12.05.2025

Taiwan Today

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Glaspioniere

01.01.1995
Als ein ehemaliger Filmregisseur und eine ehemalige Schauspielerin vor acht Jahren Taiwans erstes Glaskunstatelier eröffneten, wagten sie sich damit in künstlerisches Niemandsland vor. Nach einem planlosen Start und einer anfänglichen Experimentierphase haben sie nun Erfolg mit ihren chinesisch-inspirierten Designs.

In Taipeis neuesten und schicksten Einkaufszentrum, der fünfstöckigen, in Glas und Marmor gehaltenen Taipei Metro Mall, können die Kunden unter erlesensten Qualitätswaren aus der ganzen Welt ihre Wahl treffen: Da gibt es Handtaschen von Givenchy, legere Kleidung von Claude Montana, Kosmetikwaren von La Prairie, Dunhill-Uhren, Kunstreproduktionen des Metropolitan Museum of Art und Porzellangeschirr von Rosenthal... Und im vierten Stockwerk, in einem erst kürzlich eröffneten Geschäft, können sie die dekorativen Glasskulpturen von Newworkshop, Taiwans erstem professionellen Glaskunstatelier, bewundern. In den geschickt ausgeleuchteten Regalen sitzen opake, weiße Buddhas in gelassener Haltung auf Lotusblättern, dunkelfarbige, von Wolkenmotiven umrahmte Briefbeschwerer finden sich unter zähnefletschenden Löwen, daneben stehen Schalen und Vasen mit geometrischen Mustern, die antiken chinesischen Bronzen entlehnt sind, aber gleichwohl ein zeitgenössisches Flair haben.

Nach nur vier Jahren auf dem Markt sind die Produkte von Newworkshop verständlicherweise noch nicht von der Qualität der exzellenten dekorativen Glaswaren solcher Hersteller wie Tiffany oder Daum. (Arbeiten des französischen Ateliers Daum sind ebenfalls in der Taipei Metro Mall ausgestellt.) Aber Newworkshop arbeitet sich schnell in einen hochklassigen Markt vor und macht sich mit seinen chinesisch-inspirierten Designs einen Namen. Seine Arbeiten verkaufen sich für durchschnittlich 4000 US$, einige sogar für 40 000 US$. Unter den Käufern befinden sich sowohl reiche Geschäftsleute als auch das Außenministerium, das regelmäßig Glaswaren als Präsente für ausländische Honoratioren erwirbt. Auf seine letztjährigen Reisen nach Südostasien und Lateinamerika nahm Präsident Lee Teng-hui als Geschenke für seine Gastgeber einige Newworkshop-Statuen der buddhistischen Gnadengöttin Kuan-yin mit, die eine der populärsten Gottheiten auf Taiwan ist.

Das Atelier hatte seit 1992 sieben Ausstellungen in Japan, wo sich eine ansehnliche Schar von Sammlern gebildet hat; unter ihnen befindet sich auch ein Tempel in Tokio, der eine 200 Kilo­gramm schwere, 1,20 Meter hohe Buddhastatue aus Glas in Auftrag gegeben hat. Im November 1993 stellte das Atelier sogar einige Stücke im Palastmuseum in Peking aus, das im Anschluß eine Statue - einen kristall-weißen, unter einer großen, goldenen Hand sitzenden Buddha - in seinen Bestand übernahm.

Die Gründer von Newworkshop, Chang Yi(張毅)und Loretta Yang(楊惠珊), erwarteten keinen solch schnellen Erfolg, als sie 1987 ihr Glaskunstunternehmen gründeten, vor allem da es sich für beide um ein neues Feld handelte. Damals war Chang einer der führenden Filmregisseure der Insel, und Yang war eine vielseitige Schauspielerin, die in vielen seiner Filme Hauptrollen spielte. Obwohl beide auf der Höhe ihrer beruflichen Karriere waren, sehnten sie sich beide nach einem ruhigeren Leben, das ihnen aber dennoch die Möglichkeit böte, ihre künstlerische Ader auszuleben. "Wir suchten nach etwas", erzählt Chang, "das wir von Anfang bis Ende schaffen konnten, und zwar mit jener unprätentiösen Haltung, die für traditionelle Handwerker charakteristisch war."

