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Taiwan Today

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Eine Fliege namens GATT in der Reisschüssel

01.07.1994
In der Industrie wird die Automobilbranche am meisten un­ter den GATT-Auswirkungen zu leiden haben: Die USA fordern von Taiwan eine Reduzierung der Importzölle auf 15 Prozent. Dadurch würden ausländische Autos erschwinglicher und si­cherlich noch beliebter, als sie jetzt schon sind.
Taiwan will unbedingt dem GATT beitreten. Auch wenn man sich von einer Mitgliedschaft Vorteile für die Gesamtwirtschaft erwartet, wird der Agrarsektor darunter zu leiden haben. Die Regierung stellt derzeit verschiedene Programme auf, um die drastischen Auswirkungen zu lindern.

Der langerwartete Beschluß der Uruguay-Runde des GATT im letzten Dezember hat eine neue Ära des globalen Handels eingeleitet; in Taiwan hat der Beschluß zu verstärkten Bestrebungen geführt, der internationalen Organisation beizutreten. Aber nicht alle Wirtschaftszweige unterstützen den Schritt, weil er entscheidende Verände&rungen in der Ökonomie der Insel mit sich bringen würde.

Seit seiner Einführung im Jahr 1947 hat das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) wertvolle Beiträge zum Welthandel geleistet, hauptsächlich durch Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken. Der Welthandel hat sich seither um das 63fache vergrößert, von 57 Milliarden US$ im Jahr 1948 auf 3600 Milliarden US$ heutzutage. 90 Prozent davon vereinigen die 112 Mitgliedsstaaten der Organisation auf sich.

Das Schlußabkommen regt an, daß die GATT-Mitgliedsstaaten bis 1998 ihre Zolltarife um 40 Prozent ihres gesamten Zolleinkommens von 1986 senken sollen. Das wird zur Öffnung des Agrarsektors führen und Zugang zu ehemals verschlossenen Märkten der Dienstleistungsbranche verschaffen. Der internationale Textilhandel wird liberalisiert werden, und die von einigen Ländern aufgestellten Quoten für Textilimporte werden fallengelassen; der garantierte Schutz des Urheberrechts wird auf alle Mitgliedsländer ausgeweitet werden.

Laut Schätzung des GATT-Sekretariats wird der Beschluß den jährlichen Welthandel innerhalb von zehn Jahren um 745 Milliarden US$ anheben und einen wirksamen Adrenalinschuß für die träge Weltkonjunktur darstellen. Im April trafen sich die Minister der GATT-Mitgliedsstaaten in den USA, um die achtzehn Beschlüsse der Uruguay-Runde zu unterzeichnen. Die Beschlüsse werden am 1. Juli 1995 in Kraft treten, wenn das GATT zur Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) ausgebaut werden soll. Die WTO wird befugt sein, internationale Handelsabkommen durchzusetzen und Handelskonflikte zwischen Mitgliedsländern zu schlichten.

Angesichts dieser drohenden Frist drängen viele hohe Regierungsbeamte und einflußreiche Geschäftsleute in der Republik China darauf, daß Taiwan dem GATT beitritt. Die Republik China war einer der 23 Gründungsstaaten des Abkommens, verlor jedoch infolge der Machtübernahme der Kommunisten auf dem Festland ihre Mitgliedschaft im Jahr 1950. Sie kehrte 1965 als Beobachter zurück, wurde aber 1972, kurz nachdem Festlandchina die Republik China in den Vereinten Nationen ersetzt hatte, zur Aufgabe des Beobachterstatus gezwungen.

Heute ist Taiwan die 14.größte Handelsmacht der Welt mit einem bilateralen Handelsaufkommen von 162,3 Milliarden US$ im Jahr 1993. In den letzten Jahren ist die Insel unter verstärkten Druck seitens ihrer Handelspartner, hauptsächlich der USA, gekommen, sich den liberalen GATT-Prinzipien zu unterwerfen und ihren Inlandsmarkt zu öffnen. Die meisten der von Taiwan den USA eingeräumten Konzessionen wurden auch auf andere Handelspartner ausgeweitet.

