28.04.2025

Taiwan Today

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Wahlexperten drängen auf weitere Demokratisierung

01.03.1993
Das Ergebnis der Parlamentswahlen im letzten Dezember: Ernüchterung bei der regierenden KMT angesichts schwacher 53 Prozent, während die oppositionelle DPP erstmals über die 30-Prozent-Hürde sprang und nun beinah ein Drittel der 161 Abgeordneten zum gesetzgebenden Organ stellt.
Die Wahlen zum Legislativ-Yüan im Dezember 1992 waren sicherlich ein wichtiger Schritt für die politische Entwicklung der Republik China. Es waren die ersten Wahlen nach der Pensionierung der alten Abgeordneten, die gemäß den 1948 eingerichteten Sonderbestimmungen der Verfassung über vier Jahrzehnte lang im Amt gewesen waren, ohne sich je einer Wiederwahl stellen zu müssen.

Doch auch in anderer Hinsicht war die Wahl bedeutsam. Zum einen wurde in der Mehrparteienpolitik ein merkbar neuer Ton laut, der statt auf Konfrontation auf Wettbewerb setzte. Zum anderen scheint man seit der Wahl der wachsenden Überzeugung zu sein, daß alle politischen Institutionen verfeinert werden müssen, um den Anforderungen des Landes - und den Ansprüchen der Öffentlichkeit - gerecht zu werden.

Wo aber sind die ersten Prioritäten zur Festigung der bürgerlichen Gesellschaft zu setzen? Im politischen System? Bei den Parteien? Bei den Regierungsgewalten? Zur Diskussion dieser und ähnlicher Fragen veranstaltete die Free China Review ein Seminar "Nach den Wahlen ", welches am 31. Dezember 1992, zwei Monate vor der Regierungsumbildung stattfand.

Teilnehmer waren John C. Kuan(關中), KMT, Abgeordneter zum Legislativ-Yüan; Huang Huang-hsiung(黃煌雄), DPP, Abgeordneter zum Legislativ-Yüan; Ju Gau-jeng(朱高正), ehemaliger Vorsitzender der Chinesischen Sozialdemokratischen Partei, nunmehr unabhängiger Abgeordneter zum Legislativ-Yüan; und Lu Ya-li(呂亞力), Professor am Institut für Politikwissenschaft der Nationalen Taiwan-Universität. Es folgen Auszüge.

John Kuan:
Jeder Politikwissenschaftler wäre mit mir einer Meinung, daß unsere politische Kultur durch Wahlen aktiviert und bestimmt wird. Dennoch glaube ich persönlich, daß wir zuviel Betonung auf die Wahlen gelegt und den Aufbau einer bürgerlichen Gesellschaft vernachlässigt haben. Mit der "bürgerlichen Gesellschaft" meine ich eine Gesellschaft mit kraftvollen, effizienten bürgerlichen Interessenorganisationen, die in den Perioden zwischen den Wahlen als antreibende Gruppen auftreten.

In den vergangenen Jahrzehnten kontrollierte die Regierungspartei Kuomintang (KMT oder Nationalistische Partei Chinas) die politische Macht und besaß das Monopol über die verschiedenen politischen Institutionen und Mittel. Obgleich regelmäßig allgemeine Wahlen durchgeführt wurden, konnte das Volk nur aus einer Liste von Kandidaten der KMT aussuchen. Auch nach dem Entstehen einer echten Oppositionspartei im Jahre 1987 gewann die KMT weiterhin alle Wahlen.

Vor diesem politischen Hintergrund zeigte eine große Anzahl von Studien über das Wählerverhalten, daß 70 Prozent der Wähler sich an den Kandidaten orientierten, statt die Partei oder politische Linie in Betracht zu ziehen. Meiner Ansicht nach fiel bei den Wahlen vom 19. Dezember erstmals Parteizugehörigkeit oder politischer Standpunkt der Kandidaten - wenn auch nicht sehr auffällig - ins Gewicht. Jedenfalls wurde im Hinblick auf die Entwicklung der politischen Kultur hiermit ein gehöriger Schritt nach vorn getan.

Zum zweiten sind Wahlen ein Prozeß politischer Partizipation; aber in der Vergangenheit wurde bloß eine teilweise Beteiligung beobachtet, da die Wahlen unter der Aufsicht einer autoritären Einparteien-Herrschaft abgehalten worden waren. Viele Wähler ließen sich auch von äußeren Einflüssen leiten. Eine echte Demokratie sollte hohe Wahlbeteiligung aufweisen, so wie wir sie bei den Wahlen vom 19. Dezember sehen konnten. Unsere Wähler, vor allem die in Taipei, gaben ihre Stimme nach ihrem eigenen, freien Willen ab. Dies stellt einen wirklichen Fortschritt dar.

Drittens glichen aufgrund ideologischer Differenzen zwischen KMT und DPP (Demokratische Progressive Partei, die größte Oppositionspartei) in früheren Zeiten die Wahlen einer Art "Hans-im-Gück"-Spiel, einem Wettbewerb, in den man wenig setzte und aus dem man mit ebensowenig herausging. Doch sind die Wähler reifer geworden, und abstrakte, ideologische Streitpunkte werden von auf dem Boden der Tatsachen beruhenden Themen ersetzt, die neuerdings im Zentrum des Interesses stehen. So sprachen sich letzten Dezember nahezu alle Kandidaten dafür aus, der Entwicklung Taiwans absoluten Vorrang einzuräumen. Solange wir derart handeln, sind wir in der Lage, wesentlich zu einer gesunden politischen Kultur beizutragen.

Viertens: Wenngleich die Regierung seit über vierzig Jahren durch die Abhaltung von Wahlen auf lokaler wie auf zentraler Ebene Demokratie in Taiwan fördert, sind dennoch die wirklichen Macher der Politik nicht gewählte Vertreter gewesen, sondern Technokraten. Nun ist es unbestreitbar, daß viele Technokraten recht kompetent waren und sich in bemerkenswerter Weise um Taiwans Wirtschaft verdient gemacht haben. Ich meine aber, daß ihre Zeit vorbei ist. Zukünftig werden die Entscheidungen von denen gefällt werden, die direkt vom Volk gewählt wurden; und die Regierungspolitik wird sich in der Folge weniger Anfechtungen stellen müssen.

Ich traue mich nicht zu sagen, daß in Zukunft sämtliche Technokraten durch aus Wahlen hervorgegangene Politiker ersetzt werden, aber zumindest werden die zwei Gruppen in ein gleiches Verhältnis gestellt. Bei den Wahlen vom Dezember gaben einige Amtsträger [so der frühere Finanzminister Wang Chien-shien und der frühere Leiter des Amtes für Umweltschutz, Jaw Shau-kong] ihre Funktionen ab, kandidierten für die Wahlen zum Legislativ-Yüan und erreichten in ihren Bezirken die höchste Stimmenanzahl. Dieses Phänomen wird auf Taiwans politische Kultur große Auswirkungen haben.

Schließlich steht die Demokratisierung der KMT in enger Wechselwirkung mit der von der DPP entwickelten und durch sie verkörperten sogenannten "Protestkultur"; je demokratischer die KMT wird, desto weniger wird die DPP kämpfen und protestieren.

Hinsichtlich des Einflusses dieser Wahlen auf die Parteien-Politik in Taiwan denke ich, daß wir wohl einen Wettbewerb zwischen zwei Parteien beobachtet haben, sich jedoch ein Zweiparteiensystem erst herausbilden muß. Und so bleibt, zumindest in der Gegenwart und nahen Zukunft, wenig Spielraum für eine dritte Partei, solange sich in KMT und DPP keine ernsten Spaltungserscheinungen zeigen. Dennoch werden sich diese zwei Parteien sicherlich im Laufe des politischen Wettbewerbs einem Restrukturierungsprozeß unterwerfen.

Die KMT hat bereits einige Versuche der Selbstreformierung unternommen - jedoch erfolglos. Angesichts des Rückschlages vom letzten Dezember wird aber die DPP die KMT als regierende Partei ablösen, wenn sich letztere nicht sofort um umfassende Demokratisierung bemüht. Zum Zögern bleibt keine Zeit. Letztendlich ist ein Wettbewerb zwischen zwei Parteien bei weitem vorteilhafter als ein Konflikt zwischen diesen.

Die DPP wird meiner Meinung nach verantwortungsbewußter werden. In der Vergangenheit bediente sich die DPP des Kampfes, um möglichst viel an Stärke zu gewinnen und ihre Aktivitäten zu legitimieren. Da sie in der neuen Legislaturperiode adäquater vertreten ist, kann die DPP nunmehr auf ihren Mandatsträgern basierende Gesetzentwürfe einreichen und sogar genügend Stimmen zur Einspruchserhebung aufbringen. Sie wird verantwortungsvoller handeln, um das Vertrauen des Volkes zu gewinnen.

Mit der Demokratisierung der KMT und dem verantwortungsbewußteren Handeln der DPP wird sich das politische Klima als günstig für die Entwicklung von Parteien-Politik und eines ausgereiften Zweiparteiensystems erweisen.

