18.08.2025

Taiwan Today

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Sind die Verbraucher bereit für das Plastikgeld?

01.01.1993
Charles Lo, Senior-Vizepräsi­dent und Manager der Kreditkartenabteilung von China Trust Co., erwartet, daß das Interesse der Verbraucher und die Zahl der Kreditkartenin­stitute als Folge der Liberalisierungsmaßnahmen in der Branche steigen wird.
Obwohl das Pro-Kopf-BSP bereits die 10 000-US$-Schwelle überschritten hat, halten die meisten Verbraucher noch immer an der Barzahlung fest. Geänderte Kreditkartenregelungen könnten die Bürger zum Kauf per Karte bewegen.

Für einen Neuankömmling auf Taiwan gehört es mit zu den befremdlichsten Eindrücken, daß die Bürger Taiwans oft Bündel von Geldscheinen bei sich tragen, um die Geschäfte eines Tages zu bestreiten.

In der hiesigen bargeldorientierten Gesellschaft kann es fatal sein, das Haus ohne mindestens 100 US$ in der Tasche zu verlassen. Was passiert, wenn man einen unerwarteten Gast zum Mittagessen einladen muß? Oder wenn man einige Erledigungen per Taxi machen soll? Bargeld ist ein Muß. Es ist völlig normal hier, daß ein einheimischer Geschäftsmann ein Bündel von fünfzehn 1000-NT$-Noten (600 US$) verwendet, um die Rechnung für eine 12köpfige Essensgesellschaft zu begleichen, oder daß eine Frau, die in einer von Taipeis Exklusiv-Boutiquen einkauft, 1000 US$ für eine importierte Lederjacke aus der Handtasche zieht. Motorräder, CD-Spieler, Schmuck und Flugtickets, - alles wird bar bezahlt.

Die Verwendung von Bargeld anstelle von Kreditkarten oder Schecks ist umso verwunderlicher, wenn man die enorme Kaufkraft der Konsumenten auf Taiwan betrachtet. Das Pro-Kopf-BSP hat 1992 die 10 000-US$-Schwelle bereits überschritten. Derweil machen die privaten Guthaben 30 Prozent des hiesigen Bruttosozialprodukts aus und bringen damit Taiwan eines der weltweit größten Guthaben an Privatersparnissen.

Warum aber haben sich die Kreditkarten in dieser zunehmend reicher werdenden Gesellschaft noch nicht durchsetzen können? Tatsächlich hat das Finanzministerium der Zentralregierung bereits vor mehr als zehn Jahren den Gebrauch der Kreditkarten anerkannt, als es nämlich die Nationale Kreditkartenanstalt (National Credit Card Center, NCCC) gründete, welche die Ausstellung von Kreditkarten durch autorisierte, lokale Banken beaufsichtigt. Trotzdem konnte das Ministerium bis Juni 1992 nur 1,65 Millionen Kreditkartenbesitzer gewinnen, 8 Prozent der Gesamtbevölkerung. Diese Zahl steht in scharfem Gegensatz zur Popularität der Plastikkarten in Japan oder den Vereinigten Staaten, wo jeder Bürger durchschnittlich zwei bis drei Karten besitzt. Nach Meinung von Beobachtern liegt der Hauptgrund für das kümmerliche Wachstum der Branche in den Beschränkungen für Kreditkartenunternehmen. Bis zum vergangenen Frühling konnten nur jene achtzehn einheimischen Banken, die von der Nationalen Kreditkartenanstalt dazu bevollmächtigt waren, den Kreditkartenservice anbieten. Aber nun könnte das Plastik-Zeitalter im Kommen sein. Im Mai letzten Jahres erließ das Finanzministerium grundlegende Liberalisierungsmaßnahmen für die Branche. Diesen zufolge kann sich nun jedes Geldinstitut auf Taiwan um die Kreditkartenlizenz bewerben.

Dieser Schritt wird bei den Verbrauchern eine Welle des Interesses auslösen, prophezeit Charles Lo(羅聯福), Senior-Vizepräsident und Manager der Kreditkartenabteilung von China Trust Co., Taiwans größtem Kreditkartenunternehmen. Lo erwartet, daß die Zahl der neuen Kreditkartengesellschaften zunächst steigen wird, da nun jede Bank, ohne die Auflage, der NCCC beizutreten, auf den Markt kommen kann. Nach der früheren Regelung konnten jene 22 inländischen Banken, die nicht Mitglied der NCCC waren, keine Kreditkarten anbieten. Zum zweiten werden, nach Meinung von Lo, einige jener Geldinstitute, die zur Zeit noch unter der Führung der NCCC operieren, aus dem Zusammenschluß austreten und als Selbständige aggressiver agieren. Die drei Hauptaussteller von Kreditkarten sind die China Trust (440 000 Kreditkarteninhaber bis Mai 1992), Citibank Taipei (140 000) und Cathay Investment & Trust Co. (110 000). "Unabhängig von der NCCC zu arbeiten, bedeutet eine größere Entscheidungsfreiheit", sagt Lo. "Man kann seine Geschäftsstrategien selber bestimmen und eigene Computerprogramme entwickeln, um den Verkauf optimal zu fördern."

