03.05.2025

Taiwan Today

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Meister der Vermarktung

01.07.1993
Wofür soll man sich nur ent­scheiden? Vor dieser Frage stehen Taiwans kaufkräftige Kon­sumenten angesichts des verlockenden Warenangebots in den Geschäften.
Die wachsende Kaufkraft der Konsumenten hat dazu beigetragen, daß sich Taiwans Werbebranche in weniger als zehn Jahren von einem kleinen, peripheren Geschäftsbereich zu einem dynamischen, internationalisierten Arbeitsfeld gewandelt hat.

Das vergangene Jahrzehnt wirtschaftlichen Wachstums hat Taiwan den internationalen Ruf eingetragen, mit die größten Geldausgeber der Welt zu beherbergen. Im vergangenen Jahr erreichte das Pro-Kopf-BSP die 10 000 US$-Grenze, und jahrzehntelanges Sparen ermöglicht es den Bürgern nun, nach Lust und Laune einzukaufen, zu reisen und zu konsumieren. Mitte der achtziger Jahre lösten gelockerte Reise- und Einfuhrbestimmungen einhergehend mit der durch den bewegten Börsenmarkt beflügelten Kaufmentalität einen allgemeinen Kaufrausch in Taiwan aus.

Dieser Rausch ist zur Gewohnheit geworden. Die wachsende Beliebtheit von Kreditkarten ist ein Anzeichen dafür. Ausländisches "Plastikgeld" wurde erst 1988 eingeführt. Bis dato sind rund zwei Millionen ausländische und einheimische Kreditkarten ausgestellt worden. Deren Besitzer bedienen sich ihrer gern und ausgiebig. Abrechnungen zeigen, daß Taiwans Konsumenten pro Kauf per Plastikkarte durchschnittlich zwölfmal so viel ausgeben wie US-amerikanische. Im letzten Jahr verdoppelte sich die Gesamtsumme der solcherart getätigten Käufe beinahe; sie stieg von 27 Milliarden NT$ (1,08 Milliarden US$) im Jahr 1991 auf 49,5 Milliarden NT$ (1,98 Milliarden US$) im Jahr 1992.

Aber was soll man kaufen? Nun, da der Markt von Importen überschwemmt ist, nimmt vergleichendes Einkaufen zu. Doch Qualität ist nur ein Aspekt. Wie sieht es mit Trends aus? Was ist in New York, Paris oder Milan in? Die wachsende Kaufkraft der Konsumenten geht mit anspruchsvolleren Kaufgewohnheiten einher. Das Ergebnis? Eine Umwandlung der hiesigen Werbebranche - von einem durch kleine Einmannbetriebe gekennzeichneten Bereich zu einem von zwei Dutzend großen internationalen Firmen dominierten Feld. Insgesamt erreichten die Werbeeinnahmen 70 Milliarden NT$ (2,8 Milliarden US$) im letzten Jahr. Im Vergleich zu 1982, da die Einnahmen nur bei 14 Milliarden NT$ (560 Millionen US$) lagen, drückt diese Zahl eine entscheidende Veränderung aus.

Teamarbeit und Fortbildungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter sind heute essentiell im schnellebigen und konkurrenzträchtigen Feld der Werbung.

Das Wachstum entsprang zum großen Teil dem Einfluß internationaler Werbeagenturen, die Mitte der achtziger Jahre nach Taiwan gelangten. Der richtige Aufschwung begann 1984, als das Wirtschaftsministerium Joint-venture-Unternehmungen zwischen einheimischen und ausländischen Firmen genehmigte. Im darauffolgenden Jahr kam die US-amerikanische Werbefirma Ogilvy & Mather (O&M) als erste in einer Reihe von meist amerikanischen und einigen wenigen japanischen Werbeagenturen nach Taiwan. Taiwan wurde sogar noch attraktiver, nachdem das Ministerium 1988 den Beschluß faßte, ausländischen Firmen hierzulande die Errichtung von Niederlassungen zu genehmigen.

Heute sind 24 der 30 Spitzenumsätze verzeichnenden Werbefirmen entweder Zweigstellen ausländischer Unternehmen, Joint-ventures oder einheimische Agenturen, die mit ausländischen Firmen Abkommen über technische Kooperation abgeschlossen haben. Die Firmen aus dem Ausland brachten eine Fülle von wertvollen Erfahrungen mit sich. "Viele von ihnen haben eine über fünfzigjährige Geschichte", weiß Johnny Daunn(段鍾沂), Herausgeber der chinesischen Ausgabe der Zeitschrift Advertising Age. Und während die meisten der einheimischen Firmen im Durchschnitt weniger als dreißig Angestellte verzeichnen, listen Joint-venture- oder Zweigstellenunternehmen oft über hundert auf.

