26.04.2025

Taiwan Today

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Ost und West verbinden sich

01.05.1994
Eva Salazar weiß aus persönli­cher wie beruflicher Erfahrung: "Wir Frauen müssen uns be­wußt machen, daß wir grundsätzliche Teile unseres Selbst, wie Prinzipien und Werte, auf­geben müssen, um uns anzu­passen. Wenn wir dazu bereit sind, gut; wenn nicht – vergiß die ganze Sache."
Interkulturelle Ehen zwiscnen Ausländerinnen und Chinesen aus weiblicher Perspektive betrachtet: Sind sie etwas Besonderes oder nicht? Deutsche Frauen erzählen über ihre Beziehungen und ihr Leben in Taiwan.

Wenn eine Chinesin und ein ausländischer Mann heiraten und sich entscheiden, in Taiwan zu leben, müssen sie sich über die Folgen bewußt sein: Die Frau verliert durch die Eheschließung alle legalen Anrechte auf das elterliche Erbe; die in Taiwan geborenen Kinder werden normalerweise nicht als Staatsbürger der Republik China anerkannt; und der Ehemann muß das Land in regelmäßigen Abständen verlassen, um im Ausland ein neues, befristetes Visum zu beantragen. Die rechtliche Situation im Fall der Konstellation "chinesischer Mann heiratet Ausländerin" ist völlig anders; der ausländischen Ehefrau wird nach der Hochzeit eine längerfristige Aufenthaltsgenehmigung zugestanden, der Mann verliert keinen seiner Ansprüche, und die Kinder aus dieser Ehe erhalten unverzüglich die hiesige Staatsbürgerschaft. Diese Regelungen spiegeln unter anderem die traditionelle Einstellung wider, nach der die Frauen mit der Heirat ihre eigene Familie aufgeben und sich fortan der Familie des Mannes unterstellen sollen.

Die mit Chinesen verheirateten Ausländerinnen mögen keine legalen Probleme mit ihrem Status als Ehefrau haben, aber was bedeutet für sie die Ehe und ihr Leben in Taiwan? Sie befinden sich in einem fremden Land, als Mitglieder der chinesischen Gesellschaft und mit Partnern, die von einem anderen kulturellen Hintergrund geprägt sind. So stellt sich die Situation für einen Unbeteiligten dar; eine der Betroffenen sieht die Sache so: "Außenstehende meinen oft, daß es etwas Besonderes sei, mit einem Chinesen verheiratet zu sein, weil sie meinen Mann nicht einfach als eine Person sehen. Sie sagen: 'Ach, sie ist mit einem Chinesen verheiratet', aber sie sehen nicht, sie ist mit jemandem verheiratet, den sie gern hat."

Diese Antwort steht beispielhaft für alle Interviewpartnerinnen: als etwas Besonderes betrachten sie ihre Ehe nicht. Für sie ist der Partner als individuelle Person und nicht als Vertreter der chinesischen Rasse das wichtigste. Aber nicht immer sind die Ehepaare in der Lage, sich mit den kulturellen Unterschieden, die sich möglicherweise herauskristallisieren, zu arrangieren. Ehepaare und Partner, die in ihrer Beziehung verwirrt oder unzufrieden sind, können sich an die Psychologin Eva Salazar wenden. Sie arbeitet als Beraterin für interkulturelle Paare im Community Services Center in Taipei und hat nicht nur ihre Doktorarbeit über dieses Thema geschrieben, sondern ist von den Philippinen gebürtig und mit einem Chinesen verheiratet. Sie sagt selbst: "Ich habe es nicht nur studiert, sondern ich lebe es auch." Unter den bei ihr Ratsuchenden finden sich Ehefrauen unterschiedlicher Nationalität - aus Amerika, Europa, Asien -, die mit ihren chinesischen Ehemännern in Taiwan leben.

Salazar sagt über ihre Klientinnen: "Normalerweise kommen sie und fragen, warum sie in ihrer Ehe so verwirrt sind. Manche sind sehr unglücklich, weil sie sich nicht an die andere Kultur gewöhnen können, und wollen wissen, wie sie mit den Unterschieden umgehen sollen." Mit den Klienten, die eine Scheidung als letzte Lösung ins Auge fassen, unterhalte sie sich zunächst über die kulturellen Unterschiede. Dabei würden einige Frauen erkennen, daß es tatsächlich nicht am Partner, sondern an den Umständen liege. Andere wiederum, erzählt Salazar, "glauben, daß ihre Schwierigkeiten kultureller Art sind, aber sie sind es nicht. Sie haben nur die falsche Person geheiratet."

