02.05.2025

Taiwan Today

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Die einseitige völkerrechtliche Erklärung: Eine neue Strategie und Taiwans Beitritt zu den Vereinten Nationen

01.09.1995
Mit zahlreichen Veröffentlichungen in verschiedenen Sprachen, darun­ter auch der deutschen, versucht die Regierung der Republik China, die Weltöffentlichkeit auf ihr Beitrittsgesuch in die UNO aufmerk­sam zu machen.
Astrid Lipinsky beendete 1992 mit dem Magisterabschluß ihr Studium der Sinologie, Japanologie, des internationalen Privatrechts und der Rechtsvergleihung an der Rheinischen Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn. Momentan arbeitet sie an ihrer Dissertation über taiwanesisches Familienrecht und ist außerdem als freie Referentin bei verschiedenen Organisationen tätig, darunter das Ost-West-Kolleg und Terre des Femmes. Für Freies China hat die Wissenschaftlerin den folgenden Beitrag verfaßt:

1971 wurde die Republik China auf Taiwan als "Repräsentantin Chinas" zugunsten der Volksrepublik China aus den Vereinten Nationen und in der Folge auch aus fast allen ihrer Unterorganisationen ausgeschlossen. Seit 1993 bemüht Taiwan sich aktiv um den erneuten Beitritt als Vertreterin der Bevölkerung der Inseln Taiwan, Jinmen, Mazu und den Pescadoren. Taiwan strebt einen zweiten UN-Sitz für diesen kleineren, von ihrer Regierung tatsächlich beherrschten Teil Chinas neben dem der Volksrepublik China an.

Seit 1993 vertrat die Republik China auf Taiwan ihren Beitrittswunsch weltweit auf viele Arten, bei jeder sich bietenden Gelegenheit und auf den unterschiedlichsten Foren. 1993 und 1994 brachten befreundete Länder Taiwans Antrag - allerdings ohne Erfolg - bei den Vereinten Nationen vor. Außenministerium und Presseamt der Republik China veröffentlichten zahlreiche Informationsbroschüren zum Beitritt. Journalisten wurden mit einschlägigen Materialien ausgestattet.

1995 feiern die Vereinten Nationen ihren 50. Geburtstag. Die taiwanesische Beitrittskampagne erreicht gleichzeitig ihren Höhepunkt. Zusätzlichen Zündstoff erhält sie durch die Urlaubsreise-Diplomatie von Staatspräsident Lee Teng-hui und besonders den Besuch seiner Alma mater in den USA sowie die offensichtlich überzogene Reaktion der Volksrepublik China. Die USA zeigten, indem sie dem Besuch zustimmten, indirekt ihre Zustimmung zu einer stärkeren internationalen Rolle Taiwans.

Obwohl der berechtigte Antrag der Republik China in vieler Munde ist und in etlichen Zeitungen und Schriften diskutiert wird, sind weitergehendere Erfolge bis jetzt nicht zu verzeichnen. Es scheint an der Zeit, eine strategische Variante ins Spiel zu bringen.

Auf dem Symposium "Die Republik China und die Vereintenationen" der Europäischen Akademie Otzenhausen am 23. und 24. Juni 1995 machte der Völkerrechtler Prof. Dr. Ress von der Universität des Saarlandes dazu einen bedenkenswerten Vorschlag. Er empfahl der Regierung der Republik China auf Taiwan, hinsichtlich von Konventionen und Dokumenten der Vereinten Nationen einseitige völkerrechtliche Erklärungen abzugeben. Diese Erklärungen wären an die Depositarmacht der entsprechenden Dokumente zu richten und sollten Taiwan zur Einhaltung der Erklärungen verpflichten. Professor Ress erklärte, daß einer Nicht-Reaktion, also einem Schweigen des jeweiligen Adressaten völkerrechtlich durchaus eine Zustimmung und Anerkennung der Erklärung Taiwans unterlegt werden könne. Der taiwanesische Schritt bringe die Depositarmacht in Zugzwang. Zumindest müsse sie entscheiden, ob Taiwan als "Staat" das Recht und die Fähigkeit habe, völkerrechtliche Erklärungen abzugeben.

