12.05.2025

Taiwan Today

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Den Entschluß nicht eine Minute bereut

01.03.1995
Zwei junge deutsche Germanisten haben für mehrere Jahre ihre Zelte in Deutschland abgebrochen, um im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) als Lektoren an einer Gastuniversität in Taipei zu arbeiten. Für Freies China erzählen sie von ihrer interessanten Arbeit und ihrem Leben in einem fremden Kulturkreis.

Der DAAD ist eine Selbstverwaltungseinrichtung der deutschen Hochschulen, dessen Aufgabe darin besteht, "die Hochschulbeziehungen mit dem Ausland vor allem durch den Austausch von Studenten und Wissenschaftlern zu fördern", wie es im Eingangssatz zum Jahresbericht 1993 heißt. Zur Verwirklichung dieser Zielsetzung bietet der DAAD über einhundert individuelle Programme, die von Kurzzeitaufenthalten von Wissenschaftlern über Semester- und Jahresstipendien bis hin zu mehr jährigen Promotionsstipendien reichen und Bewerbern aller Fachrichtungen gleichermaßen offenstehen. Unter den Schwerpunkt "Förderung der deutschen Sprache und der Germanistik im Ausland" fällt das Lektorenprogramm, in dessen Rahmen junge deutsche Geisteswissenschaftler für einen längeren Zeitraum an einer Universität im Ausland als Kulturvermittler arbeiten.

Jedes Jahr werden frei werdende Lektorate in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit ausgeschrieben. Der DAAD fungiert bei der Besetzung der Lektorenstellen als Vermittler, d.h. er wählt die Standorte für die Lektorate aus und führt in Deutschland mittels eines Auswahlverfahrens die Rekrutierung der Lektoren durch. Die Anforderungen an die Bewerber stellt die Gasthochschule; häufig verlangt wird ein Studienabschluß im Fach Germanistik oder Deutsch als Fremdsprache und nicht selten auch ein Doktortitel. Der DAAD bietet erfolgreichen Kandidaten vor dem Umzug ins Ausland intensive persönliche Beratung, Vorbereitungsseminare und - wenn nötig - Intensivkurse in der Sprache des Ziellandes sowie fachliche Betreuung während des Auslandsaufenthaltes. Die Organisation zahlt zudem eine finanzielle Unterstützung zur Aufstockung des ortsüblichen Gehalts und alle zwei Jahre eine Reise in die Heimat. Damit die Lektoren Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch bekommen, richtet der DAAD zirka alle zwei Jahre regionale Lektorentreffen sowie jährlich eine große Zusammenkunft aller Lektoren in Bonn aus. Stellen in Übersee werden in der Regel für zwei Jahre zugesagt, können aber mit Zustimmung der Gasthochschule auf maximal fünf Jahre verlängert werden.

Dr. Ingrid Plank (37) promovierte 1990 im Fach Germanistik an der Universität ihrer Heimatstadt Augsburg und kam im September gleichen Jahres zusammen mit ihrem Mann nach Taiwan, wo sie seither als DAAD-Lektorin in der Deutschabteilung der katholischen Fu-Jen-Universität im Taipeier Vorort Hsinchuang tätig ist. Sie hat Deutsch, Französisch und Spanisch an den Universitäten Augsburg und Würzburg studiert und Studienaufenthalte an Hochschulen im Ausland, im französischen Lilie sowie im spanischen Salamanca, absolviert. Ihre langjährige Erfahrung im Unterrichten dieser Sprachen sowie von Deutsch als Fremdsprache kommen ihr bei ihrer jetzigen Arbeit als DAAD-Dozentin sehr zugute. Ausschlaggebend für ihre Entscheidung, nach Taiwan zu gehen, sei zum einen ihr Interesse an Asien gewesen, das durch frühere Rei­sen in verschiedene Länder der Region geweckt worden sei, und zum anderen der vielseitige Aufgabenbereich an der Fu-Jen, der sie besonders angesprochen habe. Auch ein Quentchen Abenteuerlust hat ihren Entschluß gefördert. "Ich mag Herausforderungen, probiere gerne neue Sachen aus", sagt sie. Mit einer so positiven Einstellung ausgestattet, fiel dem Ehepaar Plank die Eingewöhnung in die neue Umgebung nicht schwer. Jürgen Plank, ein Gymnasiallehrer, der sich für die Dauer des Taiwanaufenthalts beurlauben lassen hat, bewährt sich als Hausmann und unterrichtet ebenfalls zeitweise an der Fu-Jen. Daneben schreibt er Artikel und übersetzt gelegentlich. Wie Ingrid Plank betont, hätten ihr die intensive Vorbereitung durch den DAAD und nach ihrer Ankunft in Taipei die Hilfsbereitschaft ihrer neuen Kollegen sowie die Erfahrungsberichte ihrer Vorgänger den Start sehr erleichtert. "Probleme gab es natürlich auch, aber die gibt es überall", meint sie. "Außerdem bin ich nicht alleine hier. Es ist eine große Hilfe, wenn man zu zweit ist und mit dem Partner alles besprechen kann."