Welche Problemfaktoren kennt Salazar aus ihrer Erfahrung als Beraterin? Es mache einen großen Unterschied, wo die Ehepartner sich treffen, betont die Psychologin. Sie sagt, daß viele Ausländerinnen den chinesischen Ehemann in einem westlichen Land kennengelernt und geheiratet haben. Wenn sie jedoch mit ihm nach Taiwan kommen, "stellen sie plötzlich fest, daß die Person sich verändert hat. Er war ein westlicher Mann, aber plötzlich - wie ist das nur möglich? - ist er so chinesisch. Das ist sehr verwirrend", weiß Salazar. "Die übliche Frage lautet dann: 'Ist das der Mann, den ich geheiratet habe?'" Für Frauen, die ihren Mann in Taiwan kennengelernt haben, sei dies normalerweise kein Problem. "Ich vermute, diese Frauen sind mehr oder weniger mit der chinesischen Kultur vertraut und haben ihren Ehemann vor der Hochzeit als Chinesen gekannt", stellt die Psychologin dar.

Siedelt ein Ehepaar nach Taiwan über, kommt es häufig vor, daß es zunächst, bis eine eigene Wohnung oder ein Haus gefunden ist, bei den Schwiegereltern wohnt. Dies kann die erste Feuerprobe für die Beziehung und die Ehefrau sein, denn plötzlich wird sie in der neuen Umgebung nicht nur mit einer fremden Sprache, ungewohnten Sitten und Lebensgewohnheiten konfrontiert, sondern auch die im Westen geheiligte Privatsphäre ist in Taiwan unter anderem aus räumlichen Gründen nicht immer aufrechtzuerhalten. Salazar sagt: "Westliche Frauen werden das Gefühl haben, daß die chinesische Verwandtschaft ihnen im Nacken sitzt." Sie ist allerdings der Meinung, daß nicht die Verwandtschaft an sich ein Problem sei, sondern die Ansprüche, die sie an die einzelnen Mitglieder stelle. "Das Familienleben ist enger im Sinne von Verpflichtungen; es ist nicht anders in Bezug auf emotionale Bindungen. Das Zusammensein ist meistens physisch. Man verbringt Zeit miteinander."

Sprachlosigkeit ist ein anderes Problem: Ohne oder mit nur beschränkter Beherrschung des Chinesischen ist der Bewegungsraum der Frau erheblich eingeschränkt; da hilft nur, Chinesisch zu lernen oder sich an Ausländer und fremdsprachenkundige Einheimische zu halten. Aber nicht allein in welcher Sprache man sich unterhält ist bedeutsam, sondern auch die Art und Weise, wie man sich ausdrückt. Eine Deutsche erzählt: "Chinesen haben eine ganz andere Art, manche Sachen auszusprechen, und manchmal bin ich mir nicht sicher, ob es nicht eine Beleidigung ist." Sie könne und müsse sich in solchen Situationen auf ihren Mann als Vermittler verlassen. Kommuniziert das Paar in der Muttersprache des Ehemanns, sieht Salazar eine andere Gefahr: "Wenn sie zu Hause chinesisch sprechen, vergißt der Mann häufig, daß seine Frau keine Chinesin ist." Sie erinnere darum immer wieder die Ehemänner an den kulturellen Hintergrund ihrer Frauen, um die Erwartungshaltung auf ein realistisches Niveau zu bringen.

Was für die Partnerin wichtig ist, beispielsweise ein schön eingerichtetes Zuhause, Freunde, Urlaub, private Diskussionen oder aktive Freizeitgestaltung, mag beim Partner nicht den gleichen Stellenwert einnehmen, eventuell sogar auf Ablehnung stoßen. "In meinen Nachforschungen habe ich herausgefunden, daß die Partner häufig über Geld streiten, d.h. was man mit Extra-Geld macht", erzählt Salazar. Amerikanische Frauen zum Beispiel würden gerne verreisen, Frauen aus Dritte-Welt-Ländern wollten ihre eigene Familie unterstützen, während die Ehemänner lieber sparten. "Wenn das Paar genug Geld hat, ist es kein großes Problem, weil sie sich arrangieren können; wenn nicht, ist es ein Kampf", sagt die Psychologin.

Unterschiedliche Wertvorstellungen manifestieren sich oftmals in Kleinigkeiten, die jedoch mit darüber entscheiden können, ob Frau oder Mann sich wohl fühlt: Zum Beispiel ob das Essen in westlicher Manier serviert wird oder ob die take-away-Reisschachteln samt der mitgelieferten billigen Holzstäbchen auf den Tisch kommen; ob am Wochenende ferngesehn wird oder die Familie etwas gemeinsam unternimmt; ob Freunde oder Verwandte auch zu nachtschlafender Zeit anrufen dürfen oder ob das Privatleben Vorrang hat; ob Konflikte ausdiskutiert oder als unabänderlich hingenommen werden.

