06.05.2025

Taiwan Today

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Das Deutsche Wirtschaftsbüro Taipei

01.11.1994
Neben der Wirtschaftsförderung übernimmt das Deutsche Wirtschaftsbüro auch Aufgaben, die sich aus den inoffiziellen Beziehungen zwischen Deutschland und Taiwan ergeben, wie die Organisation von Besuchen deutscher Politiker. Im April 1994 besuchte Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt Tai­wan und traf dabei auch mit Pre­mierminister Lien Chan zusammen.
Das Deutsche Wirtschaftsbüro Taipei ist Anlaufstelle für deutsche wie taiwanesische Geschäftsleute, die auf der Suche nach Marktinformationen, Investitionsmöglichkeiten oder Geschäftspartnern in dem jeweils anderen Land sind. Daneben nimmt es auch andere Aufgaben wahr, die sich aus den inoffiziellen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik China ergeben. Die Ernennung des ehemaligen deutschen Diplomaten Klaus M. Franke zum neuen Leiter des Büros könnte sich positiv auf die gegenseitigen Beziehungen auswirken.

Mit einem Gesamthandelsvolumen von über 7,5 Milliarden US$ im letzten Jahr ist Deutschland mit Abstand der größte europäische Handelspartner Taiwans. Auf Taiwans Straßen sieht man BMW- und Mercedes-Modelle der gehobenen Klasse, deutsche Unternehmen graben Tunnel und sichern die Stromversorgung beim Taipeier Stadtbahnprojekt und durch ein Joint-venture rollen mit VW-Technologie gebaute Transporter vom Band. Vice versa wird das Interesse taiwanesischer Geschäftsleute am deutschen Markt durch ihre Präsenz auf allen großen Messen in Deutschland reflektiert; auf der diesjährigen Computermesse CEBIT in Hannover zum Beispiel war Taiwan das durch die meisten Aussteller vertretene Land.

Taiwanesische Exporte nach Deutschland, darunter hauptsächlich Maschinen und Zubehör, elektronische Produkte und Zubehör, Fahrzeuge, Sportartikel, Eisen- und Stahlwaren, Plastikwaren, Strickwaren sowie Möbel und Leuchten, stiegen von 868 Millionen US$ im Jahr 1984 auf 3,5 Milliarden US$ in 1993; die Importe aus Deutschland stiegen im gleichen Zeitraum von 768 Millionen US$ auf über 4,2 Milliarden US$ und umfaßten Maschinen und Zubehör, Fahrzeuge, elektronische Produkte und Zubehör, organische Chemikalien, Plastikwaren, Farbstoffe und Pigmente, Eisen und Stahl sowie optische und medizinische Geräte. Rund 85 deutsche Unternehmen sowie über achthundert Vertretungen sind in Taiwan ansässig; besonders in den Bereichen Telekommunikation, Datenverarbeitung, Verbraucherelektronik, Halbleitertechnologie, Maschinenbau, automatisierte Produktionsverfahren, Luft- und Raumfahrt, innovative Werkstoffe, Chemie und Pharma, Medizintechnik sowie Umwelttechnologie bieten sich für deutsche Firmen gute Geschäfts- und Investitionsmöglichkeiten auf Taiwan.

Bei diesen für beide Seiten gewinnbringenden Geschäften spielt das Deutsche Wirtschaftsbüro Taipei eine wichtige Rolle. Es wurde 1981 als erste europäische Handelsvertretung in Taiwan eingerichtet und arbeitet im Auftrag des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT). Es ist mit den deutschen Außenhandelskammern vergleichbar; außerdem nimmt es sich aus den inoffiziellen Beziehungen zwischen den beiden Seiten ergebende Aufgaben wahr, die von Repräsentation bis hin zur Organisation von Besuchen deutscher Politiker in Taiwan reichen, wie beispielsweise der des deutschen Bundeswirtschaftsministers Günter Rexrodt im April 1994. Deutschland kann Taiwans Bedeutung als zuverlässiger Handels- und Geschäftspartner nicht leugnen, wenngleich die Bundesregierung und die deutsche Wirtschaft starke Interessen in Festlandchina verfolgen und nach Kräften bemüht sind, Peking nicht zu verärgern.

Seit Sommer dieses Jahres fungiert Klaus M. Franke, vormals deutscher Botschafter in Sri Lanka, als Generaldirektor des Büros in Taipei. Er wurde vom Auswärtigen Amt für diesen neuen Posten beurlaubt. Jürgen Franzen, der sich in achtjähriger Tätigkeit um das Deutsche Wirtschaftsbüro verdient gemacht hatte, wurde im Juni dieses Jahres als Leiter des Vertretungsbüros des DIHT nach Singapur versetzt. Gleichzeitig führt er die Geschäfte des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft (APA) in Asien.

