Das Joint-venture Chinchun Motor (CCM) auf Taiwan ist die dritte Fahrzeugfabrik, die Volkswagen im Großraum China eingerichtet hat. An dem Gemeinschaftsunternehmen mit einem Grundkapital von zirka 190 Millionen DM sind die Volkswagen AG mit 33,4 Prozent und Chinfon Global mit 66,6 Prozent beteiligt. Der taiwanesische Partner ist eine der größten Industrie- und Handelsgruppen hierzulande und verfügt durch sein Motorrad- und Autounternehmen San Yang Industrial Corp. auch über Erfahrungen in der Branche.
Das Projekt deutsch-taiwanesischer Zusammenarbeit im Fahrzeugbau wurde am 31. Mai 1991 durch die Gründung des Joint-ventures offiziell in Taipei beschlossen. Man plante eine Fabrik zum Bau von jährlich 30 000 Fahrzeugen mit Expansionsmöglichkeiten auf 120 000 bis 150 000 Stück pro Jahr. Während Volkswagen auf dem chinesischen Festland Personenkraftwagen herstellt, in Shanghai den Santana und in Changchun den Golf und den Jetta, wird in Taiwan das Nutzfahrzeug T4 in zweifacher Ausführung, als luxuriöser Personentransporter Caravelle und als universeller Kombi vom Band rollen.
Auf der Einweihungsfeier am 7. November hob Dr. Shi H. Huang, Vorsitzender von CCM, mit wenigen Worten das ehrgeizige Ziel des Unternehmens hervor, nämlich in Übereinstimmung mit den internationalen VW-Standards - "welche sich grundlegend von den herkömmlichen Praktiken lokaler Autohersteller unterscheiden" - Produkte von Weltqualität nicht nur für den taiwanesischen Markt, sondern für die gesamte Asien-Region und sogar für den Weltmarkt herzustellen. "Heute, mit der Geburt des ersten Volkswagens T4 in Taiwan, können wir alle zur Kenntnis nehmen, daß der Ausspruch 'lokal hergestellte Fahrzeuge sind denen aus Europa und Amerika unterlegen' der Vergangenheit angehört", sagte er.
Es bedurfte einiger Anläufe, ein geeignetes Grundstück für das Projekt zu finden, da nutzbares Land auf der Insel knapp und teuer ist. Taiwan ist nur wenig größer als Baden-Württemberg, besteht zu fast zwei Dritteln aus Bergen und beherbergt über 21 Millionen Menschen. Das schließlich gewählte Gelände im Kuanyin-Industriepark, Landkreis Taoyuan, ist über 22 Hektar groß und kostete rund 50 Millionen DM. Am 13. Juni 1992 wurde der erste Spatenstich gemacht, aber erst eineinhalb Jahre später - was in der Branche als relativ langsam gilt - stand die Fabrik. Die schon von weitem zu sehende weiße Anlage mit dem riesigen blauen VW-Symbol auf der Frontseite nimmt eine Fläche von 50 000 m² ein. Außen wie innen überwiegt Funktionalität. Die deutschen Unternehmen Dürr und Kuka lieferten die Lackiererei und die Rohbauanlagen, während die Förder- und Montageanlagen von der japanischen Firma NKC jeweils betriebsbereit erstellt wurden. Die Sachinvestitionen für den Zeitraum von 1992 bis 1998 belaufen sich insgeamt auf zirka 350 Millionen DM für das Unternehmen.
Das VW-Werk Hannover, die deutsche Produktionsstätte des VW- Transporters, hat die Leitfunktion für die Fabrik auf Taiwan übernommen. Zwischen Mitte 1992 und Anfang 1993 bemühte sich eine deutsche Mannschaft von zehn Vertragsangestellten vor Ort um den Aufbau der Fabrik. Das Ziel lautete von Anfang an, Fahrzeuge nach deutschen Qualitätsmaßstäben zu fertigen, die auf dem internationalen Markt konkurrieren können. Diese Auflage stellt die größte Hoffnung und gleichzeitig die größte Herausforderung für das Projekt dar. Es gibt auf Taiwan zwar bereits neben Chinchun Motor zehn Autohersteller und rund 500 Zulieferbetriebe für die Fahrzeugproduktion, doch die hierzulande gebauten Autos sind lediglich für den einheimischen Markt, aber nicht für den Export bestimmt und müssen daher nicht den Weltqualitätsstandards entsprechen.