Anpassung und Kompromißbereitschaft bei der Beteiligter sind unabdingbare Voraussetzung in jeder Beziehung; in interkulturellen Ehen um so mehr. Salazar sagt zusammenfassend: "Ein interkulturelles Ehepaar muß sehr flexibel sein. Wir Frauen müssen uns bewußt machen, daß wir grundsätzliche Teile unseres Selbst, wie Prinzipien und Werte, aufgeben müssen, um uns anzupassen. Wenn wir dazu bereit sind, gut; wenn nicht - vergiß die ganze Sache.''

Margarete Yen ist 29 jahre alt und jungverheiratet mit einem Deutchen-Professor an der Chinesischen Kultur-Universität in Taipei.

"Ich habe in Bonn am Seminar für Orientalische Sprachen Übersetzen (Chi­ nesisch und Japanisch) studiert. Vor fünf Jahren war ich schon einmal hier und habe an der Fu-Jen-Universität Chinesisch gelernt, ein Jahr lang. Damals hat mir das schon sehr gut in Taiwan gefallen. Letztes Jahr im Frühling habe ich das Studium mit dem Diplom beendet, und dann bin ich am 12. September hierhergekommen; eigentlich mit dem Ziel, Arbeit zu suchen. Auf der Suche wollte ich zuerst einmal zur Kultur-Universität. Also bin ich dahin gefahren und habe in der Deutschabteilung nachgefragt, ob sie im Moment Deutschlehrer brauchen. Zu diesem Zweck sollte ich dann ein Interview mit dem Leiter der Deutschabteilung haben. Ja, und das ist mein jetziger Mann.

Es war beidseitig Liebe auf den ersten Blick. Anfangs sah es so aus, als ob was aus einer Lehrervertretung würde, und deswegen mußten wir uns, notgedrungen sozusagen, unterhalten. Wie weit die Studenten schon sind, welches Unterrichtsbuch benutzt wird und so weiter. Und irgendwie endeten solche Gespräche immer bei ihm zu Hause, bei einer Tasse Tee oder in irgendeinem Restaurant. Und dann ging es wirklich sehr schnell weiter. Am 12. September bin ich hier angekommen, am 12. Oktober haben wir uns kennengelernt, einen Monat später bin ich zu ihm gezogen und wiederum einen Monat später haben wir geheiratet.

Irgendwie schien von Anfang an alles klar zu sein. Dazu trägt wohl auch bei, daß er nicht typisch chinesisch wirkt. Er war sehr lange, elf Jahre, in Deutschland, hat in Erlangen Linguistik studiert, und er kennt die deutsche Kultur und die deutsche Sprache sehr gut. Deswegen schien er mir auch gar nicht so fremd zu sein. Außerdem habe ich selber ein sehr langes Chinesischstudium hinter mir. Ich interessiere mich für Asien, war schon einmal für ein Jahr hier und habe die Sprache gelernt. Also ist meine Herkunft sein Interessengebiet, und seine Herkunft ist mein Interessengebiet. Ich glaube, das macht vieles einfacher, sowohl in unserer Freundschaft als auch in unserer Ehe.

Kulturelle Unterschiede bestehen natürlich auch zwischen mir und meinem Mann, das ist ganz klar. Er ist immer noch Chinese, ich bin immer noch Deutsche. Ich feiere Weihnachten, er feiert Chinesisch-Neujahr. Wir feiern jetzt beides. Wenn man sich vorher mit der Kultur, der Sprache, den Menschen, dem Volkscharakter beschäftigt hat, dann ist es um einiges einfacher. Ich glaube, daß eine Mischehe sehr viel Verständnis erfordert von beiden Partnern. Man hat einfach nicht den gleichen kulturellen Hintergrund. Der ist sehr unterschiedlich und ich würde sagen, daß er bei einer deutsch-chinesischen Ehe unterschiedlicher ist als bei einer beispielsweise deutsch-französischen oder chinesisch-japanischen Ehe."

Ellen Graf (30) hat ihren Mann, einen Berufssoldaten, vor sieben jahren kennengelernt, als sie im Rahmen ihres Sinologiestudiums einen eineinhalbjährigen Sprachaufenthalt in Taiwan einlegte. Sie konnten erst vor zwei Jahren heiraten, da bis dahin Ehen zwischen Soldaten und Ausländerinnen gesetzlich verboten waren.

