Die englischsprachige Monatszeitschrift Free China Review sprach mit einigen von ihnen, namentlich solchen, die sich aktiv für die Verbesserung der Lebensumstände ihrer Stammesgenossen einsetzen. Es folgen Auszüge.
Chang Chi-chang(張吉昌), ein 48jähriger Bunun, ist Leiter des Servicezentrums für Ureinwohner in Taipei - eine halboffizielle Organisation, die eine Vermittlerfunktion zwischen in Taipei arbeitenden Ureinwohnern und Regierungsstellen wahrnimmt.
Unser größtes Problem ist Land. Es ist zwar Land für die Ureinwohner reserviert, aber die Nutzung dieses Landes zu stark beschränkt. Landwirtschaft in Gebirgsregionen wird streng reguliert und lohnt sich daher nicht, also empfehlen viele Eltern ihren Kindern, sich in den Städten Arbeit zu suchen. Ich denke, die Regierung hat die Pflicht, auf diesen reservierten Ländereien neue Landwirtchaftstechniken einzuführen, ebenso Feldfrüchte, die für den Anbau im Gebirgsklima geeignet sind und die Bodenqualität nicht verschlechtern. Außerdem sollte die Regierung den Bau von Feldwegen beschleunigen, damit die landwirtschaftlichen Produkte von den Bergen abtransportiert werden können.
Die Gemeindeverwaltungen subventionieren Grundbesitzer, die ihr Land für eine Saison brachliegen lassen. Das bringt nichts, weil man daran weder etwas verdient noch den Wert des Landes erhöht.
Heutzutage wird viel über die Freigabe reservierten Landes geredet. Der Wert des Landes im Gebirge und im Flachland ist aber sehr verschieden. Die Bodenpreise sind in einem unvorstellbaren Ausmaß gestiegen, aber nicht bei den reservierten Landgebieten in den Bergen. Ein Hektar Bergland ist nur 250 000 NT$ (15 000 DM) wert, weniger als ein Prozent von dem, was man im Flachland für einen Hektar bekommt. Wenn reserviertes Land frei an uns oder an Han-Chinesen verkauft werden darf und es mehr Verbindungsstraßen zwischen Gebirge und Flachland gibt, dann werden die Bodenpreise in den Bergen auf jeden Fall steigen. Das zieht zwar wieder neue Probleme nach sich, scheint aber ein gangbarer Weg zu sein.
Besuchern meines Servicezentrums liegt normalerweise besonders das Thema Arbeitslosigkeit auf der Leber. Uns Ureinwohnern haften viele Klischees an, die die Arbeitssuche erschweren. Bei meinem ersten Bewerbungsgespräch als Wachmann für eine große Firma glaubte man mir nicht, daß ich nicht rauche, trinke oder Betel kaue.
Wegen dieser Vorurteile mischen sich Ureinwohner kaum unter Han-Chinesen. Auf jeder Baustelle bleiben die Ureinwohner unter sich und bilden eine Mannschaft, die geschlossen von einer Baustelle zur nächsten zieht. Auch ihr Sozialleben spielt sich nur unter ihresgleichen ab. Der Nachteil ist, daß han-chinesische Unternehmer den Umgang mit Ureinwohnern nervenaufreibend finden, weil sie immer als Gruppe auftreten. Nachdem die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte gesetzlich erlaubt wurde, haben viele Arbeitgeber überhaupt keine Ureinwohner mehr eingestellt, weil sie mehr Lohn als die Ausländer verlangten. Ich wäre für ein Quotensystem, aber die Unternehmer lassen sich da nicht reinreden.
Natürlich sind die Ureinwohner an dem Beschäftigungsproblem zum Teil auch selber schuld. Sie müssen ihre Arbeitsmoral heben und ihre Einstellung ändern. Zur Verbesserung der Gesamtsituation brauchen wir aber Hilfe von Regierungsbehörden wie dem Rat für Fragen der Arbeiter. Ich begrüße es, das es dort Beschäftigungsprogramme extra für Ureinwohner gibt. Aber die Folgebetreuung ist nicht ausreichend. Sie haben keine brauchbare Personaldatenbank erstellt und registrieren die Neueinstellungen nicht. Sie machen nur immer wieder neue Programme ohne gründliche Planung oder Auswertung. Es gibt Fördermittel, aber die reichen nicht, um die Auszubildenden durch das ganze Programm zu ziehen und ihnen einen sicheren Job zu verschaffen. Die Politik ist schon vernünftig, hat sich aber noch nicht bewährt.