Die Anzeigenkunden bemerkten rasch, daß diese neuen Firmen enormes Wissen bezüglich Produkten, Vorgehensweisen, Märkten sowie internationalen Organisations- und Informationsnetzen besaßen. "Sie waren effizient und stellten strikte Qualitätsanforderungen an ihre Arbeit", bemerkt der Marketingleiter eines großen Lebensmittelherstellers in Südtaiwan. Auf der anderen Seite waren einheimische Firmen oftmals nicht in der Lage, den Bedürfnissen der Kunden gerecht zu werden, wie er ausführt: "Es konnte passieren, daß ein Werbebüro auf eine verrückte Idee kam, die in keiner Beziehung zur Produktstrategie stand." Heutzutage bedeutet solch ein Fehler das Aus. Man kann damit rechnen, daß der Kunde woandershin geht.

Vorgehensweisen, die man ehemals als optimal angesehen hat, wirken nicht mehr länger. Vor zehn Jahren war es typisch, daß der Besitzer eines Werbebüros gleichzeitig als leitender Direktor und Geschäftsführer fungierte. Er oder sie war für alle Geschäftsfragen zuständig, vom Kundenkontakt bis hin zur künstlerischen Planung und Marktforschung. Alle anderen in der Firma waren lediglich Mitarbeiter, und die meisten von ihnen betrachteten ihre Stelle als Sprungbrett zu einer besseren Position in einem anderen Bereich. Wenige sahen in der Werbung eine vielversprechende Karriere. "Jedermann konnte es zum Geschäftsführer in einer solchen Agentur bringen", stellt Warren Chen(陳俊良), Mediendirektor bei Ogilvy & Mather (Taiwan), fest.

Das Problem ergab sich zum Teil daraus, daß die Besitzer wegen der hohen Abwanderungsrate selten Zeit oder Geld für die Fortbildung ihrer Angestellten aufwendeten. Statt dessen hielten sie die Zügel jedes Geschäftsbereiches fest in der Hand, einschließlich der Kundenwerbung und -betreuung. Das Geschäft eines Werbeunternehmens hing üblicherweise größtenteils von den Beziehungen des Besitzers ab - und davon, wie oft er Kunden zum Essen einlud und welche besonderen Preisangebote er seinen Freunden machte. Die Qualität der Arbeit wurde oftmals als zweitrangig betrachtet.

Was spricht die Verbraucher an? Was ist dieses Jahr in? - Trends können sich schnell ändern. Deshalb stützen sich immer mehr Werbeagenturen auf die Marktforschung als Weg zur Ermittlung von Verbrauchermeinungen.

Und das sah man. Die Anzeigen im Fernsehen oder in Zeitungen und Zeitschriften der frühen achtziger Jahre erinnerten an US-amerikanische Werbung der Fünfziger. Sie bedienten sich meist einer direkten Verkaufsmasche, die viel versprach, aber einfallslos war. Es wurden wenig Anstrengungen unternommen, ein eindeutiges Produktimage zu entwickeln oder eine Stimmung heraufzubeschwören. Lächelnde Hausfrauen in einschlägigen Küchen machten Reklame für Sojasauce, grazile Models umarmten die neueste Waschmaschine. Das waren aggressive Verkaufstaktiken, die wenig Kreativität aufwiesen. Es war tatsächlich eine unbedarftere Zeit, sowohl für die Werbebranche als auch für die Verbraucher.

Mitte des letzten Jahrzehnts, als die Importe begannen, den Markt zu überschwemmen, war eine der beliebtesten Werbestrategien, einfach herauszustellen, daß es sich um ein Produkt aus dem Ausland handelte. Eine Reihe von Importtarifsenkungen machte ehemals unzugängliche Dinge verfügbar und löste einen Kauftrend aus. Zu jener Zeit hatten die Anzeigenkunden es einfach. Alles, was den Vermerk "importiert" trug, verkaufte sich garantiert. Viele Werbeagenturen benutzten schlichtweg Anzeigen aus anderen Ländern, die sie ins Chinesische übertrugen. Auch das Kopieren von Stil, Aussehen und Inhalt ausländischer Reklamen war verbreitet. "In der Vergangenheit blätterte man in den meisten Agenturen Zeitschriften durch und schaute sich Fernsehwerbungen an, woraufhin dann der Stil US-amerikanischer oder japanischer Anzeigen nachgemacht wurde", erzählt Ho Yin-chao(何英超), Gruppengeschäftsführer bei O&M. Es wurde wenjg getan, um den einheimischen Markt gezielt anzugehen.

