Teehhäuser sind zu einem ganz besonderen Teil der taiwanesischen Kultur geworden. Viele Leute treffen sich hier, um eine Erfrischung zu sich zu nehmen, sich zu unterhalten oder einfach nur die Atmosphäre zu genießen. Vor nicht allzu langer Zeit hatte diese Etablissements allerdings noch einen ganz und gar anderen Ruf.
Taiwans Teehäuser machen derzeit große Kasse. Seit einiger Zeit ist es wieder genauso en vogue, mit Freunden ein paar Stunden über einer Kanne ausgesuchten Pu-erh- oder Oolong-Tees zu verbringen, wie in eines der zahllosen in jüngster Zeit eröffneten Cafés zu gehen, um sich am Duft eines italienischen Espressos zu erfreuen und den Blick über die anderen Gäste streifen zu lassen.
Bis zum Ende der sechziger Jahre sah die Situation allerdings völlig anders aus. Hätte jemand erwähnt, daß er vorhabe, in ein Teehaus zu gehen, wären ihm wissendes Augenzwinkern und argwöhnische Blicke gewiß gewesen. In jener Zeit wurden die Teehäuser von der Regierung noch als eines der acht illegalen Etablissements eingestuft, die mit dem horizontalen Gewerbe zu tun hatten. Diese Verwechslung entstand, weil die Teehäuser fälschlicherweise immer noch häufig mit den aus der japanischen Besatzungszeit (1895-1945) übriggebliebenen "Teezimmern" in Verbindung gebracht wurden, in denen Hostessen für gewöhnlich den Kunden - elegant umschrieben - "besondere persönliche Dienste" anboten.
Dieses Image machte es den neuen Teehäusern sehr schwer, sich zu etablieren. Fan Tseng-ping (范增平), Direktor des Vereins für Chinesische Teekultur in Taipei, beobachtet Taiwans Vorliebe für die grünen Blätter schon seit gut dreißig Jahren. Er erinnert sich an eine Sekretärin, die in einem der neuen Teehäuser der siebziger Jahre arbeitete. "Ihre Mutter rief mehrere Male am Tag an, nur um sich zu vergewissern, daß es sich auch um ein ehrbares Lokal handelte", erzählt er schmunzelnd. Häufige Polizeirazzien bereiteten den Teehausbesitzern zusätzliche Schwierigkeiten. Einige findige Besitzer umgingen das Problem, indem sie sich separate Betriebslizenzen besorgten. "Eine für den Handel mit Tee", berichtet Fan, "und eine für den Ausschank von alkoholfreien Getränken."
Fan und viele andere sind sehr darum bemüht, die "Kultur" des Tees wieder aufleben zu lassen. Dieser Ausdruck ruft das Bild von chinesischen Intellektuellen der Literatenbewegung in Erinnerung, die unter einem Baum am Ufer eines Flusses sitzen, in aller Ruhe Tee schlürfen und sich über die Kunst unterhalten oder einfach die Schönheit der Natur genießen. Ihre Auffassung von Tee unterschied sich wesentlich von der ihrer japanischen Pendants. Abgesehen von der Zutat - die Japaner benutzten Pulver statt wie die Chinesen Blätter- konnten die Chinesen auch dem sehr formellen Ritual der berühmten "Teezeremonie" nicht allzuviel abgewinnen. Fans Idealvorstellung ist es, die Art von Teehaus wieder auferstehen zu lassen, in das man gehen würde, um sich nicht nur des Tees zu erfreuen, sondern um sich auch in einer vollkommen entspannten Atmosphäre über kulturelle Themen zu unterhalten. Vielleicht, so seine Hoffnung weiter, würden dann auch einige der dort gewonnenen Erfahrungen in das Alltagsleben der Teetrinker übertragen.
Fans Vorstellung ist kurz davor, verwirklicht zu werden, auch wenn der Weg dorthin lang und dornig war. Heutzutage wird das Teehaus von vielen Leuten wieder als ein beliebter Hort der Entspannung angesehen.
