In Taiwan hat sich die Idee des Artenschutzes zugestandenermaßen erst vor einiger Zeit etablieren können; aber nun wächst das Gefühl für die Dringlichkeit des Themas. Neue Einstellungen und Gewohnheiten werden durch strengere Gesetze und deren gewissenhaftere Durchsetzung, durch öffentliche Aufklärungskampagnen und veränderte Curricula der Schulen sowie durch die Arbeit von Tierschutz-Bürgerinitiativen gefördert. All das sind wichtige Schritte auf dem Weg, ein Bewußtsein für den Artenschutz und das Überleben wilder Tiere zu schaffen. Aber dieser Weg ist alles andere als einfach, wie die Artikel in dieser Nummer zeigen.
Über Tausende von Jahren haben Säugetiere, Vögel, Fische, Amphibien, Reptilien, Insekten und Pflanzen in China als Bestandteile von Nahrung und Medizin gedient. Aber in den letzten Jahren haben internationale Umweltschützer ihr Augenmerk vor allem auf zwei immer noch in chinesischer Medizin benutzte Essenzen gerichtet: Rhinozeroshorn und Tigerteile. Weltweit sind die Bestände bei der Tierarten so stark dezimiert worden, daß diese vom Aussterben bedroht sind. International wird daher verstärkt Druck auf die Chinesen ausgeübt, daß sie von der Verwendung dieser Produkte absehen und stattdessen pharmazeutische Ersatzstoffe benutzen.
Unter den gegebenen Umständen ist dieser Versuch des Tierschutzes verständlich. Aber in Taiwan, wie auch in anderen Gesellschaften, erstreckt sich das Problem weit über die Erhaltung der Nashörner und Tiger hinaus. Die Idee, daß Tiere Rechte haben, fängt gerade erst an, im Gesetz, in der Erziehung und in der öffentlichen Meinung Wurzeln zu schlagen. Das spezifische Problem der vom Aussterben bedrohten Rhinozerosse und Tiger zwingt Menschen auf der ganzen Welt, der Artenerhaltung mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Eine im Juli im Taipeier Zoo gezeigte Ausstellung internationaler Kinderkunst, veranstaltet von der Baha'i-Umweltorganisation, dem landwirtschaftsrat und dem Erziehungsministerium, illustrierte die Sorgen der jungen Generation um unsere Tier- und Umwelt.
Der traditionelle Status von Tieren in der chinesischen Gesellschaft drückt sich in dem alten Sprichwort aus: "Alle Geschöpfe der Natur wurden für den Menschen geboren." Ähnliches findet sich auch in den Schriften des Aristoteles, der ebenfalls der Überzeugung war, daß Tiere wie Pflanzen zum Gebrauch durch den Menschen existieren: für dessen Nahrung, als Arbeitshilfe, als Medizin oder auch als dessen Haustiere. Aber Tierrechte? Selbst im Westen gab es bis vor einigen Jahrzehnten kein solches Konzept. In China beginnt sich diese Vorstellung, trotz des traditionellen Respekts für Tiere im Buddhismus, gerade erst zu entwickeln. Teilweise ist dies ein Resultat von Aufklärungsarbeit, vor allem aber eine Folge des Drucks von seiten der Vereinigten Staaten und europäischer Länder.
Bis vor kurzem behandelte das Zivilrecht der Republik China alle Tiere, ob domestiziert oder freilebend, als "Objekte". Aufgrund dieser Rechtsauffassung konnten Menschen mit ihnen machen, was sie wollten.
Die typische chinesische Haltung wird vielleicht am besten durch Eßgewohnheiten illustriert. Wildbrett wird als besonders gehaltreich betrachtet. Viele Leute glauben beispielsweise, daß Truthähne schmackhafter und nahrhafter als Zuchthühner sind. Gezüchtete Hasen, Schweine und Ziegen schmecken einfach nicht so gut wie Feldhasen, Wildschweine oder die taiwanesische Gemse, eine Antilopen-Art mit kurzen Hörnern und dunkler Decke, die es bis vor kurzem noch in großer Zahl in Taiwan gab.
