17.05.2025

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01.05.1993
March Fong Eu, Beauftragte für Öffentliche Angelegenheiten von Kalifornien, zitiert Vorhersagen, die Chinesen könnten zukünftig eine Mehrheit in dem sonnigen Bundes­staat bilden.
Amerikaner chinesischer Herkunft haben in Forschung und Wirtschaft Karrieren gemacht, und jetzt wird ihre Präsenz in den Künsten und in der Politik bemerkbar. Die unsichtbare Minderheit macht von sich hören.

Als die ersten Chinesen in Amerika eintrafen, um dort als Eisenbahnarbeiter oder Bergleute zu schuften, wußten sie nicht, daß sie bleiben würden. Sie kamen, um ihr Glück zu machen und dann wieder heimzukehren. Heute, mehr als ein Jahrhundert später, stellen ihre Nachkommen wie auch die Chinesen der Immigrationswellen aus neuerer Zeit eine dynamische und kreative Kraft in den pluralistischen Gesellschaften Nordamerikas dar. Ihre Beiträge im Bereich der wissenschaftlichen Forschung wie auch in der Wirtschaft sind wohlbekannt, und nun wächst ihr Einfluß in den Künsten und in der Politik. Viele Jahre hindurch blieben die Chinesen jedoch dort eine schweigende und unsichtbare Minderheit; für den Rest der Vereinigten Staaten waren sie mysteriöse Menschen, die am Rande der Gesellschaft, hinter den Mauern von "Chinatown", ihr verborgenes Leben lebten.

Einem offiziellen Bericht der Kommission für auslandschinesische Angelegenheiten der Republik China (ROC Overseas Chinese Affairs Commission) zufolge gibt es 2 Millionen Amerikaner chinesischer Abstammung, die ein Prozent der Bevölkerung in den USA ausmachen. Zur Zeit leben etwa 20 Prozent dieser Amerika-Chinesen im Gebiet von New York, 40 Prozent in Kalifornien und weitere 10 Prozent auf Hawaii, während sich die verbleibenden 30 Prozent auf die anderen 47 Bundesstaaten verteilen. Das Wachstum der chinesischen Bevölkerung in den Vereinigten Staaten ist über die letzten eineinhalb Jahrhunderte in Wellenbewegungen verlaufen; doch war der Zuwachs in den letzten Jahrzehnten am drastischsten. Seit 1986 wuchs ihre Anzahl um fast 25 Prozent.

Der steilste Anstieg erfolgte 1988, als die US-Regierung illegalen Einwanderern eine Amnestie gewährte. Und die Zahl wächst weiterhin, da neue Immigranten aus Taiwan und Hongkong, vom chinesischen Festland, aus Südostasien sowie Südamerika in das Land einreisen. Gemäß dem Einwanderungsgesetz der USA von 1965 ist für jedes Land in der östlichen Hemisphäre eine Quote von 20 000 Immigranten pro Jahr festgesetzt. Die Republik China, Hongkong und Festlandchina haben alle eine eigene Quote. March Fong Eu, Beauftragte für Öffentliche Angelegenheiten des Staates Kalifornien, berichtet, einige Leute würden bereits davon ausgehen, daß die Amerikaner chinesischer Herkunft im Jahre 2000 eine Mehrheit in diesem Staat bilden werden.

Es ist eine Binsenweisheit, daß Menschen mit demselben ethnischen Hintergrund dazu neigen, eng zusammenzuhalten, wenn sie im Ausland sind. Die ersten chinesischen Einwanderer neigten gar dazu, sich an einem Ort zu konzentrieren, und ihre Gemeinden entwickelten sich zu den "Chinatowns", welche man heute in fast allen bedeutenden Städten Amerikas vorfindet. Die meisten der später gekommenen Einwanderer haben sich jedoch nicht in den alten Enklaven niedergelassen. Chen Po-haug aus San Francisco verweist darauf, daß die Bewohner in den Chinesenvierteln überwiegend Chinesen der älteren Generation seien, die entweder in den Anfangstagen der Einwanderungsbewegung in die USA gekommen sind oder dort geboren wurden. "Eigentlich", faßt Chen zusammen, "leben die meisten der in letzter Zeit Immigrierten und ihre Kinder nicht in Chinatown. Sie kommen einfach deshalb, weil sie hier geschäftlich zu tun haben."

Eine Fotoausstellung in San Fran­cisco informiert über "Chinatown im Wandel der Zeit".

Die neuen, hauptsächlich aus erst kürzlich angekommenen Immigranten bestehenden chinesischen Gemeinden haben sich um die meisten der großen Städte herum gebildet. Von San Jose in Kalifornien beispielsweise heißt es, daß es dort eine hohe Konzentration von Ingenieuren aus Taiwan gebe. Im Landkreis von Los Angeles nennt man die Stadt Monterey Park "Klein-Taipei". Man kann sich dort im Gewirr all der chinesischen Restaurants, die sich auf die Küche Taiwans spezialisiert haben, leicht verirren. Queens ist auch als New Yorks "zweites Chinatown" bekannt, denn das ursprüngliche Chinesenviertel liegt mitten in der Stadt, in Manhattan. Im Zentrum des Marktviertels von Flushing rempeln und stoßen sich die Leute mit den Ellbogen ohne die geringste Entschuldigung, ganz wie auf jedwedem traditionellen chinesischen Markt.