Andererseits hoffe ich - und es gibt wirklich schon eine solche Tendenz -, daß sowohl KMT als auch DPP sich zu "intern strukturierten" Parteien entwickeln. [Dies bezieht sich auf den Binnenaufbau einer Partei. Bei einer "extern strukturierten" Partei fällt ein Zentralkomitee (so bei KMT und DPP) die politischen Entscheidungen, welche dann auf die Parteimitglieder im gesetzgebenden Organ zur Ausführung übertragen werden. Bei einer "intern strukturierten" Partei bestimmen die Abgeordneten im gesetzgebenden Organ ihre politischen Standpunkte selbst und handeln nach ihnen.] Auf diesem Gebiet wird die DPP der KMT wahrscheinlich vorangehen, da die Mehrheit der Mitglieder des ständigen Zentralkomitees der DPP in den Legislativ-Yüan gewählt wurde und dies die DPP befähigen wird, ihren politischen Kurs gleich im gesetzgebenden Organ zu formulieren. Für die KMT ist die politikbestimmende Körperschaft immer noch das ständige Zentralkomitee. Die KMT wird das Vertrauen des Volkes verlieren, wenn sie zu weit hinterherhinkt; sie muß sich also dieser Frage widmen.

Um von parlamentarischer Politik zu sprechen: Die Opposition ging im Kampf gegen Regierung und KMT in der Vergangenheit häufig zu Demonstrationen auf den Straßen über. Doch jetzt belegt die DPP genug Sitze, um die KMT im Parlament zu überprüfen und ein Gegengewicht herzustellen. Sollten sich ihre Debatten aber weiterhin auf ideologische Fragen konzentrieren, so wird der Streit endlos fortgehen. Beide Seiten sollten über jene politischen Anliegen diskutieren, welche die Öffentlichkeit wirklich betreffen. Nachdem jede der Parteien von einer großen Anzahl von Menschen unterstützt wird, werden sie wohl für viele Themen eine gemeinsame Basis finden und zusammenarbeiten müssen, um Verbesserungen für das öffentliche Wohl zu erwirken. Wenn gegensätzliche Ansichten aufkommen, können beide Seiten ihre jeweilige Perspektive vorstellen und dann über einen für beide annehmbaren Kompromiß abstimmen. Polarisierung muß nicht unbedingt ein Übel sein, sondern kann auch mehr Raum für Verhandlungen bereiten, die am Ende zu einem ausgeglicheneren Ergebnis führen.

Wie werden sich die Wahlen vom Dezember auf die Demokratisierung auswirken? Mit der Wahl endete die Ära einer KMT-dominierten politischen Szene. Vielleicht muß sich die KMT sogar auf einen Abtritt von der Macht gefaßt machen. Falls sie sich weiterhin weigert, eine tiefgehende Demokratisierung durchzuführen, wird diese Situation eher denn erwartet eintreten. Die DPP hat neben einem verstärkten Verantwortungsbewußtsein die fortführende Demokratisierung auf Taiwan zu fördern und breitere Unterstützung im Volk zu gewinnen; so zwingt sie die KMT, demokratischer zu werden.

Zur Zeit gibt es auf Taiwan zwei empfindliche Themen: nationale Identität und Lokalpatriotismus. Bei den Dezemberwahlen forderten beispielsweise alle DPP-Kandidaten den Rücktritt von Premierminister Hau Pei-tsun. Hauptgrund dafür war der Lokalpatriotismus. Ich halte es für nicht angebracht, solche Themen anzuschneiden. Eine Oppositionspartei sollte lieber die Politik der Regierungspartei kritisieren, als sich in Angriffen auf eine bestimmte Einzelperson zu ergehen.

Demokratie bringt Verantwortung mit sich. Die DPP befürwortet die Errichtung eines parlamentarischen Systems auf Taiwan, und ich stimme dem bei. Doch treten nach den Wahlen jetzt viele Abgeordnete der DPP für ein präsidiales System ein, indem sie argumentieren, nur wenn das Volk die Möglichkeit habe, den Präsidenten direkt zu wählen, könne Taiwan eine echte Demokratie genannt werden. Wie ich in einer Debatte mit den DPP-Abgeordneten Chen Shui-bian und Hsieh Chang-ting aufzeigte, hat der Präsident unter dem derzeitigen System eine so große Macht inne, weil es keine Einrichtung gibt, die diese durch sein Amt ihm übertragene Macht effektiv überprüfen und ein Gegengewicht darstellen könnte. Dem Volk ist wohl das Recht eingeräumt, den Präsidenten abzuberufen, doch wieviele der 176 000 Amtsträger und Vertreter, die in den vier Jahrzehnten Wahlgeschichte auf Taiwan gewählt worden sind, wieviele sind denn vom Amt abberufen worden? Auch wurde diskutiert, daß die Amtszeit des Präsidenten von sechs auf vier Jahre verkürzt werden kann. Aber wenn der gewählte Präsident ein Diktator ist, so ist ein einziger Tag schon zuviel. Der Premierminister jedoch, wie mächtig auch immer er sein mag, ist dem Legislativ-Yüan verantwortlich.

Wir kommen hier zur zentralen Frage. Jedes politische System muß dem Volk verantwortlich sein. Demokratie ohne Kontrollmöglichkeit oder uneingeschränkte Macht, das ist eindeutig undemokratisch. Diesbezüglich sollte es keine Kompromisse geben. Wie kann politische Stabilität auf Taiwan erreicht werden? Der weltweite Trend macht es ziemlich klar: Ohne Demokratie geht es nicht. Taiwan muß sich - genau wie die KMT und DPP - der Demokratie verpflichten. Institutionalisierung und Rechtsstaatlichkeit sind die vordersten Prioritäten der Regierung. Gewaltausübung nach dem Willen einer Einzelperson gereicht der nationalen Sicherheit und der gesellschaftlichen Stabilität zum Schaden. Auch die Streitfrage um "China" sollte durch eine allmähliche, friedliche Entwicklung beigelegt werden. Wir möchten keinen Krieg ausfechten, sondern wollen und brauchen Frieden und Stabilität. So müssen denn umstrittene Themen stufenweise mittels vernunftbestimmter Debatte gelöst werden, und der neue Legislativ-Yüan sollte als Diskussionsforum zum Erlangen eines Konsenses über Demokratisierung, Institutionalisierung und Frieden dienen.

Weiterhin bedeutet Demokratisierung auch Pluralismus, und Pluralismus führt unweigerlich zur Bildung von Splittergruppen. Der KMT-Führung mangelte es an gesundem Menschenverstand, als sie forderte, alle Gruppen im gesetzgebenden Organ sollten aufgelöst werden. Zeigen Sie mir eine politische Institution, chinesisch oder ausländisch, welche keine Gruppenbildung aufweist, und ich trete morgen zurück. Es ist nur natürlich, daß verschiedene Untergruppen zusammenspielen, um die ganze Partei nach vorne zu drängen, sie lebendig zu halten. Die Schwierigkeit ist bloß, zu veranlassen, daß diese Gruppen auf normalen Bahnen bleiben, sie also fairen Wettbewerb betreiben, vernünftige Debatten durchführen und verantwortungsvoll Interpellationen einbringen. Wenn sich heute in der KMT eine Führungskrise abzeichnet, dann ist dies meines Erachtens nach deshalb, weil einige der Parteiführer für eine monistische Leitweise eintreten. Sie laufen damit gegen den Trend der Zeit.

Die Krise der DPP hingegen liegt in ihrer Tendenz, alle ideologischen Fragen zu politisieren. Politik und Ideologie sollten getrennt gehen. Außerdem führt die Sicherung des Fortschritts auf Taiwan und die Verbesserung der Lebensqualität über die Einsetzung wirkungsvoller Politik, über die Bewahrung der gesellschaftlichen Ordnung, über die Förderung der Rechtsstaatlichkeit und die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit. Auf diesen Dingen beruht Taiwans Stabilität, und sie haben nichts zu tun mit Ideologie. Wir müssen uns also für Rechtsstaatlichkeit und gegen Privilegienwirtschaft einsetzen. Der Ausgang der Wahlen vom 19. Dezember zeigt auch auf, daß das Volk Unfairness und Ungerechtigkeit ablehnen wird; wir können deshalb Vertrauen in die Zukunft Taiwans haben.

Ich meine, daß wir zur Sicherstellung einer gesunden Entwicklung unserer politischen Parteien die Spielregeln festlegen sollten. Wenngleich wir in den vergangenen Jahrzehnten diesbezüglich beträchtliche Fortschritte gemacht haben, sind dennoch zwei Fragen offen geblieben: Die Massenmedien vertreten immer noch keinen neutralen Standpunkt in der Berichterstattung, und die KMT hat immer noch die Kontrolle über Regierung und Militär. Ich bin voller Zuversicht, daß sich die Situation nach und nach bessern wird, aber die Opposition hofft nun doch auf die schnellstmögliche Lösung dieser Probleme. Ich würde vorschlagen, alle Parteien bringen diese Themen vor und finden durch offene Diskussion ein Ergebnis. Das würde am ehesten der Fairness entsprechen.

Als zweites tritt die DPP prinzipiell für direkte Präsidentschaftswahlen und für eine Regierungsausübung in drei Gewalten (mit einem einzigen Parlament) ein. Da sie nahezu ein Drittel der Sitze im Legislativ-Yüan auf sich versammelt, kann sie mit höherer Effizienz auf eine Verwirklichung dieser Ziele drängen. Manche sagen deshalb voraus, daß die neue Gesetzgebungsperiode von noch mehr Unterbrechungen und Krawallen gekennzeichnet sein wird. Aber ich bitte hier um Differenzierung. Da wir alle wünschen, die neue Gesetzgebung möge gut arbeiten, wird wohl niemand mutwillig diese wichtige Kommunikationseinrichtung blockieren.