"Für ihn war wohl von Anfang an ziemlich klar, daß wir zusammenbleiben. Als ich das erste Mal nach einem Jahr zurück nach Deutschland ging, habe ich die ganze Zeit nur geheult, denn für mich stellte sich die Frage, ob ich in drei Monaten oder erst in einem Jahr wieder nach Taiwan komme. Er aber meinte: 'Warum heulst du denn? Zehn Jahre kann ich auf dich warten.'

Anfangs ist es kompliziert gewesen, denn als Soldat war er sehr eingeschränkt. Er war damals im Süden und kam einmal im Monat nach Taipei, und ich bin einmal im Monat nach Kaohsiung geflogen. Ich saß immer auf dem Sprung, weil er erst im letzten Moment wußte, ob er frei bekommt oder nicht. Die Eltern haben uns eigentlich nie etwas in den Weg gelegt. Ich habe den Vorteil, ich kann ihnen als Ausländerin mehr Sachen sagen, die mir nicht passen, als die eigenen Kinder. Im Zweifelsfall können sie nämlich anführen: 'Sie ist Ausländerin. Sie versteht das nicht.' Ich genieße eine Art Narrenfreiheit.

Wir wohnen nicht bei den Schwiegereltern, aber ich würde auch in Deutschland nicht gerne mit ihnen zusammenwohnen. Jeder hat seine Eigenheiten. Ich finde, man kann ein viel besseres Verhältnis halten, wenn man räumlichen Abstand hat. Daß mein Mann der älteste Sohn ist, bringt Verpflichtungen gegenüber den Eltern und jüngeren Geschwistern mit sich, für die er Verantwortung trägt. Seine Stellung in der Familie hat aber auch Vorteile, denn als Frau des jüngeren Bruders müßte ich mich nach den Älteren richten.

Die Familie macht einen recht großen Bereich im Leben aus. Die Kinder werden mit viel mehr Druck erzogen; während sich bei uns das Verhältnis zu den Eltern im Laufe unseres Lebens verändert, daß man abgesehen von der Eltern-Kind-Beziehung auch irgenwann zum Partner wird und gleichberechtigt über Dinge spricht, bestimmen hier die Eltern, wo es langgeht. Die Kinder nehmen vieles, zum Beispiel Ungerechtigkeit, hin. Dann bin ich meistens diejenige, die den Mund aufmacht. Die berühmte Erklärung auf die Frage: 'Warum ist das so?' lautet: 'Ta de ming. Das ist Schicksal.' Allerdings hat diese Einstellung den Vorteil, daß sich vieles leichter ertragen läßt. Wenn man etwas als gegeben hinnimmt, kann man nichts daran ändern und man findet sich damit ab. Ich bin von Natur aus jemand, der gerne mit dem Kopf durch die Wand will, aber hier kann man sich dabei sehr verletzen. Inzwischen wäge ich ab, und bei manchen Sachen, wo ich früher den Mund nicht hätte halten können, mache ich keinen Aufstand mehr.

Für mich ist die Ehe mit einem Chinesen nichts Besonderes, denn ich war noch nie mit jemand anderem verheiratet, und ich sehe ihn nicht als den Chinesen, sondern als meinen Mann. Für mich ist das Leben in Taiwan Alltag. Aber für viele Einheimische ist es ungewöhnlich, eine Ausländerin Hand in Hand mit einem Chinesen auf der Straße zu sehen. Da ziehen wir viele Blicke auf uns. Vor sieben Jahren, im Süden war das noch viel schlimmer. Wir konnten gar nicht über die Straße gehen, ohne nicht einige Kommentare zu hören. Da brauchst du gerade am Anfang ein unwahrscheinlich dickes Fell."

Elgin Tesseraux-Chang (37) ist seit 1985 mit ihrem Mann verheiratet; sie haben zwei Söhne. Seit ihrer Heirat haben sie abwechselnd in Deutschland und Taiwan gelebt; nun planen sie, bald nach Deutschland umzusiedeln.

"Wir haben uns in Japan kennengelernt, d.h. im Flugzeug zwischen Taipei und Tokio. Ich hatte sechs Monate in Australien gelebt und wollte nach Japan und von dort wieder zurück nach Deutschland. Das war schon nach meinem Diplom. Ich bin Diplomdolmetscherin für Englisch und Spanisch, habe also gar nichts mit Chinesisch zu tun.