Erkennungsmelodien, Produktimage, Namenserkennung, Firmenloyalität. Dies sind ein paar der neuen Konzepte, welche internationale Firmen Ende der achtziger Jahre mit auf den Markt brachten. Die Kunden merkten bald, daß viel mehr zum Verkauf ihrer Produkte getan werden konnte. Ho Yin-chao beschreibt die Wandlung der Werbung von Giant Sales Company, Taiwans größtem Fahrradhersteller. Als die Firma 1986 begann, mit O&M zusammenzuarbeiten, "waren Giants Anzeigen wie Katalogeintragungen", erzählt Ho. "Man listete einfach die Funktionen des Produkts auf."

Um Spannung aufzubauen, schlug die Agentur vor, statt der alten Taktik mit Stimmung und Image zu werben. Schließlich produzierte sie eine Serie von gedruckten Anzeigen und Fernsehspots, die das Vergnügen ausdrücken, auf Giant-Fahrrädern zu radeln. Anstalt sich auf Robustheit und angemessenen Preis zu konzentrieren, versuchten die Anzeigen, beim Publikum Assoziationen mit Freizeit, Freunden, Gesundheit und Spaß zu wecken.

Das von King Car Food Industrial Co. in Taipei hergestellte, gesüßte, in Dosen erhältliche Kaffeegetränk Mr. Brown's Coffee machte ebenfalls drastische Veränderungen der Vermarktungsstrategien mit. Von 1981 bis 1984 ließ die Firma Fernsehwerbespots ausstrahlen, deren Stil und Inhalt dem von Coca-Cola sehr ähnlich waren: die Filme zeigten eine Gruppe glücklicher junger Leute, die Mr. Brown's Coffee tranken. Doch der Getränkehersteller änderte 1985 seine Taktik und begann mit einer Kampagne, welche die Verbraucher zum Vergleich zwischen ähnlichen Getränken aufforderte. Ein wichtiges Element der Werbung war ein einprägsamer Erkennungssong. Heute ist diese Melodie fast jedem Fernsehzuschauer vertraut. Laut Aussagen von Su En-min(蘇恩民), Direktor der Geschäftsplanungsabteilung bei King Car, stieg der Marktanteil von Mr. Brown's Coffee um 39 Prozent im Jahr 1985 und um 48 Prozent im darauffolgenden Jahr.

Viele der bedeutendsten Veränderungen der vergangenen sechs bis sieben Jahre haben sich hinter den Kulissen abgespielt. Am wichtigsten war vielleicht die Einführung von Fortbildungsmaßnahmen für die Mitarbeiter. So etwas war vor zehn Jahren nahezu unbekannt, doch die meisten ausländischen Firmen kamen mit Trainingsprogrammen hier an.

O&M Taiwan wendete beispielsweise im vergangenen Jahr 4 Millionen NT$ (160 000 US$) für Weiterbildung auf. Personal aus jeder Abteilung muß an wöchentlich oder zweiwöchentlich stattfindenden Kursen teilnehmen, und zusätzlich schickt die Firma regelmäßig Angestellte zur Teilnahme an Lehrgängen anderer Geschäftsstellen im Ausland. Der Unterricht konzentriert sich vor allem auf Fähigkeiten, die vielen von Taiwans Agenturen fehlten, darunter Organisation, Teamarbeit und Zeitplanung. Das Mitarbeitertraining ist laut Shenan Chuang(莊淑芬), leitende Direktorin von O&M, so wichtig, daß der Nutzen bei weitem das unvermeidbare Risiko der Abwanderung von Angestellten zu anderen Firmen überwiegt. "Wir werden oft gefragt, ob es sich lohnt, so viel Geld für Fortbildung auszugeben, da die Überläuferrate in dieser Branche extrem hoch ist", berichtet sie. "Unserer Ansicht nach sind Stellenwechsel etwas Unvermeidliches. Aber wir stellen unsere Trainingsprogramme nicht einfach deswegen ein."

Zeitungen kassieren die meisten Werbeeinnahmen, da sie als das beständigste Medium gelten und billigeren Reklameplatz als das Fernsehen bieten. Zeitschriften und Magazine sind als Werbeträger beliebt, weil sie ganz spezielle Zielgruppen erreichen.