Auf die Idee der Glasverarbeitung brachte sie Wang Hsia-chun(王俠軍), der damals als künstlerischer Leiter bei Chang's Filmen mitarbeitete. Wang hatte im Rahmen eines Industriedesign-Kurses einige Jahre zuvor ein wenig über diese Kunst gelernt und zeigte dem Paar einige kleine, geblasene Glasfiguren, die er gemacht hatte. Trotz ihres sehr begrenzten Wissens begeisterten sich alle drei schnell für die Idee, ihre eigene Glaswerkstatt einzurichten. Bei Recherchen zum Thema entdeckten sie, daß das Glashandwerk in China mehr als 2000 Jahre alt war, daß die Techniken aber bereits vor langer Zeit verlorengegangen waren. Damit hatte das Trio eine Ausrichtung für ihre Arbeit gefunden: Sie wollten die Kunst chinesischer Glasherstellung durch eine Kombination traditioneller Formen und dekorativer Motive mit einem Sinn für zeitgenössisches Design wiederbeleben.

Da man nirgendwo in Taiwan die Techniken erlernen konnte, flogen Chang und Yang nach New York, um an Kur­sen des dortigen Experimentellen Glas-Workshops teilzunehmen. Wang schrieb sich am College of Art & Design in Detroit ein. Nach 18 Monaten trafen sich die drei wieder in Taiwan, und 1987 gründeten sie zusammen mit vier weiteren Freunden ein Atelier. Berücksichtigt man die vielen Schritte und die schwierigen Techniken bei der Glasherstellung, so war es ein kleines und unerfahrenes Team. "Wir hatten keine Ahnung, wie unsere Chancen standen, es hinzubekommen", sagt Chang.

Bald realisierten sie, daß Glas zu machen sogar noch schwieriger war, als sie erwartet hatten. Ihre kurze Ausbildung in den Vereinigten Staaten war schwerlich ausreichend, um mit den vielen technischen Problemen fertigzuwerden, die sich ihnen beim Glasblasen und vor allem beim Gebrauch des Brennofens auftaten. Der Erfahrungsmangel erwies sich als kostspielig. Sie ruinierten einige teure Öfen, indem sie das Glas unter falschen Bedingungen erhitzten und damit eine schweflige Säure produzierten, die Löcher in die Ofenwände fraß. "Wir zahlten immer wieder für neue Öfen, bis wir einen Experten fanden, der uns erklärte, woran es lag", erinnert sich Yang.

Sie investierten auch Geld in Reisen, um Rat von berühmten Glasbläsermeistern einzuholen, vor allem in der ehemaligen Tschechoslowakei, die berühmt für ihre exzellenten Glaswaren ist. Aber noch immer wollte ihnen nichts gelingen. Immer wieder fanden sie beim Öffnen des Ofens das Glas in Scherben oder aber ein mißgestaltetes oder farblich verunglücktes Stück vor. Schließlich hatte keiner außer Yang mehr den Mut, den Ofen zu öffnen. Ein Gefühl der Resignation hatte sich in dem Team breitgemacht. "Rückblickend würde ich sagen, daß unser Unternehmen wirklich gewagt war", sagt Chang. "Wenn wir gewußt hätten, was uns bevorstand, hätten wir uns wahrscheinlich nicht dazu entschieden. Ich habe mich damals oft gefragt: 'Warum mache ich das eigentlich?'" Aber zu der Zeit steckten die drei Partner finanziell bereits zu tief in dem Projekt. Sie hatten alle ihre Ersparnisse samt dem Erlös aus dem Verkauf ihrer Häuser in Ausbildung, Reisen, Ausstattung und Materialien sowie Landerwerb und den Bau des Ateliers investiert - insgesamt fast vier Millionen US$. Aber unabhängig von allem Geld gab es da auch noch einfach den Wunsch nach Erfolg. "lch glaube, uns allen liegt der Kampfgeist im Blut", sagt Chang. "Wir wollten beweisen, daß wir als erste in Taiwan dekorative Glaskunst machen konnten."

