Weder Beobachter noch Beteiligte finden sich durch das verworrene Kabelfernsehnetz. Nach zwanzig Jahren des uneingeschränkten Wachstums weht für die Branche jetzt ein anderer Wind.
Spaziert man in einer x-beliebigen Stadt oder Ortschaft auf Taiwan durch eine Wohnstraße, fällt unweigerlich ein tiefhängender, unkontrolliert wuchernder Wirrwarr unzähliger Kabel ins Auge. Nur wenige Strom- oder Telefonleitungen verlaufen unterirdisch. In den letzten Jahren sind zu dem Durcheinander noch die Koaxialkabel der mit atemberaubender Geschwindigkeit zunehmenden Kabelanschlüsse hinzugekommen. Für den erstaunten Betrachter ist dieses schwarze Geflecht unbegreiflich. Gleiche gilt leider auch für den gesetzlichen Rahmen, der zur Kontrolle des inselweiten Kabel-TV-Netzes geschaffen wurde. Das Kabelfernsehen bewirkte nicht nur eine Veränderung im äußeren Erscheinungsbild der Wohngebiete, sondern auch in den Fernsehgewohnheiten der Zuschauer, wodurch wiederum die gesamte TV-Industrie aufgerüttelt wurde. Seit der kürzlichen Liberalisierung des auf ein Volumen von 300 Millionen geschätzten Marktes balgen sich einheimische und ausländische Medienunternehmen, um ein möglichst große Stück von diesem Riesenkuchen abzubekommen.
Der erste kommerzielle Fernsehsender der Insel, Taiwan Television Enterprise (TTV), wurde 1962 gegründet. Sieben Jahre später kam China Television Company (CTV) hinzu, und 1971 ging Chinese Television System (CTS) erstmals auf Sendung. Diese drei frei über Antenne zu empfangenden Kanäle repräsentieren das öffentliche bzw. staatliche Fernsehen auf Taiwan. Das erste Kabel-TV-System erschien Ende der sechziger Jahre auf der Bildfläche. Damals wurden die sogenannten "privat betriebenen Gemeinde-Fernsehantennensysteme" (Privately Operated Community Antenna Television [CATV] Sytems) installiert, um in abgelegeneren Gegenden die Empfangsqualität des TV-Programms zu verbessern. Mitte der siebziger Jahre erweiterten die CATV-Betreiber ihre ursprüngliche Aufgabe und wiederholten über das Koaxialkabelnetz Videoaufzeichnungen beliebter Sendungen.
Als im April 1990 AsiaSat 1 in den Weltraum geschossen wurde, verschaffte dieses Ereignis den CATV-Betreibern sozusagen ihre eigene Umlaufbahn. Jetzt konnten sie ihrem Angebot per Satellit übertragene Sendungen hinzufügen, wodurch sie größeren Anklang fanden. Diese Sender wurden als der "vierte Kanal" bezeichnet, um sie von den drei über Antenne zu empfangenden Fernsehanstalten zu unterscheiden. Für die spottbillige Monatsgebühr zwischen 300 und 600 NT$ (16 bis 32 DM) versorgten die Anbieter ihre Zuschauer mit einem 24-Stunden-Programm auf bis zu 40 Kanälen. "Einer unserer Hauptvorteile war unsere Schnelligkeit", sagt Andy Pan ( 潘健民 ), vormals Betreiber eines Kanal-4-Senders und heute stellvertretender Geschäftsführer von King's Channel, einem Kabel-Systemanbieter in Taipei. "Wenn mittags ein Film in den Kinos erstaufgeführt wurde, konnten unsere Kunden ihn sich bereits am selben Abend zu Hause ansehen." Diese Aussage hebt einen weiteren wesentlichen Aspekt des vierten Kanals hervor: Die meisten Programme waren, um es so diplomatisch wie möglich auszudrücken, "inoffiziell".
