Wenn in Taiwan die Sprache auf die Vorschulerziehung kommt, wird mit Sicherheit auch der Name des Instituts für Vorschulerziehung der Hsin Yi-Stiftung fallen. Hsin Yi wurde im September 1971 mit Hilfe einer großen Spende von Chuan Ho (何傳) ins Leben gerufen, dem Gründer des Konzerns Yuen Foong Yu Group, einem der größten Papierhersteller Taiwans. Sechs Jahre später richtete die Stiftung ihr Institut für Vorschulerziehung ein. Dieser Schritt kam zur rechten Zeit. 1977 war Taiwans wirtschaftlicher Aufstieg in vollem Gange und die Kaufkraft der Verbraucher höher als je zuvor. Trotzdem war es schwierig, Bücher für Vorschulkinder zu finden, denn die meisten Eltern und Pädagogen waren immer noch der Meinung, daß Kleinkinder nicht lesen könnten und daher keine Bücher bräuchten.
"Zwei Ziele hatten wir vor Augen, als wir das Institut gründeten", sagt Ho Sing-ju (何張杏如), geschäftsführende Direktorin der Stiftung und selbst Mutter eines Vorschulkindes. "Erstens wollten wir die Gesellschaft auf die Wichtigkeit der Vorschulerziehung aufmerksam machen, die ja schließlich über den Verlauf der zukünftigen Entwicklung eines Kindes entscheiden kann. Zweitens schließt die Schulpflicht auf Taiwan die Vorschule aus, so daß die zuständigen Behörden ihr nicht genügend Beachtung schenken. Wir dachten, daß wir als private Organisation eher die Möglichkeit haben würden, dieses Fachgebiet der Pädagogik zu entwickeln. Und als Mutter war mir die dringende Notwendigkeit einer Institution zur Entwicklung der Vorschulerziehung besonders bewußt."
Zwischen 1978 und 1989 bildete das Institut eine Reihe verschiedener Abteilungen:
• Hsin Yi Publications wurde 1978 gegründet, um Kinderbücher zu veröffentlichen und Lernspielzeug für Kleinkinder zu entwickeln. Auch bringt der Verlag eine Auswahl an Büchern heraus, die für Eltern als Erziehungsleitfaden dienen können und Lehrer mit Unterrichtsmaterial versorgen.
• 1978 kam auch die erste Ausgabe der Monatszeitschrift Vorschulerziehung heraus. Es war die erste Publikation Taiwans, die sich darauf spezialisierte, Eltern und Pädagogen über neue Theorien, die neuesten Entwicklungen und sich verändernden Methoden in der Vorschulpädagogik zu informieren. Laut Ho liegt die Auflagenzahl des Magazins bei über 20 000 Heften; für sie ein starkes Signal dafür, daß viele Eltern meinen, sie wären auf dem richtigen Weg.
• 1979 fand die Gründung des Zentrums für Ressourcen der Vorschulpädagogik statt. Hier werden Periodika, Bücher und anderes Material zu den Themen Vorschulerziehung, Kinderpsychologie, Erziehung, Gesundheitsfürsorge, Lehrplanerstellung und Kinderliteratur gesammelt. Die Archive des Zentrums sind für die Öffentlichkeit zugänglich, und über einen heißen Draht bietet es überdies Beratungsdienste an.
• Das 1984 hinzugekommene "Haus für Eltern und Kleinkinder" ist im Grunde genommen ein überdachter Spielplatz. Es wurde eingerichtet, damit Eltern und Kinder zusammen spielen und dabei von Beginn an eine gesunde und enge Beziehung aufbauen können. Hier gibt es eine Spielothek, wo Kinder sich mit Lernspielzeug beschäftigen können, und eine "Babyecke", wo sehr kleine Kinder ihre Reaktionen und motorischen Fähigkeiten mit entsprechendem Spielzeug entwickeln können. Außerdem bietet die Einrichtung einen Spielplatz für Vorschulkinder unter sechs Jahren an, der Schaukeln, Rutschen und Kletternetze hat. Und nicht zuletzt ist noch der "Flexible Bereich" zu nennen, dessen Gestaltung alle paar Monate verändert wird, um viele verschiedene Aktivitäten anzubieten. "Dieser Bereich ist am beliebtesten", sagt Ho, "weil wir Eltern und Kindern hier nicht nur Spielgeräte, sondern auch professionelle Aufsicht und Beratung zur Verfügung stellen können."
• Eine Forschungsabteilung wurde 1986 eingerichtet. Hier befaßt man sich hauptsächlich mit Vorschulpädagogik und erstellt Zusammenfassungen und Abrisse von durch hiesige Experten und Akademiker verfaßten Materialien für den Vorschulunterricht. Diese Abteilung hat darüber hinaus einen Lernreifetest entwickelt, der Eltern dabei hilft, die Entwicklung und Fortschritte ihrer Sprößlinge in Sprache, Rechnen, Geschicklichkeit und Koordination sowie dem Erkennen von Farben zu verfolgen und überprüfen - alles durch kurze und einfache Spiele.
