Jane Coodall wurde kürzlich die Kilimandscharo-Medaille verliehen, die höchste Auszeichnung, die Tansania zu vergeben hat. Letztes Jahr besuchte sie Taiwan, um für ihr internationales Naturschutzprogramm "Roots & Shoots" (Wurzeln und Sprossen) zu werben. Coodall sprach mit der englischsprachigen Monatszeitschrift Free China Review über ihre Tierliebe und die Jahrzehnte der Forschung in Afrika, ihre Besorgnis über den Schutz gefährdeter Tierarten und die Notwendigkeit, das Naturschutzbewußtsein bei Kindern und Jugendlichen zu fördern. Es folgen Auszüge aus dem Interview:
FCR: Warum haben Sie sich für Schimpansen als Forschungsgebiet entschieden?
Jane Goodall: Als ich noch sehr klein war, habe ich immer schon gern Tiere beobachtet und meine Gedanken darüber aufgeschrieben. Als ich dann etwas größer war, habe ich Bücher über sie gelesen. Im Alter von acht oder neun Jahren war mir dann klar, daß ich als Erwachsene nach Afrika gehen und mit den Tieren leben und über sie schreiben wollte. Aber das schien fast unmöglich zu sein, weil Afrika so weit weg war, besonders damals, und wir hatten überhaupt kein Geld.
Aber meine Mutter [Vanne Goodall] ist eine bemerkenswerte Frau. Sie pflegte zu sagen: "Jane, wenn du etwas wirklich willst, wenn du immer hart arbeitest und jede Gelegenheit nutzt und niemals aufgibst, dann wirst du einen Weg finden." So machte ich weiter, las Bücher über Afrika und Tiere, und ich wartete auf eine Gelegenheit. Schließlich wurde ich von einer Schulfreundin, deren Eltern dorthin gezogen waren, nach Afrika eingeladen.
Zu dieser Zeit arbeitete ich an einer Dokumentation. Das war zwar interessant, wurde aber sehr schlecht bezahlt. So gab ich diesen Job in London auf - sowieso ein teures Pflaster - und ging zurück in meine Heimatstadt Bournemouth. Das ist eine Stadt an der englischen Südküste. Ich arbeitete dort als Kellnerin, bis ich genug Geld gespart hatte. Schließlich hatte ich genug für die Schiffspassage beisammen - Flugtickets waren damals zu teuer.
"Jeder einzelne ist wichtig und kann etwas verändern." Das Wurzeln und Sprossen-Programm von Dr. Goodall wendet sich vor allem an junge Menschen und ihre Lehrer.
Als ich dann schon eine ganze Weile in Afrika war, hörte ich von Louis Leakey [der später ein namhafter Paläontologe werden sollte] und besuchte ihn. Er fragte mich alles mögliche über Tiere, und natürlich konnte ich sehr viele Fragen beantworten, weil ich ja schon eine Menge darüber gelesen hatte. Da stellte er mich als seine Assistentin ein. Ein anderes englisches Mädchen und ich durften ihn zur Erforschung der Serengeti-Ebene begleiten. Dort sind sehr viele Fossilien gefunden worden. Aber damals war diese Gegend überhaupt nicht bekannt; man hatte keine menschlichen Fossilien gefunden, sondern nur Fossilien prähistorischer nicht-menschlicher Wesen. Es gab noch nicht einmal eine Straße oder einen Pfad. Es war einfach wildestes Afrika. Ich durfte in die Ebene hinausgehen, und da gab es sehr viele Tiere.
Wie fanden Sie das?
Es war unglaublich, weil plötzlich mein Traum Wirklichkeit geworden war. Anstatt aufzuwachen und mich in der Wirklichkeit wiederzufinden, stellte ich fest, daß Traum und Wirklichkeit plötzlich eins waren. Es war wunderbar, und da stellte Louis fest, daß ich genau die Person war, die er zur Erforschung von Schimpansen brauchte. Wenn er mich gebeten hätte, Antilopen, Nashörner, Elefanten oder sonst etwas zu erforschen, dann hätte ich das auch gemacht.