Dann habe ich meinen Mann kennengelernt. Er hat damals in Japan gearbeitet, und ich habe auch, kurz nachdem ich in Japan ankam, eine Stelle gefunden und bin daher dort geblieben. Da ich nur eine japanische Bekannte in Tokio und eine in Osaka hatte, haben mein Mann und ich öfters das Wochenende gemeinsam verbracht. Später sind wir zusammengezogen und haben ein Jahr zusammengelebt, bevor wir beschlossen haben zu heiraten.

Ich habe nie das Gefühl gehabt, daß mein Mann Ausländer ist oder daß irgendwas an ihm ganz fremd ist. Wir waren beide in Japan Ausländer und konnten uns gemeinsam über die Japaner unterhalten, was uns an ihnen gefällt oder auch nicht. Das schweißt natürlich zusammen. Wir haben viele Gemeinsamkeiten in allen Bereichen; wir haben den gleichen Geschmack und streben immer zielsicher auf die gleichen Sachen zu, wenn wir in einen Laden gehen. Was die Kindererziehung und Prioritäten betrifft, sind wir völlig harmonisch. Wenn wir in Urlaub fahren, gefallen uns die gleichen Dinge. Wir brauchen keinen Luxus, sondern finden es viel schöner, alles zu erforschen, herumzulaufen und irgendwo vielleicht eine lustige Pinte zu entdecken. Es muß nichts Besonderes sein, aber die Atmosphäre muß stimmen, und das ist für mich und meinen Mann gleich wichtig.

Sein Vater hat wohl anfangs zu meinem Mann gesagt: 'Du mußt dir das überlegen. Ausländische Frauen sind ganz anders als chinesische. Die lassen sich doch immer scheiden. Tu dir das nicht an.' Aber ernsthaft war der Widerstand nicht. Seine Familie ist sehr weltoffen, muß man dazusagen. Sein Vater hat auch im Ausland gearbeitet und war einmal im Jahr in Europa oder Amerika. Die ganze Familie, außer der Mutter, spricht Englisch. Mit der Schwiegermutter mußte ich mich anfangs auf japanisch unterhalten, weil ich kein Chinesisch konnte und sie kein Englisch.

Als später unser ältester Sohn in Deutschland geboren wurde, kam meine Schwiegermutter für zwei Monate nach Deutschland, um uns zu helfen. Das war natürlich lieb gemeint, aber für mich war es schwierig, weil ich mich mit ihr nicht richtig unterhalten konnte. Aber für Chinesen ist das ganz normal, daß man hilft, wenn ein Baby da ist, wogegen meine Eltern sich nicht speziell bemüht haben in dieser Zeit. Meine Mutter hat gesagt, sie sei heilfroh, daß ihre Kinder erwachsen sind. Man spürt, das ist ein großer Unterschied. Bei uns in Deutschland herrscht die Einstellung, daß die Kinder erwachsen werden und dann aus dem Haus gehen und ihr eigenes Leben leben. Hingegen ist für Chinesen die Familie das Zentrale im Leben.

Für die Eltern ist es sehr wichtig, daß die Linie fortgesetzt wird. Das hat auch Konfuzius in dem Sinne geprägt, daß man nichts Transzendentales hat. Bei uns gibt es Leute, die sind religiös und glauben an ein Leben nach dem Tod, aber für Chinesen liegt das Leben nach dem Tod in den zukünftigen Generationen. Deswegen liegt hier der Schwerpunkt auch bei Bildung und Ausbildung: damit die Nachkommen ihren Weg nach oben machen. Während man bei uns spüren kann, daß es einen Konkurrenzkampf zwischen Eltern und Kindern gibt. Man kann fast von Eifersucht sprechen. Wogegen das für Chinesen überhaupt keine Rolle spielt. In Deutschland zum Beispiel würden sich die Eltern ein schönes, großes Haus bauen, und wenn sie noch Geld übrig haben, geben sie es den Kindern. Aber die Chinesen leben lieber in einer kleinen Wohnung und geben das Geld ihren Kindern, damit die sich ein Haus bauen.

Ich war früher in mancher Beziehung flippiger. Ich dachte, man müßte jeden Tag etwas unternehmen, jeden Tag Freunde besuchen, jeden Tag neue Kontakte knüpfen. Jetzt finde ich die chinesische Vorstellung, daß man als verheiratete Frau nicht mehr soviel Zeit mit Freunden, sondern mehr Zeit mit der Familie verbringt, sinnvoll. Die Zeit und Energie geht der Familie wirklich verloren. Diese konservative Vorstellung habe ich mir zu eigen gemacht, obwohl ich anfangs dagegen rebelliert habe. Heute merke ich, daß man mit seinen Kräften haushalten und Prioritäten setzen muß.