Nach drei zermürbenden Jahren unentwegter Versuche und Irrtümer fanden sie schließlich eines Tages beim Öffnen des Ofens eine gelungene Statue vor. Weitere erfolgreiche Stücke folgten bald. Die ersten geformten Stücke waren immer noch nicht ausgereift genug, um sie der Öffentlichkeit zu präsentieren; aber Ende 1990 hatten sie dann eine Serie eleganter, goldgesprenkelter Schalen aus geblasenem Glas vorzuweisen. Mit diesen Stücken veranstalteten sie in einer Taipeier Galerie eine Ausstellung, zu der allerdings viele Besucher eher kamen, um das einst berühmte Filmpärchen zu sehen, und nicht so sehr, um die Kunst zu bewundern. Im darauffolgenden Jahr gewannen sie dann einen Preis des staatlichen Forschungsinstituts für Kunsthandwerk der Provinz Taiwan; und sie hatten eine Ausstellung im Nationalen Palastmuseum in Taipei, bei der sie eine Reihe mit Gußformen modellierter und anschließend gebrannter Glasarbeiten mit klassischen chinesischen Motiven zeigten. 1992 führten sie zum ersten von sieben Malen Stücke in Japan vor; diese Ausstellung war Teil einer von der Regierung der Republik China finanzierten Kampagne, hochklassige Produkte aus Taiwan zu fördern. Für letztes Jahr waren Newworkshop-Ausstellungen in New York und Europa geplant.

Das Unternehmen hat sich auf vierzig Mitglieder vergrößert. Sie arbeiten in dem, was Newworkshop "das Atelier" nennt, einer Bauhaus-ähnlichen Werkstatt am Stadtrand von Tamsui in einer friedlichen Umgebung an der Nordwestküste Taiwans. Hier verbringt das Produktionsteam von 15 Handwerkern und ungefähr 25 Lehrlingen seine Tage mit dem Anfeuern von Hochöfen auf eine Hitze von bis zu 1500 Grad Celsius und dem Formen, Verschmelzen und Blasen von Glas. Das Atelier hat sich auf die schwierige "pate de verre"-Technik spezialisiert. Bei dieser Methode wird ein Wachsmodell mit Gips oder einem anderen härtenden Material bestrichen und anschließend erhitzt, bis das Wachs schmilzt, ausläuft und so eine leere Form zurückläßt. Diese Anfangsphase wird cire perdue oder "Wachsschmelze" genannt und ermöglicht die Ausarbeitung komplizierter Designs wie das Federmuster eines Phoenix oder die feingliedrigen Finger eines Buddhas. Anschließend wird pulverisiertes Glas in die Form geschüttet und erhitzt, bis es zu einer lichtdurchlässigen Masse verschmilzt. Verschiedene Mischungen führen zu verschiedenen Färbungen, durch die sich ungewöhnliche Effekte erzielen lassen, wie z.B. Glas, das wie geschliffener Marmor oder wie ein Halbedelstein aussieht.

Die Eigentümer von Newworkshop versuchen, ein hohes Niveau handwerklichen Könnens zu sichern, indem sie jeden Mitarbeiter unabhängig von seiner vorherigen Ausbildung dazu anhalten, Erfahrungen in jeder Phase des Produktionsprozesses zu gewinnen. Die Lehrlinge müssen lernen, aus dem ursprünglichen Tonmodell des Designers eine Silikonform, daraus dann ein Wachs- und schließlich ein Gipsmodell herzustellen. Dann mischen sie dem Glas bestimmte Mengen Blei oder anderer Chemikalien bei, und nach dem Brennvorgang schneiden oder schmirgeln sie unerwünschte Vorsprünge von dem halbfertigen Stück ab.

Wenn sie diese grundlegenden Techniken gemeistert haben, können sie kunstvollere erlernen, wie das Auftragen von Mustern auf das Glas, z.B. durch Ätzen. Nur die erfahrensten Arbeiter können beim Entwurf eines Stücks mithelfen. Chang legt mehr Wert auf das handwerkliche Können als auf den künstlerischen Aspekt ihres Tuns. "Wenn man nicht zuerst Schritt für Schritt gelernt hat, ein guter Handwerker zu sein, versteht man das Material nicht und wird nicht in der Lage sein, es zu bearbeiten", sagt Chang. "Beim Entwurf muß man bereits das Material und die Techniken berücksichtigen."