Das politikbestimmende Zentrum der DPP wird sich in den Legislativ-Yüan verlagern, weil die Führungsschicht der Partei nahezu vollständig dort vertreten ist. Die KMT ihrerseits muß sich mit dem Faktum anfreunden, daß sie nicht länger die politischen Institutionen dominiert und ihr ständiges Zentralkomitee nicht mehr alles unter Kontrolle halten kann. Früher fällte das ständige Zentralkomitee die Entschlüsse und gab sie an die KMT-Abgeordneten weiter, die dann laut Instruktion ihre Stimmen abgaben. Die Zeiten haben sich geändert, und die KMT muß fortführende Demokratisierung anstreben, muß Veränderungen vornehmen, um sich den neuen Verhältnissen anzupassen.

Hinsichtlich der Beziehung zwischen Exekutiv-Yüan und Legislativ-Yüan stimme ich mit dem Abgeordneten Huang überein, daß weder die Exekutive noch die KMT je besonderen Wert auf den Legislativ-Yüan gelegt haben. Nach Ablauf der Amtsfrist eines Abgeordneten zur Legislative war es Praxis, ihm oder ihr einen höheren Parteiposten zu geben, später eventuell einen Ministerposten. Die meisten sahen das als Beförderung an. Heute aber sehen wir Minister, die ihr Amt ablegen, um an den Wahlen zum gesetzgebenden Organ teilzunehmen. Die Sache hat sich kräftig umgekehrt! Es ist jedoch wahr, ein Abgeordneter zur Legislative kann viel vollbringen, während ein Minister oftmals Gefühle von Frustration und Machtlosigkeit hegt.

Das Verhältnis zwischen Exekutiv- und Legislativ-Yüan ist ein ungleiches. Während der Periode der nationalen Mobilisierung zur Niederschlagung des kommunistischen Aufstandes wurde die Politik von dem mächtigen Exekutiv-Yüan entschieden, und der Gesetzgeber billigte sie bloß. In einem echt parlamentarischen System sollten die politischen Entscheidungen im Parlament formuliert werden, während die Exekutive deren Ausführung übernimmt. Von jetzt an werden wir uns in diese Richtung bewegen.

Der Exekutiv-Yüan sollte der Kontrolle des Legislativ-Yüan unterliegen, und, wie in der Verfassung [Artikel 57] gefordert, wenn der Exekutiv-Yüan einen von der Legislative verabschiedeten Beschluß als schwierig auszuführen erachtet, dann sollte er die Legislative bitten, diesen noch einmal zu behandeln. Wenn nach erfolgter nochmaliger Behandlung zwei Drittel aller bei der Debatte anwesenden Gesetzgeber am ursprünglichen Beschluß festhalten, soll sich der Premierminister entweder damit abfinden oder aber sich von seinem Amt zurückziehen.

Nachdem die Ernennung eines Premierministers erst Gültigkeit erlangt, wenn der Legislativ-Yüan seine Zustimmung verleiht, meine ich, daß die Legislative bei der Nominierung des neuen Premiers ein Wort mitzureden haben sollte. Wir könnten den Abgeordneten zu gegebener Zeit sogar das Recht einräumen, den Premier selbst zu nominieren. Gibt es mehrere in Frage kommende Kandidaten, so könnte man die verschiedenen Nominierungen dem Kabinett vorlegen und es dadurch den Gesetzgebern ermöglichen, vor der Stimmabgabe Vergleiche zu ziehen. Warum benützen wir denn nicht unsere Kreativität und Vorstellungskraft, um selbst neue Vorgehensweisen zu entwickeln? In der Zwischenzeit sollte die Zusammenarbeit zwischen Exekutiv- und Legislativ-Yüan verstärkt werden. Statt die Verantwortung einem hohen Berater des Exekutiv-Yüan zu übergeben, wie es zur Zeit der Fall ist, sollte die Exekutive eine Persönlichkeit vom Range eines stellvertretenden Ministers mit dieser wichtigen Aufgabe betrauen.

Im Hinblick auf die Reformierung des Legislativ-Yüan sollte der erste Tagesordnungspunkt sein, die verschiedenen Ausschüsse besser zu organisieren, da die Ineffizienz der Plenarsitzungen stets aus dem schlechten Funktionieren der Ausschüsse zu resultieren scheint. Wichtig ist auch, für eine höhere Qualifizierung des Personals und Verbesserung der Einrichtungen des Legislativ-Yüan zu sorgen. Die Gesetzgeber benötigen professionelle Mitarbeiter und müssen mit genügend Hintergrundinformationen ausgestattet sein, um Gesetzes- oder Haushaltsvorschläge hinreichend prüfen zu können.

Was das Verhältnis zwischen Legislativ-Yüan und Nationalversammlung betrifft, geht aus der Verfassung der Republik China recht deutlich hervor, daß die Nationalversammlung im Auftrag des ganzen Volkskörpers politische Macht ausübt, während die fünf Gewalten der Regierung als höchste nationale Verwaltungsbehörden fungieren. Die Zuständigkeitsbereiche dieser zwei Einrichtungen sind also verschieden. Doch der Rat der Hohen Richter beging im Jahr 1957 einen Interpretationsfehler, als er festlegte, daß der Legislativ-Yüan, der Kontroll-Yüan und die Nationalversammlung alle Parlamente sind. Diese Interpretation steht im Widerspruch zur Verfassung. Der Legislativ-Yüan und die Nationalversammlung sollten ihre gegenseitigen Zuständigkeitsbereiche respektieren, wie sie in der Verfassung festgelegt sind. Der Legislativ-Yüan sollte im Bereich der Verfassungsreform ebenfalls seine Pflichten erfüllen. Das Grundgesetz [Artikel 172, Paragraph 2] schreibt vor, daß eine Verfassungsänderung vom Legislativ-Yüan entworfen und der Nationalversammlung durch ein Referendum vorgelegt werden kann. Was bedeutet denn Parlament? Es bedeutet das höchste gesetzgebende Organ einer Nation, und das ist es, was sich der Legislativ-Yüan bemühen sollte zu sein. [Seit Februar 1993] ist der Kontroll-Yüan zu einer quasi-gerichtlichen Einrichtung geworden, und wir bewegen uns folglich auf eine Struktur mit einem einzigen Parlament hin. Der Legislativ-Yüan sollte seiner Aufgabe nachgehen, den Ansprüchen des Volkes gerecht zu werden.

Schlußendlich möchte ich noch drei Punkte bezüglich der Arbeit des Legislativ-Yüan anführen. Erstens ist es extrem wichtig, sich zu beraten. Rücksprachen zwischen KMT und DPP im Legislativ-Yüan müssen institutionalisiert werden. Demokratie ist Parteien-Politik, und das sollte sich auch in der Legislative widerspiegeln. Zweitens ist Konsultation über politische Themen im Legislativ-Yüan auf hoher Ebene ebenfalls eine Notwendigkeit. Etwa sollten sich der Parlamentspräsident und die Generalsekretäre und Vorstände der Parteien in regelmäßigen Abständen treffen, um anstehende Fragen zu besprechen. Zum dritten müssen auf dem Niveau der verschiedenen Ausschüsse [welche Gesetzentwürfe, Beschlüsse und darauf bezogene Petitionen behandeln] die Geschäftsordnungen, Arbeitsabläufe und Tagesordnungen institutionalisiert werden. Zwischenparteiliche Dispute über ideologische oder parteibezogene Meinungsverschiedenheiten sollten vermieden werden. Andernfalls gerät die Behandlung von Entwürfen ins Stocken, und der größte Verlierer dabei ist die Öffentlichkeit.

Derzeit warten mehr als sechshundert unbehandelte Entwürfe auf eine Prüfung. Aller Erfahrung nach werden acht Sitzungen des Legislativ-Yüan, oder eine Zeit von vier Jahren, erforderlich sein, um diese zu untersuchen und die Beschlüsse zu fassen. Die Legislative muß sich wirklich auf die Erledigung konzentrieren. Doch ist dabei von großer Wichtigkeit, daß wir mittels Konsultation bei der Parteien Prioritäten hinsichtlich der Vorlagenprüfung setzen. Die Konsultationen bestehen aus Diskussion, Debatte und Abstimmung. Kann durch die ersten beiden Verfahrensweisen kein Konsens erzielt werden, dann können wir zur Abstimmung übergehen. Der Vorteil solcher Abstimmungen liegt darin, daß alle Abgeordneten über den Standpunkt der Wählerschaft nachdenken müssen, denn letztere beobachtet die Stimmabgabe. Der Vorsitz sollte zudem politisch möglichst neutral gehandhabt werden, um Dispute hintan zu halten; Geschäftsordnungen sollten in Anpassung an die jeweiligen Bedürfnisse der Zeit gründlich revidiert werden.