Eine Wiederbelebung der chinesischen "Teekultur" wird als einer der Hauptmotivationsgründe für die Eröffnung vieler Teehäuser in den siebziger und achtziger Jahren angegeben. Dies waren professionell geführte Lokale, die ihrer Kundschaft ausschließlich heißen chinesischen Tee servierten. Taipeis erstes echtes Teehaus mit dem sehr passenden Namen "China Teahouse" machte 1973 auf, mußte jedoch zwei Jahre darauf schon wieder schließen. Nicht genügend - vor allem nicht genügend junge - Gäste kamen durch die Tür hinein. "Die jungen Leute waren noch nicht bereit für etwas, das immer noch als ein Zeitvertreib der älteren Leute galt", erklärt Fan. "Und sie empfanden das verschwenderische Dekor im China Teahouse wahrscheinlich als zu erdrückend. Sie waren auch immer so mit ihren Versuchen, den Tee richtig zuzubereiten, beschäftigt, daß sie keine Zeit hatten, sich zu entspannen und ihn einfach zu genießen."
Die späten siebziger Jahre verzeichneten aber ein Neuerwachen des Interesses an Traditionellem. Intellektuelle und Studenten begaben sich auf eine leidenschaftliche Suche nach ihren kulturellen Wurzeln. Auf einmal war die einst nur als ehrwürdig betrachtete alte chinesische Kunst des Teezubereitens sogar wieder schick und modern. Wo konnte man besser die alten Traditionen wiederentdecken als in einem Teehaus?
Die Teehäuser wurden 1983 nach langem Drängen ihrer Besitzer und anderer, die das Interesse an der alten chinesischen Teekultur teilten, wieder legalisiert. Aber war es für sie wirklich ein Triumph? "Anfänglich wollten wir nicht nur eine Legalisierung der Teehäuser erreichen, sondern auch, daß sie offiziell als Kulturbetriebe eingestuft werden", sagt Fan. "Aber sie werden immer noch unter der Kategorie 'Restaurantbetriebe' geführt." Eine Folge dieser bürokratischen Maßnahme ist, daß die Teehäuser weiterhin höhere Steuersätze zahlen, als wenn sie ein Kulturbetrieb wären.
Nichtsdestotrotz wurden plötzlich überall Teehäuser eröffnet, und sie erfreuten sich gerade unter jungen Leuten einer unheimlichen Beliebtheit. In den späten siebziger und frühen achtziger Jahren bemühten sich die Besitzer der Teehäuser auch, mehr als nur die Kultivierung der alten Tradition des Teetrinkens anzubieten. Ähnlich wie die europäischen Gesellschaftssalons des 18. Jahrhunderts boten sie das passende Ambiente, in dem Kunst-, Literatur- und Politikinteressierte ihre neuesten Ideen austauschen konnten.
Bis zu einem gewissen Grad betrachtete man die Teehäuser sogar als Ideenschmieden. "Damals herrschte noch ein sehr gespanntes politisches Klima", erinnert sich Fan. "Taiwan befand sich unter Kriegsrecht, aber die Bevölkerung war gerade dabei, nach Wegen zu suchen, um sich aus der politischen Zwangsjacke zu befreien." Es heißt, daß viele der demokratischen, gar revolutionären Ideologien, die damals noch als Volksverhetzung galten, über einer Kanne Tee in einem der legendären Teehäuser Taipeis - Tzu Teng Lu (紫藤盧, zu dt. "Glyzinie") war vielleicht das berühmteste - entstanden sind.
Obwohl das Geschäft mit den Teehäusern zum Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre viel weniger mit Profit als mit gesellschaftlichen Fragen zu tun hatte, zog es trotzdem auch einige Unternehmer an. Darüber hinaus durchlief Taiwan zu der Zeit gerade ein wirtschaftliches Tief, und viele junge Leute - vor allem Studenten mit geisteswissenschaftlichen Abschlüssen - hatten Schwierigkeiten, eine angemessene Stelle zu finden. "Konnten ein paar Freunde sich zusammentun und, sagen wir mal, an die 300 000 NT$ (15 000 DM) auftreiben, reichte das aus, um ein kleines Teehaus aufzumachen", sagt Fan.
Gerade weil diese neuen Etablissements von sparsamen, zugleich aber gut gebildeten Leuten betrieben wurden, unterschieden sie sich sehr von ihren erfolglosen Vorgängern wie dem China Teahouse. Ihr schlichtes, aber stilvolles und modernes Interieur wurde dezent auf die intellektuelle Szene zugeschnitten.