Sun Ta-wei(孫大偉), ein Werbefachmann aus Taipei, illustriert diese Haltung: "Wenn ich in die Berge fahre, esse ich Wild, so wie ich an der See Meeresfrüchte esse. Ich möchte einfach ein bißchen Abwechslung haben. Zum einen bin ich neugierig, zum anderen macht es Spaß." Yeh Jung-shen(葉榮生), der zwei Jahre lang ein Hundefleisch-Restaurant betrieb, sagt: "Das Fleisch wilder Tiere ist kräftiger und schmackhafter als das domestizierter. Das kommt daher, daß wilde Tiere mehr Auslauf haben."
"Chinesen witzeln sogar selbst über ihre Eßgewohnheiten und sagen, sie äßen alles, was in der Luft fliegt, auf der Erde herumläuft oder im Wasser schwimmt", sagt Tang Hsiao-yu(湯曉虞), Vorsitzender der Abteilung für die Erhaltung der Naturschätze im Landwirtschaftsrat (Council of Agriculture) . "Einige glauben sogar, daß der Genuß von Wild ihre sexuelle Potenz erhöht. Je wilder ein Tier, desto besser." Aufgrund dieser Einstellung sind "Bergprodukte" oder wildlebende Tiere ein beliebter kulinarischer Leckerbissen.
Solche gastronomischen Vorlieben haben auch dazu beigetragen, die Populationen von Wandervögeln zu dezimieren. Jeden Winter machen Millionen Vögel aus Sibirien und Nordchina auf ihrem Weg nach Südostasien Rast in Taiwan. Unter ihnen befinden sich braune Würger und graugesichtige Bussarde, die für eine kurze Pause im Distrikt Pingtung auf dem Südzipfel der Insel landen. Über Jahre hinweg haben die Einheimischen deren Ankunft mit dem Aufstellen von Tausenden von Fallen vorbereitet.
Schwer vorstellbar, daß jemand diesem struppigen Gesellen die Pranken abhacken möchte, um sie zu essen. Tatsache jedoch ist, daß es vor dreihundert Jahren noch über 10 000 Exemplare des formosanischen Schwarzbären auf Taiwan gab, während heute nur noch schätzungsweise 200 in Freiheit und 35 in Gefangenschaft leben.
"An dem braunen Würger ist außer Knochen eigentlich nicht viel dran", sagt Roger C.J. Wang(王誠之), Planungsleiter der Wildvogelgesellschaft der Republik China. "Aber aus reiner Neugierde wollen die Leute unbedingt gegrillten Würger probieren. Den Bussard fangen sie, um ihn sich zu Hause ausgestopft als Dekoration aufzustellen." Wang meint, daß sich in diesen Beispielen eine häufig anzutreffende Haltung zeigt: "Wenn Wandervögel in das Gebiet von Taiwan fliegen, stehen sie den Inselbewohnern zur Verfügung." Obwohl das Gesetzbuch mittlerweile das Aufstellen von Vogelfallen verbietet, bleibt es in der Praxis ein ernsthaftes Problem.
Domestizierten Tieren geht es nicht viel besser. Die riesige Zahl ausgesetzter Hunde und Katzen enthüllt eine weitverbreitete verantwortungslose und desinteressierte Haltung Tieren gegenüber. Laut Angaben des Landwirtschaftsrats, der höchsten staatlichen Stelle, die mit Tierschutz befaßt ist, wurden im letzten Jahr rund 1,3 Millionen Hunde von ihren Besitzern ausgesetzt. Warum? Der Hauptgrund war, daß die Tiere zuviel Mühe machten, vor allem für solche Familien, die in städtische Apartmenthäuser zogen. Ein familiäres Problem wurde damit zu einem öffentlichen.
