26.04.2025

Taiwan Today

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Man kann es schaffen

01.04.1997
"Das ist von mir!" Im Schwarzen-Brett-System der Schule trauen sich auch die schüch­ternen Schüler, ihre Meinung zu artikulieren. Krea­tivität, Selbstbe­wußtsein der Schüler und schulinterne Kommuni­kation werden so gefördert.
Zwei Pionierprojekte hätten vielleicht niemals eine Chance gehabt, wäre da nicht die unerschütterliche Entschlossenheit einiger bemerkenswerter Personen, die meinten, nicht warten zu können, bis die Regierung endlich handelt.

Die Chao-Liao-Grundschule im Kreis Kaohsiung ist eine der Erfolgsgeschichten über den Aufbau der Computererziehung in Taiwan. Ihr Leiter Ker Yuan-fu (柯淵福) wollte ihr einen Blitzstart verschaffen. Er war zu ungeduldig, um auf einen Zuschuß des Erziehungsministeriums für die Anschaffung von Computerausrüstung zu warten und sah sich daher nach anderen Wegen um, um für seine Schule die nötigen Geräte zu bekommen. Im August 1994 ergriff er die Initiative und bat um einige ausrangierte 286SX-Computer, welche das Computerzentrum der Kreisverwaltung ausgesondert hatte bzw. versteigern wollte. Damit richtete er einen Computerraum ein.

Ein Plus war auch der Standort. Die Schule befindet sich mitten in einer Zuckerplantage, gleich neben einem Industriepark, in dem zahlreiche Fabriken großer amerikanischer Unternehmen ihren Sitz haben. Die Schule heuerte einige von deren Angestellten - allesamt englische Muttersprachler - an, um die Lehrer und Schüler im englischen Alphabet und grundlegender Computerterminologie zu unterweisen.

Eine der im Industriepark ansässigen taiwanesischen Firmen ist die Twinhead International Corp., ein großer Hersteller von Computerhardware. Ein Jahr, nachdem Ker den Computerraum in seiner Schule eingerichtet hatte, begab er sich zur Geschäftsleitung von Twinheads und bat um Unterstützung. Das brachte seiner Schule nicht weniger als achtunddreißig 386SX-Computer ein. Später besuchte der Kreismagistrat die Schule an ihrem Schulfest und stiftete ihr großzügig Farbmonitoren. Und als der Bezirkschef die Einladung für einen Besuch in der Schule annahm, spendete er einen Ahornfußboden für den Computerraum, der ideal für die Abdeckung der Kabel war und Staub und Feuchtigkeit reduzierte.

Heute hat diese Schule mit 670 Schülern über 100 Computer. Im Computerraum allein sind es vierzig, und in den meisten Klassenzimmern gibt es mindestens einen, dazu noch die zehn Computer im Büro. In diesem Fiskaljahr (1996-97) hat die Schule ihren Zuschuß vom Erziehungsministerium in Höhe von 1,2 Millionen NT$ (66 000 DM) erhalten und ist dabei, mit dem Geld Multimedia-Computer zu erwerben. Derzeit haben die Klassen drei bis sechs je zwei Stunden Computerunterricht pro Woche, wofür die eigentlich für Gruppenaktivitäten und Nachhilfe vorgesehenen Stunden genutzt werden. Bei Bedarf können die Klassenlehrer Extrastunden arrangieren. Es gibt darüber hinaus einen Netsurfer-Klub für diejenigen Kinder, die ein besonderes Interesse daran zeigen, ihr Wissen zu erweitern.

Zu den Unterrichtsthemen gehören Dateneingabe und computergestützter Unterricht in verschiedenen Fächern, aber der Schwerpunkt liegt auf den Anwendungsprogrammen des Internet. Während des ersten Jahres war die Schule über eine 9,6 KB BPS-Leitung mit dem Computerzentrum verbunden. Die war zwar langsam, aber besser als nichts. "Schulen mit Computern der Typen 486 und 586 sind wie Mercedesfahrer", stellt Ker fest. "Nun, es ist schön für sie, einen Benz zu besitzen - aber wozu braucht man einen, wenn man damit nicht einmal an irgendeinen wichtigen Ort fahren kann? Es kommt doch darauf an, ob man einen Anschluß hat."