Hu Lung-hsiung(胡龍雄), ein 28jähriger Yami, arbeitet als Grundschullehrer auf der Orchideeninsel, Kreis Taitung.
Die Regierung hat unsere ältere Generation in den siebziger Jahren ausgenutzt. Sie hatten keine Ahnung von Atomkraft, und ohne irgendwelche Beratungen beschloß die Regierung, hier Atommüll zu lagern. Einfache Leute wie diese bewußt zu täuschen ist nicht gerade die feine englische Art, oder? Das haben wir sehr übelgenommen. Das Lager ist nun fast voll. Als das letzte Mal eine Ladung Atommüll hier auftauchte, haben die Einwohner den Hafen blockiert und das Schiff zur Rückkehr nach Taiwan gezwungen. Die Stromgesellschaft Taipower hat versprochen, ein Endlager ausfindig zu machen und allen Atommüll von unserer Insel wegzuschaffen.
Jetzt wollen sie die ganze Insel zum Nationalpark erklären. Aber kein Nationalpark ist wie der andere, wie wollen sie da ihre Standardbestimmungen auf die Orchideeninsel anwenden, auf der ein ganzer Stamm lebt und arbeitet? Die Leute hier sind skeptisch, ob die Umwandlung der Insel in einen Nationalpark auch Arbeitsplätze schafft.
"Die Ureinwohnersprachen wurden früher von der Regierung unterdrückt. Wie sollen die Eltern die Stammessprache an ihre Kinder weitergeben, wenn sie sie selbst nicht mehr können?"
Außerdem machen sie sich Sorgen um die natürlichen Rohstoffe, von denen sie leben. Was sollen sie machen, wenn die neuen Bestimmungen die Fischfanggebiete einschränken oder die Holzmenge, die geschlagen werden darf, reduzieren? Es gibt Konflikte zwischen Naturschutz und der Wirtschaftsentwicklung der Ureinwohner, es gibt Konflikte zwischen der Nationalparkverwaltung und der Stammesautonomie, es gibt Konflikte zwischen Tourismus und der Bewahrung der traditionellen Kultur. Wir können nur hoffen, daß die Dinge nicht aus dem Lot geraten.
Ich möchte auf keinen Fall, daß dieser Ort zu einer Art Zoo wird, wo Touristen hinströmen, um eine vom Aussterben bedrohte Menschenart zu begaffen. Dabei verdienen wir vielleicht ein bißchen Geld, aber auf die Dauer zahlt sich das nicht aus. Die Regierung sollte uns Autonomie gewähren und uns in die Planung und Verwaltung des Nationalparks einbeziehen.
Wir haben hier keine eigene Industrie, die den Inselbewohnern Arbeitsmöglichkeiten bieten könnte. Es gibt ein paar Verwaltungs- und Lehrerstellen, aber sonst beschäftigen sich die Leute hier vor allem mit Kunsthandwerk, zum Beispiel Holzschnitzerei. Manche Leute fangen Tropenfische oder sammeln Korallen. Freilich können wir unsere Familien ernähren - wir bauen Taro, Süßkartoffeln und Gemüse an und essen selbstgefangenen Fisch. Den meisten Leuten reicht dieses Leben aber einfach nicht mehr. Also müssen die jungen Leute hinausziehen und sich einen richtigen Job mit ausreichendem Einkommen suchen.
Unser Schulleiter hatte eine phantastische Idee. Er regte an, daß wir den jungen Leuten handwerkliche Fertigkeiten wie etwa Holzschnitzen, Bootsbau oder Weben beibringen sollten, um so ein Folklore-Gewerbe aufzubauen. Der Unterricht in Holzschnitzerei hat in unserer Schule bereits begonnen.