Das alte Chinatown und die neuen chinesischen Gemeinden sind, so der in San Francisco lebende Chen Po-haug, sehr unterschiedlich. Erstens sind die Sprachen verschieden. Chen erklärt, daß die in Chinatown übliche Sprache der Toyshan-Dialekt ist, den die ersten chinesischen Immigranten, welche alle aus einem bestimmten Gebiet in der Provinz Kuang-tung kamen, benutzten. "In den neuen chinesischen Gemeinden jedoch", fährt er fort, "wird im allgemeinen Mandarin-Chinesisch, Taiwanesisch oder Hongkong-Kantonesisch gesprochen."

Neue chinesische Gemeinden zeichnen sich auch durch das hohe Bildungsniveau ihrer Einwohner aus. "Die Menschen in Chinatown waren eher weniger gut ausgebildet. Viele von ihnen hatten nur die Mittelschule besucht. Und diejenigen, welche in Chinatown aufwuchsen und auf die Universität gingen, sind später von dort weggezogen", so L. C. Peng, Präsident des Verbandes von Kaufleuten aus Taiwan (Taiwan Merchant Association) in Flushing.

Die Chinesen haben den Wert einer guten Schulbildung schon seit jeher erkannt, doch waren bis zu den letzten Jahrzehnten aus einer Reihe von Gründen die in Amerika gebürtigen Chinesen vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und genossen keine Chancengleichheit. Im allgemeinen wurden sie Kleinhändler, Restaurantbesitzer und Arbeiter. Für einige bedeutete eine Ausbildung die Zugangsberechtigung zu einem besseren Leben außerhalb von Chinatown: "Als ich jung war, hatte ich keine Ahnung davon, daß ich Richter werden sollte. Aber ich wußte, daß ich nicht werden wollte, was mein Vater war - Wäschemann", erinnert sich Ronald S. W. Lew vom Bezirksgericht in Los Angeles.

Amerikaner chinesischer Herkunft sind engagierte Geschäftsleute. Besonders beliebt, ja fast schon traditionell sind Unternehmungen im Gastronomie- und Hotelleriebe­reich.

Anders als die Einwohner der Chinesenviertel, so erklärt Peng, kam die Mehrheit der Einwanderer in jüngerer Zeit aus Hongkong und Taiwan, um in den USA einen höheren Universitätsabschluß zu machen. Diese Studenten bildeten mit Beginn der fünfziger Jahre eine zweite Welle chinesischer Immigranten in die Vereinigten Staaten. In den Tagen, als Taiwan noch nicht so wohlhabend war, sparten und borgten viele Eltern Geld, um ihre Kinder zum Studium ins Ausland zu schicken, in der Hoffnung, daß sie zurückkehren und ihrer Familie Ehre und Wohlstand bescheren würden.

In jenen Tagen war man im allgemeinen der Ansicht, daß die Naturwissenschaften der Weg seien, den es einzuschlagen gelte. Naturwissenschaftler waren gesucht, Forschungsgelder vorhanden, die naturwissenschaftlichen Berufszweige garantierten einen komfortablen Lebensstandard und boten auch eine Möglichkeit, die begehrte "grüne Karte", d. h. die amerikanische Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, zu erhalten. Eine sichere Beherrschung des Englischen wurde nicht verlangt. David S. Lee beispielsweise immigrierte mit seinen Eltern von Taiwan nach Argentinien. Später zog er in die Vereinigten Staaten. "Da war niemand, der mir geraten hätte, was ich an der Universität studieren sollte. Meine Eltern sagten mir, ich solle Naturwissenschaften studieren. Aber welche Naturwissenschaft? Wiederum konnte mir keiner einen Rat geben", meint Lee im Rückblick auf seine studentischen Tage in Argentinien vor Besuch der Universität des Staates Montana (Montana State University). Schließlich wählte er Maschinenbau, weil es dafür einer Menge Mathematik bedurfte, sein Lieblingsfach in der Oberschule. Im Jahre 1973 erfand Lee den Typenraddrucker. Heute ist er Chef von Qume, einer führenden Computerfirma im Silicon Valley von San Jose.

Der in Peking gebürtige William C. Hsiao erinnert sich, wie schwer es in den fünfziger Jahren war, den Druck, eine Naturwissenschaft zu studieren, außer acht zu lassen. Er entschied sich für Wirtschaftswissenschaft. "Es war sogar schwierig, den Mädchen nachzustellen", erzählt er. "Die Eltern glaubten fest, daß ich keine Zukunft hätte." Hsiao ist jetzt 55 Jahre alt und Professor an der Harvard-Schule für Gesundheitswesen (Harvard School of Public Health). Im Jahre 1989 wurde er in Anerkennung seiner herausragenden Forschungsarbeit vom Herausgebergremium bei McGraw-Hill Publications zum "Mann des Jahres im Bereich Medizin und Gesundheit" gewählt.