Innerhalb kürzester Zeit wurde der vierte Kanal außerordentlich populär, und das vor allem, weil er den Zuschauern ein weitaus vielfältigeres Angebot als die drei staatlichen Sender präsentierte. Auch profitierten die privaten Sender von der weitverbreiteten Auffassung, daß die Nachrichtensendungen des öffentlichen Fernsehens im Vergleich zu denen der privaten Konkurrenz einer übertriebenen Zensur unterworfen wirkten. Nach der Aufhebung des Kriegsrechts Mitte 1987 wurde der leisen Kritik an den staatlichen Sendern offen Luft gemacht, besonders während der Wahlkampfperioden vor kommunalen oder landesweiten Wahlen, als die Kandidaten der Opposition nur selten in den Nachrichten des Staatsfernsehens zu sehen waren. Warum? Überall im Land hatte man den Verdacht, daß dies nur mit den Hauptanteilseignern dieser Stationen zu tun haben konnte: für TTV ist dies die Provinzregierung, für CTV die Regierungspartei Kuomintang (KMT) und das Verteidigungsministerium für CTS.
"Der vierte Kanal bot ein Alternativprogramm", erklärt Lee Tain-dow (李天鐸), außerordentlicher Professor im Forschungsinstitut für Kommunikation und Kunst der Katholischen Fu Jen-Universität. "Seine Popularität war darauf zurückzuführen, daß er Sendungen brachte, die man auf den drei öffentlichen Kanälen nicht zu sehen bekam, darunter japanische TV-Serien, Profi-Ringen und Pornographie." Es gibt keine genauen Statistiken, doch Schätzungen zufolge soll der vierte Kanal schon vor der Verabschiedung des Kabel-TV-Gesetzes 1993 fast die Hälfte aller Haushalte auf Taiwan erreicht haben. Vor diesem Zeitpunkt war das Privatfernsehen gesetzlich nicht geregelt. "Das Kabelsystem ist zwanzig Jahre lang ohne Spielregeln in Betrieb gewesen", sagt Andy Pan. "Die Regierung hinkt dem Markt immer weit hinterher."
In der Tat begann das Regierungsinformationsamt (Government Information Office, GIO) der Republik China schon 1985, das Geschehen auf dem vierten Kanal genauer unter die Lupe zu nehmen, und 1989 erarbeitete es eine Gesetzesvorlage, um die immer chaotischeren Verhältnisse unter Kontrolle zu bringen. Damit reagierte die Behörde auch auf den Druck von der Regierung und der Unterhaltungsindustrie in den USA, die den Verdacht hegten, daß die Sender des vierten Kanal Urheberrechtsverstöße begingen, indem sie ohne Genehmigung oder Bezahlung Sendungen aus dem Besitz amerikanischer TV-Stationen bzw. Filmgesellschaften ausstrahlten. Nach vielen intensiv geführten Debatten wurde Taiwans erstes Kabel-TV-Gesetz im August 1993 durch den Legislativ-Yüan verabschiedet.
Nach den Vorstellungen der Regierung sollte das Gesetz in zwei Phasen in Kraft treten. Zunächst wurde die ganze Insel in 51 Kabel-Servicegebiete eingeteilt, in denen mit staatlicher Genehmigung bis zu fünf Kabel-Systemanbieter operieren dürfen. Dann schrieb sie den gesetzlichen Rahmen vor, mit dem schließlich das gesamte Kabelfernsehen in den Servicegebieten geregelt werden sollte. Doch die Regierung mußte erkennen, daß die Durchsetzung eines neuen Regelwerks, wo es vorher keines gegeben hatte, ihre Zeit brauchte. Daher führte sie zunächst vorübergehende Bestimmungen ein, die nur während der Übergangsphase gelten sollen. Das GIO erarbeitete entsprechende Bestimmungen, die Ende 1993 erlassen wurden. Diese befugten die existierenden Anbieter des vierten Kanals, vorerst wie gehabt weiterzuarbeiten - mit anderen Worten bekamen sie eine Atempause. Voraussetzung dafür war allerdings, daß sie sich beim GIO als Kabel-Systemanbieter registrieren ließen und sich eine vorübergehende, bis zu neun Jahre gültige Lizenz besorgten, deren Gültigkeitsdauer von bestimmten Kriterien abhing.