Aber Hunde und Katzen sind nicht die einzigen Tiere, die ihren Besitzern Probleme bereiten. In den letzten Jahren legten sich viele Bürger exotische Haustiere zu, wie südamerikanische Papageien oder tropische Echsen. Viele glauben, daß sie umso mehr Ansehen gewinnen, je ausgefallener ihre Haustiere sind. "Seit ein paar Jahren wird eine erstaunliche Vielfalt von Haustieren in meine Praxis gebracht," sagt der Tierarzt William Chyi(祁偉廉). "Die Leute kaufen alle nur erdenklichen Arten von Tieren: Menschenaffen, Affen, Echsen, Schlangen... Aber sie verstehen nichts von diesen Tieren und ihren Lebensgewohnheiten. Sie mögen niedlich sein, solange sie jung sind; aber wenn sie ausgewachsen sind, kann man sie nicht mehr als Haustiere halten. Wenn ein ausgewachsener Orang-Utan aufsteht, ist er so groß wie ein Mensch! Einige Tiere, darunter auch die Affen, sind Überträger von Krankheiten."
Diese Punkte verstärken den internationalen Ruf nach Schutz für Nashörner und Tiger - und Taiwan steht zusammen mit Festlandchina ganz oben auf der Anklageliste, auch wenn die meisten traditionellen Apotheker zur Medizinherstellung mittlerweile schon Ersatzstoffe für Rhinozeroshorn und Tigerteile verwenden. Zum Beispiel ist die Wirkung von Wasserbüffel- oder Antilopenhorn als fiebersenkendes und krampflösendes Mittel der des Rhinozeroshorns ähnlich. "Das Problem besteht darin, daß viele Leute noch blind an die Wirkung des Rhinozeroshorns glauben. Sie sind der Überzeugung, es enthält magische Kräfte", sagt Chang Hong-jen(張鴻仁)vom Gesundheitsamt (Department of Health). Und solange Menschen nach einem Produkt verlangen, gibt es immer jemanden, der es ihnen gerne verkauft - selbst wenn das einige Risiken mit sich bringt.
Internationale Tierschutzgruppen behaupten, daß der fortgesetzte Gebrauch von Rhinozeroshorn und Teilen anderer vom Aussterben bedrohter Tiere in der chinesischen Medizin der Hauptgrund für den rapiden Rückgang einiger dieser Arten sei. Breite Kritik und eine Reihe von Handelssanktionen gegen Taiwan waren das Ergebnis. Im April dieses Jahres hat die US-Regierung den Import von Wildtierprodukten aus der Republik China verboten - einschließlich Lederwaren, die aus Krokodilen, Echsen und Schlangen hergestellt wurden -, indem es den Pelly-Zusatz anwandte, der Washington das Recht gibt, Sanktionen gegen Länder zu verhängen, deren Tierschutzpraktiken als unakzeptabel angesehen werden.
Vor 1970 taten die Regierung und die Öffentlichkeit wenig, um wilde Tierarten zu erhalten. Man dachte nur an die Entwicklung der Wirtschaft, während die Erhaltung - von was auch immer - nur geringen oder gar keinen Stellenwert hatte. Die 70er Jahre brachten einen gewissen Bewußtseinswandel, und in den 80er Jahren tat sich dann grundlegend etwas.
1972 erließ die Regierung ein Gesetz über Nationalparks, das die Jagd, bzw. das Fallenstellen, da Bürger keine Schußwaffen besitzen dürfen, das Präparieren sowie jede andere Art der Ausbeutung von 44 Säugetierarten verbot. 1981 wurden mit dem Gesetz zur Erhaltung des kulturellen Erbes 14 Naturschutzgebiete und vier Wildtierreservate (die meisten davon für Vögel) eingerichtet sowie elf seltene Pflanzenarten und 23 seltene Tierarten unter Schutz gestellt. 1987 verbot der Landwirtschaftsrat den Import, Export und die Wiederausfuhr aller vom Aussterben bedrohter Wildtiere. Das Naturschutzgesetz, das im Jahr 1989 verabschiedet wurde, schuf drei Kategorien für schutzbedürftige Pflanzen und Tiere: geschützt, selten und gefährdet - womit mehr als eintausend Tierarten erfaßt werden.