Sie kamen, und sie blieben auch, vor allem vor den siebziger Jahren, als Arbeitserlaubnis und grüne Karte immer noch relativ leicht zu bekommen waren. Und einige waren recht erfolgreich. Ein Blick auf die Karrieren von Amerikanern chinesischer Herkunft im Alter über vierzig zeigt ein Überwiegen von Fachleuten in gehobenen Positionen. Die meisten sind im Bereich der Ingenieurswissenschaften, in der wissenschaftlichen Forschung und an den Universitäten tätig. "Der Himmel hier in den Staaten kennt keine Grenzen", kommentiert Eugene W. Wu, Bibliothekar der Harvard-Yenching-Bibliothek (Harvard-Yenching Library). Und Wu Jar-rong, der einen Doktortitel für Maschinenbau hat, erklärt: "Vor zwanzig oder dreißig Jahren konnte Taiwan kein Arbeitsumfeld bieten, wo ihre Spezialkenntnisse optimal zum Einsatz gekommen wären." Tien Chang-lin, Kanzler der Universität Kalifornien in Berkeley (University of California at Berkeley) ist studierter Physiker und begann als Lehrer. Der 56 Jahre alte Tien, der von der Nationalen Taiwan-Universität abging, ist einer der wenigen Amerika-Chinesen, die jemals einer Universität vorgestanden haben.

Andere verließen die Hochschulen, um Karrieren in der wissenschaftlichen Forschung für Amerikas Industrie zu machen, indem sie entweder in etablierte Unternehmen eintraten oder ihre eigenen gründeten. Wu Jar-rong beispielsweise arbeitet jetzt für AT&T Bell Laboratories in New Jersey. Zuvor war er Universitätsprofessor.

Das Gefühl chinesischer Immigran­ten, zwischen zwei Kulturen zu ste­hen, macht sich nicht zuletzt bei der Sprache bemerkbar. Chinesische Kinder, die in den USA englisch­sprachig aufwachsen, haben wenig Motivation, zusätzlich die Sprache ihrer Eltern zu erlernen.

Amerikaner chinesischer Abstammung haben sich auch in der Geschäftswelt hervorgetan. Der wirtschaftliche Einfluß dieser Gruppe belegt ihren Erfolg. Das 1990er Jahrbuch der Kommission für auslandschinesische Angelegenheiten der Republik China zeigt, daß 1989 mehr als 9000 Handelsfirmen mit einem Gesamtkapital von mehr als 10 Milliarden US$ in chinesischem Besitz waren. Im Bereich Immobilien investierten Chinesen aus Taiwan 1986 etwa eine halbe Milliarde US-Dollar, das waren 2,5 Prozent der gesamten ausländischen Investitionen in Amerikas Immobiliengeschäft. Bis 1990 stieg die Summe auf eine Milliarde US$ an. Der Umfang der Investitionen chinesischer Anleger aus Hongkong und Singapur ist sogar noch höher.

Die Hotellerie ist ebenfalls beliebt bei den Amerika-Chinesen, vor allem bei denen aus Hongkong. Vor drei Jahren erwarben die Eigentümer des Hongkonger "Meridien Hotel" ein Fünftel der Aircoa Company Inc. sowie das Recht auf die Betreibung der 134 Aircoa-Hotels in den Vereinigten Staaten. Die Gastronomie, einer der ältesten Geschäftszweige von Amerika-Chinesen, erfreut sich auch bei späteren Einwanderern großer Beliebtheit. Die Computerindustrie ist eine weitere Branche, in der sich Amerikaner chinesischer Herkunft engagieren. Der Name Wang ist in den Vereinigten Staaten eng mit Computern verknüpft.

Einwanderer aus China sehen sich aber auch vielen Schwierigkeiten gegenüber. Die Entscheidung, in einem neuen kulturellen Umfeld zu leben und zu arbeiten, kann zahlreiche Herausforderungen mit sich bringen. Man muß sich an neue Arbeitsmentalitäten und Sitten gewöhnen und wird mit Diskrimination konfrontiert. Auch gelten andere Arbeitsanforderungen in der amerikanischen Industrie. Im allgemeinen haben Chinesen das Gefühl, daß sie oft mit niedrigeren Positionen bedacht oder aufgefordert werden, sich um rein technische Angelegenheiten zu kümmern. Mitglieder der chinesischen Gemeinde klagen über die Schwierigkeit, ins Top-Management vorzudringen. Wenn ihnen Arbeit an einem technischen Projekt zugewiesen wird, ist es gewöhnlich eine mit weniger wichtigen oder anspruchsvollen Aspekten. In der Folge haben viele chinesische Angestellte das Gefühl, daß sie nur wenig Gelegenheit haben, ihr volles Potential einzubringen. Solche Beschwerden sind bei allen Minderheiten in Amerika geläufig.

