19.05.2025

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01.01.1993
Orchideen entzücken nicht nur durch ihre grazile optische Schönheit. Orchideenwein -­ eine Erfindung des Blumenzüchters Weng Chu-fa - hat ein wunderbares Bukett und ei­nen erlesenen Geschmack. Das Amt für Tabak- und Alkohol­monopol stellt aber auch Blumenweine aus Jasmin und Chrysanthemen her, beide auf der Basis von Reisschnaps und mit einem Alkoholgehalt von 40 Prozent.
Blumen fanden in China schon seit langem in Speis und Trank Verwendung. Heute finden Taiwans Feinschmecker neue Wege, um diese exotischen Lebensmittel zuzubereiten.

China ist berühmt für die Vielzahl von Zutaten, die in den Küchen seiner Regionen verwendet werden. Doch finden Blumen merkwürdigerweise selten Erwähnung als ein Teil der kulinarischen Tradition Chinas, obwohl sie doch seit mindestens zweitausend Jahren in Speis und Trank verwendet werden. Ch'ü Yüan (343-290 v. Chr.), Chinas erster bekannter Poet, schrieb: "In der Morgendämmerung trinke ich die Tautropfen auf Magnolienblättern. In der Abenddämmerung esse ich von den fallenden Blütenblättern der Chrysanthemen." Obgleich vielleicht eher dichterisch-übertragen statt tatsächlich gemeint zu verstehen, mag einige Wahrheit in seinen Worten liegen.

Die Zahl der Blumensorten, die auf Taiwan zur Verwendung in Speisen und Getränken kommerziell angebaut werden, kann man an einer Hand abzählen. Am häufigsten für den Binnenmarkt produziert werden die Tageslilie, die Teechrysantheme und der Jasmin, alle seit Jahrhunderten in China verwendet. Vor kurzem wurden Versuche unternommen, der Öffentlichkeit eine größere Auswahl an eßbaren Blumen sowie Blumentees und -weine vorzustellen.

Die Tageslilie (Hemerocallis fulva) ist die einzige Blume, die speziell für den Verzehr kommerziell angebaut wird. Im alten China war die Tageslilie als das "Mutter-Kraut" oder auch "Sorgenfrei-Kraut" bekannt. Traditionellem chinesischem Volksglauben zufolge hatte die Blüte der Tageslilie, wenn sie gegessen wurde, die Kraft, Kummer zu lindern. Es hieß, daß ein junger Mann, der das Zuhause für Studium oder Arbeit verließ, vor dem Aufbruch die Blume in den Familiengarten pflanzen würde, auf daß eine Mutter nicht so traurig sei. Verweise auf die Kraft dieser Pflanze tauchen in vielen klassischen Gedichten auf, die mehr als tausend Jahre alt sind. Wegen Form und Farbe ihrer getrockneten Blüten wird die Blume heute auch "Goldnadel-Blume" genannt.

In den meisten Ländern kultiviert man die Tageslilie vornehmlich als eine mehrjährig blühende Zierpflanze für die Landschaftsgestaltung. In Taiwan jedoch erscheint sie auch auf der Essenstafel - nicht in Buketts, sondern im Kochtopf. Die Blüten der Tageslilie sind sogar recht nahrhaft, reich an Proteinen und den Vitaminen A1, B1, B2 und C. Ein auf Taiwan beliebtes Rezept ist Schweinerippchensuppe mit Tageslilien. Es ist leicht zuzubereiten: einfach die Rippchen zart kochen, dann getrocknete Tageslilienblüten hinzugeben und zwanzig Minuten köcheln lassen. Man muß allerdings darauf achten, die Blüten nicht zu lange zu kochen; wenn sie zu lange simmern, färbt sich die Suppenbrühe dunkel.

Die Pflanze wächst hauptsächlich in Taiwans Osten, wo insgesamt tausend Hektar bebaut werden. Wie Li Shan-chen von der Landwirtschaftlichen Versuchsanstalt des Distrikts Taitung (Taitung District Agricultural Improvement Station) erklärt, wird sie für gewöhnlich auf Feldern angebaut, die in einer Höhe von 800 bis 1000 Metern liegen, da sie in einem kühleren Klima mehr Blüten treibt. Geerntet wird die Tageslilie im August und September. Um Aroma und Geschmack zu bewahren, muß sie frühmorgens gepflückt werden, wenn sie noch eine Knospe ist, am besten einen Tag vor Aufbrechen der Blüte. Die frischen Knospen werden an der Sonne oder in einer Maschine getrocknet und dann abgepackt.

