter zustimmen, die sich daran erinnert, wie sehr sie Mickymaus mochte, weil er "nie versucht, einem etwas beizubringen."

Einen bedeutenden Beitrag zu dieser Vielzahl von anregenden und neuartigen Kinderprogrammen, die es heute gibt, hat Chang Ping(張平)von der Radio- und Fernsehabteilung des Informationsamtes der Regierung geleistet. Als er bemerkte, daß Zeichentrickfilme die einzigen fur Kinder gedachten Sendungen waren, setzte er eine neue Vorschrift durch, die von jeder Fernsehstation verlangt, selbst Kinderprogramme zu produzieren und mindestens eine Kindersendung zweimal in der Woche auszustrahlen. Diese Vorschrift ist immer noch verbindlich und hat einige idealistische und engagierte Produzenten dazu angeregt, Kinderprogramme zu machen, die sowohl unterhaltend sind als auch intellektuelle Anregungen bieten.

Eines dieser Programme ist "Die Welt der Wissenschaft", das insofern eine Ausnahme darstellt, als es bereits seit über zehn Jahren über den Äther geht. Es gehört zu den Sendungen, die am meisten Anerkennung finden. Wie bei "Laßt uns vernünftig sein" gehören Kinder ab der dritten Klasse zur Zielgruppe der Sendung. Im taiwanesischen Fernsehen werden zwar häufig ausländische Sendungen über die Natur ausgestrahlt, aber sie berücksichtigen nicht das Leben wilder Tiere auf Taiwan selbst. Um diesem Mangel abzuhelfen, hat sich die Min Sheng Bao, eine der wenigen Tageszeitungen mit einem täglich erscheinenden Teil für Kinder, dazu entschlossen, den Schritt hin zum Fernsehen zu machen und in Zusammenarbeit mit China Television Co. (CTV) "Die Welt der Wissenschaft" zu produzieren.

Shen Ying-chien(沈應堅), der Produzent und Erfinder der Sendung, zieht für jedes Gebiet, das in den technisch aufwendigen Sendungen behandelt wird, vom Leben der Meerestiere bis hin zu Pflanzen, die nur sehr selten blühen, Gelehrte, Wissenschaftler und andere Experten zu Rate. Shen sagt, daß er ein untrügliches Gespür dafür entwickelt hat, wonach er suchen muß und wo man es finden kann, obwohl er einräumt, daß ihm keine so ausgefeilten Aufzeichnungseinrichtungen zur Verfügung stehen wie in anderen Ländern. Die Qualität der Sendungen ist trotzdem gut. "Wir haben unsere eigenen Methoden", sagt Shen.

Einen weiteren Anreiz für bessere Kindersendungen war die Gründung und Entwicklung des Öffentlichen Chinesischen Fernsehen (Chinese Public Television, CPTV), das die Aufträge für die Herstellung von Kinderprogrammen vergibt und die fertigen Programme den drei kommerziellen Fernsehstationen zur Sendung anbietet. Zur Zeit hat das CPTV acht Kindersendungen im Programm, und wie bei anderen öffentlichen Fernsehprogrammen wurden die Sendezeiten auf 18.00, 21.00 und 23.00 festgesetzt. Die späten Sendezeiten sind ein Schlag gegen diese Programme, weil viele ihrer jungen Zuschauer schon ins Bett geschickt wurden. Aber gesicherte Finanzen gewährleisten das Überleben dieser Programme. Jede Serie wird mit einem Budget von 7200 US$ pro Folge ausgestattet. Über hundert Produktionsgesellschaften entstanden nach der Gründung der CPTV, um sich ihren Teil vom Kuchen abzuschneiden.

Obwohl das CPTV unter vielen Beschränkungen arbeitet - so hat es zum Beispiel keine eigene Fernsehstation und keine eigenen Programmacher - kann es doch als ein echter Erfolg besonders bei Kindersendungen betrachtet werden. Katie Fang(方乃倫), die Verantwortliche für Kinderprogramme des CPTV, sagt, daß Kinderprogramme pädagogisch sein sollen, ohne zu predigen oder zu propagieren. In dieser Hinsicht hat das CPTV einen großen Beitrag zur Vielfalt der Programme für Kinder geleistet und kommerzielle Fernsehkanäle angeregt, mit neuen Programmen zu experimentieren und mehr Wert auf ihren Inhalt zu legen.