Neben der Selbstdisziplin sollte der Legislativ-Yüan auch öffentlicher Kontrolle unterliegen. Wir sollten verschiedene bürgerliche Organisationen dazu anregen, seine Arbeit zu überwachen - je mehr, desto besser. Auf diese Weise werden die Abgeordneten und ihre Auftritte dem prüfenden Blick der Öffentlichkeit preisgegeben. Des weiteren muß die Arbeitseffektivität des Legislativ-Yüan gesteigert werden. Zuviele Streitereien und Raufereien haben wir gesehen, ohne ein echtes Voranschreiten bei der Überprüfung der Gesetzesvorlagen. Wie ich bereits erwähnt habe, sollte in einigen Ausschüssen eine Verjüngung stattfinden. Vorrangig sollten wir die Geschäftsordnung des Legislativ-Yüan überarbeiten, um die Anzahl der Ausschüsse zu reduzieren. Beispielsweise könnte man den Ausschuß für auslandschinesische Angelegenheiten und den Ausschuß für Auslandsangelegenheiten zusammenlegen. Wenn die Notwendigkeit besteht, kann ein Ausschuß auch in verschiedene Untergruppen aufgeteilt werden, und für die Behandlung besonderer Themen können spezielle Adhoc-Komitees erstellt werden. Den Abgeordneten sollte gestattet sein, in mehr als nur einem Ausschuß beizusitzen.

Man müßte sich weiter darum kümmern, daß Abgeordnete nicht in Ausschüssen vertreten sind, über deren Arbeitsgegenstände sie nicht genügend Kenntnis besitzen, um so negativen, belastenden Auswirkungen auf Prozeß und Ergebnis der Gesetzgebung vorzubeugen. Wir sollten nach dem Senioritätsprinzip eine Rangordnung innerhalb der Ausschüsse festlegen, das heißt, die Posten der Ausschußvorsitzenden sollten an die dienstälteren Abgeordneten gehen, so daß die eigentliche Arbeit - die Überprüfung der Gesetzesvorlagen - nicht durch [ausschußinterne] Wahlen gestört wird. Zusätzlich sollte sich der quotenmäßige Anteil einer Partei im Legislativ-Yüan in der Anzahl der Ausschußvorsitzenden widerspiegeln. Von zehn Ausschüssen sollten zum Beispiel sechs Vorsitze von Abgeordneten der KMT, drei Vorsitze von DPP-Abgeordneten und ein Vorsitz von Parteilosen gestellt werden.

Als weiterer Punkt sollte die Arbeitstätigkeit der Ausschüsse eine Vitalisierung erfahren. Oftmals sehen wir, wie viele Abgeordnete in den Ausschußtagungen ihren Mund nicht aufmachen und erst während des Plenums der Legislative große Töne spucken. [Die Geschäftsordnung der Ausschüsse legt fest, daß "jedem Ausschußmitglied, das mit den Beschlüssen des Ausschusses nicht übereinstimmt, das Recht gebührt, in den Sitzungen der Legislative seine Meinung zu äußern."] Es sollten Maßnahmen ergriffen werden, welche die Anzahl der Abgeordneten, die sich aufgrund dieser Bestimmung in den Sitzungen zu Worte melden, beschränkt; denn andernfalls wird die Wohlfunktion der Ausschußarbeit behindert. Jeder Ausschuß soll bei der Prüfung der Gesetzvorlagen sehr sorgfältig vorgehen, so daß im Plenarsaal nicht mehr auf die Details eingegangen werden muß, sondern der Schwerpunkt auf allgemeine Fragen oder politische Debatten gelegt werden kann. Um alle diese Probleme zu lösen, ist eine Überarbeitung der Geschäftsordnung unabdinglich.

Wir müssen eine politische Kultur schaffen, in der vernünftig und durchdacht diskutiert wird; wir müssen unsere Treffen möglichst effizient gestalten. Zu diesem Zwecke sollten sich die Abgeordneten zuerst einmal in einer gesitteten Weise benehmen und Obstruktionen vermeiden. Sie sollten dazu angehalten werden, den Ausschußtagungen und Plenarsitzungen so oft wie machbar beizuwohnen, damit sie wirklich verstehen, was Sache ist, und verantwortungsvoll Gesetzentwürfe prüfen. Bei der Prüfung sollten die Abgeordneten umsichtiger vorgehen, um die Qualität ihrer Gesetzgebung auf einem hohen Niveau zu halten. Sie können öffentliche Konsultationen einberufen, akademische Einrichtungen mit problembezogener Forschung beauftragen oder Gesetzentwürfe an fachkundige Institutionen weiterleiten, um deren Vorschläge einzuholen; so ziehen sie die öffentliche Meinung in größerem Ausmaß zu Rate. Kurz und gut, die Arbeit soll von Fachleuten bewerkstelligt werden, und die Abgeordneten sollten pflichtgemäß den Auftrag der Wählerschaft ausführen.

Zum Schluß: Demokratisierung und Institutionalisierung - sowohl in Taiwan als auch in der KMT - müssen erst noch voll realisiert werden. Aber ich bin überzeugt, daß der Legislativ-Yüan eine führende Rolle in unserer politischen Entwicklung spielen wird. Die Wahlen vom 19. Dezember haben die politische Landschaft im Legislativ-Yüan verändert und in eine gesündere Richtung geführt. Die Abgeordneten sollten die Meinung des Volkes widerspiegeln, für saubere Politik eintreten und die Regierungsbehörden überwachen. Zudem sollten sie von ihrem Recht auf die Einreichung von Gesetzentwürfen bestens Gebrauch machen, statt bloß in passiver Art und Weise die Vorlagen zu prüfen. Nur so kann der Legislativ-Yüan voll zugunsten des Volkes arbeiten. Taiwan besitzt bereits eine solide demokratische Grundlage, doch müssen vermehrt Bestreben dahin gehen, diese zu institutionalisieren. Dies haben wir, denke ich, nun zur Genüge diskutiert. Es ist Zeit geworden! Die Stunde der Tat ist gekommen.

Huang Huang-hsiung:
Die Wahlen haben eine klarere Strukturierung der Zweiparteienpolitik von KMT und DPP bewirkt. Das Hauptunterfangen der DPP ist es in den vergangenen Jahren gewesen, ein bipartiales System zu etablieren. Dies wurde in den letzten Jahren, besonders mit den Wahlen vom Dezember, ganz offensichtlich verwirklicht. Wenn zwischen den beiden führenden Parteien keine größeren Zwistigkeiten aufkommen, wird die Zweiparteienpolitik für einige Zeit die bestimmende Struktur werden. Für kleinere Parteien wird es sehr schwierig sein, einflußreiche Positionen einzunehmen. Die Wahlen lehrten uns dies: In Zukunft werden die zwei größten Parteien die beiden wichtigsten Machtausübenden in der politischen Szene unseres Landes sein.

In Betrachtung der beiden Parteien denke ich, daß die DPP sich zu einer "intern strukturierten" Partei entwickeln wird. [Dies bezieht sich auf den Binnenaufbau einer Partei. Bei einer "extern strukturierten" Partei fällt ein ständiges Zentralkomitee (so bei KMT und DPP) die politischen Entscheidungen, die dann auf die Parteimitglieder im gesetzgebenden Organ zur Ausführung übertragen werden. Bei einer "intern strukturierten" Partei bestimmen die Abgeordneten zum gesetzgebenden Organ ihre politischen Standpunkte selbst und handeln nach ihnen.] Das ist nur natürlich. Die DPP wird Einfluß auf die Gestaltung der Parteien-Politik des Landes haben. Gleichzeitig wird sie sich einigen neuen Herausforderungen stellen müssen, da es das erste Mal ist, daß so viele DPP-Mitglieder im Parlament vertreten sind.

Ich bin sicher, daß die DPP im Parlament verantwortungsvoller handeln wird, um die Erwartungen des Volkes nicht zu enttäuschen. Es ist weithin bekannt, daß die DPP als Partei begann, die Aktivitäten der Regierungspartei zu kontrollieren und ein Gegengewicht zu bilden. Die erste Deklaration der DPP ist ja eigentlich vom Abgeordneten Ju Gau-jeng und von mir verfaßt worden. Zu jener Zeit nannten wir unsere Partei ein Schallenkabinett. Das klang großartiger, als es in Wirklichkeit war. Realistischer würde es sein, der Partei von jetzt an diesen Namen beizugeben. Darum habe ich gesagt, die DPP wird nach der Wahl eine verantwortungsbewußtere Rolle im Legislativ-Yüan übernehmen; jetzt hat sie die Macht und Befugnis, das zu tun. Nebenbei gesagt sind alle DPP-Mitglieder im Legislativ-Yüan hauptberufliche Abgeordnete. Bei den KMT-Parlamentariern ist das nicht der Fall, die halten üblicherweise einige andere Positionen. Folglich schenken sie der parlamentarischen Arbeit vielleicht nicht so viel Aufmerksamkeit, wie es die Abgeordneten der DPP tun. Die DPP-Abgeordneten werden als Mitglieder der Schattenregierung an sich auch den Anspruch stellen, im Parlament besser aufzutreten. Die Ära, in der die KMT alle Entscheidungen im Lande fällte, ist vorbei.