Die Firmen aus dem Ausland führten außerdem Konzepte der Arbeitsteilung und -spezifikation ein. "Früher waren die Geschäftsführer normalerweise für alles verantwortlich, von der Leitung bis hin zu Einfällen, dem Einkauf von Werbezeit und der Plazierung in den Medien", stellt der bei J. Walter Thompson (JWT) arbeitende Raymond So(蘇雄)fest. Die meisten internationalen Agenturen zum Beispiel teilen zwecks effektiverer Arbeitsweise jene Aufgabenbereiche, die zuvor alle vom Besitzer übernommen worden waren, zwischen einem leitenden Direktor, einem Generalmanager, einem geschäftsführenden Direktor und einem Kreativdirektor auf oder folgen einer ähnlichen Einteilung.

Teamarbeit stellte ein weiteres unterentwickeltes Konzept in Taiwan dar. "Vor zehn Jahren arbeiteten Taiwans Texter und Designer praktisch ohne Verbindung", verdeutlicht Shenan Chuang. In der einen Abteilung wurde der Text geschrieben, in der anderen das Layout gemacht und in der Schlußphase wurden die beiden Teile zusammengesetzt. Diese Vorgehensweise war ineffektiv und führte häufig zu Mißverständnissen. Bei O&M arbeiten Künstler und Texter "wie ein Paar" zusammen, verrät Chuang. "Durch Diskussionen und Brainstorming bringen sie großartige Ergebnisse hervor."

Die sich schnell verändernden Trends, denen die Verbraucher folgten, haben eine weitere wichtige Entwicklung in der Werbung veranlaßt: Vor einem Jahrzehnt waren wenige Anzeigenkunden bereit, Geld für Marktforschung auszugeben. Sie verließen sich stattdessen auf ihr Verkaufspersonal und Kunden bezüglich Verbraucherinformationen. Multinationale Firmen brachten die Einstellung mit, daß Marktforschung ein wesentlicher Bestandteil der Analyse früherer Anzeigen und der Planung neuer ist. O&M beispielsweise bedient sich regelmäßiger Telefonumfragen, um die Wirkung von Fernsehwerbung einzuschätzen.

Angesichts ihrer Erfahrung und Sachkenntnis ist es nicht weiter verwunderlich, daß die internationalen Werbeagenturen sich rasch einen Kundenstamm aufbauten und begannen, die Branche zu bestimmen. Viele von ihnen verzeichnen nun weitaus größere Einnahmen als einheimische Agenturen. 1992 verbuchte O&M mit 1,4 Milliarden NT$ (56 Millionen US$) die höchsten Einkünfte unter den Werbefirmen. Tatsächlich sind fünf der sechs Spitzenunternehmen derzeit entweder in ausländischem Besitz oder Joint-ventures, und alle vereinnahmten mehr als eine Milliarde NT$ (400 Millionen US$) im letzten Jahr. Im Vergleich haben viele einheimische Agenturen in den letzten Jahren Geschäftseinbußen hinnehmen müssen, was gewisse Animositäten in der Branche verursachte.

"Es ist ein unfairer Wettbewerb", beschwert sich Robert K. M. Liang(梁開明), Chef vom Dienst und leitender Kreativdirektor von Target Advertising Agency in Taipei. "Wir haben Kunden verloren, nicht weil unsere Leistungen schlecht waren, sondern weil die multinationalen Werbeagenturen unserer Kunden Büros auf Taiwan einrichteten." Liang bringt einen Kunden von Target, die Kosmetikfirma Max Factor, als Beispiel. Die Muttergesellschaft Proctor & Gamble transferierte kürzlich die Werbung für die Kosmetikproduktlinie zu der in den USA beheimateten Agentur Leo Burnett Co. Ltd. "Dadurch büßen wir 30 Millionen NT$ jährlich ein", beklagt er.

Einheimische Agenturen verlieren auch ihre Spitzenleute an die Multinationalen. "Ausländische Firmen ködern Angestellte mit zwei- bis dreimal so hohen Gehältern", weiß Liang. "Auch das ist unlauterer Wettbewerb. Diese großen Werbeunternehmen müssen während der ersten fünf Jahre in Taiwan noch keinen Profit erzielen. Sie können in anderen Ländern Geld machen, um hiesige Verluste abzudecken."