Aber die Beamten der Republik China sind enttäuscht. Obwohl sich Taiwan vielen der GATT-Regeln unterwirft, genießt es nicht die Privilegien der Mitgliedschaft. Die Regierungsvertreter der Republik China sahen sich bei den Verhandlungen gezwungen, den Forderungen der Handelspartner nachzugeben, während GATT-Mitglieder im Falle von Meinungsverschiedenheiten mit anderen Mitgliedsstaaten die Organisation um Schlichtung bitten können. Darüber hinaus glauben Wirtschaftspolitiker, daß die GATT-Mitgliedschaft Bedingung für den gleichberechtigten und ungehinderten Zugang zum Weltmarkt ist. Dieser Zugang ist essentiell wichtig, da der Au­ßenhandel 80 Prozent von Taiwans Bruttosozialprodukt ausmacht.

1987 begann die Regierung der Republik China, die Wiederaufnahme in das GATT zu verfolgen. Später im Jahr wurde ein interministerielles Gremium gebildet, um die Unterstützung von GATT-Mitgliedern zu suchen und mit der notwendigen wirtschaftlichen Anpassung zu beginnen. Im Januar 1990 füllte die Regierung ihren Antrag aus, mit dem sie sich zur Vermeidung von Ärger seitens Festlandchinas unter dem Namen "Zollhoheitsgebiet von Taiwan, Penghu, Kinmen und Matsu" (diese Inseln fallen alle unter die Rechtssprechung der Regierung der Republik China) um die Mitgliedschaft bewarb. Auch wenn Festlandchina starken Widerspruch gegen das Aufnahmegesuch Taiwans eingelegt hat, haben die führenden Staaten des GATT Peking und Taipei den gleichzeitigen Beitritt erlaubt.

Taiwan hat im April dieses Jahres die Handelsgespräche mit den GATT-Mitgliedern aufgenommen; es wird erwartet, daß das Aufnahmeverfahren bis Oktober abgeschlossen werden kann. Zwei Drittel der GATT-Mitgliedsstaaten müssen dann dem Antrag zustimmen. Wenn alles glatt läuft, könnte Taiwan Ende des Jahres offiziell beitreten und automatisch zu einem der Mitbegründer der WTO werden. Die Regierungsbeamten drängen darauf, dem GATT beizutreten, ehe die WTO gebildet wird; ein Beitritt nach Einrichtung der WTO könnte schwierig werden, da die Organisation nur aus souveränen Staaten bestehen wird und Taiwan mit seiner Bewerbung ganz von vorne beginnen müßte. Verstärkt werden die Bedenken durch einen Vorschlag, das Gründungsdatum der Organisation auf Januar 1995 vorzuverlegen, wodurch Taiwan noch stärker unter Zeitdruck geraten würde.

Ehe Taiwan als Mitglied akzeptiert werden kann, muß es strenge Bedingungen erfüllen, vor allem da es als voll entwickelte Ökonomie Aufnahme ersucht. Es hat bereits auf die weniger entwickelten Ländern zugestandene Sonderbehandlung (einschließlich Schutz der Handelszölle, Einfuhrbeschränkungen und Exportsubventionen) verzichtet.

Grundsätzlich findet das Beitrittsersuchen hierzulande starke Unterstützung. Regierungsbeamte und Geschäftsleute in der Republik China glauben, daß die Mitgliedschaft auf lange Sicht für die Ökonomie der Insel vorteilhaft sein wird. Das halboffizielle Chung-Hua-Institut für Wirtschaftsforschung beispielsweise schätzt, daß eine GATT-Mitgliedschaft letztendlich Taiwans Wirtschaftswachstum um ein bis zwei Prozent und seinen Außenhandel um zwanzig bis dreißig Prozent steigern würde. Wirtschaftswissenschaftler erwarten dank der bereits eingeleiteten Marktliberalisierung nicht, daß die Mitgliedschaft einen Aufruhr in der Wirtschaft verursachen wird. Der vierjährige Plan zum Abbau der Zölle (1989-1992) hat Taiwans durchschnittliche wirksame Zölle auf 5,12 Prozent gesenkt: 4,66 Prozent für Industriegüter und 12,12 Prozent für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Der nominelle Durchschnittstarif für Industriegüter ist schon auf 6,5 Prozent gefallen, ein mit den meisten Industrienationen vergleichbares Niveau.

