Eingesetzt haben die demokratischen Reformen in der Republik China bereits vor vielen Jahren unter der Leitung des verstorbenen Präsidenten Chiang Ching-kuo. Er sah seine Lebensaufgabe in der Schaffung einer demokratischen und rechtsstaatlichen Regierung, die sich gleichzeitig dem Kommunismus widersetzen und übereilten Forderungen nach einer Unabhängigkeit Taiwans entgegentreten sollte. Weil seine Prioritäten mit dem Nationalgefühl in der Republik China konform waren und den Interessen des Volkes entsprachen, begrüßte die Öffentlichkeit die demokratischen Reformen und unterstützt sie bis heute. Der Ursprung dieser enormen Fortschritte liegt in den demokratischen Idealen des Gründungsvaters der Republik China, Dr. Sun Yat-sen, der am 10. Oktober 1911 eine Revolution zum Sturz der despotischen Mandschu-Dynastie anführte. Mit der Einführung der Demokratie in China erfüllen das Volk und die Regierung der Republik China Dr. Suns Traum.
Allerdings lagen zwischen der Einführung der Ideale Dr. Sun Yat-sens und ihrer gegenwärtigen Verwirklichung viele dunkle Jahre. Nach seinem Tod im Jahre 1925 wurde China aufgrund der Rivalitäten zwischen den Warlords zerrissen. Als das Land am schwächsten war, griff Japan an, und weitere acht Jahre gingen verloren. Am Ende des Zweiten Weltkriegs zettelten die chinesischen Kommunisten einen großen Bürgerkrieg an und nahmen das chinesische Festland im Jahre 1949 ein. Die Republik China verlegte daraufhin ihren Regierungssitz nach Taiwan, wo sie seit über vierzig Jahren die chinesischen Kommunisten abwehrt.
Vom Ende der vierziger Jahre bis Mitte der achtziger Jahre befand sich die Republik China auf Taiwan daher permanent im Kriegszustand. Die Regierung verkündete 1948 die Vorübergehenden Bestimmungen für die Periode der Nationalen Mobilmachung zur Niederschlagung des Kommunistischen Aufstandes, die alle Vollmachten auf der Grundlage des Notstandsgesetzes auf den Präsidenten übertrugen. Die Regierung erließ ebenfalls eine Notverordnung, die eine milde Form des Kriegsrechts darstellte. Dennoch überzeugte das allmähliche Nachlassen der internationalen Spannungen Mitte der achtziger Jahre Präsident Chiang Ching-kuo, daß es an der Zeit war, die Mentalität des Kalten Krieges durch eine vollständige Demokratie zu ersetzen und damit die Visionen Dr. Sun Yat-sens in die Tat umzusetzen.
So hob die Regierung der Republik China 1987 die Notverordnung sowie 1988 das Verbot für die Gründung neuer Zeitungen und 1989 das für die Gründung neuer Parteien wieder auf. Auch erlaubte sie zum ersten Mal seit fast vierzig Jahren 1987 den Bürgern Taiwans, ihre Verwandten auf dem Festland zu besuchen. Am 11. Januar 1988, zwei Tage vor dem Tod Präsident Chiang Ching-kuos, verabschiedete das Parlament der Republik China ein Gesetz, das den Bürgern Versammlungsfreiheit und das Recht auf Gründung von Vereinigungen gab.
Nachdem Lee Teng-hui 1988 das Amt des Staatspräsidenten übernommen hatte, verkündete er, daß er sich ganz der Durchführung der von seinem Amtsvorgänger begonnenen Reformen verschreiben werde. Während der letzten acht Jahre hat Präsident Lee mehrere große politische Veränderungen eingeleitet. Die Mitglieder der zwei Volksvertretungskammern sowie die Träger wichtiger politischer Ämter auf allen Regierungsebenen werden durch demokratische Wahlen ermittelt, und das Mehrparteiensystem ist fest etabliert.