Aber er setzte mich auf Schimpansen an. Das war irgendwie Schicksal, wissen Sie? Ich war da, zur richtigen Zeit am richtigen Ort, es kam halt alles zusammen. Er brauchte aber über ein Jahr, um Geld für meine Forschung aufzutreiben, denn ich hatte ja keinerlei Qualifikationen, zumindest nicht solche, die von einem erwartet werden. Und dann mußte er ja auch noch die Genehmigung bekommen, damit ich auch dort hingehen konnte, wo die Schimpansen waren. Damals konnten junge Leute ja nicht einfach loswandern und nach wilden Tieren suchen, so wie sie es heute machen. Damals wurde er sogar dafür kritisiert, daß er mich losschickte [denn Goodall war eine junge, alleinstehende Frau]. Schließlich überzeugte er die Behörden, und ich konnte fahren - nach Tanganyika [Teil des heutigen Tansania]. Das stand damals noch unter Kolonialverwaltung. Ich sollte nicht allein gehen, also ging ich für drei Monate mit meiner Mutter. Sie stellte sich freiwillig zur Verfügung.
War es für Ihre Forschung ein Vorteil oder ein Nachteil, eine Frau ohne akademische Ausbildung zu sein?
Das Fehlen einer akademischen Ausbildung war ein riesiger Vorteil, denke ich, denn in den frühen sechziger Jahren war das wissenschaftliche Denken in Bezug auf das Verhalten von Tieren sehr mechanistisch. Die Schulmeinung leugnete das Vorhandensein eines Bewußtseins. Alle Begriffe, die wir heute auch auf Tiere anwenden, wie etwa Jugend und Kindheit, benutzte man nicht. Wenn ich eine Universität besucht hätte, dann wäre ich vielleicht voreingenommen gewesen. Ich bezweifle es, aber man weiß da ja nie. Louis wollte sowieso niemanden mit akademischer Ausbildung, daher war das in dieser Hinsicht auch ein großer Vorteil. Und es hat mir immer geholfen, eine Frau zu sein. Vor Ort waren die Leute immer ganz besonders hilfsbereit.
Warum können Sie so gut mit Schimpansen kommunizieren?
Wie Sie wissen, arbeite ich vor allem in freier Wildbahn mit Schimpansen. Damit begann ich in den sechziger Jahren und setze das bis heute fort. Ich lerne viel über ihre Lebensgeschichte, denn Schimpansen können bis zu sechzig Jahre alt werden.
"Wenn man nicht mit den Leuten spricht, wird sich nie etwas ändern." Jane Goodall setzt auf Veränderungen durch Aufklärung, Erziehungsarbeit und sanfte Überzeugung.
Gegenwärtig beschäftige ich mich aber vor allem mit Waisen, das heißt mit Schimpansen, deren Mütter in anderen Teilen Afrikas erschossen wurden. Wir haben die Regierung überredet, die Schimpansenbabys [von den illegalen Händlern] zu konfiszieren, und nun gibt es das Jane-Goodall-Institut, das sich um sie kümmert. Das kostet viel Geld. Wir haben Schutzgebiete im Kongo, in Uganda und Burundi. In Tansania gibt es keine Wilderer. Wir haben in Tansania drei Waisen, aber die kommen alle aus Zaire. Das ist eine ziemliche finanzielle Belastung, vor allem weil die Schimpansen so alt werden können. Wir können sie nicht zurück in die Wildnis entlassen, also kümmern wir uns in den Schutzgebieten um sie. Mit diesen Schimpansen können wir uns auch verständigen.
Das kann man lernen, indem man sie beobachtet, indem man die Wirkung ihrer Laute und Gesten gegenüber anderen Individuen in der Gemeinschaft betrachtet. Ich habe lange gebraucht, um die Bedeutung herauszufinden. Aber die Posen und Gesten sind so wie bei uns: küssen, umarmen, Händchen halten, auf den Rücken klopfen, Imponiergehabe, Fäuste ballen - das alles haben wir gemeinsam. Das ist einfach.
Und die Laute? Ich denke, wer gut andere nachahmen kann, der kann auch diese Laute hervorbringen. Um die Bedeutung der Laute herauszubekommen, beobachtet man zuerst einen Schimpansen, der einen Laut von sich gibt, und dann schaut man sich an, wie der andere reagiert. Einer macht zum Beispiel diesen Futterruf, wenn er mit dem Futter zufrieden ist, und wenn die anderen das hören, kommen sie auch gleich an. Oder wenn einem Schimpansen jemand zu nahe kommt und er will, daß der verschwindet, dann macht er diese "ahh, ahh"- Drohlaute, und der andere verschwindet dann auch. Wenn man nahe genug an sie herankommt, dann kriegt man das ziemlich leicht heraus. Aber das ist eben das Problem - sie rennen weg. Man lernt nur durch direktes Beobachten, nicht aus Büchern.
Nennen Sie uns doch einmal einige der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen.