Man meint immer noch, die DPP in verschiedene Splittergruppen teilen zu müssen. Früher traten innerhalb der Partei gespaltene Meinungen über das Thema der Unabhängigkeit Taiwans auf. Einige DPP-Mitglieder nahmen der "ein China, ein Taiwan"-Politik gegenüber sehr klare Standpunkte ein, andere wieder nicht. Die meisten haben inzwischen eine Übereinkunft getroffen. "Ein China, ein Taiwan" ist eine Formel, die von der ganzen Partei akzeptiert werden kann. Ich glaube, daß dieser politische Appell eine große Hilfe für unsere DPP-Kandidaten in den vor kurzem stattgefundenen Wahlen war. Innerhalb der Partei gibt es darüber nahezu keine Unstimmigkeiten. Ich denke daher nicht, daß eine bestehenbleibende Splittergruppenproblematik in der DPP existiert. In der Vergangenheit war Raum für das Verbreiten von Gerüchten und das Erzeugen von Spannungen zwischen Parteimitgliedern gegeben, aber das ist nicht länger so. Um den Erwartungen des Volkes entgegenzukommen, werden aber einige Änderungen in der Parteistruktur vorgenommen.

Die Wahlen trugen positiv zur Bewahrung der gesellschaftlichen Sicherheit bei. Viele, die den Glauben an Taiwan schon verloren hatten, änderten ihre Meinung nach der Wahl. Zudem meinten manche, daß die Politik durch die Wahlen eine Polarisierung erfuhr. Ich habe dieses Gefühl jedoch nicht, wenn ich von meiner mehr als zwanzigjährigen politischen Erfahrung ausgehe, während der ich Unterdrückung, Verfolgung, Bespitzelung und Inhaftierung erlitt. Historisch gesehen und angesichts der bisherigen politischen Entwicklungen hierzulande sehe ich für Taiwans Politik keine Aufspaltung in zwei radikal verschiedene Richtungen kommen. Im Gegenteil, ich meine, daß die Wahl nur positive Beiträge zur weiteren Hinbewegung auf ein echt demokratisches System leisten wird.

Aus den Wahlergebnissen zog man die Lehre, daß ein Kandidat über die Unterstützung des Volkes und über Erfahrung in der Öffentlichkeitsarbeit verfügen soll. Diese Wahl veranlaßte uns zu tieferem Nachdenken. Ich glaube, daß sogar die Frage der Wiedervereinigung mit Festlandchina etwas von ihrer Umstrittenheit eingebüßt hat. Niemand wagt es jetzt, von einer sofortigen Vereinigung zu reden. Im Wahlkampf gab es nur wenige, die von der Wiedervereinigung sprachen.

Einmal sagte ich gegenüber der Tageszeitung China Evening Daily aus, daß die KMT in der Vergangenheit versucht hat, die Bewohner Taiwans unter dem Vorwand des Schutzes der Republik China politisch zu beherrschen. Dieses Gefühl ist nachvollziehbar, man sollte Verständnis dafür zeigen. Immer noch gibt es komplexe Gefühle zwischen Festlandchinesen und Taiwanesen, doch denke ich nicht, daß dies weiterhin ein ernstes Problem darstellen wird.

Ich möchte gern etwas über die Auswirkungen der Wahl auf die politische Entwicklung Taiwans hinzufügen. Zuerst einmal glaube ich als Mitglied der DPP, daß die DPP für alle Meinungen ein offenes Ohr haben wird, wie immer auch diese Meinungen aussehen mögen. Wir haben aber ebenfalls unsere eigenen Ansichten. Zum zweiten mußte die Partei viele unfaire Bemerkungen hinsichtlich ihres Auftretens in Vergangenheit und Gegenwart einstecken. Es ist wahr, daß sich die Partei in ihrer Entwicklungsgeschichte einiger unüblicher Methoden bedient hat, doch war sie immer um die Einrichtung eines fairen politischen Systems bemüht.

Die DPP hat keine Veranlassung, vom Vorantreiben der Demokratisierung abzugehen. Aber auf zweierlei Gebieten ist die DPP immer noch im Nachteil, und sie wird weiterhin für eine Berichtigung dieser Situation kämpfen. Erstens übt die KMT immer noch Kontrolle über den Großteil der Medien aus. Zweitens ist sie durch den Besitz von Obligationen gleichzeitig wirtschaftliche wie politische "Supermacht". [Die bezieht sieh auf die im Besitz der KMT befindlichen Unternehmen, deren Einkünfte zu den finanziellen Mitteln der Partei beitragen.] Das sind die beiden Faktoren, welche die Parteien-Politik auf Taiwan so einseitig machen. Ganz offensichtlich müssen diese Schwierigkeiten erst beseitigt werden, um faire Bedingungen zu sichern. Hinsichtlich der Medienkontrolle muß die KMT die Regeln eines normalen demokratischen Landes akzeptieren. Zudem muß sie sich vom ökonomischen Schauplatz zurückziehen.

Welche Auswirkungen hatte die Wahl auf das politische System? In Übereinstimmung mit dem Grundgesetz wird sich das politische System zweifellos in Richtung Parlamentarismus bewegen. Die DPP tritt jedoch für eine direkte Wahl des Präsidenten ein. Wie läßt sich das miteinander vereinbaren? Eine Möglichkeit ist, die Amtsgewalt des Präsidenten einzuschränken. Weiter ist das Verhältnis zwischen Legislativ- und Exekutiv-Yüan ungleich. Dazu tragen zahlreiche Faktoren bei; einer davon ist, daß viele der involvierten Personen mit ziemlich großer Macht ausgestattet sind.

Nach der Wahl meine ich, daß sich die Haltung zahlreicher Regierungsmitglieder stark ändern und das Verhältnis zwischen den genannten zwei Gewalten kräftegleicher gestalten wird. Premierminister Hau sollte mit seinem Rücktritt ein Exempel setzen. [Da der Premierminister (der dem Exekutiv-Yüan vorsteht) vom Präsidenten ernannt und seine Nominierung vom Legislativ-Yüan bestätigt wird, treten manche für eine Regierungsauflösung nach jeder Parlamentswahl ein, um so den neuen Parlamentsabgeordneten die Möglichkeit zu geben, ihren Meinungen über die Ernennung des Premierministers Ausdruck zu verleihen.] Als ich das erste Mal zum Abgeordneten gewählt wurde, war es meine vorderste Aufgabe, den Rücktritt der Regierung zu fordern. Nach meiner Wiederwahl vor etwa sechs Jahren verlangte ich die Resignierung des damaligen Premierminister Yu Kuo-hwa. Seitdem sind elf Jahre vergangen, und noch immer fordere ich das gleiche vom Premierminister. Der Intention der Verfassung nach, meine ich, muß das so praktiziert werden.

Es sieht so aus, als ob wir [für die Auflösung der Regierung] kein drittes Mal kämpfen müßten, da die KMT von selbst bereits dafür Vorbereitungen trifft. Wenn hiermit alles gut verläuft, wird sich deutlichst hervortun, daß das derzeitige Stadium der Rechtsstaatlichkeit ein parlamentarisches System nahelegt. Dann hat der Präsident die Regierung zu respektieren, und seine Rolle wird neu überdacht werden müssen. Wie ich gerade gesagt habe, treten wir für eine Direktwahl des Präsidenten und für ein einziges Parlament ein. Der DPP bleibt also noch eine Menge von Aufgaben bei der Verfassungsreform. Wir achten historische Persönlichkeiten in bestimmten Geschichtsabschnitten, glauben aber auch, daß wir dafür verantwortlich sind, unsere eigene Rolle in der Geschichte auszuführen.

Das bedeutendste Ergebnis dieser Wahlen ist, daß zahlreiche Politiker ihre Positionen abgeben werden. Wenn es Präsident Lee Teng-hui gelingt, dem alten System ein Ende zu machen, so ist das geschichtlich gesehen ein Positivum. Es hängt alles davon ab, ob er das System aufrechterhalten, es erweitern oder aber abschaffen will. Wenn ein einziges Parlament bestünde, würde nach den Ansichten der DPP die gegenwärtige Nationalversammlung gleichzeitig die letzte sein. Ich denke, daß der Legislativ-Yüan zum einzigen Parlament werden wird, während sich der Exekutiv-Yüan zu einem echten Kabinett entwickeln wird. Die Beziehungen zwischen den beiden werden sich nur während der Zeiten enger gestalten, zu denen die Nationalversammlung zusammenkommt. Die Nationalversammlung ist zu einem ausbruchreifen Vulkan geworden. Aber es ist die KMT, die für diesen Vulkan gesorgt hat.

Ich hoffe, daß die DPP nicht bloß Kontrolle und Gegengewicht in der Parteien-Politik Taiwans ausüben wird, sondern auch zu einer vertrauenswürdigen Partei erwächst. Dies sind meinem Glauben nach die zwei wichtigsten Ziele für die Partei. Und dazu wird die DPP diese beispiellose Gelegenheit, die Öffentlichkeit im gesetzgebenden Organ zu vertreten, aufs beste zu nutzen wissen. Zugleich wird den DPP-Abgeordneten mehr Raum zur Äußerung ihrer politischen Vorstellungen gegeben. Der Parlamentsbetrieb wird sich ebenfalls mit neuen Herausforderungen konfrontiert sehen. Gleichzeitig wird die KMT einige interne Änderungen vornehmen müssen. Die KMT hat keine andere Wahl, als sich zu verändern; andernfalls wird die Betreibung ihrer Politik nicht reibungslos ablaufen.