Die Langtao-Grundschule liegt an der Nordspitze der Insel und ist von der Außenwelt fast völlig unberührt. Im Gegensatz zu den beiden anderen Grundschulen sprechen die meisten unserer Schüler Yami. In dieser Gemeinde ist die traditionelle Yami-Kultur gut erhalten. Für das Überleben der Kultur ist der Erhalt der Muttersprache unentbehrlich, und der Verlust der Muttersprache bedeutet das Todesurteil für die Kultur.
Lyiuking Yuma(麗依京˙尤瑪), eine 42jährige Atayal, engagiert sich in der Union der taiwanstämmigen Gemeinden (Union of Native Taiwanese Villages, UNTV), einer radikalen Sozialbewegungsgruppe der Ureinwohner.
Auf dem Papier erscheint die Regierungspolitik sehr vernünftig, aber man muß sich auch mal ansehen, was wirklich getan wurde. Zum Beispiel die Kampagne für die ursprünglichen Stammesnamen: Zuerst hatte man uns chinesische Namen aufgezwungen, und jetzt heißt es, ihr könnt eure alten Namen wiederhaben. Wir haben aber keine Lautschrift, und es ist verwirrend, wenn manche Leute wieder die alten Namen annehmen und manche nicht. Die Regierung behauptet oft, daß sie sich nach Kräften um die Ureinwohner kümmert, aber in Wirklichkeit ist die öffentliche Arbeit in den Siedlungen qualitativ schlecht und wird nur ungenügend kontrolliert. Vielleicht ist das eine Folge der Korruption.
Politisch bleiben wir immer in der Minderheit. Zur Gründung der neuen Taiwan Independence Party wurde ich als eine der Vertreterinnen der Ureinwohner eingeladen. Es gelang mir nicht, auch nur ein einziges Ureinwohnerproblem auf ihre Tagesordnung zu bringen, und ich fühlte mich erniedrigt durch diese Leute, die sich in nichts von ihren Widersachern unterscheiden. Man nennt sie Gelehrte und respektiert sie, aber sie sind nichts als ein Pack von snobistischen, machthungrigen Politikastern. Errichtung einer neuen Republik Taiwan? So 'n Quatsch! Ich sagte ihnen, sie sollten sich zum Teufel scheren und dort dann ihre neue Nation gründen.
Seit elf Jahren kämpfe ich für die Ureinwohnergruppen, und solche Sachen sind einfach typisch. Manchmal macht mich das so fertig, daß ich mich einfach auf unser Hausdach lege und mit Reiswein vollaufen lasse. Ich schreie meinen Ahnen zu: "Gebt mir die Weisheit und die Kraft zum Durchhalten!" Ich habe mein Leben von den Ahnen erhalten, und sie sollten mir helfen, alles richtig zu machen. Wenn ich dann am nächsten Morgen gut ausgeschlafen bin, stehe ich auf und kämpfe weiter. Vor zwanzig Jahren war ich noch ein sanftmütiges Mädchen. Jetzt schaut, was aus mir geworden ist.
Meine Organisation setzt sich für Kulturerhaltung und -erneuerung ein. Manche der Ureinwohner-Künstler haben ihren Stil abgeändert, um Geld zu machen und bekannt zu werden, und durch die Medien setzt die Öffentlichkeit ihre nichtswürdigen Arbeiten mit der ganzen Ureinwohnerkultur gleich.
Ich weiß noch, wie sich meine eigenen Stammesangehörigen sperrten, als wir für die Erhaltung der Kultur warben. Sie erklärten kategorisch, sich auf keinen Fall wieder die Gesichter zu tätowieren. Noch nicht einmal sie verstanden die Bedeutung der Gesichtstätowierungen - sie sind ein Symbol der Stammesidentität, ein Ausdruck der Anziehungskraft, die die Gruppe zusammenhält. Genau diesen Geist wollen wir bewahren.