Laut Franke war sein kulturelles Interesse am Fernen Osten ein wesentliches Motiv, sich für diese Aufgabe in Taipei zur Verfügung zu stellen. Sie sei in mancher Hinsicht anders als seine frühere diplomatische Tätigkeit, "aber auch für einen Diplomaten gehört es mit zu den wichtigen Aufgaben, sich für die Belange der deutschen Wirtschaft einzusetzen", sagt er. "Obwohl ich hier in einer neuen Eigenschaft tätig bin, ist dieser Teil der Arbeit etwas, das sich fortsetzt. Ich treffe mich mit allen hiesigen Entscheidungsträgern, die für die Förderung der deutsch-taiwanischen Wirtschaftsbeziehungen eine Rolle spielen. Die Wirtschaftsförderung ist eine klassische Aufgabe der Diplomatie." Das gelte auch besonders für Projekte, um die sich deutsche Firmen im Ausland und unter Konkurrenz anderer Länder bemühten und deren Vergabe mit von der Einstellung der Regierung und der Behörden abhinge.

Was die Förderung des kulturellen Austausches anbelangt, seien fehlende Finanzmittel zur Zeit das wesentlichste Hindernis, sagt Franke. Kultur in Form von Konzerten, Kunstausstellungen oder anderen Veranstaltungen kostet Geld - welches von einer auf "Einsparen" bedachten Regierung nicht zu erwarten ist. Franke weist darauf hin, daß es bereits einen langjährigen akademischen Austausch zwischen Taiwan und Deutschland gebe und daß sich eine beträchtliche Anzahl chinesischer Studenten für ein Studium in Deutschland entscheiden würden. Er räumt allerdings ein: "Es gibt noch ungenutzte Möglichkeiten, die wir nutzen sollten, die aber die schwierige Haushaltslage in absehbarer Zukunft verhindern wird." Doch seiner Meinung nach ist Kultur ein weites Feld und hat viele Querverbindungen zur Wirtschaft; die Vorstellung deutscher Umwelttechnologie in Taiwan vereine sowohl den akademisch-wissenschaftlichen als auch den wirtschaftlich-industriellen Bereich in sich, führt er als Beispiel an.

Das Deutsche Wirtschaftsbüro ist eine nicht-profitorientierte Einrichtung, die versucht, sich durch eine dynamische und wirtschaftlich ausgerichtete Arbeitsweise über die für ihre Dienste verlangten Gebühren selbst zu finanzieren. "Wir versuchen, den deutschen Steuerzahlern sowenig wie möglich auf der Tasche zu liegen", sagt Gert Rabbow, Direktor für Wirtschaftsangelegenheiten im Deutschen Wirtschaftsbüro. Die Hauptaufgabenbereiche, um die sich die drei deutschen und 27 chinesischen Mitarbeiter kümmern, gliedern sich in Marketing, Messeorganisation und -vertretung, Veranstaltung von Symposien, Rechtsberatung und -beistand, Reisedienst und Investitionen. Seit 1987 ist die Einrichtung auch befugt, Visaanträge von Geschäftsleuten zu bearbeiten. Ein Plus des Deutschen Wirtschaftsbüros ist der Rundumservice, den es seinen Kunden anbieten kann, von der Beschaffung grundlegender Informationen über erste Kontaktaufnahme bis hin zur Betreuung von Investitionsprojekten. "Wir benutzen einen Kreislauf, in dem ein chinesisches oder deutsches Unternehmen, je nachdem in welcher Phase der Markterschließung es sich befindet, von einer Abteilung zur anderen weitergereicht wird. Daher achten wir darauf, daß die Mitarbeiter sehr eng zusammenarbeiten", erklärt Rabbow.

In der Abteilung Marketing werden hauptsächlich Anfragen deutscher und ebenso taiwanesischer Unternehmer bearbeitet, die jeweils im anderen Land einen Handels- oder Kooperationspartner, Lizenznehmer oder einen Lieferanten für ein bestimmtes Produkt suchen, ein Warendepot einrichten oder engeren Kontakt zu ihren Kunden aufbauen wollen. Taiwanesische Unternehmen können dafür das computergestützte Informationssystem des Deutschen Wirtschaftsbüros in Anspruch nehmen, aus dem sie selbst Informationen abrufen können. Laut dem Direktor für Wirtschaftsangelegenheiten gibt es derzeit zirka zweihundert sogenannte "German Information System"-Mitglieder; das sind Firmen, die sich ausschließlich auf den deutschen Markt spezialisiert haben und täglich Informationen erhalten. Deutschen oder taiwanesischen Unternehmen, die im jeweils anderen Land investieren möchten, steht die Investitionsabteilung mit Rat und Tat zur Seite. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Vermittlung war die kürzliche Ansiedlung eines taiwanesischen Investors in der Nähe von Berlin, der die Metallindustriewerke, MIW, von der Treuhandgesellschaft aufkaufte.