Doch einige Wirtschaftsbranchen werden einen schwierigen Wandel erleben. Die Industrie- und Landwirtschaftssektoren müssen sich auf eine sehr viel stärkere ausländische Konkurrenz gefaßt machen, wenn die Zölle sinken. Die Vereinigten Staaten haben für eine Liste von über achttausend Artikeln eine Reduzierung der Zölle gefordert, wobei die Abgaben für Agrarprodukte nicht über zwanzig Prozent und die für Industriegüter nicht über zehn Prozent liegen sollen. Diese Liste wird ein wichtiger Leitfaden für andere Länder sein, wenn sie mit Taiwan die für den GATT-Beitritt obligatorischen Zollverhandlungen führen. Derzeit erhebt Taiwan über 20prozentige Zölle für mehr als die Hälfte aller Agrarerzeugnisse; für 17 Prozent der importierten industriellen Güter werden mehr als zehn Prozent erhoben. Darüber hinaus würde der GATT-Beitritt Taiwan zwingen, sich einer Regelung zu unterwerfen, nach der alle Mitglieder ihre Zölle innerhalb von vier Jahren um 40 Prozent senken müssen.

Den Landwirtschaftssektor wird es am härtesten treffen. Über eine Million Menschen betreiben Landwirtschaft; insgesamt hängt der Lebenserwerb von 4,3 Millionen Menschen, d.h. einem Fünftel der Bevölkerung, direkt oder indirekt davon ab.

In den vergangenen Jahren hat die Regierung die Bestimmungen für Agrarimporte entscheidend liberalisiert. Die Importzölle für landwirtschaftliche Produkte sind merklich gesenkt worden, und die meisten Gemüse-, Blumen-, Fisch- und Getreideprodukte (mit der erwähnenswerten Ausnahme von Reis) dürfen nach Taiwan eingeführt werden. Die landwirtschaftlichen Importe erreichten 1993 sieben Milliarden US$. Trotzdem sind die Zölle für Agrarprodukte nach wie vor verhältnismäßig hoch. Weiterhin verbietet Taiwan die Einfuhr von 21 landwirtschaftlichen Erzeugnissen, darunter Reis, Erdnüsse, Hühner und Knoblauch. Außerdem belegt es verschiedene Früchte, wie Äpfel, Guaven, Bananen, Ananas, Trauben und Grapefruits, mit quantitativen sowie herkunftsbedingten Einfuhrbeschränkungen. Alle diese Schutzschranken werden möglicherweise fallen müssen, wenn sich Taiwan auf den GATT-Beitritt vorbereitet. Die schlimmste Bedrohung wird allerdings Taiwans Hauptnahrungsmittel, der Reis, erleben.

Als im letzten Herbst bekannt wurde, daß Taiwan möglicherweise seinen Reismarkt öffnen muß, um Aufnahme im GATT zu finden, reagierten die Vertreter der Landwirte aufgebracht. Ende November 1993 schlossen sich Taiwans Bauern ihren japanischen und südkoreanischen Kollegen an und unterzeichneten in Tokio eine Stellungnahme, in der sie sogar minimale Reisimporte in aller Schärfe ablehnten. Die Einfuhr von Reis, so argumentierten sie, würde zu einem Kollaps der auf Reisanbau und landwirtschaftlicher Tradition beruhenden Kulturen asiatischer Nationen führen.

Taiwans Landwirte richteten einen entschiedenen Aufruf an die Regierung, an ihrem Verbot der Reisimporte festzuhalten; und Parlamentsabgeordnete forderten die Kabinettsmitglieder auf, bei dem Verbot zu bleiben oder abzudanken. Wenn nötig, so drängten sie, sollte die Regierung ihre GATT-Beitrittsbemühungen aufschieben oder sogar ganz aufgeben. Einige Abgeordnete gingen so weit, die Öffnung des Reismarktes eine "nationale Katastrophe" zu nennen. Einheimische Landwirtschaftsführer betonen, daß 390 000 Haushalte Reis (neben anderen Erzeugnissen) anbauen, das sind 40 Prozent der gesamten in der Landwirtschaft tätigen Haushalte. Davon beschränken sich 160 000 Haushalte einzig auf den Reisanbau. Die Insel hat insgesamt 400 000 Hektar an Reisfeldern.

US-amerikanischer Reis, der in den Vereinigten Staaten zu einem Drittel des hiesigen Preises verkauft wird, würde dem Lebenserwerb der taiwanesischen Landwirte und der Agrarstruktur sehr wahrscheinlich einen vernichtenden Schlag versetzen. Gegner der Reisimporte sagen, daß Reis als Hauptnahrungsmittel zu wichtig sei, um ausländischen Händen überlassen zu werden. Fiele der inländische Markt unter Kontrolle ausländischer Reisexporteure, könnte die Stabilität der Insel in Gefahr sein.

