Sie mögen zwar wie Fliegendreck auf einer Landkarte aussehen, aber die Spratley- und Paracel-Inseln im Südchinesischen Meer sind weitaus bedeutender als es ihre Größe vermuten läßt. Sie liegen an wichtigen Schiffahrtsstraßen, von denen beispielsweise Japan für seine Öllieferungen aus dem Nahen Osten abhängig ist. Zusätzlich haben sie einen besonderen militärischen Wert, weil jede diese Gewässer beherrschende Marineflotte eine direkte Bedrohung für alle südostasiatischen Nationen darstellen würde. Außerdem gewähren die die kleinen Inseln umgebenden, 200 Meilen umfassenden Exklusivwirtschaftszonen (Exclusive Economic Zones, EEZs) laut internationalem Gesetz den kontrollierenden Nationen Rechte über weitläufige Fischfanggebiete. Und jeder, der Ansprüche auf diese Inseln und Riffe geltend macht, wird Zugang zu einem Gebiet haben, welches - allerdings bislang nicht belegten - Schätzungen zufolge reich an Erdöl-, Erdgas- und Mineralvorkommen ist.
Selbst wenn die umstrittenen Inseln hauptsächlich ein Problem der asiatisch-pazifischen Nationen sind, ist das Südchinesische Meer auch von Wichtigkeit für alle großen Handelsnationen, einschließlich der europäischen. Viele der in der Europäischen Gemeinschaft zusammengeschlossenen Länder können auf lange diplomatische, militärische und wirtschaftliche Kontakte mit der asiatisch-pazifischen Region zurückblicken. Festlandchinas wachsende Möglichkeiten, Macht auszuüben, indem es seinen militärischen Muskel spielen läßt, beunruhigt viele EG-Staaten - bietet ihnen gleichzeitig aber auch viele Gelegenheiten, sich einzumischen. Sie können sich politisch und diplomatisch verstärkt bei der Konfliktlösung in dem Gebiet engagieren und finden bereits in den südostasiatischen Nationen, die der festlandchinesischen Aufrüstung die Stirn bieten wollen, hochinteressierte Kunden für moderne Waffentechnik.
Die folgende Einschätzung des Konflikts über die Spratley- und Paracel-Inseln wurde von Michael Hindley, einem britischen Mitglied des Europäischen Parlaments, Handelssprecher der Sozialistischen Gruppe sowie Mitglied des Komitees für Außenhandelsbeziehungen und der China-Delegation, zusammen mit James Bridge, Assistent im Europäischen Parlament, verfaßt.
Um die Spratley-Inseln im Südchinesischen Meer streiten sich die Republik China, die Volksrepublik (VR) China, Vietnam, die Philippinen, Malaysia und Brunei (welches allerdings nur Gebietsansprüche auf die Gewässer angemeldet hat). Die VR China hat in der Kontroverse das geopolitisch größte Gewicht und das größte Potential, militärischen Druck in der Region auszuüben. Um den Besitz der Paracel-Inseln streiten sich die VR China und Vietnam. Beide Inselgruppen sind von entscheidender strategischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Sie sind ausgezeichnete Standorte für Militärbasen und verfügen Berichten zufolge über enorme Rohstoffvorkommen, hauptsächlich an Erdöl. Die Auseinandersetzungen über diese Inseln stellen eine ernstzunehmende Bedrohung für die Stabilität in der asiatisch-pazifischen Region dar.
Die Itu-Aba-Insel ist das größte Eiland in der Spratley-Gruppe und eine "Schlüsselposition im Südchinesischen Meer", wie die Aufschrift auf dem gutbewachten Grenzstein besagt.
Der Status der Inseln wird genauestens von den sechs ASEAN-Mitgliedstaaten (Association of South East Asian Nations, Vereinigung südostasiatischer Nationen) - Thailand, Malaysia, Singapur, Indonesien, Brunei und den Philippinen - sowie von den sieben Dialogpartnern der Vereinigung - der EG, den USA, Kanada, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland - überwacht. ASEAN hofft, ihre bereits bestehenden, institutionalisierten Kommunikationsverbindungen auch für den Dialog nutzen zu können, um Sicherheitsberatungen über regionale Kontroversen, einschließlich jener über die Inseln, zu fördern. Gelänge es ihr, Verhandlungsgespräche zu arrangieren und eine friedliche Einigung zu erzielen, so würde dies einen wertvollen Präzedenzfall für die zukünftige regionale Zusammenarbeit bedeuten.