Da laut Bestimmungen der Republik China fünfzig Prozent der bei der Autofertigung verwendeten Komponenten im Inland eingekauft werden müssen, sind die Autohersteller gezwungen, eng mit den einheimischen Lieferanten zu kooperieren. Chinchun Motor arbeitet mit rund sechzig Zulieferern zusammen, die jedoch nicht daran gewöhnt waren, nach deutschen Unterlagen und - wichtiger noch - nach deutschen Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen zu produzieren. Hans J. Holstein, Vizepräsident von CCM und für den technischen Bereich zuständig, erklärt, daß Taiwans Zulieferindustrie für die Automobilherstellung aus vielen Kleinbetrieben bestehe, die einerseits zwar in der Lage seien, die Teile für die vielen verschiedenen, auf Taiwan produzierten Autotypen zu liefern, andererseits aber nicht die finanziellen Mittel zur Anschaffung spezieller Geräte besäßen, um Qualitäts- und Sicherheitskontrollen durchzuführen. "An einigen Stellen ist die taiwanesische Automobilindustrie noch Jahre hinter der Weltklasse zurück", sagt er. Zum Beispiel seien die Sitzbezüge nicht feuerfest, da auf Taiwan keine feuerfesten Garne hergestellt würden und der Import von solchen zu teuer sei. Holstein ist jedoch der Meinung: "Mit zunehmendem Verbraucherbewußtsein werden die Fahrzeughersteller in Taiwan unter verstärkten Druck kommen, sich den Weltqualitätsmaßstäben anzupassen."
Ein weiteres Problem, das sich für die Taiwan-Produktionsstätte stellt, ist die Entfernung nach Deutschland. Motoren und Getriebe werden aus Deutschland angeliefert, doch die Dispositionszeit beträgt vier Monate, was eine kurzfristige, auf die jeweiligen Marktverhältnisse ausgerichtete Planung fast unmöglich macht. Man bemüht sich zwar, die Lieferzeit auf drei Monate zu verkürzen, "aber 12 Wochen ist immer noch eine lange Spanne", sagt Holstein.
Mittelfristig sollen rund 800 Beschäftigte jährlich 30 000 Fahrzeuge bauen, von denen zwei Drittel für den inländischen und ein Drittel für den ausländischen Markt vorgesehen sind. Den Inlandsverkauf übernehmen sieben Händler mit bis Ende des Jahres voraussichtlich 42 Filialen auf der Insel. Sie sollen die Transporter zu einem Preis zwischen 600 000 und 650 000 NT$ (zirka 35 000 bis 38 000 DM) an die zukünftigen Kunden bringen. Konkurrenz gibt es bereits in Form der etwas kleineren Transportermodelle Delica und Varica aus dem China Motors Werk, an dem der japanische Autohersteller Mitsubishi beteiligt ist. In diesem Jahr will CCM damit beginnen, den T4 ebenfalls im benachbarten Ausland, d.h. zunächst in Vietnam und auf den Philippinen zu vermarkten. In Zukunft hofft man auch auf einen Verkauf in Festlandchina.
Bei der Einweihungsfeier am 7. November herrschte sowohl unter den Gastgebern als auch den zirka vierhundert Gästen - darunter Vertreter der beim Bau der Anlage beteiligten Firmen aus Deutschland und Japan, Zulieferer, Vertreter hiesiger Banken und Unternehmen, Journalisten und Regierungsbeamte - eine erwartungsvolle Stimmung. Nach dem Empfang in der Kantine, wo sonst die gesamte chinesisch-deutsche Belegschaft vom Präsidenten bis hin zu den Arbeitern zu Mittag ißt, wurden die Gäste hinüber in die helle Fabrikhalle geführt. Vor einer Kulisse aus Förderschienen und Werkplätzen waren eine Bühne und Stuhlreihen aufgebaut worden. Ringsherum standen, nicht weniger gespannt als die Gäste, die Fabrikarbeiter in ihren hellblauen Belegschaftsjacken mit dem Chinchun-Emblem.
Dr. Shi H. Huang, Vorsitzender von CCM, Dr. Martin Posth, Vorstandsmitglied der Volkswagen-AG und Vorsitzender von Volkswagen Asien-Pazifik Ltd., Dr. Shih-chien Yang, stellvertretender Wirtschaftsminister der Republik China, Klaus M. Franke, Direktor des Deutschen Wirtschaftsbüros in Taipei und andere wechselten sich am Rednerpult ab, und auch der Kreisvorsitzende von Taoyuan ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen und hob in passionierter Rednermanier mit Blick auf die Dezember-Wahlen das gute Investitionsklima in seinem Wahlbezirk hervor. Aber schließlich war es dann soweit: Nach einem traditionellen, chinesischen Löwentanz erschallten Fanfarenklänge von Richard Strauss, der mit bunten Lasern angestrahlte Vorhang teilte sich, und durch den künstlichen Nebel fuhr das erste "made in Taiwan"-Fahrzeug mit deutschem Qualitätsstandard auf die Bühne.