Einige chinesische Immigranten klagen über rassische Vorurteile und Diskriminierung. Die Organisation "Asiatische Amerikaner für affirmative Aktion" (Asian Americans for Affirmative Action, "4A") wurde 1978 gegründet, um das aufgeworfene Problem der Diskriminierung anzugehen und sicherzustellen, daß asiatische Amerikaner ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechend bezahlt und gefördert werden. An Chung-ming von AT&T Bell Laboratories, ein aktives Mitglied im Exekutivausschuß von "4A", sagt, daß die Organisation eine positive Haltung zu Einstellung, Ausbildung, Einsatz und Förderung asiatischer Amerikaner unterstützen möchte. "Wir wollen die Leute wissen lassen, daß asiatische Amerikaner nicht nur in technischen Bereichen, sondern auch im Management Herausragendes leisten können", sagt er. Von "4A" zusammengestellte Statistiken zeigen, daß die Zahl der bei AT&T Bell Laboratories eingestellten Asien-Amerikaner in den letzten zehn Jahren um 15 Prozent gestiegen ist. Asiaten machen nun 25 Prozent des Personals aus. "Es werden nun mehr Amerikaner asiatischer Herkunft befördert, aber nur wenigen werden Spitzenpositionen im Management von AT&T eingeräumt", stellt An fest.

David D. Ho, Aidsforscher in New York, kam als 12jähriger mit seinen Eltern von Taiwan nach Amerika. Konflikte zwischen den Generatio­nen, die um Sprache, Werte und Verhaltensweisen gehen, sind bei Immigranten häufig anzutreffen, meint er.

Andere behaupten, daß Diskriminierung kein Problem sei. Eher stellen kulturelle Verschiedenheiten, Kommunikationsfähigkeiten und die chinesische Mentalität selbst die Hauptprobleme dar. Dan Lee, Ingenieur bei Jet Propulsion Laboratories mit Sitz in Los Angeles, meint, daß während in der traditionellen chinesischen Gesellschaft "Schweigen Gold sei", dies eine Behinderung für jemanden darstelle, der in Amerika akzeptiert und bemerkt werden will.

"Jeder", stellt Harvard-Professor Hsiao fest, "hat gleiche Chancen in den Staaten, doch Erfolg hängt vom Bemühen ab. Hier liegt die Betonung auf der Verantwortung des Individuums und nicht auf jener der Gesellschaft. Doch wenn die Leute keinen Erfolg haben, geben sie der Gesellschaft die Schuld. Es existiert eine Dynamik in dieser Nation. Es gibt immer neue Chancen, und das ist es, was mich bei der Stange gehalten hat." Hsiao verweist auf seine eigene Erfahrung. Seine Arbeit als Wissenschaftler am College, sagt er, hätte ihn nicht nach Harvard gebracht. Aber aufgrund seiner beruflichen Erfolge klappte es.

Bing L. Wong kann da zustimmen. Er ist technischer Leiter von Biopure, einer Bostoner Firma, welche 1990 ein Abkommen in Höhe von 179 Millionen US$ mit Upjohn, einem Arzneimittelhersteller in Michigan, darüber unterzeichnete, daß dieser von Biopure gereinigtes Rinderhämoglobin als Ersatz für menschliches Blut vermarktet. "Wir haben gleiche Entwicklungschancen in den Staaten", meint er. "Aber wir müssen unser Ego ein wenig dämpfen und nicht nur daran denken, Geschäftsführer oder Aufsichtsratsvorsitzender zu werden. Für das Überleben in der Geschäftswelt der Großunternehmer braucht man mehr als nur Selbstbewußtsein oder Können. Man muß wissen, wie der Hase läuft, muß viele Leute kennen. Auf mich alleine gestellt und ohne meinen amerikanischen Partner hätten wir bei dem Abkommen mit Upjohn nicht so viel herausgeholt."

Das Leben in Amerika, vor allem das Familienleben, ist viel einfacher als auf Taiwan. "Familiäre Bindungen sind in der amerikanischen Gesellschaft nicht so stark wie auf Taiwan. Es ist überwiegend Aufgabe der Frau, sich um all die Verwandten zu kümmern. Nach dem Leben in den Staaten bereiten die zahlreichen familiären Verpflichtungen auf Taiwan Kopfschmerzen. Was einst als großer Vorteil galt, ist zu einer Bürde geworden", erklärt Daniel Ko, Gründer von Dynamic Technology Inc. Viele Frauen reagieren mit Schaudern auf die Vorstellung, mit ihren angeheirateten Verwandten zusammenzuleben. Derartigen Problemen ziehen sie das Leben im Ausland vor, fügt Ko hinzu. Er sagt, Privatleben habe auf Taiwan, wo Privatsphäre und Individualismus von der Gesellschaft nicht respektiert würden, einen geringeren Stellenwert.

Die Überlegungen chinesischer Einwanderer gelten auch der Erziehung des Nachwuchses. Viele sorgen sich, daß die Kinder bei einer Rückkehr nach Taiwan ihr Englisch vergessen könnten. Abraham J. Hsu, ein Geschäftsmann aus Taiwan in New York, sagt, er kann es sich wegen der teuren Schulgebühren nicht leisten, seine in Amerika geborenen Kinder auf die Amerikanische Schule in Taipei (Taipei American School) zu schicken. Unter chinesischen Eltern gibt es keinen Konsens darüber, welches Erziehungssystem besser sei. Daniel Ko, dessen Kinder in Amerika aufwuchsen, meint: "In der Grundschule ist die Ausbildung auf Taiwan härter. Das halte ich für gut. Das gibt Kindern eine solide Grundlage." Doch rechnet er dem amerikanischen Erziehungswesen als Verdienst an, daß es junge Menschen zur Selbständigkeit anleitet.