Nicht wenige von ihnen wurden in alten, halbverfallenen japanischen Häusern aus der Kolonialzeit eröffnet. Diese hatten meist einen kleinen, aber wuchernden Garten am Eingang, und sie wurden mit vielen Kunstgegenständen mit chinesischen Motiven oder Objekten aus Taiwans ländlicher Kultur ausgestattet - Kalligraphien, Tuschgemälde, Bambushüte und Keramik. Viele Teehäuser boten ihren Gästen auch traditionelle Konzerte chinesischer Streichmusiker. "Beinahe alles, was zugleich alt und chinesisch war und zu Hause aufgetrieben werden konnte, wurde als Dekor verwendet", erzählt Fan. "Einige plazierten am Eingang sogar eine alte Steinstatue des Erdgottes."
Dann kam der wirtschaftliche Aufschwung. 1987 wurde das Kriegsrecht aufgehoben. Geschäftsorientierte Leute fingen an, sich für das Gastwirtschaftsgewerbe zu interessieren, und so erlebten die Teehäuser einen architektonischen Stilwandel. Es war an der Zeit für das erste richtig große Teehaus. Der Ort? Taichung. Der Name? Keng Tu Yuan (耕讀園, zu dt. "Garten des Pflügens und Lesens").
Der Gründer von Keng Tu Yuan, Chang Wen-chang (張文瑲), war nicht vom Schlag seiner idealistischen Vorgänger. Er sah sich am Anfang einer langen Karriere, aber gleichzeitig wollte er eine kulturelle Dimension beibehalten. Lange und sorgfältig sah er sich in Taiwans etablierten Teehäusern um und kam zu der Erkenntnis, daß sie einen wesentlichen Nachteil hatten - sie waren alle zu klein! "Er dachte sich, daß Chinesen nur dann chinesischen Tee richtig genießen könnten, wenn sie zusätzlich zu einem Dekor, das die alte chinesische Lebensart verkörpert, auch genügend Platz vorfanden", sagt der Manager von Keng Tu Yuan, Richard Huang (黃瑞奇). Chang wurde auch von den vielen, zu der Zeit in Taichung sehr beliebten Cafés beeinflußt, die allesamt mit Gärten im Freien sowie Wintergärten aufwarten konnten. "Aber sie folgten alle dem westlichen Stil", sagt Huang. "Chang sagte sich: Warum nicht einen chinesischen Garten zum chinesischen Getränk?"
So dachte Chang sofort an den traditionellen Aufbau, den die Chinesen bei der Gartengestaltung bevorzugen. Einige Teiche und ein Pfad, der sich hier und dorthin verschlängelt, bevor er die Besucher wieder zum Ausgangspunkt zurückführt. Die Grundstückspreise waren damals noch sehr günstig, und Richard Huang erinnert sich, wie Chang und seine Geschäftspartner ein riesengroßes altes Haus erwarben, es abreißen ließen und von Grund auf neu aufbauten, um ihr ideales Garten-Teehaus zu kreieren. Jeder Tisch steht an einem Fenster mit Blick auf einen der Fischteiche. "Unser Teehaus ist ehrlich gesagt gar nicht so groß", bemerkt Huang. "Von jedem Platz aus kann man nahezu den gesamten Garten überblicken."
Seitdem hat Chang sechs weitere "Keng Tu Yuans" eröffnet, von denen sich zwei in Taipei, eins in Kaohsiung und drei weitere in Taichung befinden. Die Kette hat heute schon über 100 Angestellte, die alles über Tee und seine Zubereitung lernen müssen, so daß sie die Gäste besser beraten können. Jedes Jahr müssen sie eine Prüfung bestehen, um zu zeigen, daß sie nichts vergessen und ihre Kenntnisse vielleicht sogar verbessert haben.
Wie auch andere der frühen Teehäuser, die mit einem gewissen missionarischen Drang an die Sache herangingen, hat Keng Tu Yuan den geschäftlichen Aspekt mit der Rolle als Förderer der chinesischen Kultur kombiniert. Als fünf Jahre nach der Legalisierung der Teehäuser die erste Filiale aufmachte, war der Trend der kulturellen Wiederbelebung noch nicht bis nach Taichung vorgedrungen. Viele Bürger dieser etwas verschlafenen, doch eher konservativen Stadt sahen immer noch auf Teehäuser herab, als ob sie dubiose Hostessenclubs wären. "Wir mußten uns alle möglichen Werbeideen ausdenken", berichtet Huang. "Zum Beispiel informierten wir die Leute über all die verschiedenen Teesorten, die auf Taiwan angebaut werden, und wie sie richtig serviert werden. Wir wollten allen zu verstehen geben, daß es sich bei uns um keinen Hostessenclub handelte, sondern schlicht und einfach um eine nette Stätte mit kulturellem Flair, wo man hingehen konnte, um Tee zu trinken."