Die zweite DAAD-Lektorenstelle auf Taiwan hat Dr. Peter Jaumann (35), ebenfalls aus Augsburg und promovierter Germanist, seit September 1994 an der Nationalen Taiwan-Universität (NTU) inne. Er hat an der Universität München Germanistik mit dem Schwerpunkt Neuere Deutsche Literatur, Philosophie und Politikwissenschaft studiert und bringt vier Jahre Berufserfahrung als Dozent für Deutsch als Fremdsprache mit. Für das Lektorat an der NTU hat er sich entschieden, da er in einem fremden Kulturkreis außerhalb Europas arbeiten wollte, der sich einem, wie er meint, "erst durch einen längeren Aufenthalt erschließt." Er und seine Frau Lenke Steden, die an der Deutschen Schule Taipei als Lehrerin arbeitet, sind zwar noch nicht lange auf Taiwan, aber ähnlich wie das Ehepaar Plank haben auch sie sich relativ schnell und problemlos in der neuen Umgebung eingelebt. Als "recht angenehm" beschreibt er trotz einiger kritischer Punkte wie dem ungewohnten Klima und dem berüchtigten Taipeier Stadtverkehr die neuen Lebensumstände. Auch bei ihm sei, wie er weiter ausführt, die Übernahme des Lektorats durch die Unterstützung der NTU und seiner neuen Kollegen ohne nennenswerte Schwierigkeiten vonstatten gegangen. Und was das Alltagsleben in der Metropole Taipei angeht, so komme er trotz seiner noch geringen Chinesischkenntnisse gut zurecht, was vor allem der enormen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung zu verdanken sei.

Auf Taiwan ist ein Studium des Hauptfach Germanistik an vier privaten Hochschulen möglich. Neben der Fu-Jen sind die die Soochow-, Tamkang sowie die Kultur-Universität. Die Fu-Jen und die Kultur-Universität haben außerdem eine Deutsch-Magisterabteilung. Die staatlichen Hochschulen bieten Deutsch in ihren Fremdsprachenabteilungen für Studenten der ersten Sprache Englisch lediglich als Wahlmöglichkeit einer zweiten Fremdsprache an. Der unterschiedliche Status des Fachs Deutsch an der Fu-Jen bzw. der NTU führt dazu, daß sich die Arbeit der DAAD-Lektoren an diesen beiden Hochschulen unterschiedlich gestaltet.

So besteht die Tätigkeit des Lektors an der NTU primär in der Sprachvermittlung auf verschiedenen Niveaus. Deutsch erfreue sich, so Peter Jaumann, "eines regen Interesses, auch von erstaunlich vielen Studenten außerhalb der Fremdsprachenfakultät." Im Wintersemester 94/95 gab es an der NTU 332 für Deutsch eingeschriebene Studenten in 15 Klassen, plus der nicht eingeschriebenen Gasthörer. An der NTU belegen die meisten Sprachstudenten zwei Jahre lang Deutschkurse und hören dann auf. Die geringe Stundenzahl von drei bis vier Wochenstunden sei ein Problem, wie der DAAD-Lektor anmerkt, da sie ein enormes Tempo verlange und kaum Zeit für Übungs- und Vertiefungsphasen lasse. Problematisch sei auch die große Klassenstärke, insbesonders in den für alle Fakultäten offenen Anfängerkursen. Darüber hinaus hätten die Studenten kaum Gelegenheit, ihr Deutsch anzuwenden. Peter Jaumann hat in seinem ersten Semester an der NTU, das für ihn gleichzeitig eine Orientierungsphase war, insgesamt 14 Stunden Unterricht in vier Klassen gegeben, darunter drei Anfängerkurse und ein neu eingerichteter Kurs für Studenten im dritten Jahr. Besonders positiv überrascht haben Peter Jaumann der Fleiß und die Motivation der Studenten in den Anfängerklassen. "Trotz der zum Teil ungünstigen Umstände", lobt er, "ist das Niveau der Studenten erstaunlich hoch." Erfreulich hoch sei auch der Leistungsstand im Kurs des dritten Studienjahres. Natürlich muß der Lektor besonders in der Grundstufe für Erklärungen häufig auf die englische Sprache ausweichen, aber er hält es in bezug auf seine Arbeit für einen Vorteil, daß er die Muttersprache seiner Studenten nicht beherrscht. "Ich bin dafür, daß man möglichst früh auf die Zielsprache umsteigt, vor allem weil die Studenten sowieso relativ wenig Gelegenheit haben, ihr Deutsch zu praktizieren." Um seinen Unterricht interessant zu gestalten, wählt er für seine Kurse Lehrmaterialien, die nicht ausschließlich auf Grammatik ausgerichtet sind und lockert die Stunden zum Beispiel durch Sprachspiele auf. Gelegentlich lädt er hier ansässige Deutsche in seinen Fortgeschrittenenkurs ein, wo sie von sich und ihrer Arbeit erzählen und sich den Fragen der Studenten stellen.