Wenngleich der Legislativ-Yüan zum ersten Mal dem Exekutiv-Yüan ebenbürtig sein wird, ist er noch nicht ganz für seine neue Rolle gerüstet. Ich erinnere mich, daß, als ich das erste Mal gewählt worden war, einem jeden Abgeordneten weniger als ein halber Mitarbeiter zur Verfügung stand. Zur Zeit steht einem Abgeordneten eine Hilfkraft zu, was immer noch nicht ausreichend ist. Ich denke, das Verhältnis zwischen Abgeordneten und Mitarbeitern sollte 1:5 oder 1:10 stehen. Der Legislativ-Yüan müßte sein Personal aufstocken. Momentan gibt es etwa 160 Abgeordnete, demnach sollte ein 1000 bis 2000 Mann starker Personalkörper vorhanden sein. Außerdem sollte es den Ausschüssen nicht an Mitgliedern mangeln - gefordert sind Spezialisten, die Budget- und Planungsangelegenheiten behandeln können. Es wird zukünftig immer selbst verständlicher werden, Fachleute zur Mitarbeit im Legislativ-Yüan heranzuziehen. In dieser Hinsicht hat der Exekutiv-Yüan nicht genug getan. Er plant, den einzelnen Abgeordneten nur ein bis zwei Leute zusätzlich beizustellen.

Bisher fehlten dem Legislativ-Yüan die finanziellen Mittel für die Beschäftigung einer so großen Anzahl von Menschen. Jetzt aber ist die Software - die Mitarbeiterschaft - unentbehrlich geworden. Sie muß ein Bestandteil im Aufbau des Legislativ-Yüan werden. Wir brauchen Fachleute, die sich auf den Gebieten Statistik und Budget auskennen, um die Untersuchungen der Legislative überzeugender zu gestalten. Das ist dringend. Wir können gleich bei der diesjährigen Haushaltsdiskussion damit beginnen.

Was die Ausschüsse im Legislativ-Yüan betrifft, so stimme ich mit dem Abgeordneten Kuan überein. Ihre Anzahl sollte reduziert werden; dafür könnten innerhalb der Ausschüsse kleinere Ad-hoc-Untersuchungsgruppen eingerichtet werden. Auch sollte den Abgeordneten etwas Spielraum für die Teilnahme an mehreren Ausschüssen gegeben werden. Wir könnten in mindestens zweien arbeiten. Das bedeutet, daß Arbeitsablauf und Struktur des Legislativ-Yüan abgeändert werden müßten. Ich bin ebenfalls der Meinung, daß die Abgeordneten sorgfältiger überwacht werden sollen. Von den Regionalverwaltungen bis zur zentralen Regierung gibt es vier Instanzen [regionale, Kreis-, Provinz-, Zentralregierung]. Wenn es nur drei wären, ließen sich viele Probleme effizienter lösen.

Ju Gau-jeng:
Der Erfolg, mit dem die DPP aus diesen Wahlen hervorging, ist vielfach in optimistischer Weise interpretiert worden. Von der Position eines Außenstehenden möchte ich jedoch die Aufmerksamkeit auf einige Erscheinungen der politischen Kultur richten, die mit dieser Wahl in Zusammenhang stehen. Zuerst einmal: Einige Mitglieder der KMT, die ohne Parteinominierung an der Wahl teilgenommen haben, erreichten die höchsten Stimmanteile. Von diesen waren manche vormalige hohe Regierungsbeamte, wie Jaw Shau-kong und Wang Chien-shien. Der in der KMT fest verwurzelte Glaube, es sei schwierig oder unmöglich, ohne die Unterstützung der Partei gewählt zu werden, ist in dieser Wahl seines Nimbus beraubt worden. Das wird zukünftig schwerwiegende Auswirkungen auf die Demokratisierung innerhalb der KMT haben.

Zum zweiten ist noch eine andere Überzeugung zunichte gemacht worden. Man erachtete es in der Vergangenheit für unmöglich, daß ein DPP-Kandidat ohne die Unterstützung seiner Partei gewählt werden kann; weiterhin hielt man es für nicht möglich, wenn der Kandidat ehemals Mitglied der DPP war, später aber aus der Partei ausgetreten ist. Bei diesen Wahlen aber wurden Lin Cheng-chieh [ein parteiloser Abgeordneter] und ich mit hohen Stimmanteilen gewählt. Daraus ersehen wir, daß neben KMT und DPP noch viel Raum für Außenstehende bleibt. Mit der Unterstützung des Volkes kannst du gewählt werden, auch wenn keine der beiden großen Parteien hinter dir steht. Dieses Faktum wird auf die zukünftige Entwicklung der Parteien-Politik in Taiwan gewaltigen Einfluß haben.

Der Hauptgrund für das schlechte Wahlergebnis der KMT war die Strategie, nach der sie ihre Kandidaten nominierte. Die Kriterien, nach denen die Leiter der KMT-Lokalorganisationen vorgingen, gründeten sich eher auf die Wahrscheinlichkeit, mit der die Wahlbewerber einen Sitz erlangen würden, als auf ihr bisheriges Auftreten im Parlament. Um es direkter auszudrücken: Beziehungen zur und Unterstützung durch lokale Parteiorganisationen und die Fähigkeit zum Stimmenkauf wurden als wichtiger erachtet. Doch die Wahlergebnisse zeigen, daß viele sogenannte "goldene Ochsen"-Kandidaten [die außer ihrem Reichtum keine anderen Referenzen vorweisen konnten] entgegen den Erwartungen nicht gewählt wurden. Einige investierten bis zu 20 Millionen US$, verloren aber dennoch den Wahlkampf. Die DPP ging aus diesen Wahlen nicht deshalb siegreich hervor, weil ihre Plattform an Unterstützung gewonnen hat, sondern deshalb, weil die von der KMT aufgestellten Kandidaten für viele Wähler nicht akzeptabel waren. Man stelle sich vor, ein Universitätsprofessor gäbe seine Stimme für eine Unterweltsfigur ab! Wie könnte er? Und so funktionieren die Stimmverteilungsvorstellungen der KMT eben nicht mehr.

Unter den 101 neugewählten Parlamentariern der KMT befinden sich nur wenige, die sich dieser Aufgabe hauptberuflich widmen wollen. Die meisten von ihnen sind politische Amtsträger mit ausgeprägten Beziehungen zu lokalen Parteiorganisationen. Eventuell werden sie gar nicht aktiv an den Sitzungen teilnehmen. Und auch wenn sie das bisweilen tun, so werden sie wahrscheinlich nicht in der Lage sein, viel Kommentar zu einem speziellen Thema abzugeben. Im Gegensatz dazu gibt es aber viele neugewählte DPP-Abgeordnete, die sich kräftig und freimütig äußern. In der KMT ist es nur die "Neue KMT-Allianz", eine Gruppierung innerhalb der Partei, die das Recht auf Meinungsäußerung erkämpft. Doch gibt es in der zentralen Parteiführung Unstimmigkeiten darüber, wie mit der Neuen KMT-Allianz zu verfahren sei. Bei diesen Wahlen mußten in der Folge die der Neuen KMT-Allianz angehörigen Kandidaten, auch wenn sie von der KMT aufgestellt worden waren, einige Behinderungen durch die Partei hinnehmen, was eine tiefe Spaltung anzeigt.

Es gibt sicherlich manche Dinge, die Anlaß zur Besorgnis geben, doch bin ich mir nicht sicher, ob die DPP die Situation bereits erkannt hat. Der Erfolg ist ihr zu Kopfe gestiegen. Die Mitglieder der DPP meinen, daß ihre Partei jetzt die Unterstützung der Öffentlichkeit hat, und daß diese Öffentlichkeit auch für Parteien-Politik und Demokratie ist. Das ist nicht die Wahrheit. Die DPP hatte Erfolg, weil das Volk die KMT als unzulänglich befand und sich gezwungenermaßen der DPP zuwandte. Die Menschen hofften, daß die DPP an genügend Stärke gewinnen würde, um die KMT zu schnelleren Reformen zu veranlassen und sie zur Offenlegung illegaler Parteiaktivitäten zu zwingen. Die Ansichten von Herrn Huang, die DPP werde sich weiterhin der Volksunterstützung erfreuen können, sind daher zu optimistisch.

Der zentrale Punkt der Parteien-Politik ist, daß die Wünsche und Bedenken des Volkes gesammelt, integriert und überdacht werden können, woraufhin sie dann auf Regierungspolitik und Gesetze übertragen werden. Erst wenn dies gesichert ist, wird ein zwischenparteilicher Wettbewerb der Öffentlichkeit zum Wohle dienen. Jede Partei muß Pläne ausarbeiten, welche die Unterstützung des Volkes gewinnen können. Parteien-Politik wirkt sich so vorteilhaft auf das öffentliche Sozialwesen aus und ist dem Fortschritt der Nation dienlich.

Die DPP erhofft sich irrtümlicherweise aus der Parteien-Politik einen Machtzuwachs zu gewinnen, doch hat sie noch nicht in Erfahrung gebracht, welche Konsequenzen die Regierungsgewalt mit sich bringt. Etwa wurde die Frage der Unabhängigkeit Taiwans zu meiner Enttäuschung vielfach überbetont. Der Hauptgedanke einer zwei- oder dreistündigen Ansprache so manches DPP-Redners war, daß er gerne ein würdiger Taiwanese sein möchte. Das war echt zum Krankwerden.