• Die Kinderbibliothek wurde 1988 eröffnet. Sie ist auf der Insel die einzige ihrer Art, die sich auf chinesisch- und fremdsprachige Bücher, Periodika und Filme für Vorschulkinder konzentriert. Einen Vorführraum für Filme gibt es hier ebenfalls. Obwohl auch viele Stadtbibliotheken Kinderbücher führen, ist dies eine wertvolle Ergänzung. Ein großer Raum der Bibliothek ist für Aktivitäten wie Vorlesen oder Puppenspiele vorgesehen.
• 1989 gründete die Stiftung eine Schule mit angeschlossenem Sprachlabor, in der kleine Kinder Fähigkeiten wie abstraktes Denken und Sprachgebrauch lernen sowie an das Zusammensein in der Gruppe herangeführt werden. Diese Programme wurden gestaltet, um eine anregende Lernatmosphäre passend für Kinder mit verschiedenen Temperamenten und Bedürfnissen zu gestalten.
Der Kinderbuchverlag der Stiftung veröffentlicht eine große Bandbreite an Titeln für jede Altersgruppe. Wichtigstes Kriterium ist, daß die Bücher die Phantasie anregen und gleichzeitig lehrreich sind.
1994 beschloß das Institut, sich zu vergrößern. Statt nur ergänzende Materialien und Hilfmittel zu benutzen, offerierte es jetzt auch richtigen Unterricht sowohl für Vorschulkinder als auch für Grundschüler. "Wir bekamen immer mehr Reaktionen von Eltern, die sich an unsere Methoden und Standards gewöhnt hatten", berichtet Ho Sing-ju. "Sie wollten ihre Kinder auch nach deren Schulbeginn weiter zu uns schicken."
Zudem baute das Institut ein Lernzentrum für Eltern auf, in dem Kurse über Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung angeboten wurden. "Wir meinen, daß die Qualität der Erziehung eines Kindes absolut von der Einstellung der Eltern abhängig ist", bekräftigt Ho. "Nur gute Eltern bringen gute Kinder hervor. Ob gute Kinderbücher zur Verfügung stehen, ist hier zweitrangig. Der entscheidende Faktor sind die Eltern. Folglich spielt die Ausbildung der Eltern eine wesentliche Rolle, und diese Ausbildung muß kontinuierlich weitergehen."
Hsin Yi ist bereits so groß geworden, daß die Stiftung siebzig feste Angestellte beschäftigt. Jedes Jahr kommen noch zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiter hinzu, die helfen, wo immer sie gebraucht werden. Sie übernehmen Arbeiten wie Sichten und Zusammenstellen von Material über Vorschulpädagogik, Katalogisieren von Büchern und Telefondienst. Doch die Führung eines Instituts von diesem Umfang ist alles andere als ein Kinderspiel.
"Unser größtes Problem war zu Anfang ein Mangel an qualifizierten Mitarbeitern", erinnert sich Ho. "Wir - und wenn ich 'wir' sage, meine ich damit auch mich selbst, denn ich bin von Haus aus Historikerin - mußten alle erst die Grundlagen lernen. Aber wir waren entschlossen, die Wüste fruchtbar zu machen, die die Vorschulerziehung damals noch war. Wir waren zu jener Zeit die einzigen, die sich mit diesem Gebiet beschäftigten. Es war wirklich nicht allzu schwierig, in Gang zu kommen, nicht annähernd so schwierig, wie es heute wäre. Heute betrachten so viele Verleger die Vorschulerziehung als ein Geschäft. Wir bewegen uns auf einem sehr konkurrenzträchtigen Terrain."
Was birgt die Zukunft? "Die wichtigste Aufgabe ist, unser Material so weit wie möglich zu verbreiten", sagt Ho. "Wir wollen die Grenzmauern von Zeit und Ort niederreißen. Wir wollen der ganzen Bevölkerung Taiwans unsere Materialien durch alle möglichen Medien zugänglicher machen - Publikationen, Kassetten, Videos, CD-ROMs, sogar über das Internet." Diese Aussicht versetzt sie offensichtlich in Begeisterung. "Man muß fest an das glauben, was man macht, an dieses Geschäft", betont sie. "Und man muß hartnäckig sein. Die Vorschulerziehung ist etwas, das nicht rückgängig gemacht werden kann. Ich finde, was wir hier machen, ist ein wenig wie das Aussäen guter Saat - gut für die nächste Generation, selbst wenn wir dann nicht mehr leben. Ich würde sagen, es ist im Grunde eine Gewissensfrage."
(Deutsch von Christiane Gesell)