Ich fand es immer sehr faszinierend, aus Afrika herauszukommen und festzustellen, daß ich die Menschen heute auf ganz andere Art und Weise betrachte als zuvor. Ich achte jetzt mehr auf Körpersprache und so etwas. Aber in den letzten zehn Jahren bin ich mehr durch die Welt gereist, um Geld zu sammeln, statt mit den Schimpansen zusammenzusein. Vor etwa zehn Jahren wurde mir klar, wie furchtbar gefährdet die Schimpansen in Afrika geworden waren. Ich dachte, ich müßte meine erworbenen Kenntnisse ausnutzen, um ihnen zu helfen, denn ihre Zahl schwindet sehr, sehr schnell. In 21 Ländern sind nur noch 250 000 von ihnen übrig, das ist nichts. Außerdem leben viele von ihnen in kleinen isolierten Gruppen, die auf lange Sicht wegen Inzucht nicht überleben werden.
Das ist ein sehr düsteres Bild. Ihr Überleben wird von ihrer Nutzung in der Laborforschung, im Zirkus und anderen Formen menschlicher Ausbeutung bedroht. Ich spürte, daß die Zeit gekommen war, meine Kenntnisse - und meinen Ruf, den ich mir mit meinen Artikeln in der Zeitschrift 'National Geographic' erworben habe - anzuwenden, um bei ihrer Rettung zu helfen. Diese Reisen sind also eine Mischung aus Geldsammeln und Wecken von Bewußtsein. Das Geldsammeln ist mir zuwider, aber es muß getan werden. Glücklicherweise kann ich das mit der Aufklärungsarbeit verbinden, so gehört alles zusammen.
Die Menschen sollten wissen, daß der Verlust der Regenwälder ein schreckliches Problem ist. Die Holzfällerfirmen kommen an und schlagen tiefe Schneisen in den Wald, und das hat zur Folge, daß Jäger immer tiefer in den Busch vordringen. Die LKWs transportieren auch Fleisch hinaus. Es ist bereits tranchiert. Wenn also jemand befürchtet, daß es das Fleisch einer gefährdeten Tierart ist, wie soll man das dann feststellen? Es ist ja bereits in kleine Stücke zerschnitten. Wenn man richtig nachforscht, gibt es natürlich Wege, das zu ermitteln. Aber wer tut das schon. Dieses Fleisch - also das Buschfleisch, das Fleisch wildlebender Tiere - wird in West- und Zentralafrika verzehrt, aber nicht in Tansania. Sie essen Schimpansen, Gorillas, Elefanten, eben alles.
Was muß getan werden, um die Schimpansen zu retten?
Nun, ich denke, die Menschen müssen irgendwie lernen, das Bevölkerungswachstum in den Griff zu bekommen. Wir müssen uns jetzt auf ein niedrigeres Niveau einpendeln. Wir brauchen eine optimale Größe der menschlichen Bevölkerung, damit wir im Einklang mit der Natur leben können. Wie das geschehen soll, weiß ich nicht. Es muß aber geschehen, damit dieser Planet in der Form, in der wir ihn heute kennen, überleben kann. Wir Menschen haben anscheinend - wie die Schimpansen übrigens auch - einen gierigen, grausamen Zug in uns. Und das führt zu so viel Zerstörung in der Welt. Bestimmt können die Menschen gemeinsam die Probleme lösen und lernen, in einer weniger von Habgier und Materialismus geprägten Weise zu leben, in größerer Harmonie mit der Natur.
In so vielen Jahren der Forschung wurden Sie bestimmt mit vielen Gefahren und Schwierigkeiten konfrontiert. Können Sie etwas darüber sagen?
Ich persönlich finde den Wald sehr viel weniger gefährlich als die meisten Städte. Das Schlimmste, was in den letzten 36 Jahren passierte, war die Entführung vier meiner Studenten auf die andere Seite des Tanganyika-Sees von einer Rebellengruppe aus Zaire [im Mai 1975]. Das war entsetzlich. Wir wußten nicht, was mit ihnen passiert war, wir wußten nicht, wo sie waren, wir wußten nicht, ob sie noch lebten. Schließlich konnten wir das Lösegeld auftreiben, und sie kamen unverletzt zurück [zwei Monate später]. Ich befürchte aber, daß davon immer einige psychische Narben zurückbleiben werden. Es war eine sehr, sehr schlimme Zeit.
Momentan gibt es da einen gefährlichen Schimpansen. Er ist sehr groß, sehr stark und sehr aggressiv gegenüber Shimpansen und Menschen. Er ist ein Rowdie, und aus irgendeinem Grund hat er es besonders auf mich abgesehen. Ich kenne ihn schon, seit er ein kleines Baby war. Ich glaube nicht, daß ich ihm etwas Böses getan habe. Vielleicht benimmt er sich so, weil ich jetzt so oft verreise. Wenn wir eine Weile getrennt waren und dann wieder zusammen kommen, gibt es nun unter den Schimpansen manchmal wüste Kämpfe. Aber dieser Schimpanse ist sehr gefährlich.