Ich traue diesen han-chinesischen Gelehrten und Kulturarbeitern nicht, die sagen, daß sie zur Erhaltung der Ureinwohnerkultur beitragen wollen. Sie schreiben zwar viel über unsere Kultur, aber ich glaube nicht, daß sie das Wesentliche verstehen. Manche der akademischen Organisationen sind wie eine Mafia und reißen alle vom Rat für Kulturfragen in Auftrag gegebenen Projekte an sich, während die Kulturarbeiter der Ureinwohner finanziell leer ausgehen und ihr Betätigungsfeld nicht erweitern können. Wieviele der Zuschüsse erreichen denn letztendlich die Siedlungen? Viele der sogenannten Forscher klauen unter dem Vorwand von Feldstudien Kunstgegenstände und Lieder. Ich möchte mal wissen, wieviel Geld dieser Abschaum im Namen der Gelehrsamkeit gescheffelt hat.
Der schwächste Punkt in unserer Erziehung ist der Unterricht in der Muttersprache. Oft wird argumentiert, daß die Muttersprache durch die Familie lebendig gehalten werden soll. Leider wurden früher die Eltern aller dieser Kinder von der Regierung gezwungen, ihre Sprache aufzugeben. Wie sollen sie die Sprache dann heute an die junge Generation weitergeben? Ich zum Beispiel bin schon über vierzig und beherrsche meine Muttersprache nicht sehr gut. Sechzig Prozent meiner Altersgenossen geht das ebenso. Sprache ist mehr als nur ein Kommunikationsmittel. Sie ist der Grundpfeiler der Stammeskultur - sie reflektiert die Werte, die Sitten und Gebräuche und das Lebensgefühl. Geht die Sprache verloren, so stirbt auch die Kultur, und dann gibt es keine Hoffnung mehr für die Ureinwohner.
Soll ich mich dem "System" unterwerfen, um mehr Mittel für meine Leute zu bekommen? Ich meine nicht. Wenn wir alle Regierungsbeamte werden, wer macht dann die wirkliche Arbeit? Die Ureinwohner verlassen ihr Land, kehren ihren Stammesgenossen den Rücken zu, und deswegen ist unsere Lage so schlecht. Mir geht es jetzt wirklich darum, daß meine Leute endlich aufwachen und ihre Rechte erkennen. Ich will ihnen erklären, wovon sie entfremdet wurden, und ich will sie anspornen, aufzustehen und sich wiederzuholen, was ihnen zusteht.
Ich glaube fest daran, daß die Diskriminierung erst dann ein Ende findet und die Ureinwohner erst dann ihren Stolz wiedergewinnen, wenn sie alle wirklich aufwachen. Sobald das geschieht, werden sie sich zusammenschließen und für ihre Zukunft kämpfen, und so können sie dem Elend entkommen.
Liglove A-wu(利格拉樂˙阿女烏), eine 28jährige Paiwan. Sie arbeitet für das Taiwan Forschungszentrum für Ureinwohnerkultur, einem privaten Workshop, der die Geschichte der Ureinwohner-Gemeinden erforscht und dokumentiert.
Bereits als ich noch klein war, schärfte meine Mama mir und meinen Geschwistern ein, nirgendwo zuzugeben, daß wir Ureinwohner seien. Ich sah wie ein Kind vom chinesischen Festland aus und spreche Mandarin-Chinesisch, aber trotzdem habe ich die Diskriminierung zu spüren bekommen. Andere Kinder wollten nicht mit mir und meinen Geschwistern spielen, weil Mama eine "Wilde" war.
Erst als ich in der Oberschule an einem besonderen Sportprogramm teilnahm und alle meine Mitschülerinnen Ureinwohner waren, fühlte ich mich wirklich geborgen. Ich war zwar auf meine kulturelle Identität nicht besonders stolz oder so, aber wir fühlten uns wohl beieinander. Mein eigentliches Erwachen folgte erst später, als ich einen Schriftsteller heiratete, der sehr stolz darauf war, ein Ureinwohner zu sein. Eigentlich sehe ich zur Zeit keine Anzeichen für ein großes Erwachen bei den Ureinwohnern. Sogar Studenten verschweigen ihren Hintergrund und behaupten statt dessen, aus irgendeinem Land in Südostasien zu sein.
Ich erforsche die Geschichte meiner Stammesgemeinde. Außerdem schreibe ich Artikel und hoffe, daß diese eines Tages künftigen Generationen als Informationsquelle dienen können. Mein Mann und ich haben dieses Forschungszentrum aufgebaut, um so viel Material wie möglich anzusammeln.