Noch gibt es im UNO-Gebäude keine Vertretung Taiwans. Befreundete Nationen versuchten 1993 und 1994 erfolglos, den Aufnahmeantrag der Republik China auf die Tagesordnung der Vollversammlung zu bekommen. In diesem Jahr soll ein neuer Anlauf folgen.

Was die drei Merkmale des Staatsvolkes, Staatsterritoriums und der dauerhaften Staatsgewalt anbetrifft, so ist es sicher schwierig, Taiwan die Staatsqualität abzusprechen. Taiwan fehlt jedoch ein weiteres wichtiges Kriterium, nämlich die Anerkennung durch andere Länder als Staat. Während Taiwan auf bilaterale Beziehungen mit mehr als den 29 kleinen und Kleinststaaten, mit denen es zur Zeit diplomatische Beziehungen hat, hofft, dient gleichzeitig die UN-Kampagne demselben Zweck der internationalen Legitimation.

Nehmen wir also an, die Republik China auf Taiwan würde beispielsweise einseitig die Anerkennung und Beachtung des "Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" vom 19. Dezember 1966 erklären.

In Taiwan selbst würde die Erklärung eine Diskussion der Inhalte des Paktes auslösen und so die Bevölkerung auf internationale Pflichten vorbereiten. In Erwartung einer internationalen Überprüfung der Beachtung des Paktes in Taiwan würden Forschungsinitiativen, statistische Erhebungen und Dokumentationen eingeleitet. Die völkerrechtliche Erklärung Taiwans könnte und sollte als Anhang eine Erläuterung der taiwanesischen Situation enthalten. Es bleibt Taiwan unbenommen, die eigenen Erfolge etwa auf dem Gebiet der Menschenrechtsgarantien mit der Situation in der Volksrepublik China zu kontrastieren, und sei es mit dem Verweis, daß ein Staat mit einem negativen Menschenrechtsrekord wie die Volksrepublik China unmöglich die Republik China auf Taiwan vertreten kann.

Eine gute Gelegenheit für eine völkerrechtlich wirksame Anerkennung des "Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau" vom 18. Dezember 1979 böte sich im Vorfeld der im September in Beijing anstehenden Weltfrauenkonferenz. Im Zusammenhang mit der Weltfrauenkonferenz sind die Taiwanesinnen ohnehin schon in aller Munde, da die begründete Befürchtung besteht, daß sie, wie auch tibetische Gruppen, an der Teilnahme am Gipfel der Nichtregierungsorganisationen gehindert werden. Die Republik China auf Taiwan könnte sich weiter einseitig zur Einhaltung und Weiterentwicklung der "Zukunftsstrategien von Nairobi zur Förderung der Frau", verabschiedet auf der letzten Weltfrauenkonferenz in Kenia 1985, verpflichten und eine umfassende Untersuchung zur Umsetzung auf Taiwan vorlegen. Mit einem gründlichen und objektiven nationalen Bericht gerade im Umfeld des Beijinger Gipfels weltweit positive Resonanz zu finden, dürfte angesichts der geschönten Dokumente, die viele Staaten vorgelegt haben, nicht schwierig sein. An der taiwanesischen Dokumentation könnten offiziell die unabhängigen Bürger- und Frauengruppen des Landes mitarbeiten. So würde die Existenz einer demokratischen Zivilgesellschaft in Taiwan unterstrichen und würden die Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen gegenüber der Situation in Beijing herausgestellt, die regierungsunabhängige Organisationsformen nicht erlaubt. Gerade das Problem, in Beijing keine nichtstaatlichen Gesprächspartnerinnen zu finden, wurde von westlichen Nichtregierungsfrauen intensiv diskutiert und verstärkte die Skepsis hinsichtlich der Teilnahme an der Weltfrauenkonferenz.