Neben seiner Unterrichtstätigkeit hat der DAAD-Lektor eine wöchentliche Sprechstunde für Studienberatung und sonstige Fragen eingerichtet, und "Papierkram" wie Empfehlungsbriefe, Gutachten u.ä. fällt natürlich auch an. Darüber hinaus hält er Plenarvorträge über Studienmöglichkeiten in Deutschland, die abwechselnd an der NTU und der Fu-Jen stattfinden und ab dem nächsten Studienjahr im Deutschen Kulturzentrum Taipei durchgeführt werden. Wissenschaftliches Arbeiten in Form von Vorträgen und Publikationen erwartet man an der Gastuniversität ebenfalls vom DAAD-Lektor.

Hinzu kommen die Verpflichtungen, welche die Lektoren im Gastland für den DAAD direkt zu erfüllen haben. Jedes Jahr steht die Vorauswahl der Bewerber für ein DAAD-Jahresstipendium in Deutschland an, die aus ganz Taiwan kommen und sämtliche Fachrichtungen vertreten. "Es ist unsere Aufgabe, die Vorauswahl der Kandidaten in Zusammenarbeit mit dem Erziehungsministerium und dem Kulturzentrum zu treffen sowie die Sprachtests durchzuführen und auch dem Fachkomitee, vor dem die Kandidaten geprüft werden, beizusitzen", erklärt Peter Jaumann. Die Lektoren übernehmen auch die Vorauswahl der Stipendiaten für an die Zielgruppe fortgeschrittene Deutschstudenten gerichtete drei- bis vierwöchige Hochschulsommerkurse.

An einer Hochschule auf Taiwan dauert ein Studium bis zum ersten Universitätsgrad, dem B.A. (Bachelor of Arts), vier Jahre. Den erwerben auch die meisten der zirka 300 Deutschstudierenden an der Fu-Jen-Universität. Ein Problem ist allerdings, daß Deutsch für einen Teil der Studenten nicht ihr Wunschstudienfach ist, sondern ihnen aufgrund der Punktzahl zugewiesen wurde, die sie bei der Universitätsaufnahmeprüfung erreicht haben. Ingrid Plank war dieser Umstand bei Antritt ihres Lektorats bewußt, und sie wurde vom Fleiß und Engagement der Studenten positiv überrascht. "Die Studenten, die an die Fu-Jen kommen, haben sich das nicht immer ausgesucht. Dafür ist die Motivation und die Lernbereitschaft viel höher, als man es eigentlich erwarten könnte", stellt sie fest.

Sie unterrichtet u.a. Studierende des 3. und 4. Jahrgangs, mit denen sie nur Deutsch spricht. Auch innerhalb der Abteilung werde, obwohl der Lehrkörper größtenteils aus Chinesen besteht, sogar bei Lehrerkonferenzen nur Deutsch gesprochen, sagt Ingrid Plank. Sie wünscht sich zwar vor allem zum Lesen interner chinesischer Dokumente, mehr als ihr "Survival"-Chinesisch zu beherrschen, aber im Unterricht möchte sie nicht auf die Landessprache zurückgreifen, denn "das fördert nicht gerade die Sprachkompetenz der Studenten."