Kleine Kunsthandwerk-Workshops, die sich auf Geschichte und Kultur konzentrieren, haben schon eine Menge erreicht. Die Stämme sind ziemlich verschieden, und daher bringt die Zusammenarbeit aller Stämme weniger als individuelle Workshops. Der einzige Nachteil dabei ist, daß man sehr viele einzelne durch Workshops getragene Initiativen braucht, um den Lauf der Dinge für alle Ureinwohner ändern zu können.
Ich will Ihnen mal an einem Beispiel deutlich machen, wie Untätigkeit unser Geschichtsbild verfälschen kann: Ich habe einmal ein Fischerdorf besucht und wollte die Bildungsprobleme derer studieren, die ihre Stammesheimat verlassen haben. In der Grundschule gab es eine eigene Klasse für Ureinwohnerkinder mit vierzig Schülern. 38 dieser Kinder erzählten mir, daß ihre Väter "auf dem Meer"(出海)auf Fischerbooten arbeiteten und ihre Mütter "ins Meer gefallen"(下海)seien - letzteres ist eine Metapher für Prostitution. Um alle diese Kinder kümmerten sich insgesamt nur zwei Sozialarbeiter.
Für Ureinwohner gibt es keine Chancengleichheit. Als Förster oder Nationalparkwächter sind sie gut, aber von vielen Jobs sind Ureinwohner wegen Vorschriften über die Vorbildung praktisch ausgeschlossen. Viele schlecht informierte Leute argumentieren, daß für die Ureinwohner doch Land reserviert ist und eine Bitte um mehr Land von der Regierung meist positiv beschieden wird. Für das Land gibt es aber Nutzungsbeschränkungen, und Arbeit finden wir dort auch keine. Wenn wir in einem Nationalpark wohnen, brauchen wir für die Heimkehr eine Sondergenehmigung. Wenn wir innerhalb der Parkgrenzen einen kleinen Chinakohl anpflanzen oder etwas Eßbares auflesen, verstoßen wir gegen das Gesetz. Ich habe gehört, daß neunzig Prozent der Einwohner einer Siedlung bei Hualien vorbestraft sind, weil sie gegen die Nationalparkgesetze verstoßen haben.
Wie soll man da das richtige Gleichgewicht finden? Alle unsere Probleme hängen miteinander zusammen, deswegen brauchen wir ein Sondergesetz, das alle Bereiche unseres Lebens abdeckt. Erst dann können wir eine wirklich inhaltsreiche Politik aufbauen.
Wang Ching-yi(王靜怡), eine 44jährige Ami, amtiert als Gemeindevertreterin der Kuangfu-Gemeinde im Kreis Hualien.
Wir Amis leben neben den Han-Chinesen im Flachland und sind fast vollständig an die han-chinesische Gesellschaft assimiliert. Ich mache mir daher große Sorgen um die Bewahrung der Stammessprachen und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage der Ureinwohner.
Ich bin über vierzig und stolz darauf, daß ich fließend Ami spreche. Das ist nicht einfach, wissen sie. Von allen Sprachen hier stirbt Ami am schnellsten aus. Etwa sechzig Prozent der Ami in meinem Alter können ihre Muttersprache nicht, weil wir sie früher in der Schule nicht sprechen durften. Im Berufsleben mußte ich aus geschäftlichen Gründen den taiwanesischen Dialekt erlernen. In Taipei nützt einem die Ami-Sprache nichts. Ich kann sie nur deswegen noch sprechen, weil ich zurück in diese Siedlung gezogen bin und die Hälfte der Einwohner hier Amis sind. Da ich drei Sprachen fließend spreche, wurde ich zur Gemeindevertreterin gewählt und arbeite nun für meine Leute.
Wirtschaftlich liegen wir weit hinter unseren han-chinesischen Nachbarn zurück. Sie haben hier in Hualien viele Dienstleistungsunternehmen aufgebaut, die Ureinwohner sind aber erst vor etwa zehn Jahren in den Dienstleistungsbereich eingestiegen und holen nur langsam auf. In ihrer Heimat verdienen die jungen Leute nicht genug zum Leben, also müssen sie sich in der Stadt einen Job suchen. Abwanderung war für diese kleine Siedlung schon immer ein Hauptproblem. Heutzutage leben hier vor allem alte Leute und kleine Kinder. Weil die Älteren keine Bildung haben, können sie den Kindern nicht bei den Schularbeiten helfen oder mit ihrem Benehmen fertig werden.