Der Anbau von Tageslilien ist nicht mehr so profitabel wie einst. Züchter auf Taiwan müssen nun mit preisgünstigen Importen vom chinesischen Festland konkurrieren. Früher pflückten Studenten die Blüten, um im Sommer Geld dazuzuverdienen. Doch sind die Löhne zu niedrig, um dieser Tage noch Studenten anzulocken. In der Folge überprüfen die Experten der genannten Versuchsanstalt die Marktfähigkeit von frischen Tageslilien. Frische Blüten haben viel mehr Aroma als die getrockneten Blumen, und sie erzielen am Markt höhere Preise. Da sie sich nur drei Tage lang frisch halten, wäre es Festlandchina nicht möglich, als Konkurrent aufzutreten. Um den Konsum von Tageslilien weiter zu fördern, hat die Versuchsanstalt in Taitung ein Dutzend Rezepte für die Blume kreiert.

Die Tageslilie ist unter Chinesen schon lange ein Favorit, doch wie steht es mit anderen Blumen? Cheng Lin-chih(鄭琳枝), ein pensionierter Grundschullehrer, ist der Meinung, daß die Menschen mehr von diesen Pflanzen essen sollten. Er fördert ihre Verwendung in der Küche schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Cheng's Wissen über genießbare Blumen rührt teilweise daher, daß er auf dem Land aufwuchs, wo seine Familie Rosen, Chrysanthemen und Cannas zur Verwendung in der Küche züchtete. Auch lernte er von seiner Großmutter, welche der traditionellen chinesischen Medizin kundig war, eine Menge über die medizinische und kulinarische Verwendung vieler Pflanzen. Nachdem er nach Taipei umgezogen war, hatte er jedoch selten eine Chance, sich an den mit Blumen gekochten Lieblingsgerichten seiner Kindheit zu erfreuen.

Im Jahre 1977 nahm Cheng an einem Treffen mit ehemaligen Kommilitonen teil. Dabei erwähnte einer seiner Lehrer, daß es in Japan "Blumen-Clubs" gäbe, in welchen die Mitglieder Blumen künstlerisch arrangieren, mit Blumen kochen, Blumentee und -wein trinken sowie Gedichte rezitieren. Das ließ Cheng auf die Idee kommen, die Verwendung von Blumen zur Speisenbereitung auf Taiwan zu fördern. 1981 begann er seine Einmannkampagne mit dem Verfassen von Zeitungsartikeln über das Kochen mit Blumen. Er glaubt, daß die Leute auf Taiwan zuviel Fisch und Fleisch essen, und Blumen böten hierzu eine gesunde Alternative. Das Exotische des Kochens mit Blumen ist dabei Teil ihrer potentiellen Anziehungskraft.

Cheng hat ein Buch über das Kochen mit Blumen geschrieben, welches mehr als hundert Rezepte umfaßt, die eigens für die Verwendung von insgesamt fünfzig verschiedener Arten von Blumen zusammengestellt wurden. Zu den Köstlichkeiten seiner Küche zählen süß-saures Hähnchenfleisch mit Kamelien, Rosen-Hamburger und gebratene Schweinefleischstücke mit Lilienblüten. Im März letzten Jahres veranstaltete Cheng im Taipeier Museum der Provinz Taiwan eine Kochvorführung, die er "Blumenfest im Frühling" nannte. Am Tag der Veranstaltung bildete sich vor dem Museum eine lange Schlange von Neugierigen. Doch als sie zum Kosten der gebratenen Rosen und der verrührten Nelken aufgefordert wurden, zögerten sie. Manche fragten, ob die Blumen denn nicht giftig oder voll mit Pestizidrückständen seien. Auch hatten die Blumen nach dem Braten oder Kochen ihre ursprüngliche Farbe verloren, was sie weniger appetitlich erscheinen ließ.

Cheng warnt, daß nicht alle Blumen genießbar sind. Beispielsweise sind Fälle von Leuten verzeichnet, welche die trompetenförmigen Blüten der das giftige Atropin-Alkaloid enthaltenden Datura-Pflanze für Lilien gehalten hatten. Weil die Blüten von Ziergewächsen wie dem Oleander oder dem Weihnachtsstern genauso giftig wie schön sind, haben viele Menschen ihre Ausrottung vorgeschlagen. "Die Leute übertreiben", meint Cheng. "Wir müssen nur unseren Kindern beibringen, welche Blumen giftig sind."

Mag auch die Begeisterung für den Verzehr von Blumen bei weitem noch nicht überwältigend sein, so sind doch Blumentee in China ziemlich populär. Beispielsweise ist eisgekühlter Chrysanthementee ein weit verbreitetes Getränk, vor allem während der heißen Sommer auf Taiwan. Ärzten der traditionellen chinesischen Medizin zufolge vermag die Teechrysantheme (Chrysanthemum indicium) Fieber zu reduzieren und das Sehvermögen zu verbessern. Die Teechrysantheme ist nicht mit der großen Zierchrysantheme zu verwechseln, wie sie häufig in Herbstgärten zu sehen ist. Die kleinen, weißen und gelben Blüten der Teechrysantheme ergeben einen milden, jedoch bitteren Tee, der im allgemeinen mit Kristallzucker gesüßt wird.