Obwohl diese Bestimmungen Schutz für einheimische Wildtiere wie auch für importierte, vom Aussterben bedrohte Arten boten, kritisierten ausländische Regierungen und Tierschutzgruppen das Recht der Republik China und seine Erzwingungspraxis als immer noch ungenügend, um den Handel mit Rhinozeros und Tigerteilen zu beenden. Ein wachsendes Bewußtsein hierzulande zusammen mit stärkerem internationalen Druck führen nun zu einem Gefühl der Dringlichkeit der Artenerhaltung in Taiwan.
Der Legislativ-Yüan hat öffentliche Anhörungen zur geplanten Änderung des Naturschutzgesetzes abgehalten, und über dreißig hiesige Tierschutzgruppen haben ihre Meinungen zu den Entwürfen geäußert. Regierung und private Gruppen sind sich bereits darüber einig, daß das Gesetz schärfer sein sollte.
William Chyi ist Tierarzt und Mitglied der Wildvogelgesellschaft. Hier füttert er einen verletzten Schlangenadler, der im Vogelhaus der Gesellschaft gepflegt wird.
Nach der Revision des Gesetzes, mit der bis Ende dieses Jahres gerechnet wird, kann der Import, Export, Handel, Tausch oder Verkauf von aufgelisteten Arten oder aus ihnen hergestellten Produkten mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu fünf Jahren und/oder einer Geldstrafe von 11 300 US$ bis zu 56 000 US$ geahndet werden. Wiederholungstäter sehen Gefängnisstrafen von bis zu sieben Jahren und Geldbußen bis zu 94 000 US$ entgegen. Bisher lagen die Strafen bei maximal drei Jahren bzw. 1100 US$.
Die Strafen werden strenger sein, aber vielleicht auch schwerer zu erzwingen. "Manche Leute berufen sich darauf, daß sie schließlich niemanden ermordet oder ein Eigentumsdelikt begangen hätten", sagt Paul Ming-hsien Sun(孫明賢), Vorsitzender des Landwirtschaftsrats. "Sie können nicht verstehen, warum das Töten wilder Tiere gegen das Gesetz sein soll."
Der umstrittenste Teil der Gesetzesänderung dreht sich um die Legalisierung der kommerziellen Zucht von Tieren, die in den Appendices der Konvention über den internationalen Handel mit bedrohten Wildtier- und Pflanzenarten (Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora, CITES) aufgelistet sind. Darin sind bedrohte, seltene und wertvolle Arten enthalten und solche, die besonderer Erhaltungsmaßnahmen bedürfen. Das Gesetz von 1989 erlaubt zwar nicht die Zucht von Tieren dieser Kategorien, aber einige Farmer hatten bereits damit begonnen, bevor das Gesetz verabschiedet wurde und fuhren auch nach dessen Verabschiedung damit fort. Tierschutzgruppen drängen den Landwirtschaftsrat, das Gesetz zu erzwingen und diesem Geschäft ein Ende zu setzen. Aber die Züchter sind eine einflußreiche Gruppe, die vom Landwirtschaftsrat fordert, eine Gesetzesänderung zu erwägen, in der das Verbot der kommerziellen Zucht bestimmter seltener und bedrohter Arten aufgehoben wäre.
Auf schätzungsweise fünftausend Farmen werden 4000 Kobras, 50 000 Zibetkatzen, 130 Tiger und 10 000 Krokodile gezüchtet - die alle für den Kochtopf oder für die Arzneimittelherstellung bestimmt sind. Lin Wen-chang(林文章), der in der südlichen Stadt Kaohsiung 4000 Zibetkatzen züchtet, beschwert sich, daß das neue Gesetz ihm einen Strich durch die Rechnung machen würde, die auf einem Marktpreis von 222 US$ für eine Zibetkatze basierte.
Tang Hsiao-yu vom Landwirtschaftsrat rechnet mit einem Kompromiß, der die kommerzielle Zucht in bestimmten Fällen erlauben würde. Er meint, daß die Regierung nach der Ratifizierung der Gesetzesänderung detaillierte Bestimmungen zur Zucht dieser Tiere erlassen wird.