Demokratische Wahlen
Während auf Taiwan auf kommunaler Ebene seit 1949 regelmäßig freie Wahlen stattfinden, mußte sich während des Kalten Krieges in den nationalen Parlamenten kein Abgeordneter zur Wiederwahl stellen. Die Rechtfertigung für dieses System lautete, daß die Mitglieder des Parlaments und der Nationalversammlung ganz China vertraten, das Festland eingeschlossen. Da nach 1949 im kommunistischen China keine Wahlen abgehalten werden konnten, saßen die Parlamentarier auf ihren Sitzen fest. Präsident Lee Teng-hui erkannte, daß eine Erneuerung dieser gewählten Organe unentbehrlich war, denn ohne energische Debatten in echten Volksvertretungen würden die Bemühungen der Republik China um politische Reformen scheitern. Seit der Wahl zur Zweiten Nationalversammlung 1991 wurden alle parlamentarischen Organe und tragenden Positionen auf sämtlichen Regierungsebenen, also das nationale Parlament, Taiwans Provinzversammlung, der Provinzgouverneur, die Bürgermeister von Taipei und Kaohsiung und sogar der Staatspräsident nach und nach direkt durch das Volk gewählt.
In der nationalen Wahlzentrale werden die aus den Kreisen eingegangenen Resultate sofort veröffentlicht, so daß bereits kurz nach Schließen der Wahllokale die ersten Hochrechnungen erstellt werden können.
Das Mehrparteiensystem
Seit mehreren Jahren gehört das Mehrparteiensystem unwiderruflich zur politischen Landschaft in der Republik China. Über 70 politische Parteien sind beim Innenministerium registriert. Heute erfreut sich die Republik China eines wohlverdienten guten Rufs für regelmäßige und häufige Wahlen, engagierte Oppositionsparteien und ein allgemeines Wahlrecht.
Die Ära der Einparteienherrschaft geht seit 1991 und 1992, als die gesamte Nationalversammlung und der Legislativ-Yuan direkt vom Volk gewählt wurden und die Opposition bei beiden Wahlen große Stimmengewinne verbuchen konnte, allmählich ihrem Ende entgegen. Einige Jahre später gewann 1994 ein Oppositionskandidat die erste Direktwahl des Bürgermeisters von Taipei, und nachdem sich im Dezember 1995 nach der Wahl zum Dritten Legislativ-Yüan, dem höchsten parlamentarischen Organ in der Republik China, die erste Aufregung gelegt hatte, verfügte die Kuomintang (KMT) nur noch über eine hauchdünne Mehrheit. Dieser Trend setzte sich bei den nächsten Wahlen zur Dritten Nationalversammlung im März 1996 fort, als die Wähler wieder einmal die Macht gleichmäßiger auf die drei großen Parteien verteilten.
Der Höhepunkt im demokratischen Entwicklungsprozeß der Republik China war die erste Direktwahl des Staatspräsidenten durch das Volk, die am 23. März 1996 stattfand. Vier Kandidatenduos lieferten sich einen heißen Wahlkampf, aus dem der amtierende Präsident Lee Teng-hui und sein Vizepräsidentschaftskandidat, Premierminister Lien Chan, beide von der KMT, mit 54 Prozent der Stimmen als Sieger hervorgingen. Mit der Stimmenmehrheit für die KMT brachten die Bürger der Republik China ihr Vertrauen in die Fähigkeit der Partei zum Ausdruck, sich selbst zu erneuern und die Nation in eine Ära des Pluralismus zu führen. Durch die übrigen 46 Prozent für die anderen drei Kandidaten hat sich bestätigt, daß ein gesundes demokratisches Mehrparteiensystem bestehen bleiben wird.
Wir sind stolz auf unsere Errungenschaften
In fast 50 Jahren der Entwicklung ist auf Taiwan eine lebendige und dynamische Gesellschaft entstanden. Besonders in den letzten acht Jahren haben die Reformen für Pluralismus und Demokratie tiefgreifende revolutionäre Veränderungen hervorgebracht. Dieser Prozeß ist bemerkenswert rational und friedlich vonstatten gegangen. Als eine Welthandelsmacht ist die Republik China bereits weithin bekannt. Gewiß verdienen die politischen Reformen, die sie in den letzten Jahren unternommen hat, die gleiche Aufmerksamkeit. Die Welt lobt die wirtschaftliche Entwicklung der Republik China. Jetzt ist es an der Zeit, auch die von den 21 Millionen Menschen im Gebiet Taiwans erreichte Freiheit und Demokratie anzuerkennen. Die Erfahrungen der Republik China sollten als Vorbild für andere Entwicklungsländer dienen, inklusive des chinesischen Festlands.
(Deutsch von Christiane Gesell)