Er heißt Frodo und ist der zweite Sohn von Fifi. [Fifi ist die letzte Überlebende jener Schimpansen, die Goodall zuerst im heutigen Gombe-Nationalpark studierte.] In meinen ganzen 36 Jahren ist er der erste, den ich habe Menschen angreifen sehen. Manchmal wird man von den anderen Männchen zu Boden geschubst. So wild sind sie aber nur, wenn sie durch die Gegend rennen, und dann stoßen sie einen einfach aus dem Weg. Wenn sie untereinander diese Gebärden machen, dann hauen sie einfach alles weg, was ihnen in die Quere kommt. Sehr oft tun sie das auch, um andere Männchen einzuschüchtern, um das Leitmännchen zu werden. Nicht nur in dieser Hinsicht sind sie den Menschen sehr ähnlich.
Haben Sie jemals daran gedacht, aufzuhören?
Oh nein. Das ist leicht zu beantworten. Was mich antreibt, ist die Gewißheit, daß wir bei der Erforschung der Schimpansen noch so viel zu lernen haben. Neugier, nach Antworten suchen - das bringt die Wissenschaft voran. Und ich will wirklich alles wissen.
Schimpansen können bis zu sechzig Jahre alt werden, also waren wir bisher nur die Hälfte ihres Lebens dabei. Wir lernen immer wieder etwas Neues. Jeder Schimpanse hat seine oder ihre eigene Persönlichkeit und individuelle Lebensgeschichte. Wir sammeln Lebensgeschichten, und daraus erkennen wir die enorme Bedeutung des Verhaltens der Mutter in der Frühphase des Lebens, die Art der Familie, die Erfahrungen und wie diese ihr Verhalten beeinflussen, wenn sie erwachsen werden. Wir fangen gerade erst an, das herauszufinden. Es gibt also noch sehr viel zu lernen.
Was sind die Ziele Ihres "Roots & Shoots" (Wurzeln und Sprossen)-Programms?
Vor ungefähr fünf Jahren wurde mir klar, daß wir diesem Planeten nur durch die Arbeit mit jungen Leuten helfen können. Daher baue ich vom Kindergarten bis zur Hochschule das Roots & Shoots-Programm auf, bei dem junge Leute in drei Arten von praktischen Projekten eingebunden werden: eines für die Umwelt, eines für Tiere, und eines für menschliche Gemeinschaften. Wir bringen eine Botschaft der Hoffnung: Jeder Einzelne spielt eine Rolle und kann etwas verändern. Und wenn die Menschen zusammenarbeiten, dann können sie gemeinsam Probleme lösen wie die Abholzung der Wälder, das Vordringen der Wüsten, das Ozonloch, die Luftverschmutzung und die Überbevölkerung.
Das Roots & Shoots-Programm ist ein Projekt des Jane-Goodall-Instituts. Das Institut entstand vor zwanzig Jahren in den USA, um Forschungen über Schimpansen durchzuführen und die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihr Wohlergehen zu lenken. Es gab aber auch schon das Element der Naturschutz-Erziehung. Das Roots & Shoots-Programm für junge Leute begann 1991 in Tansania und wurde zwei Jahre später auf Nordamerika ausgedehnt. Zuerst war es nur ein sehr kleines Programm, aber seit Anfang 1995 verbreitete es sich plötzlich in ganz Nordamerika. Es wuchs von elf registrierten Gruppen im Januar 1995 auf heute fast fünfhundert Gruppen an.
In Tansania, wo wir angefangen haben, ist es sehr wirkungsvoll. Woanders sind es lediglich Gruppen von interessierten Lehrern und Schülern, aber wir ermutigen alle, mit anderen Schulen der Gegend zusammenzuarbeiten und auch mit Schulen in anderen Teilen der Welt Partnerschaften einzugehen. Das Programm wird in zwanzig Ländern gefördert.
Roots & Shoots gedeiht vor allem durch den Enthusiasmus der Leute. Hier in Taiwan habe ich wunderbare Menschen getroffen, und sie sind auch sehr enthusiastisch. Heute morgen habe ich Ihren Präsidenten [Lee Teng-hui] getroffen. Er war sehr zuvorkommend und möchte Roots & Shoots in verschiedenen Schulen bekanntmachen.