Viele chinesische Immigranten führen eine Existenz, die man als "geteilt" bezeichnen könnte: Sie arbeiten in einer Kultur, leben jedoch in einer anderen. Sie können in Amerika auch überleben, ohne Englisch zu sprechen. In vielen Städten beispielsweise gibt es eine spezielle chinesische Ausgabe des Branchenfernsprechbuchs. Formulare der Landes- bzw. Bundesverwaltung sind jetzt auch in Chinesisch gedruckt. Folglich sind Neuankömmlinge nicht gezwungen, sich außerhalb der chinesischen Gemeinschaft zu bewegen, treffen dann aber auf Integrationsprobleme.

Die in Amerika geborene Generation steht ebenso vor ihren spezifischen Schwierigkeiten. Sie passen sich natürlich viel bereitwilliger an das amerikanische Leben an als ihre Eltern, in deren Augen sie den Kontakt zu ihren kulturellen Wurzeln und traditionellen Werten verlieren. Die Eltern betrachten auch internationale Ehen mit Vorbehalten. Die Kinder haben andererseits das Gefühl, daß sie Amerikaner und keine Chinesen sind, und finden die Erwartungen ihrer Eltern unrealistisch.

Der Violinist Cho-liang Lin ist ein Beispiel für eine neue Generation von Amerika-Chinesen, die sich von Wissenschaften und traditionellen Bereichen ab- und neuen Gebieten zuwendet.

Die chinesische Sprache ist unter Kindern chinesischer Immigranten nahezu ausgelöscht. Aufgewachsen in Amerikas vorwiegend englischsprachiger Gesellschaft, haben sie wenig Motivation, die Sprache ihrer Eltern zu lernen. March Fong Eu, Beauftragte für Öffentliche Angelegenheiten von Kalifornien, gibt zu, daß sie nur sehr wenig Toyshan-Dialekt sprechen kann. "Als ich klein war, habe ich meine Mutter gezwungen, mein Englisch zu verstehen", erinnert sie sich.

Auch wenn es chinesische Schulen gibt, erwachsen daraus sowohl Eltern als auch Kindern Schwierigkeiten. David D. Ho, Direktor des Aaron-Diamond-Aids-Forschungszentrum der Stadt New York (Aaron Diamond AIDS Research Center for the City of New York), geht das Mandarin-Chinesisch nicht leicht über die Lippen. Taiwanesisch und Englisch sind die Sprachen, die bei ihm zu Hause benutzt werden, seit er vor 27 Jahren als Zwölfjähriger mit seinen Eltern von Taiwan nach Amerika kam."Es gibt immer emotionale Auseinandersetzungen auf beiden Seiten", wie er es formuliert. Nach erschöpfenden Versuchen der Eltern, ihre Kinder dazu zu bringen, sprachlich und kulturell ihren Vorfahren zu folgen, beschließen die meisten letztendlich doch, der Natur ihren Lauf zu lassen. Die 26jährige Tochter von Daniel Ko schrieb sich an der Universität für einen Chinesischkurs ein. "Plötzlich bekam sie Interesse an ihren Wurzeln", kommentiert er.

Der Verlust des sprachlichen Erbes ist nicht das einzige Problem, dem Chinesen in Amerika begegnen. Wenn ihre Kinder aufwachsen, fragen sich die Eltern, ob ihr chinesisches Blut an kommende Generationen weitergegeben wird. Ob sie es zugeben oder nicht, die meisten chinesischen Eltern hoffen, daß ihre Kinder innerhalb der Rasse heiraten. Wie Richter Ronald S. W. Lew sagt: "Ich bin Chinese. Meine Kinder sind gebürtige Chinesen. Und ich will, daß meine Enkel als Chinesen geboren werden." Lew, fünfzig Jahre alt und eines von neun Kindern einer Immigrantenfamilie aus Kuang-tung, fürchtet ganz offensichtlich nicht, wegen einer solchen Bemerkung als voreingenommen verschrien zu sein. "Es gibt am Anfang einer Ehe ohnehin immer viel Druck. Warum noch welchen hinzufügen, indem man zwei Kulturen oder Religionen mischt?" argumentiert er.

James K. Ho, stellvertretender Bürgermeister von San Francisco und für wirtschaftliche Angelegenheiten der Stadt verantwortlich, hat auch seine Zweifel an der Realisierbarkeit interkultureller Ehen, von denen Ho aufgrund seiner persönlichen Erfahrung und Beobachtung meint, sie mißglückten häufig. "Tradition und Sitten sind merkwürdige Dinge", erklärt er. "Wenn man jung ist, denkt man nicht viel darüber nach. Man mag sich im westlichen Lebensstil sehr wohl fühlen, aber mit zunehmendem Alter wird man seiner eigenen Kultur immer verbundener. Ich weiß nicht warum, aber als ich vierzig wurde, fing ich an, eher wie ein Chinese zu denken."