Interne Machtkämpfe sind in der Parteien-Politik eigentlich nichts Neues. Die ganze chinesische Geschichte hindurch kam das vor. Die Konflikte zwischen der Altpartei und der Neupartei in der Nördlichen Sung-Dynastie [960-1127] zum Beispiel führten zur Zerstörung dieser Dynastie. Die Neupartei ist der DPP insofern ähnlich, als sie Reformen forderte und ihre Mitglieder größtenteils aus Südchina stammten. [Die Mitglieder der Altpartei waren aus Nordchina. In Taiwan verfügen die Festlandchinesen immer noch über den größten Teil der politischen Einrichtungen. Die Steuereinnahmen der Regierung aber kommen hauptsächlich von den Taiwanesen.] Die Konflikte nehmen daher nie ein Ende. Zweck dieser Konflikte ist jedoch eher der Kampf um Macht denn die Verbesserung des sozialen Wohls. Und das macht mir wirklich Sorgen.

Demokratie kann auf verschiedene Arten praktiziert werden. Zum Beispiel gibt es die "Politik der Verantwortung". Ich finde es seltsam, daß man den Parteivorsitzenden der KMT nicht zum Rücktritt auffordert. Der Stimmanteil der KMT sank bei dieser Wahl um 20 Prozent, doch niemand verlangte von ihm das Übernehmen der Verantwortung. Die Stimmquote meiner Partei ging in dieser Wahl von 2,18 Prozent auf 1,55 Prozent zurück. Dafür muß ich die Verantwortung übernehmen. Daher bin ich als Vorsitzender der Partei zurückgetreten. Warum handelt die KMT nicht dergleichen?

Herr Huang sagte, daß sich die DPP mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zu einer "intern strukturierten" Partei entwickeln wird als die KMT. Meines Erachtens nach war die DPP während der letzten sechs Jahre in dieser Beziehung nicht gerade die schnellste. Es herrscht aber wachsende Übereinstimmung über die Einrichtung einer solchen internen Parteistruktur.

Als das Parteigremium der DPP eingerichtet wurde, verfaßten Herr Huang und ich die Satzung. Aber wir machten es nicht gründlich genug. Das ständige Zentralkomitee der DPP konnte die Fraktion im Legislativ-Yüan nicht kontrollieren. Zu jener Zeit drängte ich auf die Organisierung der Parlamentsfraktion. Später sah ich, daß die Situation umgekehrt war: Die Fraktion wurde in den letzten Jahren zentral von der Parteileitung kontrolliert. Nachdem ich aus der DPP ausgetreten war, wurde kein Versuch unternommen, das Gremium im Parlament mit genügend Macht auszustatten, um die Politik der Partei zu beeinflussen. Deshalb ist die DPP noch weit davon entfernt, ein Schattenkabinett zu sein. Ich mache mir über zwei Probleme in der DPP Sorgen. Das eine ist die interne Disziplin. Ein Blick in die Sitzungsberichte des Legislativ-Yüan der vergangenen drei Jahre zeigt, daß das Auftreten der Parlamentarier auf ein sehr niedriges Niveau abgesunken ist. Früher haben wir jedes Thema gut vorbereitet. Da lief mehr als bloß improvisierte Gespräche in den Parlamentsräumen. Herr Huang versteht meine Besorgnisse vielleicht.

Bisher waren es etwa zwanzig DPP-Abgeordnete, die mit der KMT verhandelt haben. Da es nun fünfzig sind, ist es schwieriger, eine Übereinkunft zu treffen. Bald werden Konflikte zwischen Splittergruppen auftreten. Die KMT ist bereits von interner Gruppenbildung betroffen, aber Zerwürfnisse innerhalb der DPP werden noch schwieriger zu lösen sein. Wenn die interne Disziplin nicht eingehalten werden kann, werden die Ergebnisse negativ aussehen. Die radikaleren, anti-institutionären Stimmen werden den vernünftigeren den Wind aus den Segeln nehmen. Die Gewissenhafteren, treu ihrer Arbeit Ergebenen werden ihr Recht auf Meinungsäußerung verlieren. Das ist ein ernstes Problem.

Es ergeben sich in der Folge zwei Schwierigkeiten. Aus dem Auftreten der DPP in der letzten Zeit sehen wir, daß die "Formosa-Gruppe" des Behandelns politischer Themen nicht fähig ist. Herr Huang bildet eine Ausnahme. [Der DPP-Abgeordnete] Chu Hsing-yu zum Beispiel sagt nichts über die Frage, wie in Zukunft der Präsident zu wählen sei. Aber die Splittergruppe "Neue Strömung" wird heftige Meinungen zu dieser Frage vertreten. So sagte [der DPP-Abgeordnete] Hung Chi-chang kürzlich, die Präsidentschaftswahlen müßten auf dem Willen des Volkes beruhen. Auf der anderen Seite glauben die Mitglieder der Formosa-Gruppe, daß ihnen die Erhaltung Lee Teng-hui's zugute kommen wird. Kang Ning-hsiang [Mitglied der Nationalversammlung und des Kontroll-Yüan] etwa steht Lee jetzt nahe, und die zwei neu in den Kontroll-Yüan gewählten Mitglieder stehen wiederum Kang nahe. Die Auseinandersetzungen über die Methode der Präsidentschaftswahl werden als erste auszutragen sein.

Die zweite Schwierigkeit besteht hinsichtlich der politischen Stabilität. Ein jeder hat zu diesem Thema seine Bedenken. Oft aber wird das Wichtigste übersehen: Die Stabilität der Beziehungen zwischen den beiden Seiten der Taiwanstraße. Wenn dieses Verhältnis labil ist, wie kann Taiwan dann politische Sicherheit erlangen? Die Stabilität Taiwans stellt sich nicht als isolierte Frage dar. Meiner Meinung nach wird Festlandchina aufgrund der wachsenden Macht der DPP sensibler auf die hiesige Politik reagieren und mehr Druck auf Taiwan ausüben. Vielleicht werden sich die Reaktionen Festlandchinas auch dringlicher gestalten. Entwickelt die DPP nicht mehr Verantwortungsbewußtsein und größere Selbstdisziplin, so wird ihr Sieg in diesen Wahlen der Stabilität Taiwans zum Schaden gereichen.

Diese Wahl wird bedeutende Auswirkungen auf die hiesige Politik haben. Erstens wird das Verhältnis zwischen Partei und Regierung intimer werden. Engere Verbindungen zwischen Exekutiv- und Legislativ-Yüan werden gefordert sein. Der Trend liegt bei "intern strukturierten" Parteien. Nur durch die Einrichtung eines parlamentarischen Systems können Konflikte verringert werden. Man sollte nicht versuchen, irgendetwas anderes zu etablieren. Nur durch ein parlamentarisches System kann die Machtbefugnis des Präsidenten eingeschränkt werden. In der Vergangenheit trat die DPP für die unmittelbare Wahl des Präsidenten ein, da sie dachte, es sei schwierig für sie, in Parlamentswahlen mehr als die Hälfte der Stimmen auf sich zu versammeln. Aber in dieser Wahl erreichte die DPP 35 Prozent der Stimmen. Wenn sie sich anstrengt und die KMT weiterhin keine Verbesserungen vornimmt, wäre es keine irreale Vorstellung, daß die DPP in Zukunft über die Hälfte der Stimmen gewinnt.

Ich denke, daß alle DPP-Mitglieder, die über ein moralisches Bewußtsein verfügen, zur Herstellung eines fairen und stabilen politischen Klimas auf Taiwan eine parlamentarische Demokratie favorisieren. Es ist nicht länger angebracht, sich gegenüber den Festlandchinesen, gegenüber dem Militär und gegenüber dem parlamentarischen System feindlich zu verhalten, nur weil man gegen Premierminister Hau Pei-tsun eingestellt ist.

Schließlich habe ich noch zwei Vorschläge für die zukünftige Arbeit im Legislativ-Yüan. Erstens hoffe ich, die KMT wird etwas aufgeschlossener denken und das Amt des stellvertretenden Präsidenten des Legislativ-Yüan einem DPP-Mitglied überlassen. Dadurch wird die Verantwortung fairer verteilt und unnötige Proteste der DPP während der Parlamentssitzungen können vermieden werden. Zweitens habe ich die Hoffnung, daß die KMT von den Erfahrungen anderer fortschrittlicher Länder lernen wird, in deren parlamentarischem System der Vorsitzende des Haushaltsausschusses von der Opposition gestellt wird. Andererseits sollte die DPP bei der Behandlung des Etats mehr Gewissenhaftigkeit an den Tag legen. Durch diesen Prozeß könnte die DPP wirklich lernen, wie man ein Land verwaltet. Das sind zur Zeit die wichtigsten Sachen.