Mit dem Anstieg der Kreditkartenanbieter, so betont Lo, wird auch der Wettbewerb sowohl um zukünftige Kunden ebenso wie um Geschäftsleute stärker und härter werden. Nur wenn es genügend Dienstleister und Einzelhändler gibt, welche die Kreditkarten als Zahlungsmittel akzeptieren, werden die Verbraucher auch bereit sein, die anfallenden Gebühren zu berappen.

Aber die Branche steckt in einer Zwickmühle. Einerseits scheuen viele Einzelhändler die hohen Gebühren der einheimischen Kartenanbieter. Andererseits behaupten letztere, daß sie die Gebühren nicht senken können, solange sich nicht mehr Geschäftsleute vertraglich verpflichten.

Händler zahlen zur Zeit 3,12 Prozent der Gesamtkaufsumme als Gebühren an die Kreditkartenaussteller. Dies bedeutet eine Senkung um 2 Prozent von den ursprünglichen Gebühren zu Beginn der achtziger Jahre, als die Kreditkarten eingeführt wurden. Trotzdem bemängeln viele Einzelhändler und Führungskräfte der Dienstleistungsindustrie, daß die Gebühren hierzuorten immer noch höher lägen als in vielen anderen Ländern.

Der Grund dafür ist nach Meinung von Felix Ong(翁光輝), Vizepräsident der NCCC, daß das Geschäftsvolumen nicht groß genug sei, um die Kosten zu verringern. Deswegen müssen die Anbieter die anfallenden Kosten durch höhere Gebühren ausgleichen. "Aber mit Wachstum unseres Kreditkartengeschäfts werden wir auch weiterhin die Gebühren senken, so wie wir es in den vergangenen Jahren getan haben", verspricht Ong. Laut einer Vorhersage werden die jährlichen Benutzergebühren sinken, wenn die Branche expandiert und der Wettbewerb sich verstärkt. Gegenwärtig beträgt die jährliche Benutzergebühr 48 US$ für ausländische Kreditkarten und 16 US$ für die Nationale Kreditkarte der NCCC, der einzigen zugelassenen einheimischen Zahlungskarte.

Die Zahl der lokalen Kreditkarten macht knapp über die Hälfte der in Taiwan ausgestellten Kreditkarten aus. Die erste ausländische Kreditkarte VISA wurde 1989 in Taiwan eingeführt und hatte bis Juni 1992 657 000 Karten ausgestellt. Andere Unternehmen sind American Express (150 000 Karteninhaber), MasterCard (61 900) und Diner's Club (20 000). Seit im vergangenen September die japanische Kreditkarte JCB auf den heimischen Markt kam, sind damit die weltweit fünf größten Kreditkarten auf Taiwan erhältlich. Die japanische Karte, deren Antrag vom Finanzministerium bereits bewilligt wurde, strebt einen Verkauf von 50 000 Karten im ersten Jahr an. Neben der Öffnung der Kreditkartenbranche für lokale Geldinstitute ermöglicht es die neue Regelung ausländischen Kartenausstellern, unter den gleichen Bedingungen wie inländische Konkurrenten zu operieren. Zum Beispiel müssen nun ausländische Anbieter ihre Kreditkarten nicht länger durch die NCCC ausstellen lassen, sondern können sie selber oder durch Joint-venture-Unternehmungen mit einer lokalen Institution auf den Markt bringen.

Die gelockerten Bestimmungen werden den Kreditkartenanbietern neue Anreize geben, aber die größte Anziehungskraft liegt in dem wachsenden verfügbaren Einkommen der lokalen Verbraucher. In einer 1992 veröffentlichten Studie des China Trust heißt es, daß inländische Kreditkartenbesitzer durchschnittlich 120 US$ pro Kauf mit Karte ausgeben, während amerikanische Benutzer nur 10 US$ aufwenden. Unterdessen hat die in San Francisco ansässige VISA International Association herausgefunden, daß im asiatisch-pazifischen Raum Taiwan in Höhe der 1992 getätigten Kreditkartenkäufe schon an zweiter Stelle hinter Japan steht. Diese Zahl ist besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß die Anzahl der hiesigen Karteninhaber niedriger ist als in Japan, Australien, Südkorea oder Hongkong.

Im Wettbewerb um den lukrativen Markt haben die internationalen Kreditkartengesellschaften, einschließlich des Späteinsteigers JCB, ehrgeizige und teure Werbekampagnen gestartet. VISA International zum Beispiel hat im letzten April für die Taiwan-Verkaufsförderung 1992 1 Million US$ bereitgestellt.