Kritische Stimmen gegen die Reisimporte argumentieren weiterhin, daß Taiwans Reisfelder eine grüne Umwelt schaffen. Sie betonen, daß die jahrhundertelang bewirtschafteten Reisfelder von grundlegender Bedeutung sowohl für Taiwans ökologisches Gleichgewicht als auch für seine Sozialstruktur sind. "Wenn die Reisfelder einmal brachliegen, wird es sehr schwierig sein, wieder mit dem Anbau zu beginnen", sagt Chien Chin-ching(簡金卿), Vorsitzender der Landwirteunion der Provinz Taiwan. "Die gesamte Landschaft wird zerstört werden." Der Parlamentsabgeordnete Chang Chun-hsiung(張俊雄)greift diese Bedenken auf. "Unsere Nation wurde auf der Grundlage der Landwirtschaft gegründet", sagt er. "Reisimporte werden unsere Reiskultur und die Struktur der ländlichen Gemeinden zerstören."

Nach hitzigen Debatten während der Uruguay-Runde haben die japanische und die südkoreanische Regierung schließlich der Öffnung ihrer Reismärkte zugestimmt, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Es ist klargeworden, daß Taiwan dasselbe tun muß, um dem GATT beizutreten. Vincent Siew(蕭萬長), Vorsitzender des Rats für wirtschaftliche Planung und Entwicklung, hat darauf hingewiesen, daß die Liberalisierung des internationalen Agrarhandels unvermeidlich ist, und daß Taiwan nicht allein gegen den Strom schwimmen kann. Aber Siew hat ebenfalls betont, daß die Regierung ihr Bestes tun wird, die Interessen der Landwirte zu schützen.

Auf industrieller Seite wird die Autobranche am meisten unter einem GATT-Beitritt zu leiden haben. Die Vereinigten Staaten haben Taiwan aufgefordert, ihre Automobilzölle um die Hälfte, auf 15 Prozent zu senken - ein Niveau, welches nach Meinung von einheimischen Herstellern etliche Konkurse in der Branche verursachen wird. Außerdem wird es starken Druck geben, das Einfuhrverbot für in Japan hergestellte Autos aufzuheben. Der Anteil importierter Autos stieg von 24 Prozent in 1991 und 30 Prozent in 1992 im letzten Jahr auf 33 Prozent des hiesigen Marktes an. Dieser Anstieg folgte einer Senkung der Zolltarife für Autos von 42,5 auf 30 Prozent.

Der GATT-Beitritt würde auch bedeuten, daß Taiwan einen Dienstleistungssektor öffnen müßte. Versicherungsgesellschaften unterschiedlicher Herkunftsländer dürften beispielsweise ihre Dienste auf dem taiwanesischen Markt anbieten (US-amerikanische genießen seit Jahren schon dieses Privileg). Bestimmungen über die Einrichtung und Betreibung ausländischer Banken und anderer Finanzinstitutionen müßten ebenfalls liberalisiert werden, und ausländische Unternehmen dürften in das Geschäft der hiesigen Telekommunikations- und Transportbranche einsteigen. Der Exekutiv-Yüan entschied Ende 1993, daß ausländische Firmen sich im inländischen Transportgeschäft engagieren dürfen; wann die neue Regelung in Kraft tritt, steht allerdings noch nicht fest.

Änderungen müssen auch in der derzeit bestehenden Wirtschafts- und Handelspolitik vorgenommen werden. Zum Beispiel wird die Regierung der Republik China ein System der offenen Ausschreibung für ihre Staatsbetriebe einführen müssen, welches ausländischen Unternehmen den Schritt auf diesen riesigen Markt mit einem Wert von jährlich 300 000 Milliarden NT$ (11,5 Milliarden US$) ermöglichen wird. Bislang bevorzugte die Regierung häufig einheimische gegenüber US-amerikanischen Firmen bei Auftragsausschreibungen. Weiterhin müßte möglicherweise das Monopol für den Alkohol- und Tabakwarenverkauf aufgegeben werden. Die Verkäufe bringen der Regierung derzeit 60 Millionen NT$ (2,3 Milliarden US$) jährlich ein. Und schließlich müßte die Regierung aller Voraussicht nach bestehende Restriktionen für ausländische Investitionen sowie Zölle für Hafenbauarbeiten abschaffen und die Beschränkungen für den Inlandsverkauf von in Exportproduktionszonen angesiedelten Herstellern überarbeiten.

Im Bereich des Urheberrechts gelten strenge Bestimmungen nur für Produkte aus den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Hongkong. Die Urheberrechte von Besitzern anderer Nationalität werden nur geschützt, wenn sie ihre Arbeit innerhalb von 30 Tagen nach Erscheinen im Ursprungsland in Taiwan veröffentlichen. Mit dem GATT-Beitritt würden jedoch alle Mitgliedsländer automatisch abgedeckt werden.