Viele der beeindruckendsten Kinderprogramme sind von der CTS-Produzentin Tang Tai-ling(唐台齡)hergestellt worden, die in den über zehn Jahren, die sie Kinderprogramme gestaltet, mit fünf "Goldenen Glocken" ausgezeichnet worden ist. Zu den prämierten Programmen gehören "Unterschätz' mich nicht", eine kreative und künstlerische Expedition durch die Welt der alltäglichen Dinge, wie zum Beispiel Bambus oder Kerzen, und "Zauberfinger" , ein Varieté für Kinder. Tang sagt, daß sie die Art, wie in den USA Kinderprogramme gemacht werden, bewundert und viel Zeit damit verbracht hat, auf ihren Reisen nach Amerika den "Fernsehworkshop für Kinder", Fred Rogers in "Mister Rogers' Nachbarschaft" und andere Sendungen zu studieren.

In einer von der "Sesamstraße" beeinflußten Sendung lernen Kinder eine Vielzahl von leicht verwechselbaren chinesischen Schriftzeichen.

Der Einfluß solcher Programme wie "Sesamstraße" und ,,3-2-1 Kontakt" wird in den Produktionen Tang Tai-ling's deutlich. Die Charaktere ihrer Puppen würden gut zu den "Muppets" passen. Sie hat den Geist und die Machart guter amerikanischer Kindersendungen auf kreative Weise bei ihrer Arbeit an den Programmen übernommen, die sowohl ganz von Chinesen hergestellt als auch durch und durch chinesisch sind. In ihrer Sendung ,,72 Verwandlungen" beispielsweise (der Titel ist eine Anspielung auf die 72 Verwandlungen, deren der Affenkönig Sun Wu-kung in der klassischen chinesischen Erzählung "Reise in den Westen" fähig ist) erscheinen vier gleich aussehende lebende Schriftzeichen und singen "Welches ist Tu (die Erde)?" Der Stil erinnert stark an die in der "Sesamstraße" verwendete Methode, das Unterscheiden zwischen Gegenständen zu lehren. Aber der musikalische Cartoon von Tang Tai-ling geht weiter. Er lehrt die Kinder die Aussprache der vier Zeichen, ihre Bedeutung und die feinen Unterschiede zwischen ihren verschiedenen Schreibformen, in diesem Fall ein längerer oder kürzerer Grundstrich.

"Die Welt der Kindergeschichten", die von CTV selbst hergestellt wird, ist ein weiteres Programm, das auf die traditionelle chinesische Kultur zurückgreift; das Resultat kann sich sehen lassen. Jede Sendung beginnt damit, daß ein Großvater seinen zwei Enkeln eine Geschichte aus dem reichen Schatz von Chinas Mythen, Legenden und historischen Ereignissen erzählt. Die Geschichte wird dann von Schauspielern in realistischen historischen Kostümen und den passenden Requisiten gespielt. Ähnliche Sendungen gibt es samstags am frühen Nachmittag: "Chinesische Volkserzählungen" und "Onkel Sun erzählt Geschichten", eine Produktion von CPTV.

Die Serien mit chinesischen Volkserzählungen sind bei den Kindern äußerst beliebt, und am Ende jeder Geschichte mit Onkel Sun gibt der Leiter der Sendung, Sun Yueh, dem Ganzen noch eine ganz spezielle Wendung: er gibt die Nummer eines Postfaches an, an das die Kinder ihre Kommentare und Fragen schicken oder in persönlichen Angelegenheiten um Rat fragen können. Jedes Kind, das einen Brief schreibt, erhält als Antwort einen persönlichen Brief. "Onkel Sun" ist eine der Möglichkeiten für Kinder, mit ihren Fernsehgeräten zu kommunizieren.

Eine Wertschätzung für die chinesische Kultur zu schaffen ist eines der wichtigsten Anliegen des Kinderfernsehens. Eine kurze Serie hat ihren Schwerpunkt auf die Peking-Oper gelegt, mit dem Ziel, die Kinder mit der Symbolsprache dieser alten Kunst vertraut zu machen. CPTVs "Fröhliche Bergkinder" stellt das tägliche Leben, das bunte Kunsthandwerk und die Feste der Eingeborenen Taiwans dar. Obgleich das Programm nicht so beliebt ist wie "Smurfs", so schärft es doch das Bewußtsein der Kinder für die kulturellen Ursprünge und die kulturelle Vielfalt der Insel. Hsu Chia-shih(許家石), stellvertretender Direktor der Programmabteilung, sieht eine der langfristigen Hauptaufgaben des Fernsehens auf Taiwan darin, den Leuten etwas über China und die Welt beizubringen.

"Dem Fernsehen kommt eine wichtige Rolle beim Aufbau eines neuen Begriffs von einem vereinigten China zu, der der Wiedervereinigung des Landes vorausgehen muß", sagt er.

Kindersendungen werden immer internationaler und haben damit die gleiche Tendenz wie die hiesigen Nachrichtensendungen. Ein neues Unterhaltungsprogramm für Kinder des CTS, "Buntes Fernrohr", bringt einen "Pfefferminzbericht" aus den USA. Die kleinen amerikanischen Showmaster grüßen ihre Zuschauer in Taiwan, bevor sie kurz und in einfacher Sprache Dinge, die junge Leute interessieren, vorstellen - vom größten Kürbis der Welt bis zu einem Kleid ganz aus Schokolade.