Die intensive Werbestrategie der großen ausländischen Anbieter hat die Befürchtung geweckt, daß die Zukunft der noch in den Kinderschuhen steckenden Kartenbranche Taiwans gefährdet sei. Aber nicht jeder teilt diese düsteren Ansichten. Felix Ong von der NCCC beispielsweise glaubt, mit Verweis auf die gegenwärtig niedrige Zahl der Kreditkartenbesitzer, daß der inländische Markt für alle groß genug ist. Jack Cheng(鄭泰克), Vizepräsident der Kreditkartenabteilung von China Trust, stimmt dem zu. Er ist zuversichtlich, daß die NCCC-Karte mit ausländischen Anbietern konkurrieren kann. Er weist darauf hin, daß die Jahresgebühr für die inländische Kreditkarte nur ein Drittel von der für eine internationale betrage.

Cheng gibt allerdings zu, daß die internationalen Kartenanbieter einen großen Wettbewerbsvorteil haben: Sie verfügen weltweit über Vertragspartner und ermöglichen es so ihren Kunden, Käufe und Zahlungen auch im Ausland mit der Kreditkarte abzuwickeln. "Aber normalerweise nehmen Taiwans Bürger, die ins Ausland reisen, Reiseschecks und US-Dollars mit", gibt er zu bedenken. "Und auch wenn immer mehr Leute verreisen, verbringt die Mehrheit der Bürger die meiste Zeit zu Hause. Für diese Leute ist eine Kreditkarte, die nur im Inland benutzt werden kann, ebenso gut."

Bis Mai letzten Jahres waren American Express und Diner's Club die einzigen Kreditkarten, die ihren Kunden mehr als nur einen Zahlungsservice bieten konnten. Durch ihre "Darlehenskarten" waren diese Unternehmen mit besonderer Genehmigung des Finanzministeriums in der Lage, ihren Kunden zusätzliche Leistungen wie Kredit- und Darlehensgewährung in bestimmten Umfang anzubieten. Mit der Liberalisierung des Kreditkartenwesens plant das Finanzministerium, nun allen Anbietern diese Rechte einzuräumen. Sind diese Bestimmungen einmal erlassen, werden alle Unternehmen, nationale wie internationale, im großen und ganzen die gleichen Serviceleistungen anbieten.

Um die Kartenbenutzung noch praktischer zu machen, plante das Finanzministerium im Oktober 1992 die "clevere" Karte vorzustellen, welche von seinem "Informationssystemzentrum für Finanzen" entwickelt worden ist. Diese Karte erlaubt dem Inhaber, neben den herkömmlichen Nutzungsmöglichkeiten, auch Ein- und Auszahlungen sowie Umbuchungen vorzunehmen. Silvia Lee(李先峰), stellvertretende Direktorin des Zentrums, zufolge wird diese Karte sowohl als Kreditkarte wie auch als verbesserte Bankautomatenkarte benutzt werden können. Bereits über dreißig lokale Banken haben Interesse am Vertrieb der neuen Karte bekundet.

Die Aufhebung der Beschränkungen seitens der Regierung und die Einführung neuer Leistungen wird zu einem Anstieg der Kartenbenutzer führen. Doch Chang Hsiu-lien(張秀蓮), stellvertretende Direktorin des Büros für Geldwesen im Finanzministerium, warnt, daß Taiwan sich nicht über Nacht von einer bargeldorientierten in eine Kreditkarten-Gesellschaft verwandeln werde. Wie sie in einem im Juni 1992 veröffentlichten Artikel in der chinesischsprachigen Zeitschrift "Economic Daily News" erklärte, werden verschiedene Schritte und Maßnahmen erforderlich sein. Zunächst muß eine vertrauenswürdige Kreditanstalt eingerichtet werden, die Kreditinformationen über Kunden an Banken und Händler liefert. Zusätzlich müssen Banken und vertraglich verpflichtete Einzelhändler durch ein dialogfähiges Computersystem miteinander verbunden werden, um rasche Kreditüberprüfungen, Uberweisungen und Zahlungen zu gewähren. Aber viele lokale Banken und Geschäfte verfügen zur Zeit noch nicht über eine derartige Ausstattung. Und schließlich wird es nicht einfach sein, von der althergebrachten Gepflogenheit der Barzahlung abzukommen. "Es wird eine Weile dauern, ehe die Kunden mit dieser Tradition brechen werden", meint Chang.

Nichtsdestotrotz trifft das Finanzministerium bereits Vorkehrungen, Computerprogramme zur Kreditüberprüfung einzuführen, die den Gebrauch von Kreditkarten vereinfachen sollen. Und derweil benutzen jene Bürger, welche die Bequemlichkeit der Plastikkarten bereits entdeckt haben, sie voller Begeisterung. Kreditkartenkäufe in den ersten sechs Monaten 1992 erreichten 880 Millionen US$, das sind 530 US$ pro Käufer; Zahlen, die bereits jetzt für die Gesamtsumme des Jahres 1991 stehen. Wie es scheint, wird sich die Bargeld-Sitte letztendlich nicht ewig halten.

(Deutsch von Jessika Steckenborn)

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