Dieser Gedanke veranlaßte die Schule als erste Grundschule auf Taiwan zur Gestaltung ihres eigenen Schwarzen-Brett-Systems im Computer (Bulletin Board System, BBS). Darin gibt es bereits 34 Kolumnen, darunter die Schulnachrichten, von Schülern verfaßte Kurzgeschichten, Informationen über kulturelle Themen und Aktivitäten, Sport, Bibliotheksnachrichten und Platz zum "Plaudern". Bei einem kleinen Spaziergang durch das System findet man zum Beispiel die Nachricht, daß die Hündin der Schule drei Junge geworfen hat, oder die Aufforderung von "Ddock", öfter scharfen Tofu ins Mittagsmenü aufzunehmen. "Softy" forderte die Schulleitung auf, etwas wegen der häßlichen Treppe gegenüber der Eingangstür zu unternehmen, worauf der Schulleiter mit der Bitte um Anregungen antwortete. Die Kinder beschlossen, die Treppe in den Farben des Regenbogens zu streichen.

Ker meint, das Schwarze Brett habe einen dringend benötigten Sonnenstrahl in den Schulalltag gebracht. "Über alles wird offen diskutiert, und am Schwarzen Brett wird der Entscheidungsprozeß transparent", sagt er. "Das BBS ist hier zu einem wichtigen Kommunikationskanal geworden. Jemand, der vielleicht Angst vor einem direkten Gespräch hat, fühlt sich wohler dabei, seine Fragen und Meinungen im BBS zu äußern, und das verändert auch allmählich das Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern. Der regelmäßigere Austausch hat zu einem besseren gegenseitigen Verständnis geführt. Jetzt wissen die Schulverwaltung und das Kollegium, daß sie beobachtet werden, daß alles offen darliegt. Also handeln sie mit viel mehr Sorgfalt."

Computerlehrer Hung Yung-yi (洪永義) findet, daß das Schwarze Brett in Verbindung mit dem regulären Computerunterricht den Horizont der Kinder erweitere. "Das ist hier eine Arbeitergegend mit ein bißchen Landwirtschaft", merkt er an. "Keiner meiner Schüler hat zu Hause einen Computer. Gerade habe ich meine fünfte Klasse befragt, und ein Drittel von ihnen ist noch nie mit dem Zug gefahren. Die Kinder haben hier nicht viel Kontakt zur Außenwelt, aber der Anschluß ans Internet hat sie mit der ganzen Welt verbunden. Sie können Orte entdecken, die sie sonst niemals sehen würden. Das hat eine große Wirkung auf sie; es erweitert ihren Horizont."

Auf der anderen Seite des Zentralgebirges, der Hochgebirgskette, welche die Trennungslinie zwischen West- und Osttaiwan darstellt, liegt die Grundschule von Feng-Jen. Feng-Jen befindet sich im Kreis Hualien an der Ostküste, und sie hat ebensoviel erreicht wie Chao-Liao. Ihr Computerraum besteht seit sieben Jahren und war damit einer der ersten in Taiwan. Schulleiter Chiu Juei-ting (邱瑞廷) nahm 1986 an einem Förderprogramm in Informationswissenschaften für Grundschullehrer teil. "Im Zug zurück nach Hualien entwarf ich bereits einen Plan für den Computerunterricht", erzählt er. "Nach meiner Rückkehr bat ich meine Mitarbeiter, bei der Kreisverwaltung einen Computer zu beantragen, damit wir ein Pilotprojekt für den Unterricht in Informationswissenschaften durchführen konnten. Wir bekamen die Genehmigung und waren bereits beim Einrichten des Computerraums, als ich an diese Schule versetzt wurde."