Der Ort Tunglo im Landkreis Miaoli im Westen Taiwan ist die hiesige Hauptstadt der Teechrysantheme. Gegenwärtig sind nur 6 Hektar für den Anbau von Chrysanthemen vorgesehen. Vor zwei Jahren waren es mehr als 30 Hektar. Weil der Anbau von Chrysanthemen jedoch arbeitsintensiv ist - die Blumen müssen von Hand gepflückt werden -, ist es billiger, sie vom chinesischen Festland zu importieren. Chrysanthemen-Blüten aus Taiwan kosten nahezu fünfmal so viel wie solche vom Festland, und sie haben in etwa dieselbe Qualität. Teechrysanthemen werden im November geerntet, dann getrocknet und ausgeliefert.

Zur Versorgung des Marktes auf Taiwan haben mehrere Getränkehersteller wie Kuang Chuan Dairy Co. und President Enterprises Blumentees eingeführt. Honig-Chrysanthementee und Tees mit Jasmin und Osmanthus sind am beliebtesten. Der für die Aromatisierung von Tees verwendete Jasmin wird hauptsächlich in Puli (Zentraltaiwan) angebaut, während Osmanthustee mit einem aus Japan importierten Extrakt aromatisiert wird. Nach Aussagen eines Abteilungsleiters im Geschäftsbereich Getränke von President Enterprises hat der Markt für Schwarztee aufgehört zu expandieren, so daß die Firma eine neue Produktlinie mit aromatisierten Tees einführt. Vor Markteintritt nahm das Unternehmen zahlreiche vorbereitende Geschmackstests vor, um die ideale Stärke und Süße für solche Tees zu bestimmen. Marktumfragen zeigen, daß die süßen aromatisierten Tees vor allem bei weiblichen Verbrauchern unter 25 Jahren beliebt sind. Für Verbraucher über 25 Jahren bleibt der Oolongtee die erste Wahl. Das Unternehmen plante für vergangenes Jahr die Einführung eines mit entsprechendem Extrakt aromatisierten Rosentees.

Auch Blumenweine haben sich in China seit Jahrhunderten großer Beliebtheit erfreut. Früher wurden die Blumenweine am Ende der Erntezeit gebraut. Im Februar 1990 begann das Amt für Tabak- und Alkoholmonopol Taiwan (Taiwan Tobacco and Wine Monopoly Bureau) mit der Produktion von Chrysanthemen- und Jasminweinen. Diese Blumenweine werden durch Fermentierung von Jasmin- oder Chrysanthemenblüten in Reiswein hergestellt. Beide Weine enthalten 40 Prozent Alkohol.

Als Blumenweine erstmals in den Verkauf kamen, waren sie sehr beliebt. Doch ging der Absatz nach nur zwei Jahren stark zurück. Chao Chien-kuo, Sektionschef in der Abteilung für Binnenvermarktung im Monopolamt, erklärt: "Taiwan produziert jedes Jahr einen Reisüberschuß. Um diesen Überschuß zu verwerten, entschieden wir, Blumenweine zu brauen. Doch fanden wir heraus, daß die meisten [männlichen] Weintrinker reinen Reiswein bevorzugen oder auch Kao-liang-Wein aus Sorghum. Und unter Frauen haben wir für diese Weine keine Abnehmer gefunden, weil sie für deren Geschmack zu stark sind."

Weng Chu-fa, ein Orchideenzüchter im Kreis Hualien, wurde für seinen Orchideenwein berühmt, den er aus der schlicht aussehenden, aber äußerst stark duftenden Cymbidiumorchidee macht. Orchideenpflanzen wenden, so Weng, eine Menge Energie auf, um zu blühen. Deshalb entfernt Weng zur Stärkung junger Pflanzen im allgemeinen deren Blütenknospen. Vorletztes Jahr beschloß er zu experimentieren. Er fermentierte die gepflückten Knospen in Reiswein und fand zu seiner Überraschung, daß der entstandene Orchideenwein außerordentlich gut schmeckte. Sein einzigartiges Bukett fand den Beifall von Weng's Freunden. Da nur dem staatlichen Alkoholmonopol die kommerzielle Herstellung von alkoholischen Getränken erlaubt ist, kann Weng nur soviel Wein brauen, daß es für ihn und seine Freunde reicht.

Auch wenn sie auf den meisten Speisekarten nicht zu finden sind, so haben Blumen doch ihren Platz in der reichhaltigen Kochkunst-Tradition Chinas. Es ist eigentlich erstaunlich, daß in einer Kultur, wo man von Skorpionen bis Bärentatzen alles mögliche verzehrt, nicht mehr Blumen gegessen werden. Da keine kulturell bedingten Aversionen oder Phobien erkennbar sind, mit denen man den Mangel an Interesse erklären könnte, wird sich die kulinarische Verwendung von Blumen vielleicht im Zuge der Bemühungen von Menschen wie Cheng Lin-chih durchsetzen. Immerhin haben bereits Blumentees eine begeisterte Anhängerschaft gefunden, und die Zukunft der Getränkehersteller Taiwans sieht rosig aus.

(Deutsch von Martin Kaiser)

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