Mit dem Ende des kalten Krieges hat sich das Machtverhältnis im Südchinesischen Meer verändert. Seit sich die Vereinigten Staaten von der Subic Bay auf den Philippinen und die ehemalige Sowjetunion sich von der vietnamesischen Camranh Bay zurückgezogen haben, ist die VR China am ehesten in der Lage, Vorteil aus dem resultierenden Machtvakuum zu ziehen. Die VR China erhebt Anspruch auf den größten Teil des Südchinesischen Meeres und behauptet, daß andere anliegende Länder in das zirka 800 000 km2 große Gebiet vorgedrungen seien.
Die VR China kontrolliert die Paracel-Inseln (Hsi Sha auf chinesisch; Hoang Sa auf vietnamesisch) vollständig, seitdem sie im Januar 1974 durch eine militärische Wasser- und Luftoperation die südvietnamesische Präsenz beendet hat. Das in der Folge vereinte Vietnam besteht weiterhin auf seine Anrechte auf die Paracel-Inseln, die jedoch immer noch von festlandchinesischen Truppen besetzt sind.
Der Konflikt über die Spratley-Inseln ist komplexer als der über die Paracel-Inseln, weil diese von mehreren Nationen besetzt sind und beansprucht werden. Die Spratleys bestehen aus über 230 Inseln und Korallenriffen und bedecken ein Gebiet von schätzungsweise 250 000 km2. Im März 1988 übernahm Festlandchina mit Waffengewalt sechs im Besitz Vietnams befindliche Inseln.
Verhandlungen zwischen den auf die Spratley-Inseln Ansprüche erhebenden Ländern waren bislang von Unentschlossenheit und Widersprüchlichkeit geprägt, insbesondere im Fall der VR China. Peking betont zwar seinen Wunsch, daß die Konflikte friedlich beigelegt werden sollen und stimmt der gemeinschaftlichen Wirtschaftsförderung in der Region zu, behauptet aber gleichzeitig, daß der Besitz der Inseln unanfechtbar sei. Die VR China hat weiterhin ein Gesetz über ihre nationalen Gewässer verabschiedet, mit dem sie Ansprüche auf alle Inseln in der Region erhebt, und Seekarten veröffentlicht, die implizieren, daß sie der alleinige Besitzer der Inseln sei.
Die Inseln sind nicht nur ein ideales Terrain, um militärische Macht zu demonstrieren, sondern in dem Gebiet werden auch reiche Rohstoffvorkommen vermutet.
Der allgemeine Konsens in der Europäischen Gemeinschaft scheint darauf hinauszulaufen, daß die militärische Aufrüstung Festlandchinas keine offene Bedrohung für die Region darstellt, aber daß Pekings Haltung in den Konflikten um die Inseln dennoch Anlaß zu Bedenken gibt, vor allem wegen der wirtschaftlichen Verbindungen zwischen der EG und Asien.
EG-Mitgliedstaaten und Unternehmen dieser Länder nehmen seit langem politische und wirtschaftliche Interessen in Ostasien wahr, darunter in den Kolonien Hongkong und Macau, über die wichtige Geschäftsverbindungen in der Region zustande gekommen sind. 1992 war der Handel der EG mit Ostasien größer als der mit Nordamerika. Die Spratley- und Paracel-Inseln sind heute von genauso großer Bedeutung wie früher, weil sie entlang der Handelsstraßen zwischen Ost- und Südostasien liegen.
Die Konflikte haben bereits einige Schwierigkeiten für in der Region Geschäfte machende europäische Unternehmen mit sich gebracht. Laut Berichten wurden Schiffe von British Petroleum durch Marineschiffe der VR China belästigt. Das Unternehmen hat einen Vertrag mit Vietnam unterzeichnet, der es berechtigt, in den vietnamesischen Hoheitsgewässern nach Erdöl zu suchen; diese Gewässer werden jedoch gleichzeitig von der VR China beansprucht. Andererseits hat Peking der US-amerikanischen Firma Crestone Energy Corp. den Auftrag erteilt, Untersuchungen im selben Gebiet anzustellen. Diese Firmen könnten in den Konflikt zwischen Vietnam und der VR China verwickelt werden und dadurch auf indirektem Weg die USA und die EG hineinziehen. Ähnliche Probleme könnten sich auch für weitere Unternehmen aus Europa und den Vereinigten Staaten stellen, wenn die Konflikte im Südchinesischen Meer nicht gelöst werden.