Eugene Y. H. Chien, Präsident des Amtes für Umweltschutz, erklärt den Kindern, welchen Beitrag sie für eine saubere Umwelt leisten können.

Bei all diesen Entwicklungen auf dem Gebiet der Kinderprogramme kann man sich schwer vorstellen, daß kaum ein Jahrzehnt zuvor Zeichentrickfilme alles waren, was es an Sendungen für Kinder gab. Diese bleiben äußerst beliebt und machen noch immer 59% des gesamten Kinderprogramms aus. Fast 100% der Sendungen kommen aus dem Ausland, insbesondere aus Japan. Zusätzlich zum Verbot von Gewalt und Pornographie in Kinderprogrammen hat das Informationsamt der Regierung Vorschriften erlassen, die den Anteil der Kinderprogramme aus Japan auf 50% beschränken.

Chang Ping sagt, daß ein Grund für diese Vorschrift sei, daß man eine "kulturelle Invasion" verhindern wolle. Zeitungen, Videobänder und andere Medien aus Japan sind seit langem Gegenstand von Restriktionen, die bis auf das Jahr 1945 zurückgehen, als Japan Taiwan wieder an China zurückgab. Weil Japan jedoch Zeichentrickfilme für den Weltmarkt herstellt, ist es oft schwierig, irgendein deutlich erkennbares japanisches Element in den Sendungen zu entdecken. Die meisten der Charaktere sehen eher westlich aus. Deshalb ist ein anderer Grund für die Beschränkungen, daß man die Vielfalt im Inhalt und der Machart von Zeichentrickfilmen für Kinder fördern will.

Einen Beitrag zu dieser Vielfalt leisten Zeichentrickfilme wie "Familie Feuerstein", "GI Joe" und "Mein kleines Pony" aus den USA. "Es war einmal - das Leben" aus Frankreich und "Graf Duckula" aus Großbritannien sind ebenfalls beliebt. Alle sind chinesisch synchronisiert und mit chinesischen Untertiteln versehen. Die Qualität der Übersetzungen reicht von "umgangssprachlich" über "leidlich" bis "fragwürdig". Das englische "Oh, no!" kommt in Action-Zeichentrickfilmen sehr häufig vor und wird oft mit "Ou, pu!" wörtlich ins Chinesische übersetzt. Den Ausdruck gab es im gesprochenen Hochchinesisch vorher nicht, aber er ist heute zum Bestandteil der Sprache von Kindern geworden, was auf den Einfluß von synchronisierten Fassungen von "Thundercats" und "Ghostbusters" zurückzuführen ist. Neue Ausdrücke mögen gewissenhafte Eltern und Erzieher, die auf Reinheit der Sprache bestehen, zur Verzweiflung bringen, aber Hsu Chia-shih sieht sie nicht als eine Bedrohung für Kultur oder Sprache.

"Der Begriff 'kulturelle Invasion' bedeutet, daß eine stärkere Kultur auf eine schwächere trifft. Wenn beide gleich stark sind, nennt man das kulturellen Kontakt. Kultureller Kontakt kann erzieherisch und bereichernd sein, und er bedeutet nicht notwendigerweise eine Eroberung. Es ist ein natürlicher Bestandteil im Wachstumsprozeß und kann nicht kontrolliert werden."

Von den ausländischen Zeichentrickfilmen kommt "Dennis" beim jungen Fernsehpublikum am besten an.

Kinder, ganz gleich woher sie kommen, scheinen sich mit Dennis identifizieren zu können und mögen seine Streiche. Wie bei vielen anderen Zeichentrickfilmen im taiwanesischen Fernsehen wird seine ausländische Herkunft teilweise dadurch verschleiert, daß der ursprüngliche Titelsong durch einen chinesischen mit völlig neuem Text und neuer Melodie ersetzt wurde. Die eingängigen maßgeschneiderten Lieder, die als Musik zu Zeichentrickfilmen geschrieben werden, gehören zu den wenigen neuen chinesischen Kinderliedern, die in Taiwan komponiert werden.

Bei den Zeichentrickfilmen gibt es deutlicher ausgeprägte Vorlieben als bei anderen Programmen. Mädchen bevorzugen Filme wie "Neue kleine Frauen", "Der kleine Prinz" und "Mein kleines Pony", während den Jungen Action-Zeichentrickfilme wie "Säbelreiter", "Dinosaurier" und "Gefährliche Maus" mehr zusagen. "Familie Feuerstein", "Garfield" und "Smurfs" sehen sowohl Jungen als auch Mädchen gerne.