Die Regierung unternimmt bereits Schritte, den Landwirten und Geschäftsleuten bei der Bewältigung der Auswirkungen des GATT-Beitritts Beistand zu bieten. Wirtschaftsminister P.K. Chiang(江丙坤)hat versprochen, den gefährdeten Industrien zu helfen. Vize-Wirtschaftsminister Yang Shih-chien(楊世緘)hat darauf hingewiesen, daß trotz der erklärten Unterstützung für die Prinzipien des freien Handels Regierungen auf der ganzen Welt protektionistische Politik betreiben. Die Republik China wird ihren Markt nicht ohne gewisse Vorsichtsmaßnahmen öffnen. Yang hat erklärt, daß man den hilfsbedürftigen Industriezweigen ein für Entwicklung geeignetes Umfeld bieten oder sie durch eine verhältnismäßig lange Angleichungsperiode schützen wird. Die Regierung wird demnach fortfahren, Branchen wie die Automobil- und Haushaltsgeräteindustrie einem relativ großen Schutz zu unterstellen. Die Öffnung des Automobilmarktes soll beispielsweise nur allmählich erfolgen.

Zusätzlich, so Yang, wird die Regierung eine gestaffelte Tarifliste für grundlegende Materialien wie Stahl und petrochemische Produkte einführen, wodurch die Zölle bei steigenden Importen angehoben werden können. Die meisten der Schutzmaßnahmen für einheimische Produkte, die bereits starke internationale Konkurrenz erleben, werden abgeschafft werden. Dazu gehören Produkte der Informationsindustrie und der Petrochemie.

Das Wirtschaftsministerium ist dabei, das gesetzliche Rahmenwerk für ein geplantes Handelsuntersuchungskomitee (Trade Investigation Committee) aufzustellen. Das Komitee würde den hiesigen Unternehmen seine Hilfe anbieten, indem es in Fällen unfairer Handelspraktiken Kompensationszahlungen und Anti-Dumpingtarife erhöbe sowie durch Importbeschränkungen und Schulungen für einheimische Geschäftsleute über die durch die verminderten Handelszölle auf den Plan gerufene ausländische Konkurrenz.

Im Zusammenhang mit dem Reis versucht die Regierung, die Importe so gering wie möglich zu halten, eine lange Anpassungszeit einzuhalten und einige Schutzzölle beizubehalten, wenigstens im gleichen Maße wie die von Japan und Südkorea geforderten. Die Reisimporte werden von der Regierung selbst gehandhabt werden. Der eingeführte Reis soll für spezielle Zwecke, zum Beispiel als Viehfutter oder als Hilfe für Entwicklungsländer, verwendet werden, um zu verhindern, daß er auf den inländischen Lebensmittelmarkt kommt. Daneben plant der Landwirtschaftsrat, den Reisbauern entsprechend der Größe ihrer Anbaufläche sogenannte "importlindernde" Subventionen zukommen zu lassen, und die Regierung wird die Versicherungssummen, Renten und anderen Sonderleistungen für Landwirte anheben.

Kritische Stimmen weisen darauf hin, daß diese Regierungsunterstützung nur vorläufig ist, und daß eine endgültige Lösung der durch einen GATT-Beitritt verursachten Auswirkungen strukturelle Veränderungen sowohl auf dem industriellen als auch agrarischen Sektor erfordern wird. Zu diesem Zweck ist das Wirtschaftsministerium mit der Ausarbeitung eines Programms zur allgemeinen industriellen Anpassung beschäftigt, welches den hiesigen Herstellern helfen soll, die Qualität ihrer Produktion aufzuwerten, Investitionen anzuregen und das Personaltraining zu intensivieren. In der Zwischenzeit hat das Landwirtschaftsministerium ein mittel- und langfristiges landwirtschaftliches Anpassungsprogramm entworfen, welches darauf abzielt, die Zahl der Landwirte zu reduzieren, die einzelnen Betriebe zu vergrößern und technologieintensive Agrarwirtschaft zu entwickeln. Unter diesem Programm wird ein Teil der Anbauflächen zur Nutzung als Wohn-, Industrie- oder Freizeitgebiet freigegeben werden. Aber das vorgeschlagene Programm sieht immer noch eine Selbstversorgung mit so lebenswichtigen Produkten wie Reis, Gemüse, Schweine- und HühnerfIeisch sowie Fisch vor.