Sicherheitsüberlegungen, vor allem in Hinblick auf die VR China, sind ebenfalls wichtig. Das enorme wirtschaftliche und militärische Wachstum südostasiatischer Staaten deutet an, daß sich, besonders nach Ende des kalten Krieges, die globale Macht in Richtung dieser Region verschoben hat. Diese sich enorm schnell entwickelnden Länder haben in Widerspiegelung ihres neu erlangten Reichtums und ihrer Stärke ihr Militär modernisiert und vergrößert. Die umstrittenen Inseln bieten ein ideales Terrain, um militärische Macht in der Region zu demonstrieren. Die VR China hat bereits verkündet, daß sie eine Hochseeflotte entwickeln will, und andere Länder der Region sind ebenfalls dabei, ihre Flotten zu verstärkern.
Firmen aus den EG-Staaten sind schon zu Hauptwaffenlieferanten der Region geworden. Brunei, Malaysia und Indonesien erwerben britische Flugzeuge; die Philippinen schaffen italienische an; Malaysia kauft zwei mit zielgesteuerten Raketen ausgestattete Fregatten von Großbritannien; und Indonesien hat 16 Korvetten der ehemaligen ostdeutschen Armee erworben. Dieser Handel trägt zwar einerseits zu den EG-Exporten bei und schafft Arbeitsplätze, aber andererseits riskiert die EG dabei auch, einen Rüstungswettkampf in der Gegend anzustacheln.
Es folgt eine Übersicht der nationalen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer:
Die Republik China und die VR China
Die Republik China und die VR China bringen hauptsächlich historische Argumente vor, um ihre Ansprüche auf die Inseln im Südchinesischen Meer zu belegen. Pekings komplizierte Beziehung zu Taiwan wird einer der Schlüssel bei der Beilegung der regionalen Konflikte sein. Grundsätzlich lehnt Peking Verhandlungen, die Taiwan einbeziehen, ab, obwohl die Forderungen der Republik China und der VR China im Grunde genommen gleich sind, weil sie beide im Namen "Chinas" gestellt werden.
Ein Abzug der auf der Itu-Aba-Insel stationierten Soldaten ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, denn die Republik China hält an ihrem Hoheitsanspruch über die Spratley-Inseln fest, auch wenn sie sich zur Kooperation mit anderen Ländern der Region bereit erklärt hat.
Im Oktober 1993 verkündete die VR China, daß sie friedliche Verhandlungen unterstütze und Stabilität in den umstrittenen Gebieten wünsche, wobei sie eine gemeinsame Erforschung und eine Lösung der derzeitigen Verhandlungen über die Spratley- und Paracel-Inseln bevorzuge. Aber Pekings Absichten sind nicht eindeutig. Trotz der Erklärung weicht die VR China nicht von ihrem vollen Besitzanspruch auf die Inseln ab. Dieser Anspruch wurde durch das im Februar 1992 von der VR China erlassene Territoriale Seegesetz bekräftigt. Die Erteilung des Drei-Jahres-Auftrags an Crestone Energy Corp., welcher der Firma erlaubt, ein nur 160 Kilometer von der vietnamesischen Küste entferntes und von den Vietnamesen Tu-Chinh-Bank genanntes Gebiet zu erforschen, zeigt die praktischen Auswirkungen der Angelegenheit.
Bis heute hält Festlandchina Yungshu Chiao (Feuriges-Kreuz-Rift) sowie sechs weitere Inseln und Korallenriffe besetzt; weiterhin sucht es seit 1992 auf dem Meeresboden westlich von Wan-an Tan (Vanguard-Bank) nach Erdöl.
Die Marine der Republik China unterhält seit langem auf der größten der Inseln in der Spratley-Gruppe, Tai-ping Tao (Itu-Aba-Insel), einen Stützpunkt. 1966 errichtete die Republik China außerdem auf einigen weiteren Inseln Grenztafeln. 1990 wurden die Inseln Tai-ping Tao und Tung-sha (in der Pratas-Inselgruppe) der vorläufigen Verwaltungsaufsicht der Stadtverwaltung von Kaohsiung im Süden Taiwans unterstellt.
Die Leitlinie der Politik im Südchinesischen Meer, welche am 13. April 1993 vom Kabinett der Republik China gebilligt wurde, sieht fünf Hauptziele für die Inselgruppen im Südchinesischen Meer vor (siehe "Eine Frage der Souveränität").