Yang entwirft, mit Hilfe einiger Assistenten, die meisten der Stücke des Ateliers. Der ehemalige Filmstar hat sich seine Designer-Fähigkeiten durch Versuch und Irrtum und durch die Suche nach Ideen in Büchern über traditionelle chinesische Kunst ganz alleine beigebracht. Sie begann, indem sie Tonfiguren formte wie ein Kind, das mit Knete spielt. "Ich hatte keine eigentliche Kunst- oder sonstige Ausbildung, in der ich entwerfen, zeichnen oder skulptieren gelernt hätte", sagt sie. "Ich lerne, indem ich es einfach mache."

Buddha-Darstellungen sind ihr Lieblingssujet geworden - und auch eins der verkaufsträchtigsten unter den Designs von Newworkshop. Einige unter ihnen sind äußerst traditionell, wie die freistehenden Statuen oder die geätzten Bilder des Buddhas im Lotussitz mit einer erhobenen Hand. Andere sind weniger konventionell, wie z.B. die segnende Hand Buddhas, die sich aus der Mitte eines weißen, steinähnlichen Blocks aus Glas erhebt; oder eine bernsteingelbe, rechteckige Vase mit gelassenen Buddhagesichtern, die reliefartig in jede Ecke geschnitten sind. Yang's Interesse an solchen Darstellungen ist durch ihren eigenen religiösen Glauben inspiriert. "Buddha ist großzügig, liebevoll und vergebend", sagt sie.

Viele der anderen Arbeiten von Newworkshop sehen aus wie Neuschöpfungen antiker Bronzebehälter, geschnitzter Lackschachteln oder antiker Porzellanschalen in Glas. Bei anderen Objekten sind traditionelle Elemente wie Drachen oder Kalligraphie in moderne, geometrische Formen eingearbeitet. Einige der Arbeiten tragen sogar lange, poetische Titel, wie sie für alte chinesische Gemälde charakteristisch sind. Eine Skulptur zweier ineinandergreifender Schalen - ein traditionelles Symbol der Ehe – heißt "Zwei Herzen ein Leben lang vereint wie die Zwillingsschalen des Drachen und des Phoenix".

Newworkshop wurde dafür kritisiert, sich zu sehr auf traditionelle Formen zu stützen oder auch dafür, Alt und Neu in einer künstlichen und peinlichen Weise zu verknüpfen. Aber Chang hält entschlossen an der Absicht fest, Formen zu schaffen, die mit der Kultur ihrer Hersteller identifiziert werden können. "Wir haben ganz am Anfang beschlossen, Dinge auf chinesische Art herzustellen", sagt er. "Da unsere Glaswaren von Chinesen gemacht werden, sollten sie auch chinesisch aussehen."

Chang und seine Partner mußten sich auch der alten Frage stellen, was Handwerk von Kunst unterscheidet. Yang erinnert sich an die Frage eines japanjschen Kritikers, ob sie sich selbst als Künstlerin oder als Kunsthandwerkerin sähe. "Ohne zu zögern antwortete ich ihm, daß ich bestimmt keine Künstlerin sei", sagt sie. Chang stimmt dem zu: "Wenn Handwerk bedeutet, daß man alles mit seinen eigenen zwei Händen und mit einem Handwerkerethos tun muß, dann würde ich meine Arbeit eher Handwerk nennen."

Die große Frage bleibt jedoch, wie man das Handwerkerethos aufrechterhalten und gleichzeitig kommerziell erfolgreich sein kann - eine Frage, die sich ihnen nicht stellte, als sie begannen. Heute kreieren sie nicht nur Buddhastatuen für Vitrinen, sondern sie führen auch Auftragsarbeiten wie zweitausend purpurne Briefbeschwerer für eine Hongkonger Geschäftsgruppe aus. "Es ist nicht so einfach, wie wir vor sechs Jahren dachten", sagt Chang. Sie müssen nicht nur weiterhin ihre Technik und Produktqualität verbessern, um die durch weltbekannte Glashersteller gesetzten Standards zu erfüllen, sondern sie werden sich auch bald einheimischer Konkurrenz stellen müssen. 1993 verließ der Mitbegründer Wang Hsia-chun Newworkshop, um sein eigenes Glasatelier aufzumachen. Es ist, wie Chang sagt. "Die wirkliche Arbeit hat gerade erst begonnen."

(Deutsch von Christian Unverzagt)

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