Ich glaube, wenn man zum Geld verdienen fortgeht und dafür ein normales Familienleben aufgibt, dann ist es das nicht wert. Sicher bieten die Städte mehr Möglichkeiten und bessere Gehälter, aber die Hälfte des Landes hier wird nicht mehr bestellt. Ein paar von den jungen Leuten sollten zurückkommen und von der Landwirtschaft leben, finde ich. Allerdings hat die Taiwan Sugar Company wieder die besten Lagen für sich behalten.
Angesichts so vieler Probleme fühle ich mich hilflos. Als Minderheitengruppe in Taiwan hat man es schwer. Keiner hört uns wirklich zu. In dieser demokratischen Gesellschaft wird für Entscheidungen abgestimmt, und wir Ureinwohner können uns dabei nie durchsetzen, weil wir so wenige Stimmen haben. In der Kuangfu-Gemeinde haben die Ami-Vertreter eine Mehrheit von sechs zu fünf, daher können wir zum Wohle unserer Leute die richtigen Entscheidungen treffen oder zumindest eine ungerechte Behandlung verhindern. Auf der Kreisebene haben wir Ureinwohner schon keine Chance mehr, ganz zu schweigen von der Provinz- oder Zentralebene.
Pai Kuang-sheng(白光勝), ein 43jähriger Bunun, ist Vorsitzender und leitender Direktor der Bunun Kultur- und Erziehungsstiftung und Priester an einer presbyterianischen Kirche.
Die Regierungspolitik war ein voller Erfolg - bei der totalen Zerstörung der Ureinwohnerkultur. Als Kinder haben wir uns zum Abendessen immer auf den Fußboden gesetzt. Die Regierung überredete uns, Tische und Stühle anzuschaffen, und so ging die Atmosphäre der Abendessenszeit, zu der Oma uns vom Leben und den Werten erzählte, verloren, und zwar unwiederbringlich verloren. Oma konnte sich nämlich nie daran gewöhnen, zum Abendessen auf einem Stuhl zu sitzen, und wir Kinder sahen statt dessen fern oder hörten den Erwachsenen zu. Auch durch den Einfluß des Fernsehens sprechen viele junge Leute die Sprache ihrer Großeltern nicht mehr.
Als ich noch jung war, hatten wir keinen Fernseher, aber in der Schule durfte ich kein Bunun sprechen. Wenn ich es doch tat, mußte ich zur Strafe Wasser holen oder putzen. Ich konnte aber nicht gehen, weil ich Kinderlähmung gehabt hatte. Aus Angst vor Strafe lernten wir Mandarin-Chinesisch und vergaßen unsere Muttersprache.
Ich habe eine han-chinesische Frau geheiratet. Unsere Ansichten waren oft sehr verschieden. Wenn ich Besuch von einem Freund bekam, lud ich ihn natürlich in ein Restaurant zum Essen ein. Danach warf mir meine Frau immer vor, ich gäbe zuviel Geld aus. Wenn meine Schwestern zu Besuch kommen, ziehen sie manchmal Kleider oder Strümpfe meiner Frau an, und davon ist sie auch gar nicht begeistert. Die Han-Chinesen können nicht teilen. Bei uns aber spielte Teilen immer eine wichtige Rolle: Die Jungen und die Starken gingen immer für den ganzen Stamm auf die Jagd, und jeder hat auf den Feldern oder bei Bauarbeiten mitgeholfen, wenn Not am Mann war.