Doch die Tatsache, daß eine wachsende Zahl ethnischer Chinesen in Amerika außerhalb der Schranken ihrer Rasse heiratet, bringt die Eltern zu der Einsicht, daß sie realistischer sein müssen. Die Kinder von James K. Ho sind zwar noch jung, doch sagt er: "Kinder sind heute sehr unabhängig, was ihren Lebensstil betrifft. Es spielt keine Rolle, wen sie heiraten. Solange sie glücklich sind, bin ich es auch." Zwei der drei Kinder von C. N. Liu haben weiße Amerikaner geheiratet. "Meine letzte Chance ist meine jüngste Tochter. Ich versuche nun, sie einer Gehirnwäsche zu unterziehen", lacht Liu, Manager bei Image Construction and Presentation System von IBM in New York.

Neben den Schwierigkeiten, ihre Sprache und rassische Reinheit zu bewahren, stimmen chinesische Immigranten im allgemeinen überein, daß die in der traditionellen Gesellschaft so hochgehaltenen starken Familienbindungen und die kindliche Ehrfurcht bei den jüngeren Amerika-Chinesen ihre Autorität verloren haben. Das Zusammenleben von drei Generationen unter einem Dach ist selbst auf Taiwan unpopulär geworden. Verständlicherweise erwartet man, wenn man in einer Gesellschaft lebt, in der individuelles Glück hoch bewertet wird, nicht, daß seine Kinder sich um einen kümmern, wenn man selbst älter wird. An Chung-ming von AT&T Bell Laboratories in New Jersey plant, entweder in Kalifornien oder in Florida ein Plätzchen im warmen Klima zu finden, um dort einen Ruhestand zu genießen. "Ich glaube, meine Kinder werden ihr eigenes Leben führen, um das sie sich dann kümmern können", sagt er.

Die jüngere Generation der Amerika-Chinesen gestaltet ihre eigene Zukunft. Sie hat begonnen, Karrieren außerhalb der Wissenschaften zu verfolgen. Filmregisseur Peter Wang ist ein Beispiel. Die Schriftstellerin Amy Tan kam vor wenigen Jahren mit dem Roman "Joy Luck Club" zu Ruhm, und ihr zweites Buch, "Die Frau des Küchengottes", 1991 in den Vereinigten Staaten veröffentlicht, fand sogar noch bessere Aufnahme als ihr Erstlingswerk. Cellist Yo-yo Ma und Violonist Cho-liang Lin sind in der Welt der klassischen Musik zwei strahlende Sterne. Fernsehansagerin Connie Chung ist in jedem Haushalt in Amerika ein Begriff. Ein nationaler Journalistenverband unter der Führung von David Louie - einem Wirtschaftsjournalisten bei ABC in San Francisco - hilft nicht nur Amerika-Chinesen, sondern allen asiatischen Amerikanern, einen Arbeitsplatz in der Zunft zu finden.

Der Trend hin zu weniger traditionellen Karrieren ist so auffällig geworden, daß ein kürzlich in den Vereinigten Staaten veröffentlichter Bericht feststellte, immer mehr junge Amerika-Chinesen wendeten sich von den üblichen Magisterstudiengängen an den Universitäten ab. Der fünfzigjährige Wu Tung, Kustos für asiatische Kunst am Kunstmuseum Boston (Boston Museum of Fine Arts), hofft, daß "wir eines Tages eine Generation von Chinesen sehen, die nicht nur großartige Physiker, sondern auch große Liebhaber von Kunst und Musik, Theater und Literatur sind".

Das letzte Hindernis, dem sich die Chinesen auf ihrem Weg zur Anpassung gegenübersehen, ist die Politik. In einem demokratischen Land hat jeder Bürger das Recht zu wählen, doch haben Amerika-Chinesen dieses Recht nicht voll ausgeschöpft. Die Wahlbeteiligung unter ihnen ist niedrig. Sie zögerten, die Arena der Politik zu betreten und für ein durch Wahl zu besetzendes Amt zu kandidieren. Als Gruppe, so glauben sie, haben sie kaum eine Chance zu gewinnen und eine aktive Rolle in der von Weißen dominierten Gesellschaft Amerikas zu spielen.

Es gibt jedoch Amerika-Chinesen, welche eigens wegen ihrer herausragenden Erfolge für den Staatsdienst ausgewählt wurden. Julia Chang Bloch war die erste ethnische Chinesin auf einem US-Botschafterposten, als sie 1989 die Entsendung nach Nepal annahm. Ebenfalls im Jahre 1989 ernannte US-Präsident George Bush Elaine Chao - welche nun dem Friedenskorps vorsteht - zur stellvertretenden Ministerin für Verkehrswesen. San Franciscos Vizebürgermeister James K. Ho war Bankier, bevor er vom Bürgermeister als dessen rechte Hand mit Zuständigkeit für die wirtschaftlichen Angelegenheiten der Stadt auserkoren wurde. Wie Ho erklärt, war politisches Engagement ursprünglich kein Bestandteil seiner Karrierepläne. "Zuerst wollte ich die Position nicht annehmen", erzählt er. "Dann sagte ich mir: Wenn ich ablehne, könnten die weißen Amerikaner denken, ich gebe eine gute Gelegenheit für die Chinesen, in die Politik zu gehen, auf."