Aber die meisten Tierschutzgruppen sind mit dieser Politik nicht einverstanden. Wang Pei-yi(王珮懿), eine Assistentin des Gesetzgebers Lu Hsiu-yi, der bei der Ausarbeitung einer Revision des Naturschutzgesetzes engagiert ist, sagt: "Sowohl die Regierung als auch die Farmer glauben fälschlicherweise, daß die Zucht von Wildtieren deren Erhaltung dient. Mit dieser Annahme liegen sie völlig daneben." Nach Wang's Meinung sollten die Tiere, wenn das Ziel der Zucht ihre Erhaltung ist, wieder in den Wald gebracht werden und nicht als Nahrungsmittel verwertet oder auf Farmen gehalten werden.
Wenn sie klein sind, mögen Orang-Utans niedlich sein, aber als ausgewachsene Tiere haben sie manchen Besitzer das Fürchten gelehrt. Diese ehemaligen "Familien-Lieblinge" haben ein Heim im Taipeier Zoo gefunden, nachdem sie den Besitzern zuviel wurden.
Wang weist auch darauf hin, daß bei der Aufzucht oft Deformationen vorkommen. "Ich bin strikt gegen die kommerzielle Zucht seltener und bedrohter Arten", sagt sie. "Deren einziges Ziel ist es, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, welche die Tiere dann essen oder als Haustiere halten." Außerdem, sagen Tierschutzgruppen, verfügte die Regierung in der Vergangenheit, wenn fremde Arten nach Taiwan gebracht wurden, nicht über zureichende Mittel, Züchter zu kontrollieren. Vor Jahren führten einige Landwirte die Apfelschnecke (Ampullarius insularus) aus Frankreich ein - mit einem sehr unglücklichen Ergebnis. Obwohl die Schnecken in Frankreich ein beliebtes Gericht sind, zeigten sich die hiesigen Konsumenten von ihnen nicht angetan. Schließlich setzten die Farmer die Schnecken in nahegelegenen Gewässern aus. "Man findet die Schnecken in allen unseren Flüssen und Teichen", sagt Wang. "Ihre massenhafte Vermehrung könnte sogar die Nahrungsmittelkette in unserer Umwelt verändern."
Einige Tierschutzgruppen bieten Alternativen an. Sie schlagen vor, daß der Landwirtschaftsrat den Züchtern eine Gnadenfrist von drei bis fünf Jahren gibt, um sich an das neue Gesetz anzupassen, oder daß die Regierung die Tiere kaufen und den Züchtern helfen soll, eine neue Beschäftigung zu finden. Bis dahin, so drängen die Gruppen, müßte größte Sorgfalt auf die Überwachung der Aufzucht gefangener Tiere verwendet werden, vor allem da einige wilde Tiere Krankheiten haben, die auch für Menschen ansteckend sind. Zum Beispiel überträgt die formosanische Zibetkatze, die bei vielen Farmern ein beliebtes Zuchttier ist, Tollwut.
Es könnte zu einem Kompromiß kommen. Der Tierarzt Chyi sagt: "Das Ziel der Erhaltung von Wildtieren ist deren Überleben auf lange Sicht. Ich bin mit der Idee eines totalen Zuchtverbots nicht einverstanden, aber ich glaube, daß die Regierung einen wohldurchdachten Management-Plan haben sollte."
Der Gesetzgeber Su Chia-chuan(蘇嘉全)weist darauf hin, daß die Regierung nicht das Geld hat, alle Tiere zu kaufen, aber er befürwortet eine Aufhebung des Verbots kommerzieller Zucht, wenn die Exemplare der seltenen Art eine bestimmte Anzahl überschreiten. "Ich denke, daß unser Gesetz pragmatisch sein sollte", sagt er. "Selbst das beste Gesetz kann nicht durchgesetzt werden, wenn die Einhaltung zu hart für die Menschen ist."