Am Anfang haben wir bei meinen Schwiegereltern gewohnt, und das war schon eine Umstellung. Aber meine Schwiegereltern sind sehr rücksichtsvoll und zeigen ihre Gefühle nicht so offen, weil sie Chinesen sind. Sie sind immer freundlich und ausgeglichen nach außen hin, wogegen es bei uns in Deutschland bestimmt oft gekracht hätte. Aber meine Schwiegermutter hat nie etwas gesagt, wenn die Kinder ihr Spielzeug überall herumgeschmissen oder sie beim Mittagsschlaf aufgeweckt haben. Ich habe am Anfang auch einmal eine Klassenkameradin aus dem Chinesischkurs mit nach Hause gebracht. Es ist sicher für meine Schwiegermutter eine Art Schock gewesen, daß ich jemand Fremdes mit in ihre Wohnung bringe. Für Chinesen ist das ja undenkbar, daß man einfach jemanden mitbringt, sondern man lädt Leute wenn ins Restaurant ein. Ich bin sicher anfangs in einige Fettnäpfchen getreten, worüber ich mir gar nicht richtig bewußt war.

Wesentlich finde ich, daß chinesische Männer gute Familienväter sind. Mir ist aufgefallen, daß mein Schwiegervater mehrfach im Laufe des Tages aus dem Büro bei der Schwiegermutter anruft und daß sie sehr nett und rücksichtsvoll miteinander umgehen. Die Väter sind sehr interessiert an ihren Kindern. Wie ernsthaft sie sich mit ihnen am Wochenende beschäftigen, ist wieder eine andere Frage. Aber im Prinzip sind die Kinder und die Ehefrau überaus wichtig. Hier in Taiwan sind die Ehen sehr partnerschaftlich. Meistens sind beide Partner berufstätig, jeder hat seine Rolle, und es wird gemeinsam entschieden. Das, finde ich, unterscheidet sich ganz stark von Japan, wo die Frauen traditionellerweise sechs Schritte hinter den Männern laufen und die Männer sich Mätressen leisten dürfen. Unser Eindruck war, daß die japanischen Ehen oftmals Zweckgemeinschaften sind, in denen die Frau eine untergeordnete Rolle spielt. Hier in Taiwan ist das anders. Mein Mann hat sich von Anfang an für mich verantwortlich gefühlt, aber ohne mir die Freiheit zu nehmen.

Besonders wichtig für mich war, daß man sich zu einer Beziehung bekennt und nicht nur sagt: 'Wir probieren es mal und wenn es mit der Selbstverwirklichung nicht so klappt, wie ich mir das vorgestellt habe, suche ich mir einen anderen Partner.' Ich möchte wissen, wenn ich heirate, daß er sich nicht jemand anderen sucht, wenn ich dick oder krank werde, oder wenn ich ihm zu gestreßt wegen der Kinder bin. Es war von Anfang an klar, daß, wenn wir uns füreinander entscheiden, wir auch wirklich zusammenbleiben. Ich finde, in westlichen Ländern herrscht eher die Einstellung 'mal gucken, was sich ergibt, und wenn's mir nicht mehr gefällt, dann laß ich es halt.' In Taiwan wird das mit den Einflüssen von außen später vielleicht auch so sein, aber bis jetzt habe ich den Eindruck, daß noch sehr viel Wert auf die Familie gelegt wird und daß sich jeder Einzelne dessen bewußt ist."

Ursula Ballin (55) ist Sinologin und arbeitet als außerordentliches Forschungsmitglied (Associate Research Fellow) an der Academia Sinica in Taipei. Ihre Ehe mit einem Festlandchinesen (63) wurde vor kurzem geschieden.

"Wir haben 1986 geheiratet, und da kannten wir uns schon sieben Jahre. Wir waren beide schon mal vorher verheiratet und haben beide erwachsene Kinder. Es war über viele, viele Jahre nur eine Freundschaft. Dann haben wir uns nach einer längeren Trennung wiedergesehen, und irgendwann ist aus der ursprünglichen Freundschaft mehr geworden. Das muß sowas wie Amors Pfeil gewesen sein und kam für uns beide ziemlich unerwartet. Jedenfalls kennen wir uns seit 15 Jahren und haben so einiges hinter uns, Abenteuerliches, Gefährliches, Spannendes, Romantisches - eigentlich wie fast alle Paare.