Amerika-Chinesen sind oft pessimistisch hinsichtlich ihrer Chancen, gewählt zu werden. Deshalb war die chinesische Gemeinschaft der ganzen Nation geschockt, als Tom Hsieh, ein Mitglied im Stadtrat von San Francisco, beschloß, für die 1992er Wahl des Bürgermeisters zu kandidieren. Hsieh war der erste Chinese, der sich um das Bürgermeisteramt einer Großstadt Amerikas bewarb. Amerika-Chinesen, so Hsieh, sind seit Jahrzehnten nahezu unsichtbar geblieben. Weil ihre Sprache und ihre Sitten so anders und sie im Vergleich zu anderen Minderheiten zahlenmäßig klein sind, neigen sie dazu, sich aneinander zu klammern. Bis in jüngste Zeit haben sie es vorgezogen, sich aus der amerikanischen Politik herauszuhalten. "Angenommen, Sie sind ein Bürger, gehen aber nicht zur Wahl und kandidieren auch nicht für ein Regierungsamt. Ganz klar, daß man auf Sie herabschaut", folgert Hsieh. Deshalb beabsichtigte der in Schanghai gebürtige Architekt, der vor etwa vierzig Jahren als Student nach Amerika kam, das Image von der politischen Apathie der Amerika-Chinesen auszubessern.

Die chinesische Gemeinde glaubte nicht an seine Chancen. Hsieh war sich dessen sehr wohl bewußt. Er erinnert sich, wie ihm gesagt wurde: "Tom, ich denke nicht, daß du eine Chance hast, die Wahl zu gewinnen, aber ich werde dich auf jeden Fall unterstützen", - und zwar von demselben hochangesehenen Geschäftsmann, der ihm vor fünf Jahren bereits erklärt hatte, daß er, Hsieh, die Wahl in den Stadtrat nicht schaffen würde. Hsieh blieb optimistisch. "Wenn man nicht heraustritt, können die Leute einen nicht sehen", meint er.

Amerika-Chinesen sind sich im allgemeinen darüber einig, daß ihre Stimme nur dann in der Regierung zählt, wenn sie sich um Ämter bewerben. Die chinesische Gemeinde in San Francisco begann vor fünf Jahren, ihre eigenen Kandidaten aktiv zu unterstützen, da sie feststellte, daß weiße Amtsbewerber, deren Wahlkampf teilweise von Chinesen finanziert worden war, selten, wenn überhaupt, ihre Versprechungen erfüllten. Die Unterstützung für chinesische Kandidaten in San Francisco kommt aus den chinesischen Gemeinden im ganzen Land. In der Tat wurden 70 Prozent von Hsieh' s Wahlkampfbudget von Chinesen aus ganz Amerika beigesteuert.

Die Chinesen in den USA lernen, ihre beachtlichen Ressourcen für ein gemeinsames Ziel zusammenzubringen, etwas, was viele als generell untypisch für Chinesen ansehen. Chinesen sind weitgehend selbst der Meinung, daß sie kein kooperatives Volk sind. Ein Blick auf ihre Organisationen in Amerika bestätigt diese Ansicht. Allein im Gebiet von Los Angeles gibt es mehr als dreihundert verschiedene chinesische Verbände und Klubs. Sie organisieren sich nach unterschiedlichen politischen Ansichten, nach Geburtsort, Farmilienklan, Beruf usw.

Viele Chinesen, unter anderem Lucy Tuann, die bei ihren Lesern besser als Chen Jo-hsi bekannt ist, klagen, daß im Gegensatz zu anderen asiatischen Gemeinden die Chinesen die einzige Gruppe bilden, in der man sich gegenseitig ausnutze. Allerdings kann niemand erklären, warum. Sun Yat-sen, Gründervater der Republik China, verwies schon vor langem auf diesen Charakterzug seines Volkes, indem er es als einen "Haufen lockeren Sandes" beschrieb. Tuann, die nun San Francisco zu ihrer Heimat erkoren hat, bewundert die Juden in den Staaten. "Sie würden eher eine halbe Stunde lang fahren, um in Geschäften, die anderen Juden gehören, einzukaufen, als ihre Einkäufe in nichtjüdischen Läden in der Nachbarschaft zu tätigen", meint sie. "Das ist der Grund, weshalb sie niemand auf die leichte Schulter nimmt."

Tien Chang-lin, Kanzler der Universität Kalifornien in Berkeley, schärft seinen in Amerika geborenen Kindern immer wieder ein: "In der Gegenwart von Amerikanern solltet ihr als Amerikaner akzeptiert werden. Aber wenn ihr mit Chinesen zusammenkommt, sollt ihr ihnen das Gefühl geben, daß ihr Chinesen seid." Viele Menschen gestehen, daß es nicht leicht ist, mit zwei Kulturen zu jonglieren. Einige, vor allem Amerika-Chinesen der ersten oder zweiten Generation, sehen auch gar nicht ein, warum sie es versuchen sollten. Sie verstehen sich lieber als Bürger des Landes, welches sie als ihre Heimat betrachten.

