"Rußland ist ein weites Land mit einer großen Bevölkerung, jedoch wenigen Computern. Sein Marktpotential ist riesig", schildert Paul Liu(羅山根), Vorsitzender der Aquarius Systems Inc., eines computerherstellenden Unternehmens aus Taiwan. Aquarius zeichnet sich dadurch aus, bis jetzt der einzige Betrieb Taiwans zu sein, der Joint-ventures mit Firmen sowohl in Ostdeutschland als auch in Rußland eingegangen ist.
Bevor Liu ins Computergeschäft einstieg, leitete er jahrelang ein Reisebüro. 1983, im Alter von 35 Jahren, eröffnete er mit seinem Bruder, der inzwischen Geschäftsführer der Aquarius-Robotron Systems GmbH in Ostdeutschland ist, eine kleine Handelsfirma mit 80 000 US$ Kapitalinvestition. Sie exportierten hauptsächlich Mikrocomputer und periphere Geräte. Doch wurde Liu ständig von Schwierigkeiten heimgesucht: Entweder die Lieferanten hielten ihre Termine nicht ein, oder die Käufer übergingen ihn und wendeten sich direkt an die Hersteller. "Da die Montagearbeit eigentlich nicht schwierig ist, beschlossen wir, sie selber zu tun", denkt Liu zurück.
Im Jahr 1984 eröffnete Aquarius die erste Fabrik in Taipei, und die Handelsfirma wandelte sich zu einem Fertigungsbetrieb. Das Unternehmen fing mit fünf Angestellten an und erzielte im ersten Jahr bescheidene Gewinne. Fünf Jahre später begann die dritte und größte Fabrik der Firma im Landkreis Taoyuan ihre Arbeit. In dieser Produktionsstätte können bis zu 20 000 Mikrocomputer und 40 000 Add-on-Karten pro Monat hergestellt werden. Die Einkünfte vom Binnenmarkt werden 1992 voraussichtlich an die 100 Millionen US$ heranreichen, während die internationalen Einnahmen um die 400 Millionen US$ liegen werden. Heute beschäftigt Aquarius neben den 220 Angestellten auf Taiwan noch 550 im Ausland. Über 93 Prozent der Produktion ist für den Export bestimmt, wobei 60 Prozent der Lieferungen nach Westeuropa, 15 Prozent nach Osteuropa, 18 Prozent nach Australien und andere Überseemärkte geht, während die verbleibenden 7 Prozent für heimische Käufer erhältlich sind. "Wir werden ein exportorientierter Hersteller bleiben", bekräftigt Liu.
Von Anfang an hatte Aquarius beschlossen, den überfüllten US-Markt zu meiden. Anstelle dessen visierten sie Westeuropa an, da das Konsumverhalten der europäischen Käufer – quantitativ kleine Aufträge für hochqualitative Produkte - hohe Profitmargen versprach. 1983 wendete sich die Firma auf der Suche nach Abnehmern Westdeutschland zu. Heute hat Aquarius allein in Deutschland mehr als 150 Verteiler und verzeichnet einen Jahresumsatz von über 400 Millionen DM (266 Millionen US$), was für aus Taiwan kommende Computerprodukte mit Markennamen einen Rekord darstellt.
Im Jahr 1984 vereinbarte Liu mit Janos Bocsanczy eine Zusammenarbeit zum Verkauf von Computern in Osteuropa. Über Bocsanczy erfuhr Liu, daß die Nachfrage nach Computern in Ungarn sehr groß ist. Aquarius begann mit dem Export von Computerprodukten, fand aber den Markt bald überfüllt mit Konkurrenten aus Taiwan. So suchte er anderswo nach Absatzmärkten. Als sich 1989 weitere Länder Osteuropas öffneten, beeilte sich Aquarius, dort einzusteigen.
Im Oktober 1989 ging Aquarius ein Joint-venture ein, und es entstand die Aquarius Systems International GmbH (ASI-G) in Bad Homburg. Der Betrieb wurde in Westdeutschland errichtet, um eventuellen Importrestriktionen der zukünftigen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zuvorzukommen. Das Unternehmen ist für Marketing, Reinvestition und Kundendienst zuständig. Liu kam für 25 Prozent des Kapitals auf, während Winifried Hoffmann und Rolf Wiehe, zwei hocherfolgreiche Manager bei Commodore, der Computerfirma mit den besten Verkaufszahlen Deutschlands, mit 34 beziehungsweise 14 Prozent Kapitaleinlage beteiligt waren. Bocsanczy und ein anderer ungarischer Partner brachten jeweils 13,5 Prozent bei.
Die Ankündigung der Firmengründung war in Deutschland so etwas wie ein Medienereignis, insbesondere hinsichtlich des hohen Ansehens, das die Herren Hoffmann und Wiehe genießen. Hoffmann war für den mitteleuropäischen Markt von Commodore verantwortlich, welcher 70 Prozent der Verkaufszahlen des Unternehmens ausmacht. Er beschloß, sich ASI-G anzuschließen, weil er im Management eine freiere Hand haben wollte. Die großzügige Medienberichterstattung über das Ereignis verschaffte Aquarius auf dem deutschen Markt einen hohen Bekanntheitsgrad.