Allerdings: eine einseitige völkerrechtliche Erklärung ist nicht nur deshalb nicht einseitig, weil sie den Adressaten zu einer Reaktion zwingt, sondern auch, weil sie den erklärenden Staat verpflichtet. Die Inhalte des entsprechenden Vertragsdokuments müssen auch tatsächlich national implementiert werden. Zunächst ist der Blick in den Spiegel nötig: Wieviele Forderungen erfüllt Taiwan schon? Wo sind Verbesserungen oder Veränderungen erforderlich? Wie und in welcher Frist sollen sie durchgesetzt werden?

Diese Innenwirkung ist nichts Schlechtes. In Taiwan fordern Regierung und Opposition den UNO-Beitritt als selbstverständliche Garantie der Würde der eigenen Bevölkerung. Bisher nimmt der Bürger den Beitritt daher vorwiegend als ein Plus auf internationalem Parkett wahr. Von den Kosten, wie sie im Protest taiwanesischer Bauern gegen die Aufhebung einiger Importbeschränkungen im Vorfeld des GATT-/WTO-Beitritts zeitweilig deutlich wurden, ist seltener die Rede. Natürlich ist der Bevölkerung klar, daß ein UN-Mitglied Taiwan etliche Zahlungen zu leisten hätte. Aber Geld ist etwas Abstraktes, und staatliche Gelder sind es noch mehr. Solche Kosten belasten den Einzelnen nicht direkt.

Wenn Taiwan der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) beitritt, wird beispielsweise das nach langen Mühen verabschiedete Arbeits-Grundlagengesetz, das den gesamten Dienstleistungssektor ausklammert, nicht mehr ausreichen. Die Unternehmer würden sich nicht nur einigen einheimischen Kontrolleuren, sondern auch internationaler Überwachung etwa hinsichtlich der tatsächlichen Gewährung des gesetzlich vorgeschriebenen Mindest-Jahresurlaubs gegenübersehen. Frauen hätten mit dem oben genannten Übereinkommen gegen die Diskriminierung der Frau ein internationales Instrument in der Hand, um ihre Weiterbeschäftigung bei Kaufhäusern und Versicherungen nach der Heirat und trotz einer Schwangerschaft einzuklagen.

Solche Diskussionen könnten sich in ihrer Außenwirkung als weiterer Pluspunkt für den Antragsteller entpuppen: Die internationale Gemeinschaft sähe sich einer kosmopoliten, diskursfreudigen und auf das internationale Engagement detailliert vorbereiteten Bevölkerung gegenüber. Sie fände 21 Millionen Bürger vor, die Vor- und Nachteile internationaler Verpflichtungen sorgfältig abgewogen haben und sich bewußt und nicht aus oberflächlichem Prestigedenken für die Vereinten Nationen entschieden haben. Deswegen sollte sich die Republik China auf Taiwan gut überlegen, welches internationale Dokument sie als Präzendenzfall der einseitigen völkerrechtlichen Anerkennung auswählt. Es sollte ein Abkommen sein, dessen Anerkennung belegt, daß Ambitionen und Ideale der Vereinten Nationen in der taiwanesischen Bevölkerung Akzeptanz und Unterstützung finden. Gerade ein Dokument aus dem in Asien umstrittenen Menschenrechtsbereich böte sich an.

Bis heute ist die Republik China auf Taiwan auf vielen internationalen Landkarten jenseits beeindruckender Wirtschaftsdaten ein weißer Fleck. Die freiwillige, einseitige Beitrittserklärung zu den Menschenrechtsdokumenten der Vereinten Nationen im vollen Bewußtsein der inhaltlichen Konsequenzen würde die Behauptung etwa der Volksrepublik China, daß das westliche Menschenrechtsverständnis Asien völlig fremd sei und nicht dorthin passe, widerlegen. Taiwan würde deutlich machen, daß ohne seine Berücksichtigung das Asien-Bild der internationalen Gemeinschaft nicht vollständig ist, und - noch - Taiwan als ein wichtiges Stück im demokratischen Asienpuzzle fehlt. Der Beweis wäre geführt, daß das APEC-Mitglied Taiwan ein Garant für die stabile und demokratische Entwicklung Asiens und die aktive Weiterentwicklung der APEC ist und den Vereinten Nationen gleiche Dienste leisten würde.

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