Chiu nahm seine Ideen mit, als er seinen neuen Posten antrat, und im Dezember 1990 hatte die Feng-Jen-Grundschule ihren Computerraum. Die ersten 17 Computer waren Spenden von Eltern und anderen Leuten, denen daran lag, die junge Generation zu fördern. Da jede Klasse über 30 Schüler hatte, mußten sich jeweils zwei Schüler einen Computer teilen. Aber nur einen Monat später konnte die Schule dank der großzügigen Eltern der Abschlußjahrgänge und örtlicher Honoratioren weitere 20 Computer erwerben. Jetzt stehen im Computerraum 48 Geräte, von veralteten Modellen des Typs 286 über 386er- bis hin zu einigen moderneren 486er-Modellen. Im Juli 1994 ging das Schul-Computernetz in Betrieb, und Feng-Jen wurde im Mai 1996 an das TANet, einem hiesigen Tor zum Internet, angeschlossen. Der Zugang zum World Wide Web kam im letzten September hinzu.

In dieser Schule erhalten von den ersten bis zu den sechsten Klassen alle Schüler Computerunterricht. "Wir haben nicht das Ziel, Kandidaten für einen Wettbewerb vorzubereiten", erklärt Chiu. "Wir wollen alle Schüler an den Computer heranführen und ihnen seine Anwendungsmöglichkeiten beibringen." Die Erstkläßler steigen schon nach zwei Monaten Grundschule in den Computerunterricht ein, sobald sie das System phonetischer Symbole für Mandarin-Chinesisch gelernt haben. Die ersten, zweiten und dritten Klassen verbringen zwei Stunden pro Woche im Computerraum, während die Viert- bis Sechstkläßler eine Extrastunde am Morgen plus zwei reguläre Unterrichtsstunden bekommen. Die unteren Klassen lernen das Eintippen nach dem chu yin-Programm, das sie befähigt, die phonetischen Symbole des Mandarin auf dem Bildschirm zu schreiben, und einige Spiele. Sie erhalten auch computergestützten Unterricht in Mandarin. Für die mittleren Klassen kommen noch Computergraphiken und Unterrichtsmaterial für Fortgeschrittene hinzu. Die höheren Klassen lernen den Umgang mit DOS, Textverarbeitung, Datenbanken und Internet.

Der Unterricht mit Computerunterstützung macht den größten Teil des Fachs Informationswissenschaften an der Feng-Jen-Grundschule aus. Für den Unterricht in chinesischer Sprache und Geschichte gibt es zum Beispiel verschiedene, auf die einzelnen Jahrgangsstufen zugeschnittene Programme. Damit werden die phonetischen Symbole, Satzbildung, Synonyme und Antonyme, Lyrik aus der Tang-Dynastie und vieles mehr unterrichtet. Der Computer spielt auch im Musikunterricht eine wichtige Rolle. Da die Schule keinen Musiklehrer hat, gibt es den Unterricht in diesem Fach mit Computerhilfe. Zunächst werden die Noten aus dem Liederbuch in den Computer eingegeben. Per Soundkarte wird das Lied dann abgespielt, und die Kinder stimmen ein. Sie können dabei auch üben, wie sie am Computer den Text und die Melodie verändern können.

Auch im Sportunterricht fehlt der Computer nicht. Bevor die Schüler auf das Spielfeld gehen, ruft der Sportlehrer sie für eine Viertelstunde in den Computerraum, wo er sie über die verschiedenen Ballspiele und ihre Regeln informiert. "Wir konnten Computerprogramme für jedes Fach erwerben", sagt Chiu. "Einige haben wir aus dem Ausstellungszentrum des Instituts für Informationsindustrie bekommen, einige vom Institut für Grundschullehrer der Provinz Taiwan und einige aus dem Computerzentrum des Erziehungsministeriums und dem Nationalen Wissenschaftsrat." In der Schule werden heute über 200 verschiedene Programme benutzt.

Schulleiter Chiu sagt, mit einer positiven Haltung sei nichts unmöglich. "Wie die meisten anderen Schulen hat auch meine nicht viel Hilfe von außen bekommen", sagt er. "Ich kramte in Lagerhäusern kaputte Schreibtische und Stühle hervor, reparierte sie und benutzte sie als Computertische und -stühle. Ich hatte auch keine freien Klassenräume, aber ich schaffte Platz für diese Computer. Wir hatten keine Lehrer, also baten wir einen Freiwilligen, zu uns zu kommen und zuerst unsere Lehrer zu unterrichten. Wenn man sich wirklich auf etwas konzentriert, kann man es auch schaffen."

(Deutsch von Christiane Gesell)

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