Ein typisches Stammesmitglied hat keinen Ehrgeiz, mehr Geld zu verdienen als er braucht, oder mehr als ein Haus zu kaufen. Darum leben wir immer noch glücklich in bescheidenen Häusern im Grasland und in den Wäldern. Wir sind anders als die Han-Chinesen. Die betrachten es ja schon als Verschwendung, wenn man auf einem kleinen Stück Land einen Baum pflanzt. Und die Regierung hat uns die Jagd auf unserem Land untersagt. Das ist ungerecht. Gott hat dieses Land für uns geschaffen, damit wir davon leben. Wir sollten mit dem Holz und den Steinen unsere Häuser bauen dürfen, jagen und Nahrungsmittel anbauen. Durch unsere Genügsamkeit bleibt das ökologische Gleichgewicht gewahrt. Umweltschutz ist uns angeboren - wir töten keine neugeborenen Tiere, und wir nehmen uns nicht mehr, als wir brauchen. Wir haben Ehrfurcht vor der Natur.
Die Han-Chinesen haben in den Bergdörfern Reiswein verkauft und uns so zu Trinkern gemacht. Unsere Ahnen betrachteten das Trinken als eine feierliche Angelegenheit, und Alkoholiker gab es damals nicht. Weil sich unsere soziale Lage verschlechtert hat, trinken einige von uns. Die Han-Chinesen behaupten immer, daß alle Ureinwohner Säufer sind. Aber das hat erst wegen ihnen angefangen.
Innerhalb der letzten zwölf Jahre wurden über hundert Kinder aus unserer kleinen Siedlung aufs College geschickt. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis. Nach dem Collegeabschluß haben alle diese Kinder gute Jobs gefunden und konnten so die wirtschaftliche Lage ihrer Familien verbessern. Sie sind die neuen Bunun, und sie erwarten mehr vom Leben. Sie werden größeren Wert auf die Bildung ihrer Kinder legen. Wenn es dem eigenen Volk schlecht geht, kann man nie zufrieden sein, egal wieviel man für sich persönlich erreicht hat. Die Zukunft der Ureinwohner liegt in den Händen dieser intelligenten Kinder, und wenn sie das erkennen, dann haben die Ureinwohner Grund zur Hoffnung.
Vor drei Jahren haben wir die Bunun Kultur- und Erziehungsstiftung gegründet, um auf diese Weise mehr finanzielle Unterstützung zu gewinnen. Es war die erste Stiftung von Ureinwohnern für Ureinwohner. Wir werden von einer großen Chemiefirma und einer Autofirma unterstützt, die jeweils einen Schulbus gespendet haben. Inzwischen erhalten wir inselweit monatlich ungefähr 400 000 NT$ (24 000 DM) an Spenden. In den letzten vier Jahren haben über sechzig Kinder unseren Kindergarten absolviert. Dabei handelt es sich um eine anspruchsvolle Schule mit hochqualifizierten Lehrern, die fast alle Absolventen des Lehrerkollegs Taitung sind. In der Bewertung des letzten Jahres wurde uns ein besonders gutes Management bescheinigt, und die Regierung belohnte das mit 500 000 NT$ (30 000 DM).
1995 haben wir den ersten Bauabschnitt der Bunun-Siedlung fertiggestellt. Da betreiben wir jetzt eine Herberge und ein Café. Wir veranstalten dort auch Vorstellungen von Liedern und Tänzen der Bunun, bieten Stammeskost an und steilen Kunst aus. Dadurch haben ein paar Leute eine Beschäftigung gefunden, vor allem Ältere und Behinderte. Sie machen traditionelle Kleider, schnitzen Holz und beherrschen auch andere Handwerkstechniken.
Es geht mir natürlich nicht nur um die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die Bewahrung unseres Kulturerbes und die Rettung verlorener Traditionen ist mir wichtiger. Die Besucher sollen spüren, daß sie sich sozusagen an einem ausländischen Ort mit kulturell einzigartigem Flair befinden.
Diese Siedlung ist ein Ort für die Wiederbelebung der wunderschönen Ureinwohnerkultur, für den Geist des Teilens, und für traditionelles Handwerk. Hier sollen wieder Stammeslieder und -tänze unterrichtet, Landwirtschaft und Landleben gepflegt und die Kinder auf Bunun-Weise erzogen werden. Ich hoffe, daß der Bau dieser Siedlung die Aufmerksamkeit der Regierung erregt und als Beispiel für andere Stämme dienen kann.
(Deutsch von Tilman Aretz)