Ich habe viel darüber nachgedacht, wo das Hauptproblem lag. Da waren kulturelle Unterschiede, klar. Aber bei uns hatte es eher damit zu tun, daß er Naturwissenschaftler ist und ich Geisteswissenschaftlerin bin. Ich habe die Neigung, ja geradezu Sucht, alles durchzudiskutieren. Wir Geisteswissenschaftler fragen: 'Warum verhalten sich die Dinge so?' Wir suchen komplexe Antworten und geben uns mit den einfachen Formeln nicht zufrieden. Aber bei Leuten wie ihm, die als Experimentalphysiker mit Maschinen arbeiten, gibt es auf viele Probleme einfach nur zwei Antworten: 'es geht' oder 'es geht nicht'. Die Kriterien sind ganz einfach 'gut und schlecht', 'brauchbar und nicht brauchbar'. Ich glaube, das Problem hätte ich auch mit einem europäischen Naturwissenschaftler. Ich kann mich ja mit chinesischen Geisteswissenschaftlern stundenlang unterhalten, und wir können uns auch streiten, aber es wird trotzdem nie ärgerlich oder persönlich. Aber meinem Mann wurde das lästig.

Er ist eben kein Grübler und Hinterfrager, sondern er möchte abends lieber Fernsehen gucken. Und er mag auch Filme wie Rambo, womit man mich jagen kann. Er hat einen etwas kindlichen Geschmack und naive Freizeitvorstellungen. Beispielsweise in einem großen Hotel piekfein essen gehen, was Schickes anhaben, auch die Frau soll sich ein bißchen aufmotzen. Sowas fand er toll. Er ist ein sehr gutaussehender Mann, und das weiß er auch. Er hat es immer sehr genossen, sich bewundern zu lassen. Ich fand das alles sehr liebenswert, aber Tag für Tag, Jahr für Jahr kann einem das irgendwann auf die Nerven gehen. Vor allem, wenn man nie mit demjenigen auch mal über Fragen debattieren kann, ganz zu schweigen von Gesprächen über persönliche Dinge.

Und da spielt das Interkulturelle hinein. Ich glaube, daß solche Gespräche in chinesischen Ehen nicht üblich sind. Man keift mal, man schmeißt mal was durch die Gegend und brüllt sich an, aber daß man, wie bei uns, über eine Beziehung diskutiert und ein Problem direkt anspricht, ist unüblich. Kein 'Problembewußtsein', wie man heutzutage wohl sagt. Ich glaube, das ist chinesisch. Das hat auch mit Gesicht zu tun. [Anmerkung: Das chinesische mien-tzu bedeutet wörtlich "Gesicht" und im weiteren Sinn "sein Gesicht wahren".] Daß man keine Fehler zugeben kann, war einer der Züge bei meinem Ehemann, die mich gestört und auch bestimmt auf unsere Beziehung eingewirkt haben. Fehler macht jeder, aber wenn man dazu nicht steht und sogar versucht, eine Schuld zu konstruieren und sie möglichst dem andern in die Schuhe zu schieben, dann kann man keine Beziehung durchhalten.

Wir waren ein Jahr verheiratet, da hatten wir schon die erste große Krise. Damals war ich nur zwei Monate in Europa, und als ich zurückkam, hatte er auch eine chinesische Freundin. Das war noch schmerzlicher als jetzt, weil es damals so unerwartet kam. Ich hatte das Gefühl, wir sind noch in der Aufbauphase, und dann sollte alles schon zu Ende sein. Später habe ich mir überlegt, daß das bereits darauf hingewiesen hat, wie wenig er sich zu Hause gefühlt hat mit mir als Ausländerin. Die Hauptproblematik, abgesehen von der unterschiedlichen Mentalität als Geistes- und Naturwissenschaftler, ist tatsächlich der chinesische Rassismus, so leid es mir tut, dieses Wort verwenden zu müssen. Es war paiwai [fremdenfeindlich). Deshalb habe ich mich nie ganz als seine Frau gefühlt. Wir haben aus hauptsächlich beruflichen Gründen auch nie richtig zusammengewohnt, sondern eine Wochenendehe geführt. Ich habe ihn angefleht: 'Laß mich doch rein in dein Leben! Schließlich sind wir verheiratet. Kannst du mich denn nicht als Familie annehmen?' Aber dazu ist er zu sehr traditioneller und provinzieller Chinese. Manchmal hat er halb im Scherz gesagt: 'Wenn wir nicht geheiratet hätten, dann würden wir uns wahrscheinlich immer noch heiß lieben.' Als Liebesbeziehung konnte er sich das schon vorstellen, als Ehe nicht. In China gibt es viel fixiertere Rollenvorstellungen als bei uns. Bei Chinesen seiner Generation und Herkunft aus einer Gelehrtenfamilie ist das normative Denken noch sehr stark ausgeprägt.