Regierungsbeamte betonen, daß diese strukturellen Veränderungen von Taiwans Ökonomie die Fortsetzung und Intensivierung eines bereits anhaltenden Trends bedeuten. Yang Shih-chien hat berichtet, daß die Regierung 1986 mit der Liberalisierung der Exporte begann, hauptsächlich durch Lockerung der Importkontrollen und Reduzierung der Zolltarife. Auf dem Industriesektor haben die gelockerten Bestimmungen zu verstärkter Konkurrenz geführt und zum Erstarken vieler hiesiger Branchen beigetragen. Dies wiederum hat mitgeholfen, die industrielle Produktion der Insel von 92,5 Milliarden US$ im Jahr 1986 auf 177 Milliarden US$ im Jahr 1992 zu steigern.

Doch der Agrarsektor hat bislang nur beschränkte Erfolge in der Anpassung an wirtschaftliche Veränderungen verzeichnen können. Während die Industrielöhne in den letzten zwei Jahrzehnten in die Höhe geschnellt sind, haben die Einkommen in der Landwirtschaft nicht Schritt gehalten. Ein Grund dafür ist, daß sich die Ernährungsgewohnheiten mit dem gestiegenen Le­bensstandard geändert haben. Beispielsweise ist der Weizenkonsum rapide in die Höhe gegangen, während der Reisverbrauch gefallen ist. Gleichzeitig ist der Reisertrag durch verbesserte Anbautechniken und ertragreichere Sorten entscheidend gesteigert worden. Unter dem Strich ergibt sich ein riesiger Reisberg - Taiwan lagert derzeit 750 000 Tonnen Reis, das sind 46 Prozent der jährlichen Ernte - bei fallenden Preisen. Zur Verschlimmerung der Lage trägt noch bei, daß die Lohnkosten aufgrund des Arbeitermangels drastisch gestiegen sind. Daraus ergibt sich, daß die Landwirte nur schmale Gewinne machen, obwohl die einheimischen Preise für viele Agrarprodukte über dem internationalen Niveau liegen.

Auch wenn die Landwirte 12,3 Prozent von Taiwans Arbeiterschaft ausmachen, tragen sie derzeit nur 3,5 Prozent des BSP im Vergleich zu 12,5 Prozent im Jahr 1974 bei. Die düsteren Aussichten in der Landwirtschaft haben mit dazu geführt, daß die Jugendlichen die Bauernhöfe verlassen, und das Durchschnittsalter der Landbevölkerung steigt. Um diesen unterprivilegierten Sektor zu unterstützen und die einheimische Lebensmittelversorgung zu sichern, bietet die Regierung bereits Hilfen und Subventionen im Wert von 1,5 Milliarden US$ jährlich.

Das Hauptproblem der Regierung liegt nun darin, Wege zu finden, welche die Landwirtschaft gewinnträchtig halten, damit der Agrarsektor der Insel lebensfähig bleibt. Mit der Landwirtschaft betraute Beamte sind der Meinung, daß es zwei aussichtsreiche Möglichkeiten gibt, dies zu erreichen. Zunächst werden die Landwirte aufgefordert, die Anbauflächen vor allem von Erzeugnissen wie Reis und Erdnüssen zu vergrößern, damit sie verstärkt Maschinen einsetzen und dadurch die Kosten senken können. Zusätzlich hat die Provinzregierung seit 1984 die Entwicklung einer Landwirtschaft für im Preis höher angesetzte Produkte gefördert; darunter finden sich beispielsweise Gemüse, Früchte, Blumen und bessere Reissorten - Ernten, die weniger unter ausländischer Konkurrenz zu leiden haben. Weiterhin hilft die Regierung, den Landwirten eine effektivere Vermarktung zu betreiben, zum Beispiel durch ansprechende Verpackung und Markennamen für Früchte, bessere Verteilungssysteme und die Entwicklung eines Agrar-Tourismus, beispielsweise mit Bauernhöfen, wo die Besucher selbst ernten können.

Nach Jahrzehnten rasanter wirtschaftlicher Entwicklung ist Taiwan nun an einer Gabelung angelangt. Um sich weiterhin zu entwickeln, muß es fundamentale Strukturveränderungen vornehmen. Trotz der Schmerzen und der Verrenkungen, die der GATT-Beitritt mit sich bringen wird, wird er das Erreichen dieses Ziels beschleunigen.

(Deutsch von Jessika Steckenborn)

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