Aber Kinder mögen nicht nur Zeichentrickfilme und Cartoons. Wenn man Kinder fragt, welches ihre Lieblingssendung ist, werden sie sicher ohne zu zögern mit "Ma Kai-hsien"(馬蓋先)antworten, was nichts anderes ist als der chinesische Name von "MeGyver". Diese Serie, deren poetischer und sehr chinesischer Titel im taiwanesischen Fernsehen "Der himmlische Drache, der hundert Schlachten gewinnt" lautet, hat nach Schätzungen des TTV Samstag abends eine Einschaltquote von bis zu 38% und wird flankiert von "Meine geheime Identität" und "Klassenlehrer". Bei der genannten Befragung von Dritt- und Fünftkläßlern durch die Autorin sagten fast 100% der Jungen und Mädchen, daß sie "McGyver sehr gerne sehen".

Alle drei Sendungen in der Hauptsendezeit von TTV sind chinesisch synchronisiert. Auf die große Zahl an Zuschauern und auf den packenden Inhalt des Programms ist es zurückzuführen, daß der Slang in diesen Programmen oft umgangssprachliche Trends bestimmt oder verstärkt. McGyver zum Beispiel ist bekannt für sein shuai! ("super!").

TTV sagt, daß es nur die fähigsten Übersetzer für die Arbeit engagiert und die Qualität sorgfältig kontrolliert, um niveaulosen oder zwielichtigen Slang zu vermeiden. Wenn er dem durchschnittlichen Zuschauer nicht bekannt ist, so deshalb, weil die Übersetzer hauptsächlich auf neue Ausdrücke, die unter Universitätsstudenten üblich sind, zurückgreifen.

Die Übersetzer tragen viel zum Erfolg ausländischer Programme bei, weil es ihnen gelungen ist, diesen Lokalkolorit zu verleihen, indem sie kulturelle Werte und chinesische Ausdrucksweisen in ihre Übersetzungen einbrachten.

Bezeichnungen für verwandschaftliche Beziehungen in der Familie beispielsweise, wie "großer Bruder" und "Tantchen", werden im Chinesischen häufig als Anrede für gute Freunde verwendet. Diese Namen verleihen den ausländischen Fernsehhelden zusätzliche Wärme und bringen sie den Zuschauern näher.

Die Auswirkungen des Fernsehens auf Kinder werden seit langem diskutiert. Tang Tai-ling berichtet von einem Experiment, das sie an ihren eigenen Kindern durchführte. Eine bestimmte Zeit lang erlaubte sie ihnen, alles anzuschauen, was sie wollten und solange sie wollten. Das Ergebnis? "Dieses Experiment zeigte mir, daß Kinder alles, aber auch alles, was geboten wird, mit Haut und Haaren schlucken", sagt sie. "Das beweist, wie wichtig es ist, daß die Eltern ihren Kindern bei der Auswahl der Programme helfen und anschließend mit ihnen deren Inhalt diskutieren, damit sie ihn besser verstehen und einordnen können."

Bevor die erzieherischen Programme für Kinder beginnen, erscheint eine Empfehlung auf dem Bildschirm, die den Eltern rät, sich zu beteiligen und ihre Kinder anzuleiten. Außerdem zeigen Statistiken des Gesundheitsamtes, daß die Häufigkeit von Kurzsichtigkeit mit fortgeschrittenem schulischem Werdegang zunimmt. Das hat den Vorschlägen, Kinder nur eine begrenzte Zeit am Tag fernsehen zu lassen, Nachdruck verliehen. Aber die meisten Pädagogen und Programmkritiker stimmen darin überein, daß das Fernsehen nicht immer das Übel sei. Wenn man umsichtigen Gebrauch davon macht, anstelle es als Babysitter oder Beruhigungsmittel zu benutzen, kann das Fernsehen erziehen und unterhalten wie nichts sonst.

Eines kann man allen Gesprächen mit Leuten, die in Taiwan mit Kinderprogrammen zu tun haben, entnehmen, und das ist ein enthusiastischer und ansteckender Optimismus hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung. Und in der Tat besteht ein gewaltiger - und positiver - Unterschied zwischen der engen Welt der Zeichentrickfilme von vor zehn Jahren und den Kinderprogrammen ,die es heute gibt.

"Wir müssen erkennen, daß Kinder eine nationale Ressource darstellen", sagt Hsu Chia-shih, "und immer an die Erwachsenen denken, die sie einmal sein werden, wenn wir Programme produzieren oder auswählen." Und Kou Shao-en fügt hinzu, "Kinder müssen lernen, ihre Flügel auszubreiten und in neue Himmelsgegenden zu fliegen, und das Fernsehen kann die Möglichkeiten, aus denen sie wählen können, erheblich erweitern."

(Deutsch von Andreas Härdter)

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