Ihm war der Gedanke unheimlich, mit einer Ausländerin alt zu werden. Es gibt das Sprichwort: 'Im Herbst fallen die Blätter zu den Wurzeln'. Ein Heim im Alter stellt er sich mit einer Chinesin vor. Das ging schon seit Jahren so und hat unsere Beziehung untergraben. Wer hört schon immer und immer wieder gern: 'Eine chinesische Frau würde das aber nicht sagen', 'Eine chinesische Frau würde das aber so und so machen'? Irgendwann hat man davon die Nase voll! Sein ewiger Spruch war natürlich Ausdruck dafür, daß er viele meiner Verhaltensweisen allzu fremd fand. Aber seit fünfzehn Jahren weiß er nun, daß ich Europäerin bin. Ich kann schlechte Gewohnheiten aufgeben, Fehler ändern, aber ich kann mich nicht in eine Chinesin verwandeln. Das will ich auch gar nicht.

Obwohl es latent seit langem kriselte, kam es letztes Jahr, als ich einsehen mußte, daß endgültig Schluß war, zur psychischen Krise. Ich dachte: 'Ich krieg's nicht auf die Reihe. Ich dreh durch.' Es kam mir alles vor wie ein schlechter Traum. Da entscheide ich mich mit 45 Jahren noch, mein Leben völlig zu ändern, lebe in einer Umwelt, die mich nicht befriedigt, habe kaum Gelegenheit, meine eigene Sprache zu sprechen, meine Töchter und meisten Freunde sind in Europa - gebe halt alles in der Heimat auf, weil ich denke, wir zwei bleiben jetzt zusammen und dann ist alles umsonst. Ich ging immer davon aus, das ist der Mann zum Älterwerden. Er ist ein ruhiger Typ, ich bin eher ein Quirl. Er kann sehr gemessen, still, ausgleichend sein, das hat mir an ihm gefallen. Ich war überzeugt, wir hätten uns gesucht und gefunden.

Na ja, ich stand dann im letzten Jahr vor diesem Abgrund. Das war eine ganz schlimme Zeit. Ich habe auch verrückte Sachen gemacht, beispielsweise ihn mitten in der Nacht angerufen. Daraufhin hat er sein Telefon abgemeldet, ist umgezogen, ohne mir eine Adresse zu sagen, damit ich ihn privat nicht mehr erreichen konnte. Das ist auch eine Art Konsequenz. Er hätte Verständnis für mich zeigen können. Er hätte mich schonender auf seine neue Beziehung vorbereiten können. Aber das wäre unchinesisch. Ich weiß nicht, ob ich das so negativ finde. Auf gewisse Weise bewundere ich die Art, den Menschen als souveränes Wesen zu akzeptieren und davon auszugehen, daß jeder allein mit den Herzensproblemen fertig werden muß. Mitleid kann auch eine Form der Herablassung sein. Es ist anders als im Westen, aber ich würde nicht sagen schlechter. Bei uns werden zum Teil die Menschen zu sehr in Watte gepackt. Alles wird wegtherapiert, jeder Konflikt wird abgefangen. Die Menschen verlernen, mit Leid und Kummer umzugehen und letztlich auch ertragen zu lernen. So wie manche Amerikaner schon keinen physischen Schmerz mehr aushalten können und selbst beim Zahnarzt, zum Bohren, Lokalanästhesie kriegen. Psychisch geht das auch schon los. Das ist wirklich Huxleys Brave New World. Das Leid gehört aber schließlich genauso zum Leben wie die Freude. Ich kann das also nicht nur negativ sehen und sagen, mein Mann hat mich damals einfach im Stich gelassen. Daß wir uns früher oder später trennen würden, war beiden klar. Daher hat mein Mann, als er sich so plötzlich zurückzog, mir eigentlich einen Dienst erwiesen und mir auch seine Achtung bezeigt, nämlich daß er mich für erwachsen genug hält, damit fertig zu werden.

Inzwischen bin ich darüber hinweg, habe meinen Bekanntenkreis, bin vergnügt, viel unterwegs - und jetzt besteht auch wieder Kontakt zwischen uns. Sogar seine Freundin habe ich kennengelernt. Sie hat allerdings Probleme mit dieser in China ja unmöglichen Beziehung zu mir. Er hofft, daß sie ihre Hemmungen überwindet und mein Freundschaftsangebot annimmt, denn er hat eingesehen, daß er mir gegenüber noch eine gewisse Verantwortung hat. Die bleibt auch, wenn wir uns scheiden lassen. Er ist schließlich mein einziger Angehöriger in Taiwan."

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