Lu Ya-li:
Ich möchte vom Standpunkt eines Außenstehenden [das heißt, weder als Mitglied der KMT noch der DPP] über die Wahlen und die politische Entwicklung sprechen. Wahlen stellen hauptsächlich eine Widerspiegelung der politischen Kultur dar, und diese hat sich in den letzten paar Jahren auf Taiwan von einer untergeordneten zu einer moderneren Haltung gewandelt. Viele von der KMT aufgestellte Kandidaten haben bei dieser Wahl verloren. Dafür wurden die gewählt, die nicht von der Partei nominiert worden waren. Es ist gut, daß immer weniger Menschen bereit sind, nach den Anleitungen anderer ihre Stimme abzugeben. Statt dessen folgen immer mehr Wähler ihrem freien Willen. Zudem können regionale Gruppen und Konsortien nicht mehr den Einfluß ausüben, den sie bei früheren Wahlen geltend machten. Dies zeigt eine Veränderung der Werte und politischen Haltungen der Menschen. Nach der Wahl wird das Ideologiebewußtsein der jungen Wähler jedoch anwachsen. Zum Beispiel werden die Befürworter oder Gegner einer Vereinigung mit dem Festland ihre jeweilige politische Orientierung gezielter vertreten, da sie - im Gegensatz zur älteren Generation - der Zukunft Taiwans ins Auge blicken werden müssen.

Die Parteien-Politik hat einen Schritt nach vorne getan, aber es sind immer noch Schwierigkeiten da. Kann der Legislativ-Yüan das Zentrum der politischen Entscheidungsfällung werden? Nein, das denke ich nicht, jedenfalls nicht, solange das Präsidialamt die Politik bestimmt und nicht der Exekutiv-Yüan [das Kabinett]. Denn sonst beschränkt sich der Aufgabenbereich des Exekutiv-Yüan, der dem Legislativ-Yüan verantwortlich ist, darauf, die politischen Entscheidungen des Präsidialamtes an den Legislativ-Yüan weiterzuleiten. Sollte das eintreten, dann wird der Legislativ-Yüan als Institution keine Aufwertung erfahren, obwohl zahlreiche wichtige politische Persönlichkeiten in ihm sitzen mögen. Darum sollte der Legislativ-Yüan, so er Zentrum der Entscheidungsfällung werden will, seine Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Bestellung des Premierministers und die Rolle des Exekutiv-Yüan richten.

Bezüglich des neuen Premierministers wird die KMT vielleicht Druck auf den Legislativ-Yüan ausüben, auf daß er die Nominierung eines bestimmten Amtsanwärters gutheiße. Aber das bedeutet nicht, daß der Legislativ-Yüan die Politik des neu ernannten Regierungsoberhaupts unbedingt unterstützen wird. Besser wäre, wenn der Premierministerposten und die Regierungsämter mit für den Legislativ-Yüan akzeptablen Personen besetzt wären. Dann könnte der Premier seine Politik mit besserer Unterstützung der Legislative umsetzen.

Ein weiteres Problem ist die Demokratisierung innerhalb der KMT. Parteien-Politik ist abhängig von der Beziehung zwischen Regierungs- und Oppositionsparteien, die entweder im Konfliktverhältnis oder im bloßen Wettbewerb miteinander stehen können. Sind die Hauptziele der zwei Parteien unvereinbar, so ist die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung eines Zerwürfnisses größer. Auseinandersetzungen sind jedoch nicht besorgniserregend, solange sie ordentlich ausgetragen werden. Wird Parteidisziplin eingehalten, dann können viele Probleme von den in höheren Instanzen wirkenden Mitgliedern gelöst werden. Zumindest werden sie sich nicht bis in regionale Gremien oder sogar auf die Straßen hinaus ausdehnen.

Die KMT kann entweder durch autoritäre oder durch demokratische Methoden Parteidisziplin erwirken. Doch die autoritären Methoden haben aufgrund der niedrig stehenden Moral in der Partei bereits ihre Wirkung verloren. Beispielsweise stellte die KMT viele Plutokraten [sogenannte "goldene Ochsen"] und Mitglieder regionaler Gruppierungen auf, die als Verlierer aus der Wahl hervorgingen. Da sich die Demokratisierung in der KMT noch nicht ganz durchgesetzt hat, dürfte es für die Partei leider nicht leicht sein, momentan eine bessere Disziplin herzustellen. Die Wahlen machen den bestehenden Unterschied zwischen dem Willen des Volkes und dem der KMT-Funktionäre deutlich erkennbar. Es ist nicht mehr möglich, das Parteiorgan der KMT als verantwortlich für die Disziplin seiner Mitglieder anzusehen, zumindest nicht im Legislativ-Yüan. Bevor die Partei sich nicht zuerst einmal selbst demokratisch reformiert, gibt es keine Chance auf Disziplin. Um dies zu bewerkstelligen, sollten die KMT-Abgeordneten, welche die höchsten Stimmquoten auf sich versammelt haben, wichtige Parteiposten bekleiden.

Die Gremien der Volksvertretung sollten politische Entscheidungen ausarbeiten und den Willen der Öffentlichkeit reflektieren. Dazu sollte der Legislativ-Yüan eine aktivere Rolle bei politischen Entscheidungen und der Widerspiegelung des Volkswillens spielen, auch wenn die Meinung der Öffentlichkeit bisweilen recht beschränkt sein kann. Ein Beispiel sind die Vereinigten Staaten. Viele Mitglieder des Repräsentantenhauses vertreten nur den Willen ihrer Wahlkreise, die recht klein sein können. Dies führt jedoch deshalb nicht zur Aufsplitterung und Krise, weil das Führungsprinzip im US-amerikanischen Kongreß fest verankert ist. Dieses Führungsprinzip nimmt Einfluß auf die Bestimmung der Politik, und die Ansichten der einzelnen Abgeordneten haben weniger Tragweite.

Auf Taiwan kann man dienstälterer Abgeordneter werden, wenn man in jeder Wahl etwa dreißigtausend Stimmen auf sich versammelt, was ein sehr kleiner Teil der ganzen, zwanzig Millionen zählenden Bevölkerung ist. Nach dieser Wahl wird jedoch ein Führungsproblem auftauchen, weil viele Neugewählte in den Legislativ-Yüan einziehen werden, die eine hohe Stimmquote erreicht haben, aber voller Idealismus und politisch unerfahren sind. Wer sollte nun die oberen Positionen einnehmen, die Neuen oder die älteren Parlamentarier? In gut entwickelten Demokratien ist es Brauch, daß die älteren Abgeordneten dem Parlament vorstehen, obwohl sie nicht unbedingt die höchste Stimmenanzahl gewinnen. Hierzulande aber betrachtet man es als selbstverständlich, daß die mit der höchsten Stimmquote die leitenden Ämter übernehmen. Unter diesen Umständen wird die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung von echter Parteien-Politik geringer sein. Es ist ja höchst möglich, daß die Wünsche des Wahlkreises, aus dem ein Abgeordneter mit hoher Stimmanzahl hervorging, gegenüber den Wünschen der übrigen Bevölkerung beträchtliche Unterschiede aufweisen. Politische Entscheidungen sollten daher nicht unbedingt nur darauf ausgerichtet sein, den verschiedenen Wahlkreisen zu genügen.

In Bezug auf die politische Stabilität nach den Wahlen stimme ich mit dem Abgeordneten Chu überein. Wir sollten das Ganze von einem umfassenderen Standpunkt aus betrachten. Besonders sollte die Haltung Festlandchinas in Erwägung gezogen werden. Grundsätzlich glaube ich, daß es in Taiwan - auch wenn politische Korruption vorkommt - keine ernsteren Probleme geben wird, solange die wirtschaftliche Entwicklung beibehalten werden kann. Die Auswirkungen ökonomischer Fehler muß das Volk meist sofort ausbaden, die Auswirkungen politischer Fehltritte aber erst viel später.

Die Wahl hat für eine schnellere Demokratisierung der Gesellschaft gesorgt. Das bedeutet aber nicht unbedingt, daß die Gesellschaft auch davon profitiert. Es hängt von der Beschaffenheit der Demokratie ab. Die lateinamerikanischen Länder, die man inzwischen als recht demokratisch betrachten kann, bieten dafür ein gutes Beispiel. Aufgrund der politischen Öffnung der letzten Jahre haben sich nach und nach zahlreiche Probleme in unserem politischen System aufgetan. Eine Hauptschwierigkeit ist seine Beschaffenheit als Mischsystem [Mischung aus parlamentarischem und präsidialem System], in dem Autorität und Verantwortung nicht ausreichend bestimmt sind. Anders ausgedrückt: Die im Besitz der Befehlsgewalt Befindlichen übernehmen nicht unbedingt auch die Verantwortung. Die meisten Menschen fühlen deshalb Unbehagen aufkommen. Ich hoffe, daß diese und ähnliche Fragen nach den Wahlen behandelt werden.

Ein anderes schwieriges Thema ist die Nationalversammlung. Ohne gute Führung wird sie ihre Macht auszudehnen versuchen und zusätzliche Verfassungskrisen hervorrufen. Sollte die Nationalversammlung leichtsinnig werden, wozu sie, wie es scheint, schon einige Versuche unternommen hat, so gibt es eigentlich keine Möglichkeit, sie einzudämmen. Die KMT sollte sie in passiver Art und Weise arbeiten lassen, anderenfalls wird ein gutes Verhältnis zwischen Nationalversammlung und Legislativ-Yüan schwierig aufrechtzuerhalten sein. Im derzeit bestehenden System liegt jedoch ein Widerspruch. Das Recht der Nationalversammlung auf die Qualifikationsüberprüfung [der für den Kontroll-Yüan nominierten Personen] ist ein Recht, das nach meiner persönlichen Meinung besser dem Legislativ-Yüan übertragen werden sollte. In vielen Ländern ist es das Parlament, dem das Kontrollrecht gebührt. Die Mitglieder

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