Wie können einheimische Firmen überleben? Viele Agenturen sind Partnerschaften oder Joint-ventures eingegangen, doch einige widersetzen sich auch dem Trend und sind auf eigene Faust erfolgreich. Target ist eine Firma, die beschloß, sich unabhängig der Herausforderung zu stellen. Um internationale Kontakte herzustellen, zahlt die Firma jährlich 1500 US$ für die Mitgliedschaft bei 3AI, einer in den USA ansässigen Organisation von unabhängigen Werbeagenturen, die über hundert bedeutende Märkte auf der ganzen Welt repräsentieren. Die Vereinigung dient als Informationszentrale, welche durch eine Bibliothek, Informationsrundschreiben, juristische Unterlagen, Computerlisten über Kunden und Spitzenleute in der Branche sowie durch Abhaltung regelmäßiger internationaler Mitgliedertreffen und -konferenzen ihre Mitglieder mit Fakten und Zahlen internationaler Märkte versorgt.

Auch die Taipeier United Advertising Co. entschied sich gegen die Formierung eines Joint-ventures. Statt dessen eignete sich die Agentur einige der von den ausländischen Konkurrenten angewendeten Strategien an. "Zuvorderst war es nötig", erinnert sich David Liu(劉篤行), stellvertretender geschäftsführender Direktor, "das interne Management zu verbessern. Wir müssen zugeben, daß United in der Vergangenheit viele Probleme hatte, einschließlich eines schlechten Managements, niedriger Effizienz und magerer Gewinne." Als er 1990 zu der Agentur stieß, war es seine erste Aufgabe, Ausgaben zu überwachen, laufende Kosten zu senken und ein effizientes Konzept für den Projektablauf zu entwickeln.

Was das Problem der Abwanderung von Mitarbeitern an andere Firmen anbelangt, hat Liu gelernt, Nutzen aus den ausländischen Agenturen zu ziehen. "Unsere Lösung lautet, gutausgebildete, erfahrene Leute von internationalen Firmen anzulocken, indem wir angemessene Gehälter bieten", erzählt Liu. "Gleichzeitig haben wir den Lohn der schon für uns arbeitenden Angestellten um 30 Prozent angehoben." Die Hälfte der leitenden Manager bei United hat zuvor für internationale Werbeagenturen gearbeitet. Andere einheimische Firmen haben sich ebenfalls diese Strategie angeeignet. Durch den "umgekehrten Brain-Drain", wie Liu diesen Vorgang nennt, hat sich die Professionalitätslücke zwischen in- und ausländischen Firmen erheblich verkleinert.

Tatsächlich hat in den acht Jahren, seit die erste internationale Werbeagentur auf Taiwan eintraf, ein reicher Know-how-Transfer die Entwicklung hin zu besserer Qualität in der Branche gefördert. Das hatte zur Folge, daß die Unterschiede im Professionalitätsgrad zwischen in- und ausländischen Firmen bedeutend schrumpften. "Der Abstand hat sich verringert", bestätigt der Marketingleiter einer in Südtaiwan ansässigen Lebensmittelfirma. "Jene Angestellten, die gestern noch für eine Werbeagentur aus dem Ausland gearbeitet haben, mögen heute schon zu einer einheimischen überwechseln; und sie bringen neue Ansätze mit sich."

Während all dieser Veränderungen in der Werbebranche haben gleichzeitig die Verbraucher eine Metamorphose erlebt. Sie haben größeren Zugang zu internationalen Medien, die Unterhaltungsindustrie blüht, und Reisen zwecks Geschäft, Bildung oder Vergnügen sind allgemein üblich geworden. Das Ergebnis? Die Verbraucher zeigen sich weltoffener und anspruchsvoller.

Beispielsweise hat sich die Vernarrtheit in ausländische Waren seit Mitte der achtziger Jahre merklich gelegt. "Die Konsumenten vertrauen den Importgütern nicht mehr blindlings", gibt Mike Chou(鄒光華), leitender Direktor von Viewpoint Research and Consulting Co. in Taipei, zu bedenken. Designeretiketten und Markennamen aus dem Ausland bilden nicht länger die einzige Attraktion. Qualität und Ehrlichkeit in der Werbung sind wichtiger.

Hinzu kommt, daß die verschiedenen Kanäle, über die Anzeigenkunden die Öffentlichkeit erreichen, sich schnell verändern und es sich dadurch zu einer noch größeren Herausforderung für die Werbergestaltet, die Wünsche der Konsumenten aufzuspüren und - zu beeinflussen. Das Fernsehen ist das einflußreichste und gleichzeitig teuerste Medium zur Erreichung der Konsumenten. Dreißig Sekunden während der Hauptsendezeit von 19 bis 21 Uhr kosten 90 000 NT$ (3600 US$). In der Branche Beschäftigte erklären, daß das Fernsehen sich in den letzten zehn Jahren einer zunehmend mächtigen Stellung als Werbekanal erfreut.