Im letzten Semester gab sie einen "Konversations-" und einen "Lesekurs", "Praktisches Deutsch" sowie einen zweisemestrigen "Theaterkurs", der alljährlich ein Stück zur Aufführung bringt. In der Magisterabteilung mit zur Zeit rund dreißig Studenten hält sie zwei Seminare "Dramen vom 18. bis 20. Jahrhundert" und "Einführung in die Literaturwissenschaft", womit sie auf insgesamt 14 Unterrichtsstunden pro Woche kommt. Darüber hinaus betreut sie Magisterarbeiten und sitzt den Abschlußprüfungen bei. "Während meiner Zeit hier habe ich sieben Magisterarbeiten betreut. Das hört sich nach wenig an, es steckt aber viel Arbeit dahinter, u.a. weil die Studenten ihre Arbeit auf deutsch schreiben", berichtet sie. Dabei hätten die Kandidaten in den letzten Jahren bevorzugt auch für sie als Betreuerin sehr interessante komparatistische Themen wie "Die Änderungen in der Familie während der Industrialisierung: ein Vergleich des Phänomens in der deutschen Literatur im Naturalismus und in der taiwanesischen Literatur in den 60/70er Jahren" ausgewählt. Die DAAD-Lektorin ist außerdem Mitglied im Theaterkomitee und im Komitee für die Eingangsprüfung in die Magisterabteilung. Abgerundet wird ihr Wirkungsfeld in der Deutschabteilung durch die Mitarbeit an der Entwicklung des Curriculums, für welches "das Erziehungsministerium lediglich einen Rahmen setzt, der von der jeweiligen Abteilung erst noch gefüllt werden muß", sagt Ingrid Plank.

Außerhalb der Abteilung gibt es Tätigkeiten, die sie abwechselnd oder in Zusammenarbeit mit Peter Jaumann ausführt, darunter die genannte Informationsveranstaltung über Studienmöglichkeiten in Deutschland sowie die Beteiligung an der Auswahl der DAAD­ Stipendiaten. Auch Ingrid Plank bietet ihren Studenten regelmäßige Studienberatung an und vermittelt Deutschlandaufenthalte ohne Studium, darunter Sprachkurse, Aufenthalte bei Familien, Brieffreundschaften u.ä. Die DAAD-Lektoren kümmern sich um die Bibliotheksbestände und organisieren neue Fachliteratur. Hier sind Ingrid Plank und Peter Jaumann besonders dankbar für die großzügige Unterstützung in Form von Bücher- und Lehrmittelspenden, die ihnen die Deutsche Forschungsgesellschaft, das Goethe-Institut und Inter Nationes jährlich zukommen lassen. Für ihre von der Gastuniversität und dem Nationalen Wissenschaftsrat geförderten Forschungsprojekte habe sie sich, so die Germanistin, in erster Linie auf methodisch-didaktische Projekte konzentriert, darunter eine Sammlung deutschsprachiger Texte für die Grundstufe mit dem Titel "Für Leseratten" (erschienen in der Central Book Publishing Co.), "Sprechanlässe für größere Klassen" und gemeinsam mit ihrem Mann "Hörverstehen und Video: Sketche im Deutschunterricht. "

Beide Lektoren heben hervor, daß sie neben der interessanten und vielseitigen Tätigkeit an ihren Gastuniversitäten auch großen persönlichen Nutzen aus ihrem Aufenthalt auf Taiwan ziehen. Dieser manifestiert sich in vielen Bereichen. Zum Beispiel habe man hier eine viel engere Beziehung zu seinen Studenten als in Deutschland, sagt Ingrid Plank, und die Kontakte gingen über den Universitätsalltag hinaus. Das sei besonders durch die Magisterbetreuung und die Theaterarbeit bedingt. Peter Jaumann empfindet dies genauso, obwohl er seine Studenten erst seit einem Semester kennt. So würde von seiner Sprechstunde reger Gebrauch gemacht, und zu privaten Einladungen zum Essen oder nach Hause sei es ebenfalls schon gekommen. Beide DAAD-Dozenten finden äußerst positiv, daß sie weiterhin die Möglichkeit haben, wissenschaftlich zu arbeiten und daß sie durch ihre Arbeit interessante Kontakte knüpfen können. Und auch die Insel Taiwan bietet neben ihren landschaftlichen Reizen viele interessante Erfahrungen. "Taiwan ist ein Land im Umbruch", sagt Ingrid Plank, und es sei aufregend, den Demokratisierungsprozeß - auch auf Universitätsebene - hautnah mitzuerleben. Nur eine Sache macht Ingrid Plank auch nach viereinhalb Jahren noch zu schaffen. "An die Erdbeben werden ich mich nie gewöhnen", sagt sie. Die abschließende und sich im Grunde erübrigende Frage, ob es auch Momente gegeben habe, in denen sie ihren Entschluß bereut hätten, beantworten beide fast wie aus einem Munde: "Nicht eine Minute!"

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