Noch mehr Leute davon zu überzeugen, die Teekultur der Insel zu genießen und zu einem Teil ihres täglichen Lebens zu machen, lautet heute das Ziel von Keng Tu Yuan. "Die Kunst des Teegenusses kann sehr kultiviert sein", sagt Huang. "In vielerlei Hinsicht gleicht es einer künstlerischen Darbietung. Jedes Jahr halten wir einen Wettbewerb im Teezubereiten ab, um den ästhetischen Aspekt in den Vordergrund zu rücken." Auf der anderen Seite kann die Zubereitung eine sehr lockere Angelegenheit sein. Auch Leute, die nicht sehr viel Ahnung von Tee haben, können ihn aufbrühen, solange sie die Grundaustattung haben: Teeblätter, eine Teekanne, heißes Wasser und die typischen kleinen Schalen. "In unserem Teehaus steht es unseren Kunden frei, ihren Tee so zu zubereiten, wie sie es wünschen", meint Huang. "Sollten sie aber Rat benötigen, müssen sie sich nur an unsere Angestellten wenden."
In den späten achtziger Jahren fanden weitere große Veränderungen statt. Das Angebot und der Service wurden erweitert, um den gewandelten Ansprüchen und Lebensgewohnheiten der Kunden gerecht zu werden. Viele Teehäuser fingen an, Menüs zu angemessenen Preisen um die 10 DM anzubieten. Die zunehmende Beliebtheit des Auswärtsessens in Taiwan war einer der wesentlichen Gründe für den Erfolg der Teehäuser.
Als die Handelsschranken zwischen beiden Seiten der Taiwanstraße langsam abgebaut wurden, entdeckten die Kunden, daß sie nicht nur auf Taiwan angebauten Tee bestellen konnten, sondern auch immer mehr Sorten vom Festland. Mit der Zeit fanden sich sogar solch fremdländische Sorten wie Earl Grey und English Breakfast Tea, Kräuter- und Früchtetees sowie Eisteegetränke auf den Getränkekarten der geschäftstüchtigen Lokale ein. Heutzutage beschränken sich die allerwenigsten Teehäuser ausschließlich auf das Ausschenken heißen chinesischen Tees. Die meisten von ihnen sind inzwischen zu einer Kreuzung aus Restaurant und Teehaus geworden. Eines der erfolgreichsten dieser Art ist wahrscheinlich Chun Shui Tang (春水堂, zu dt. "Quellwasserhaus").
1983 eröffnete es als kleiner Laden, aus dem mittlerweile ein zweistöckige Teehaus geworden ist, das für sein vielfältiges Angebot berühmt ist. Natürlich wird chinesischer Tee angeboten, aber auch kalte und andere heiße Getränke, Snacks, "Dim sum" (traditionelle süße und salzige Kleinigkeiten zum Tee) und auch richtige Mahlzeiten gibt es hier. Eine weitaus größere Anzahl der Kunden wird wohl mehr vom Essen als vom Tee angelockt. Familien versammeln sich gerne um die Mittagszeit oder abends, um der Frau Mama eine wohlverdiente Pause von der Küche zu gönnen. Wirklich verantwortlich für den guten Ruf von Chun Shui Tang war jedoch das große Angebot an heißen und kalten Getränken. Verschiedene Sorten Tee wurden mit diversen Zutaten wie Milch, Ei, Honig, Fruchtsaft und sogar Alkohol in einem Cocktailmixer zusammengeschüttelt. Wie beinahe in jedem Restaurant auf Taiwan hat auch Chun Shui Tang im Erdgeschoß eine Ausgabe für Essen zum Mitnehmen.
Wie gut sein Geschäft auch laufen mag, bereitet dem Besitzer von Chun Shui Tang, Liu Han-chieh (劉漢介), trotzdem die Tatsache Sorgen, daß sich weitaus mehr Gäste im Erdgeschoß als im ersten Stock aufhalten, wo er ein klassisches chinesisches Teehaus eingerichtet hat. Dort findet man traditionelle chinesische Designs vor mit geschnitzten Holzfenstern, Zwischenwänden, gewölbten Türen und Mondspiegeln. Edle alte Stühle und Tische erwarten die Gäste. An den Wänden hängen folkloristische Bilder aus seiner eigenen Sammlung, Kalligraphien und Fotos, die er auf seinen Reisen gemacht hat. Je nach Saison zieren unzählige Blumensträuße das Stockwerk. "Wir würden lieber weniger Essen servieren, um uns mehr auf das Teehaus konzentrieren zu können", meint Liu. "Aber das ist einfach nicht möglich."