Mein Ziel ist es, viele Pilotprojekte zu starten; herauszufinden, was geht und was nicht, indem ich es mit der Hilfe enthusiastischer Lehrer an verschiedenen Schulen ausprobiere. Nur wenn ich mir selber sicher bin, daß etwas funktioniert, bitte ich die Leute um größere Spenden. Ich möchte nämlich kein Geld annehmen, das nicht auch gut verwendet wird. Es ist sehr viel besser, klein anzufangen.
Warum legen Sie so viel Wert auf die Kindererziehung?
Kinder zu erziehen bedeutet, daß man auch mit Lehrern und Eltern zusammenarbeitet. Aber es sind ja die Kinder, denen die schrecklichen Probleme hinterlassen werden, die ihre Vorfahren für sie fabriziert haben. Sie brauchen jede nur erdenkliche Hilfe. Wenn sie nicht zutiefst deprimiert werden sollen, wenn sie alles über die Luftverschmutzung, das Ozonloch und wachsende Krebsrisiken wegen Chemie in der Nahrung und in der Atmosphäre erfahren, müssen wir ihnen Hoffnung und Unterstützung geben. Und das will ich tun.
Tierschützer haben sich lange über Taiwan beklagt, weil hier früher ein reger Handel beispielsweise mit Tigerknochen und Rhinozeroshörnern getrieben wurde. Haben Sie diese Berichte davon abgehalten, Taiwan zu besuchen?
Wenn ich mich durch Berichte über Verhaltensweisen, mit denen ich nicht einverstanden bin und die ich falsch finde, abschrecken ließe, dann wäre ich sehr ineffektiv. Es wird sich nie etwas ändern, wenn man nicht mit den Leuten spricht. Genauso ist es mit dem Mißbrauch von Schimpansen in Versuchslabors. Wenn ich nicht in die Labors gegangen wäre und mit den Leuten gesprochen hätte, dann hätte sich nichts geändert. Ich habe mich ruhig mit den Leuten unterhalten und ihnen erklärt, warum ich empört war. Und empört war ich, weil ich die Schimpansen wirklich verstehe und weiß, welche Bedürfnisse sie haben und wie ihre Natur ist.
Nur wenn die Menschen in ihrem eigenen Herzen zu fühlen beginnen, worüber man redet, dann können sie auch die Dinge vom Standpunkt des anderen aus verstehen. Dann ist eine Veränderung möglich. Wenn man aber aggressiv wird, redet man natürlich nicht mehr mit den Leuten, und dann kann sich nichts ändern.
Welchen Eindruck haben Sie von der Naturschutzarbeit in Taiwan?
Bis jetzt habe ich in allen meinen Gesprächen den Eindruck gewonnen, daß Naturschutzfragen mehr und mehr auf die politische Tagesordnung gesetzt werden. Teilweise kommt das durch den internationalen Druck, aber es ist auch ein Ergebnis des bemerkenswerten wirtschaftlichen Wachstums auf Taiwan. Normalerweise machen sich die Menschen erst dann Gedanken über die Umwelt, wenn sie genug Geld zum Leben haben, auch wenn bis zu diesem Zeitpunkt schon schwerwiegende Umweltschäden angerichtet worden sind. Es ist aber auch erstaunlich, wie uns die Natur immer noch eine Chance gibt. Tragische Ausnahmen sind tropische Gebiete, wo eine Wüste entsteht, wenn der Regenwald abgeholzt worden ist. Auch wenn man dann wie in Israel wiederaufforstet, erhält man doch nicht das gleiche Artenspektrum zurück. Diese überwältigende, faszinierende Vielfalt eines Regenwaldes geht unwiederbringlich verloren, auf diese Weise verschwinden ganze Arten.
Hier in Taiwan hatte ich bisher nur Zeit für den Besuch eines Nationalparks, aber ich habe viele Personen getroffen, denen der Naturschutz sehr am Herzen liegt, die gute Ideen haben und sich sehr einsetzen. Ich bin sicher, daß der Zeitpunkt meines Besuchs einfach perfekt war. Ich bin bereits fest entschlossen, noch einmal nach Taiwan zu kommen und vor Lehrern zu sprechen, denn ich kann nicht alle Schulen besuchen.
Ich habe an vielen Orten festgestellt, daß ein Besuch wie ein Katalysator wirken kann, der engagierte Menschen zusammenbringt. Wir begegnen einander und sprechen miteinander, und dann bauen wir ein Netzwerk auf. Wenn sich dann auch noch die Regierung hinter diese Bemühungen stellt, dann kann wirklich etwas in Gang gebracht werden. Ich hoffe, daß das hier passiert.
(Deutsch von Tilman Aretz)