Man geht auch davon aus, daß das revidierte Naturschutzgesetz die Haltung seltener oder bedrohter Tiere als Haustiere verbieten und daß deren Aussetzen mit Geldstrafen von 7400 US$ bis zu 337 000 US$ belegt wird. Das Freilassen ursprünglich wilder Tiere, vor allem Affen und Menschenaffen, stellt seit langem ein Problem für die Regierung dar. "Wir haben sogar südamerikanische Papageien mitten in Taipei gefunden", sagt Tang Hsiao-yu. "Diese Vögel können einheimischen Arten Schaden zufügen."
Um etwas gegen den illegalen Handel mit Rhinozeroshorn und Tigerteilen zu tun, bildete die Regierung im September 1993 eine interministerielle Sondereinheit zur Untersuchung und Überwachung des Tierschutzes. Sie verfügt über ein Einjahresbudget von 37,7 Millionen US$, um diesen schädlichen Handel zu stoppen.
Das Finanzministerium hat mehr als eintausend Zollbeamte (ein Viertel seines personellen Zollkontingentes) zu Anti-Schmuggel-Operationen abgestellt. Geschärfte Aufmerksamkeit, mehr Routinekontrollen von Gütern aus Afrika und Südostasien sowie der Einsatz moderner Untersuchungsgeräte beginnen bereits, Ergebnisse zu zeigen. Das Justizministerium hat 500 Beamte angewiesen, damit in Zusammenhang stehende illegale Tätigkeiten zu untersuchen; und im Januar dieses Jahres hat die nationale Polizeiverwaltung eine sechsköpfige Tierschutzeinheit unter Aufsicht des Landwirtschaftsrats gegründet. Deren Inspektionen von Apotheken und Souvenirläden werden von Durchsuchungen flankiert, die durch ein Netz von 350 speziell ausgebildeten Polizisten auf regionaler Ebene durchgeführt werden. Darüber hinaus hat die Regierung eine Belohnung von 3700 US$ für Informationen ausgesetzt, die zu einer Verurteilung in einem Fall illegalen Handels mit Rhinozeroshorn führen.
Inselweite Durchsuchungen von Geschäften, die chinesische Medizin verkaufen, erbrachten einige vorzeigbare Resultate: Eine Polizeikontrolle von 5623 Pharmaziegeschäften im April ergab, daß 15 von ihnen Rhinozeroshornpulver und 22 Tigerteile verkauften. Tierschützer haben solche Razzien allerdings aufgrund der dabei angewandten Methode für nutzlos erklärt. Im letzten Jahr führte die Polizei in ihren Revieren Untersuchungen nach der gewöhnlichen Methode durch - ein uniformierter Polizist ging von einer Apotheke zur nächsten und fragte die Eigentümer einfach, ob sie Rhinozeroshorn verkauften oder nicht. Natürlich antworteten die Verkäufer mit nein - und wenn sie etwas hatten, versteckten sie es.
Nachdem Tierschutzgruppen mehr Druck auf die Regierung ausübten, begannen einige Abteilungen mit verdeckten Operationen. Aber als sich dieses Jahr Zivilbeamte als Kunden auf der Suche nach Rhinozeroshornpulver ausgaben, beschwerten sich die Geschäftsinhaber, daß die Polizei sie zu Straftaten verführe. Wu Chang-kuan(吳長寬)von der nationalen Polizeiverwaltung sagt: "Diese Vorgehensweise ist grundsätzlich gegen den Geist unseres Strafrechts. Wir müssen sehr vorsichtig sein. Wir können keine Fallen stellen, um Menschen dazu zu verführen, das Recht zu brechen."
Tierschützer hat dieses Argument nicht beeindrucken können; stattdessen hat es sie veranlaßt zu fragen, welche Behörde eigentlich mit dem Tierschutz betraut werden sollte. Gegenwärtig wird diese Aufgabe hauptsächlich vom Landwirtschaftsrat wahrgenommen, der zehn Mitarbeiter in der Ressourcenschutz-Abteilung des Forstamtes hat. Aber diese Abteilung ist auch noch für andere Naturschutzaufgaben zuständig, wie z.B. die Verwaltung von Waldgebieten.