Keiner weiß genau, wieviele Teehäuser es momentan auf Taiwan gibt, da viele von ihnen unter anderen Geschäftskategorien registriert wurden. Fan Tseng-pin vom Verein für Chinesische Teekultur schätzt, daß sich auf die gesamte Insel etwa 10 000 verteilen, wenn man die Stände, die kalte Getränke anbieten, hinzuzählt, obgleich fraglich ist, ob sie dazugehören. In den letzten Jahren ist die Anzahl der sogenannten "p'ao-mo"-Teehäuser explosionsartig in die Höhe geschossen. Diese kleinen Eisteeshake-Bars werden meist von Geschäftsleuten betrieben, die kein wahres Interesse für die Teekultur hegen.
Trotz allem gibt es gerade auch in den größeren Städten wie Taipei, Kaohsiung und Taichung reichlich traditionelle Teehäuser. Des weiteren zeichnen sich die Teehäuser in diesen drei Metropolen durch Unterschiede in Stil und Flair aus.
Fan meint, daß die Teehäuser in Taipei weiterhin überwiegend auf die Intellektuellen ausgerichtet seien und sie somit den Ruf ihrer Vorgänger beibehalten hätten. "Die Teehäuser in der Mitte und im Süden Taiwans werden hingegen von Geschäftsleuten betrieben, und sie sind meist riesig", sagt er. "Da wurde sehr viel Geld für die Inneneinrichtung ausgegeben. Man verspürt jedoch wenig kulturelles Ambiente."
Liu Han-chieh vom Chun Shui Tang-Teehaus hält die Teehäuser Taipeis allerdings für zu klein und meint, daß sie zuviel herumexperimentierten. "Es hat immer den Anschein, daß sie jederzeit schließen könnten, sollte das Geschäft nicht so gut laufen." Richard Huang fügt hinzu, daß die Popularität der Teehäuser in Taipei von der Persönlichkeit ihrer Besitzer abhängig sei. "Die Kunden gehen dorthin, weil sie neugierig auf den Besitzer sind und sich mit ihm unterhalten wollen", sagt er. "Aber wie soll er imstande sein, allen seinen Kunden gleichviel Zeit zu widmen?"
Die Atmosphäre mag wichtig sein, aber man kann mit dem Dekor auch leicht übertreiben. Liu meint zum Beispiel, daß die Architektur sowie die Inneneinrichtung der Teehäuser in Kaohsiung im allgemeinen zu üppig, zu überwältigend seien. Er stimmt mit Fan Tseng-ping überein, daß der kulturelle Inhalt gering sei. "Ich bin mir sicher, daß die meisten Leute die Teehäuser in Taichung vorziehen würden, sowohl vom Aussehen als auch von der Atmosphäre her."
Woraus setzt sich der Kundenkreis der Teehäuser eigentlich zusammen? Nach Fans Einschätzung ist die Mehrheit der Kunden gut ausgebildet und gehört dem Mittelstand an. "Es würde sicherlich keiner von ihnen im Teehaus auf den Boden spucken", meint er mit einem Lächeln. "Nicht etwa, weil es nicht gestattet ist, sondern weil es nicht in die Atmosphäre passen würde." Fan berichtet weiter, daß reiche Leute Teehäuser meiden würden, weil sie bei der Auswahl ihres Tees sehr wählerisch seien und die Teehäuser nicht immer ihren Ansprüchen gerecht würden. Richard Huang von Keng Tu Yuan hat zum Profil seiner Kundschaft ebenso etwas anzumerken. "Viele meinen, daß Universitätsstudenten unseren größten Kundenkreis bildeten", sagt er. "In Wirklichkeit aber arbeiten viele unserer Gäste tagsüber und kommen nach Feierabend zu uns."
Es gibt ein altes chinesisches Sprichwort, das besagt, daß der wahre Genießer erst ganz zuletzt an den Wein denken würde. Mit anderen Worten denkt er um so mehr an seine Gesellschaft, die Musik oder auch die ihn umgebende Landschaft. Ähnlich kümmern sich die meisten Teehausbesucher nicht um den Tee. "Sie kommen wegen des Ambientes", glaubt Fan. "Sie kommen, um zu sehen und gesehen zu werden. Viele von ihnen können sich höchstwahrscheinlich schon beim Herausgehen nicht mehr an die Teesorte erinnern, die sie gerade getrunken haben."