Vietnam
Vietnam erhebt Anspruch auf die Paracel-Inseln, welche gänzlich von der VR China besetzt sind. Es erhebt außerdem Anspruch auf die Spratleys, wo es einen Flughafen auf der Insel Spratley eingerichtet und weitere 24 kleinere Inseln und Korallenriffe besetzt hat. Im Sommer 1993 kam es zu einem bedeutungsvollen Treffen zwischen vietnamesischen und festlandchinesischen stellvertretenden Ministern zum Thema der Grenzverläufe, doch die Frage der Spratley- und Paracel-Inseln wurde aufgrund der Brisanz nicht eingehend behandelt. Jedoch versprachen beide Seiten, zusammen mit ASEAN ihr möglichstes zu tun, um eine friedliche Lösung der Inselkonflikte zu erzielen. Vietnam unterstrich erneut seine Gebietsansprüche, erklärte sich aber zu Diskussionen mit allen ansprucherhebenden Ländern bereit und forderte die Betroffenen auf, vom Gewalteinsatz abzusehen.
Die Philippinen
Die Philippinen beanspruchen sechzig Korallenriffe, Inseln und Sandbänke der Spratley-Gruppe, welche zusammen Kalayaan genannt werden. Die Philippinen formulieren ihren Anspruch im Rahmen der von der UNO erlassenen Internationalen Konvention über das Seerecht (UNCLOS). Dieser Vertrag, der mittlerweile sechzig Unterschriften gewinnen konnte, wird im November 1994 ratifiziert werden und für die Unterzeichnerstaaten Gültigkeit haben.
Die Philippinen unterhalten einen militärischen Stützpunkt einschließlich einer Landebahn auf den Spratleys. Die VR China hat Berichten zufolge zugesichert, daß sie die auf den Inseln stationierten philippinischen Truppen nicht angreifen wird.
Präsident Ramos wurde vom Vorsitzenden des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses, Qiao Shi, bei einem Treffen in Malacañang im Sommer 1993 darüber informiert, daß die VR China entschlossen sei, zum Erhalt des Friedens und der Stabilität in der Region beizutragen. Qiao bemerkte, daß die VR China bereit sei, "auf der Grundlage einer von allen ASEAN-Ländern als allgemeingültiges Programm erachteten Politik in die Zusammenarbeit miteinbezogen zu werden." Die VR China erklärte ebenfalls, daß sie das vorgeschlagene ASEAN-Regionalforum unterstützen werde.
Im letzten Jahr wurde in Manila das erste Arbeitsgruppen-Treffen über die Tiefseeforschung im Südchinesischen Meer abgehalten, bei dem man friedliche Lösungsmöglichkeiten für die Hoheits- und Rechtsfragen im Südchinesischen Meer aufzeigen wollte. Dem Treffen wohnten Repräsentanten aus Thailand, Malaysia, Singapur, Vietnam, Indonesien, den Philippinen, Taiwan, Festlandchina und Kanada bei. Kanada, welches das Treffen finanziert hatte, rief zu verstärkter militärischer Transparenz in der Region auf und verlangte, daß alle Länder Marinemanöver frühzeitig bekanntmachen sollten.
Malaysia
Malaysia hat Tan-wan Chiao (Schwalbenrift) in den Spratleys besetzt und baute dort im September 1991 eine Landebahn. Weiterhin erhebt es Anspruch auf elf weitere Inseln und Korallenriffe und hat begonnen, den Tourismus in dem Gebiet zu entwickeln. Malaysia unterhält Militärbasen auf dem Schwalbenriff, dem Mariveles-Riff und der Ardasier-Bank. Seine Ansprüche beruhen auf dem UNCLOS-Vertrag.
Brunei
Brunei erhebt Anspruch auf das Louisa-Riff, von dem die 200-Meilen Exklusivwirtschaftszone bis zu den südlichen Inseln der Spratley-Gruppe reicht. Bruneis Ansprüche basieren ebenfalls auf der UNCLOS-Konvention.
Japan
Von 1937 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieg hatte Japan Teile des Südchinesischen Meeres besetzt, doch auf der Friedenskonferenz in San Francico im Jahr 1957 widerrief es alle Ansprüche. Als regionale Supermacht hätte Japan die Möglichkeit, eine Vermittlerrolle in dem Konflikt zu übernehmen, doch Tokio will möglicherweise nicht in die Sache verwickelt werden.