Einige Gruppen haben dem Landwirtschaftsrat den Vorwurf gemacht, daß er mehr an der Ausbeutung als an dem Schutz wilder Tiere interessiert sei. Ihrer Meinung nach wäre es angemessener, wenn die Umweltschutzbehörde die Verantwortung für den Tierschutz übernähme. Das Kabinett wurde gedrängt, eine eigene Naturschutzbehörde zu schaffen. Aber, so wie Gesetzgeber Su Chia-chuan sagt: "Ohne entsprechendes Geld und Personal kann niemand eine gute Arbeit leisten."
Der Personalmangel ist ein großes Hindernis. Von den zehn Mitarbeitern der Zentralregierung sind sechs dauerhaft angestellt, während die anderen vier Jahresverträge haben. Die meisten Stadt- und Distriktverwaltungen haben nur ein oder zwei mit Tierschutzfragen befaßte Personen. Die Verwaltung des Distrikts Changhua z.B. hat zwei. Einer von ihnen, Lee Chun-hung(李俊宏), sagt: "Wir müssen auch all die ausgesetzten wilden Tiere wie Adler, Affen und Schuppentiere wieder einfangen. Bei größeren Tieren wie Orang-Utans bitten wir manchmal die Feuerwehr um Hilfe." Die zwei Beamten überprüfen mit Hilfe der örtlichen Polizei auch Apotheken.
Aber die Polizei ist bereits überlastet. "Unsere Beamten müssen Verbrechen bekämpfen, den Verkehr regeln und Gesetze zur Umweltverschmutzung, zu illegalen Geschäften und in allen möglichen anderen Bereichen erzwingen - sogar Fälle von Steuerhinterziehung gehören dazu", sagt Wu Chang-kuan von der nationalen Polizeiverwaltung. Unter all diesen Aufgaben scheint der Tierschutz oft von geringerer Bedeutung. Der Gesetzgeber Su sagt: "Polizisten, die mit der Aufklärung von Mordfällen beschäftigt sind, tendieren dazu, die Tötung einer Zibetkatze als ein geringeres Delikt zu betrachten."
Öffentliche Aufklärung ist eine andere wichtige Aufgabe. "Gesetzesüberschreitungen zu bekämpfen, ist nicht das einzige Ziel", sagt Paul Sun, Vorsitzender des Landwirtschaftsrats. "Wir wollen einen breiten Konsens über den Tierschutz erreichen." Die Erziehung der Jugend hat sich bereits als erfolgreich erwiesen, und der Landwirtschaftsrat hat das Erziehungsministerium aufgefordert, mehr Materialien über Tierschutz in die Schulbücher der Grund- und Mittelstufe aufzunehmen.
Eine Studie, die der Tierarzt William Chyi zusammen mit Studenten der Nationalen Chunghsing-Universität in Zentraltaiwan durchgeführt hat, zeigt, daß die Zahl der zum Verkauf angebotenen Vögel, die als selten oder bedroht klassifiziert sind, bereits zurückgegangen ist. 1985 konnte man noch 115 Arten solcher Vögel leicht in Geschäften finden. 1989, direkt nach Inkrafttreten des Naturschutzgesetzes, waren 82 Arten erhältlich, und eine Untersuchung aus dem Jahr 1992 verzeichnete nur noch 41 Arten. Chyi, der auch Mitglied der Wildvogelgesellschaft der Republik China ist, sagt: "Die Regierung verfügt nicht über genug Personal, um die Rechtsbrüche zu verfolgen; deshalb helfen unsere Mitglieder als Freiwillige aus." Chyi fügt hinzu, daß nach der Verkündung des Gesetzes auch die Zahl der Restaurants, die sogenannte "Bergprodukte" verkaufen, drastisch zurückging. All das sind Zeichen, daß lange gepflegte Gewohnheiten und Haltungen sich zum Vorteil der Tiere verändern lassen.
(Deutsch von Christian Unverzagt)