Als ob sie einen Espresso in einem der Cafés auf dem Champs-Élysées trinken würden, versammeln sich viele junge Leute gerne auf der Terrasse von Yang Hsien (陽羨), eine von acht Filialen Chun Shui Tangs, um diese Art von Atmosphäre zu erleben. "Im Grunde genommen bieten wir hier bei Keng Tu Yuan den Leuten nur die Chance, in Ruhe eine Tasse Tee genießen zu können", sagt Huang. "Aber vielleicht sind unsere Kunden hier, um andere Leute kennenzulernen, und der Tee soll dabei nur den Anstoß geben."
Liu Han-chieh von Chun Shui Tang schließt aus, daß die Gäste alleine durch den Genuß der traditionellen Teekultur anzulocken wären. "Um die typische Teehaus-Atmosphäre zu genießen, sind die Kunden sogar bereit, einen durchschnittlichen Tee zu akzeptieren", meint er.
Seit Anfang der achtziger Jahre wächst die Zahl der Teetrinker auf Taiwan ständig an. "Derzeit hat beinahe jede Familie wenigstens eine Teekanne und ein paar Teeschälchen zu Hause", sagt Fan Tseng-ping. "Aber nicht alle haben eine Kaffeemaschine." Der unaufhaltsame Aufschwung der Teehäuser sowie die Verbreitung der Teekultur haben auch das Interesse für das Sammeln von Teekannen erweckt. Dies hat Taiwans Markt für Teekannen wiederbelebt. Hinzu kam auch neues Zubehör wie unter anderem die kleinen Becher, die nur dafür da sind, das Aroma des Tees zu riechen, oder auch der langstielige Löffel zum Säubern der Kanne. Diese Erfindungen sind alle Teil des fortwährenden Entwicklungsprozesses der neuen Teekultur. "Solche Sachen gab es im alten China nicht", meint Fan. "Sie sind erst später von hiesigen Teeliebhabern entwickelt worden, um das Servieren noch interessanter, um nicht zu sagen bequemer zu machen."
Heutzutage ist das Teehaus zu einem festen Bestandteil der taiwanesischen Kultur geworden, und seine Fühler reichen sogar bis in die chinesischen Gemeinden in Übersee. In so fernen Orten wie Indonesien, Malaysia, Singapur und Hongkong haben in letzter Zeit mehr und mehr Teehäuser ihre Pforten geöffnet. Meist werden sie von Überseechinesen betrieben, die in Taiwan ihr Universitätsstudium absolviert haben. Selbst in Schanghai gibt es nun ein Teehaus namens Keng Tu Yuan. "Wir überlegen gerade, ob wir unseren Namen registrieren lassen sollten, bevor ihn sich jemand unter den Nagel reißt", sagt Richard Huang. "Weil es möglich ist, daß wir unsere Kette auf das Festland ausdehnen werden."
Auch in Kanada macht sich die wachsende Bedeutung der Teekultur bemerkbar. Einige Leute sind an den Besitzer von Chun Shui Tang, Liu Han-chieh, mit der Bitte herangetreten, auch dort ein Teehaus zu eröffnen. Er ist bisher jedoch nicht zu überreden. "Mit meinen acht Teehäusern bin ich schon beschäftigt genug", meint er. "Auch geht es uns hier auf Taiwan sehr gut."
Die Tage, als die Teehäuser noch ein Versteckspiel mit der Obrigkeit geführt haben, sind vorüber. Niemand würde auch nur daran denken, die abfälligen Bemerkungen von früher auszusprechen. Im Gegenteil, jedem, der noch nie ein Teehaus aufgesucht hat, ist es eher peinlich, es zuzugeben. Teehausliebhaberin Lin Chia-fen faßt die Gründe für das neue Lebensgefühl auf Taiwan zusammen: "Sollte einem Kaffee nicht schmecken, muß man nicht unbedingt in ein Café gehen, aber man sollte nie die Gelegenheit verpassen, ein Teehaus zu besuchen. Der Tee mag nicht besonders gut sein, aber man geht schließlich nicht wegen des Tees dorthin. Man geht wegen der Atmosphäre!"
(Deutsch von John B. Motzkuhn)