ASEAN hat wahrscheinlich die besten Voraussetzungen, die Konflikte beizulegen, auch wenn Festlandchina und Taiwan keine Mitglieder sind, und Vietnam nur Beobachterstatus genießt. Das ASEAN-EG-Treffen von Regierungsvertretern nach der Ministerkonferenz vom 20. bis 21. Mai 1993 war arrangiert worden, um ein zukünftiges Diskussionsforum über Sicherheitsfragen in der asiatisch-pazifischen Region vorzubereiten. An dem Treffen nahmen die sechs Mitgliedstaaten und die sieben Dialogpartner teil.
ASEAN hat mit der Einrichtung des ASEAN-Regionalforums einen Schritt unternommen, ein Rahmenwerk für Beratungen und Gespräche zu schaffen. Daneben sind weitere Organisationen in der Region eingerichtet worden, darunter die Gruppe Asiatisch-Pazifische Wirtschaftskooperation, APEC, und die von Malaysia initiierte Ostasiatische Wirtschaftsgruppe, EAEG. Indonesien fördert die Zusammenarbeit, indem es seit 1990 jährliche Workshops (mit finanzieller Unterstützung der Kanadischen Internationalen Entwicklungsagentur) über die Vermeidung potentieller Konflikte im Südchinesischen Meer veranstaltet.
In Manila erließen die Außenminister der ASEAN-Mitgliedstaaten im Juli 1992 eine Erklärung über das Südchinesische Meer, in der sie zur Zurückhaltung, Kooperation und friedlichen Beilegung von Konflikten aufriefen. Die Kooperation beinhaltet: die Sicherheit der Schiffahrt und maritimen Kommunikation; Verhütung von Meeresverschmutzung; Koordination von Schutz- und Rettungsmaßnahmen; Bemühungen im Kampf gegen Piraterie und bewaffnete Überfälle; sowie die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Drogenhandel.
Diese Initiativen deuten an, daß eine friedliche Lösung der Inselkonflikte wahrscheinlicher ist als eine bewaffnete Auseinandersetzung. Doch die Einigung über die Zusammenarbeit ist ohne die Beteiligung Festlandchinas nur von bedingter Glaubwürdigkeit. Bislang stellen die Unstimmigkeiten über die Gebiete und Souveränitäten eine Bedrohung für die regionale Sicherheit dar. Die VR China scheint zwischen dem Wunsch, die Beziehungen mit ihren südostasiatischen Nachbarn zu verbessern, und dem Willen, ihre Hoheitsansprüche zu behaupten, hin- und hergerissen zu sein. Pekings bisherige Erklärungen und Aktionen deuten darauf hin, daß es noch nicht zu einer ausgehandelten Schlichtung bereit ist. Gleichzeitig aber macht es auch nicht den Eindruck, als ob es die Frage mit Waffengewalt lösen wollte.
Schlimmstenfalls könnten die Meinungsverschiedenheiten zu gewalttätigen, sich auf die jeweiligen Gebiete beschränkenden Konflikten führen. Bestenfalls würden sie einen nützlichen Präzedenzfall zur Beilegung solcher Unstimmigkeiten abgeben. In vieler Hinsicht sind die Unstimmigkeiten künstlich hervorgerufen, da es keine Eingeborenen auf den Inseln gibt und daher auch keinen tiefverwurzelten Haß zwischen unterschiedlichen ethnischen Gruppen wie zum Beispiel im ehemaligen Jugoslawien. Es wäre tragisch, wenn es zu einem Krieg wegen unbewohnter Inseln kommen sollte.
Ein Beispiel für eine Lösungsfindung mag in der Beilegung der Konflikte über den Besitz des Nordseeöls in Westeuropa liegen, welche im Prinzip ebenfalls eine Frage der maritimen Bodenschätze waren.
Die Ausarbeitung von Verhandlungsrahmen und das Erreichen von friedlichen Lösungen sind besonders bedeutsam für diese Region mit einem rapiden wirtschaftlichen Wachstum und besonderer militärischer Wichtigkeit. ASEAN, in Partnerschaft mit Festlandchina, Taiwan und Vietnam, scheint die Institution zu sein, die am geeignetsten ist, beim Erreichen dieses Ziels zu helfen.
(Deutsch von Jessika Steckenborn)