Hoffmann und Wiehe waren es, die Aquarius zum Betreten des ostdeutschen Marktes verhalfen. Bei der Computerausstellung Cebit im März 1990 in Hannover unterzeichneten ASI-G und Robotron eine Absichtserklärung, und im Juni wurden die Verhandlungen abgeschlossen. Die zwei Firmen unterfertigten ein Joint-venture-Abkommen, aus dem die Aquarius Robotron Systems GmbH mit Standort in Sömmerda, Thüringen, hervorging, die aus von Aquarius gelieferten Bestandteilen Personalcomputer baut. Robotron war einer der größten Industriekonzerne Ostdeutschlands und größter Hersteller von PCs, Druckern und elektrischen Haushaltsgeräten. Der Konzern setzte sich aus 23 Firmen zusammen und beschäftigte 72 000 Arbeiter.
Wenn die Computer von Aquarius-Robotron fertig zusammengebaut sind, werden sie durch Vertreter des Unternehmens in Westdeutschland auf den Markt gebracht. Da sich die Produktionstätte in einem der neuen deutschen Bundesländer befindet, kommen die von der deutschen Regierung gewährten besonderen Steueranreize zur Geltung, die dem Unternehmen 16 Prozent der Produktionskosten ersparen. Der Joint-venture-Betrieb ist es, der heute am meisten zum Verkaufszuwachs von Aquarius beiträgt.
Als Aquarius-Robotron im Jahr 1990 in Betrieb ging, hatte die Firma nur zwanzig Angestellte. Zur Zeit ist eine neue, 16 200 Quadratmeter große Fabrik in Bau. Die deutsche Regierung half der Aquarius-Robotron beim Erwerb des nötigen Landes und überwies Beihilfen für die Einrichtung von Arbeitsplätzen als Unterstützung zum Bau der neuen Fabrik und zur Erneuerung der Ausstattung. Die neuen Anlagen werden fünfhundert neue Arbeitsplätze schaffen. Nach Liu's Angaben heißt die deutsche Regierung solche Investitionen im Ostteil des Landes willkommen. Die Hauptabnehmer der Produkte sind Schulen und staatliche Organisationen. "Wir sagen ihnen, daß wir in Deutschland hergestellte Computer verkaufen und daß sie durch deren Kauf die Wirtschaft des Landes unterstützen. Das zieht", erzählt Liu.
Doch nur wenige Unternehmen Taiwans waren in Ostdeutschland erfolgreich. "Es ist schon ein langer Prozeß", meint Liu. "Du mußt ein starkes Team haben, das die Situation kennt und verhandlungskräftig ist. Vielen Unternehmern Taiwans fehlt einfach die Energie."
Liu ist genauso begeistert vom russischen Markt. Der Eintritt der Firma in Rußland wurde durch den alten Geschäftsfreund Janos Bocsanczy erleichtert, der fließend Russisch spricht und sowohl mit dem freien Marktsystem als auch mit dem sowjetischen zentralen Planungssystem vertraut ist. Liu und Bocsanczy erlangten einen Rückhalt in Rußland, als sie Tamilon Gasanow trafen, den Besitzer einer russischen Handelsfirrna. Im September 1990 kamen die drei Geschäftsmänner überein, Aquarius Systems Integral als einen konzessionierten Computerherstellungsbetrieb in Schuja, 370 Kilometer nördlich von Moskau, zu eröffnen. Die 12 960 Quadratmeter große Fabrik kann 10 000 Peronalcomputer im Monat produzieren. Hauptkunden der Firma sind staatliche Stellen und staatseigene Betriebe.
Bei diesem Joint-venture importiert die ASI-G Bestandteile aus Taipei, die in der russischen Fertigungsstätte zusammengesetzt werden. Der Taipeier Betrieb investiert in das Projekt kein Kapital, stellt aber den Markennamen zur Verfügung und ist verantwortlich für das Management, die Personalschulung und für technische Hilfe bei der Fertigungsstraße. ASI-G ist zuständig für die Ausstellung von Akkreditiven und erledigt den Tauschhandel mit Rußland. Die Russen stellen Land und Arbeitskräfte. So ist Liu's persönliche Belastung geringer, und er wird nicht in den Tauschhandel verwickelt.
Obschon die mit dem Tauschhandel verbundenen Risiken Anlaß zur Sorge geben, meint Liu doch, daß dies für Betriebe aus Taiwan der beste Weg ist, mit Rußland und anderen Mitgliedern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten Geschäfte zu betreiben. Er zieht es aber vor, nicht direkt, sondern über ein Drittland zu handeln. Auf diese Weise kann er die höchsten Gewinne bei geringstem Risiko erhalten. "Mit Deutschland trifft man die beste Wahl, weil es der größte Handelspartner der GUS ist", erklärt Liu. "Und Deutschland hat bereits reiche Erfahrung bezüglich des Tauschhandel mit der GUS. Obgleich das Vorgehen über ein Drittland den Gewinn beschneidet, trägt dieses Land die Verantwortung für die finanziellen und Wechselkursrisiken. Es ist immer noch die beste Methode." Das Joint-venture hatte aber auch mit Schwierigkeiten zu tun. Im Jahr 1991 drosselte die Fabrik aufgrund von ernstem Mangel an harter Währung das Produktionsvolumen. Doch Liu ist zuversichtlich. "Ich glaube immer noch an das große Potential dieses Marktes", bekräftigt er.
(Deutsch von Brigitte Rieger)