"85 Prozent von Taiwans Bevölkerung können problemlos über die drei Fernsehanstalten erreicht werden - ein Rekord, bei dem die anderen Medien nicht mithalten können", erklärt Ho Yin-chao von O&M und bezieht sich dabei auf die kürzlich von Survey Research Taiwan gesammelten Zahlen. Eine Telefonumfrage zeigte, daß 85 Prozent der Befragten am vorhergegangenen Tag ferngesehen hatten. Hinzu kommt, daß 96 Prozent der hiesigen Haushalte ein TV-Gerät besitzen (30 Prozent der Haushalte haben mehr als zwei Apparate), und das Einschalten ist Zeitvertreib Nummer eins hierzulande.

Doch erlebt das Fernsehen gegenwärtig eine bedeutende Veränderung, die durch die Satellitenprogramme verursacht wird. Die Werbekunden können nun zwischen verschiedenen Formen der Fernsehübertragung wählen, je nachdem welchen Marktsektor sie erreichen wollen. Obwohl sie bis 1988 illegal waren, begannen Anfang der achtziger Jahre die Empfangsschüsseln, die auf chinesisch übrigens "Kleines Ohr" heißen, auf Taiwans Hausdächern aufzutauchen. Sie brachten Programme aus Hongkong, Japan, Europa und Amerika in Millionen von Haushalte. Der Hongkonger Fernsehsender StarTV mit seinen fünf Programmen schätzt, daß seine Sendungen 20 bis 25 Prozent der hiesigen Haushalte erreichen. Anzeigenkunden richten ihre Aufmerksamkeit auf das Satellitenfernsehen, weil es einen weitaus größeren Markt bietet als die lokalen Kanäle. Warren Chen von O&M meint: "Viele internationale Firmen tendieren dazu, Sendezeit bei StarTV anzukaufen, da sie damit sowohl Taiwan als auch andere asiatische Märkte ansprechen können."

Wegen der hohen Kosten der Fernsehreklame streichen Zeitungen den größten Anteil an Werbeeinnahmen ein. Sie sind außerdem das beständigste Medium. Fast vierzig Prozent der Gesamtsumme, die für Werbung in Taiwans Massenmedien ausgegeben wird, fließen in die 216 Tages- und Wochenzeitungen, derweil 30 Prozent an das Fernsehen und sieben Prozent an Zeitschriften ergehen. Nachdem die Regierung 1988 das Verbot zur Neugründung von Zeitungen sowie die Seitenzahlbeschränkung für Zeitungen aufgehoben hatte, stiegen die Aufwendungen für An­zeigen in den Publikationen leicht, auf 20,8 Milliarden NT$ (880 Millionen US$) pro Jahr, an. Doch die Zahl ist seither einwenig gefallen.

Zeitschriften haben sich rascher als Werbemedium entwickelt. Durch das gestiegene private Einkommen erlebte die Branche einen Aufschwung. Eine Reihe von neuen Spezialmagazinen konzentriert sich auf Wirtschafts- und Finanzberichte, Politik oder Themen für die berufstätige Frau. Der immer anspruchsvoller werdende heimische Markt hat außerdem viele ausländische Zeitschriften veranlaßt, chinesische Ausgaben für Taiwan herauszubringen, darunter People, Cosmopolitan und PC World. Diese neuen Publikationen haben Anzeigenkunden zuvor unbekannte Kanäle geschaffen, über die sie bestimmte Gesellschaftsgruppen ansprechen können. Vertreter von Werbeagenturen sagen aus, daß berufstätige Frauen, Rentner und Teenager bevorzugt als Zielgruppen angepeilt werden.

Das vielleicht wichtigste Anzeichen des Fortschritts in der Werbebranche ist ihr verbessertes öffentliches Image. In ein paar Jahren nur hat sich die kreative Vermarktung von einem kleinen, unprofessionellen, nur für Brancheneinsteiger geeigneten Feld zu einem internationalisierten, kreativen, ja sogar glamourösen Karrierebereich entwickelt. "Jetzt zieht die Branche mehr talentierte Leute an", sagt der Herausgeber von Advertising Age, Johnny Daunn. "Die Arbeit in einer Werbeagentur gilt nun als angesehene Beschäftigung."

(Deutsch von Jessika Steckenborn)

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