Symposien und Messen seien ein beliebtes Marketinginstrument, um deutsche oder taiwanesische Firmen mit dem anderen Markt vertraut zu machen, stellt Rabbow diesen Arbeitsbereich vor. "Wir veranstalten nicht nur Reisen zu ausgewählten Messen in Deutschland, sondern bieten den chinesischen Firmen die Möglichkeit, an den Messen teilzunehmen und sich dort auch zu präsentieren, sei es in der Form von Gemeinschafts- oder Einzelständen, die wir für diese Unternehmen einrichten und ihnen den gesamten Messeservice, einschließlich der Hotelbuchung und anschließender Firmenbesuche, zur Verfügung stellen." Man arbeite vor allem mit den Messen in Berlin und München zusammen, als deren Repräsentant das Deutsche Wirtschaftsbüro auf Taiwan fungiert. Der gleiche Service wird ebenfalls der deutschen Seite angeboten, wenn sie sich auf einer Messe in Taiwan präsentieren will. "Wir veranstalten auch eigene Messen und Symposien, die dann auf bestimmte Fachbereiche abzielen, indem wir deutsche mit hiesigen Experten zusammenbringen, Fragestellungen gemeinsam diskutieren, die dann auch dazu geeignet sind, gezielt deutsche Technologien in Taiwan einzuführen", erklärt Rabbow. Im Juli beispielsweise erfolgte ein solches sogenanntes German Technology Symposium, welches der Vorstellung deutscher Umwelttechnologie diente. Unter dem Namen German Industrial Product Show organisiert das Deutsche Wirtschaftsbüro entweder alleine oder gemeinsam mit Taiwans Rat für Außenhandelsentwicklung, CETRA, Präsentationen deutscher Firmen und Produkte. "Taiwan rückt stärker ins Blickfeld, und deutsche Unternehmen, die sich für den großchinesischen Wirtschaftsraum interessieren, müssen auch Taiwan im Auge haben", meint Rabbow.

Kommt es zu Meinungsverschiedenheiten oder Mißverständnissen zwischen Geschäftsleuten, schaltet sich auf Wunsch die deutsche Handelsvertretung als Schiedsstelle ein und bemüht sich, durch ausschließlich außergerichtliche Vermittlung die beiden Parteien wieder zusammenzubringen. Man habe eine 80prozentige Trefferrate, bemerkt der Direktor für Wirtschaftsangelegenheiten. "Die Schwelle ist überwunden, wenn sie überhaupt wieder miteinander reden." In den meisten Fällen handele es sich um Lieferschwierigkeiten oder Leistungsstörungen im Vertragsverhältnis, die durch Verständigungsprobleme oder durch eine falsche Lesart des Vertrags zustande kämen. Rabbow betont an dieser Stelle, daß die sogenannte Piraterie, d.h. die Verstöße gegen das Urheberrecht, erheblich nachgelassen habe, was er auf verstärkte Aufklärung der hiesigen Unternehmen zurückführt. "Die Klagen deutscher Unternehmer nach Patentrechtsverletzungen sind zurückgegangen."

Das Deutsche Wirtschaftsbüro Taipei profitiert bei seiner Arbeit einerseits von den in dreizehn Jahren auf Taiwan gesammelten Erfahrungen, Kontakten und Informationen und andererseits von seiner Einbindung in das umfangreiche Netz des Deutschen Industrie- und Handelstages und der örtlichen Industrie- und Handelskammern in Deutschland, wodurch ihm Informationen über die deutsche Wirtschaft und Industrie jederzeit zur Verfügung stehen. Das kommt natürlich auch den Kunden zugute, und daher konnte sich das Deutsche Wirtschaftsbüro einen Ruf als Anlaufstelle für Geschäftsleute hüben wie drüben schaffen.

Im Hinblick auf deutsche Studenten, die sich für Taiwan interessieren, sollte noch darauf hingewiesen werden, daß die deutsche Handelsvertretung Wirtschaftswissenschaftlern, Sinologen und Juristen die Möglichkeit bietet, ein Praktikum oder ein Referendariat in Taipei zu absolvieren. Zwar bemerkt Rabbow: "Wir sind ausgebucht bis ins Jahr 1997", aber erkundigen kann sich trotzdem lohnen, denn er fügt an: "Es kann ja sein, daß hier noch jemand kurzfristig abspringt."

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