Obwohl viele Studenten aus Taiwan in den Vereinigten Staaten geblieben sind, ist ein neuer Trend zu beobachten. Nach dem Abgang von einem Graduierteninstitut und vielleicht einigen Jahren der Berufstätigkeit in Amerika kehren sie wieder nach Hause zurück. Taiwans wirtschaftlicher Fortschritt im letzten Jahrzehnt schuf eine Menge Möglichkeiten, die zwanzig Jahre zuvor nicht existiert hatten. Für den Innovativen ist Taiwan das gelobte Land geworden. Während der frühen achtziger Jahre beispielsweise gab eine Gruppe von Amerika-Chinesen ihre Jobs in Silicon Valley auf und kehrte nach Taiwan zurück, wo sie im Forschungs- und Industriepark Hsinchu ein Computer- und Elektronikunternehmen gründeten. Andere folgten ihrem Beispiel, was den Beginn der einheimischen Computerindustrie bezeichnete. Heute ist Taiwan eines der weltweit führenden Herstellungszentren für Personalcomputer.

Mit weiterhin steigendem Bedarf an Fachwissen in Management und Technologie werden chinesischen Fachleuten immer mehr Anreize geboten. In der Tat hat die Regierung der Republik China alles versucht, viele von ihnen aus den USA zurückzulocken. Und es gibt greifbare Vorteile. Auslandschinesen mit höheren Universitätsabschlüssen wird auf Taiwan sehr viel Respekt entgegengebracht. Die Heimkehr löst auch das Problem der kulturellen Sozialisierung, mit dem in den Vereinigten Staaten bleibende Studenten konfrontiert werden.

Als Jeffrey C. Chen 1974 von der Universität Wisconsin (University of Wisconsin) in Madison seinen Doktortitel für experimentelle Nuklearphysik erhielt, war ihm klar, daß ihn auf Taiwan nichts erwartete. Jetzt denkt er anders. "Die Rückkehr ist ein wichtiger Gesichtspunkt für viele, weil es jetzt mehr Gelegenheiten auf Taiwan gibt. Es werden mehr Universitäten und Forschungseinrichtungen geschaffen. Und das bedeutet mehr Arbeitsplätze. Das hat nichts mit der schwachen US-Wirtschaft zu tun. Der Gedanke an eine Rückkehr spukt nun schon seit einem Jahrzehnt den Leuten im Kopf herum."

Chen brachte 1989 ein integriertes Softwaresystem nach Taiwan, welches Wetterdaten sammelt und verarbeitet. METPRO, wie das System genannt wird, wurde von der General Sciences Corporation mit Sitz in Maryland entwickelt, einem von Chen gegründeten und am Aktienmarkt notierten Unternehmen. Jetzt ist er dessen Präsident, und die Firma wurde von den Wirtschaftsmedien als eines der besten Kleinunternehmen in den Vereinigten Staaten eingestuft. Das Zentrale Wetteramt der Republik China verwendet nun sein System.

Doch selbst bei einem derartigen wirtschaftlichen Erfolg wie in Taiwan entscheiden sich viele chinesische Absolventen, in den USA zu bleiben. Francis Chin-ta Chao, der seit 1965 in Boston lebt, bewertet Taiwans Umfeld für Forschung und Entwicklung noch immer als ungünstig. Chao ist Präsident der Platelet Research Products Inc., die einen injizierbaren Stoff mit koagulationsfördernder Membran entwickelte, welcher einen Durchbruch in der Behandlung von Mangel an Blutgerinnungsstoffen darstellt. Investitionen aus Taiwan machen 20 Prozent des Firmenkapitals aus, doch zögert er, nach Taiwan umzuziehen: "Die Geschäftsleute auf Taiwan konzentrieren sich nicht in ausreichendem Maße auf Forschung und Entwicklung", urteilt er, "wie können sie mit den neusten Entwicklungen in der Technologie Schritt halten? Außerdem gibt es in Taiwan keinerlei Bestimmungen über neue Arzneimittel, keine Genehmigungsverfahren und keine Standards, an denen man sich orientieren könnte."

Anderen fällt es schwer, sich zwischen den beiden Ländern zu entscheiden. Daher ist es zunehmend üblich geworden, daß die Männer auf Taiwan arbeiten, während ihre Gattinnen und Kinder in den Staaten bleiben. In Taiwan und Hongkong werden sie ironisch "Raumfahrer" genannt, weil sie zwischen der Arbeit im Osten und ihrem Zuhause in Amerika immerzu hin- und herfliegen. Daniel Ko, der sein eigenes Luftfahrtunternehmen aufgebaut hat, reist oft zwischen Taiwan und Kalifornien. Sein Urteil: "Stabilität macht die amerikanische Gesellschaft attraktiv. Es gibt nicht so viele Unsicherheiten wie beispielsweise durch die Fluktuationen an Taiwans Aktienmarkt oder bei den Wohnungspreisen. In Amerika weiß man, was auf einen zukommt." Idealerweise würden viele Immigranten gerne voll in Amerikas Gesellschaft integriert sein, während sie gleichzeitig ihre Identität als Chinesen aufrechterhalten.

(Deutsch von Martin Kaiser)

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