So weit, so gut. Schwierig wurde es erst, als ein Anbieter einen Antrag auf staatliche Anerkennung in vollem Umfang stellte - die Form des Systemanbieters, die laut dem Kabel-TV-Gesetz von 1993 langsam wie bei der Metamorphose von einer Raupe (völlig ungeregelt) zum Schmetterling (mit einem kompletten Regelwerk ausgestattet) aufgebaut werden sollte. Nicht jeder durfte sich bewerben. Um Kabel-Systemanbieter werden zu können, waren ein Grundkapital von mindestens 200 Millionen NT$ (11 Millionen DM), ein umfassendes Betriebskonzept, Programmpläne sowie Gebäude und technische Ausrüstungen erforderlich. Keine leicht zu erfüllenden Anforderungen, doch es gab einen bedeutenden Anreiz: Sobald ein Serviceanbieter die Genehmigung für eines der vorgezeichneten Gebiete erhielt, mußten alle anderen Anbieter mit vorübergehender Lizenz in diesem Gebiet entweder den Betrieb einstellen oder warten, bis sie selbst eine Genehmigung erhielten. Als Preis winkte also die Chance, die Konkurrenz hinter sich zu lassen und mit Vorsprung etwas zu verkaufen, das wie warme Semmeln wegging.
Während der Kabel-TV-Markt nun in diesem gesetzlichen Rahmen heranreift, weitet er sich gleichzeitig auch ständig aus. Es kommt zwar darauf an, welcher Informationsquelle man vertraut, doch wenigstens eine zuverlässige Schätzung aus der Privatwirtschaft für 1995 spricht von einem Marktanteil des Kabelfernsehens von ungefähr 70 Prozent. Das ist weitaus höher als der Anteil von 23 Prozent in Hongkong und der von acht Prozent in Japan. Selbst pessimistischere Quellen haben sich bei der niedrigeren, aber immer noch beeindruckenden Ziffer von 60 Prozent eingependelt. Darüber hinaus stiegen die Einschaltquoten der Kabelkanäle von 28 Prozent im Jahr 1994 bis Ende 1995 auf fast 50 Prozent an.
Unternehmen aus dem In- und Ausland haben das Potential des Privatfernsehens schnell erkannt, und sie haben bereits kräftig darin investiert. Viele Beobachter finden jedoch, daß die Kabelbranche nach zwei Jahrzehnten des ungeregelten Wachstums noch mehr Umstrukturierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen nötig habe, als es das neue Kabel-TV-Gesetz vorschreibt. "Zunächst ist für die Entwicklung ein solides gesetzliches und geschäftliches Umfeld erforderlich", sagt Thomas Yu ( 游守義 ), stellvertretender Präsident von Rebar Tele-Communications Co. und Generalsekretär der Vereinigung für die Entwicklung des Kabelfernsehens. "Wenn das steht, kann eine Marktordnung entstehen. Erst dann werden Unternehmen bereit sein, das für die weitere Entwicklung nötige Kapital sowie Talente und Technologien bereitzustellen."
Andere Branchenkenner fordern einen radikalen Einstellungswandel. Sie weisen darauf hin, daß hier andere Mächte am Werk seien als die rauhen Gesetze des Marktes. "Jetzt sieht die Sache völlig anders aus, denn es gibt Vorschriften zu befolgen", betont Lee Tsu-chen ( 李祖琛 ), Programmdirektor von Hai Sun Union, einem Kabel-Systemanbieter im Landkreis Taipei. "Die Regierung, Kabelkanäle, Kabel-Systemanbieter und auch die Zuschauer müssen alle ihre Rollen und Verpflichtungen auf dem Markt neu definieren."
Viele Kanäle und Systemanbieter sind mit dem Gesetz nicht zufrieden. "Das Kabel-TV-Gesetz hat den Zweck, einen chaotischen Markt in geordnete Bahnen zu lenken, und das ist auch gut so", sagt Lee Tain-dow. "Leider hat man es versäumt, richtungweisende Maßnahmen für die weitere Entwicklung der Branche festzuschreiben. In dem Gesetz ist genau festgelegt, was man tun darf und was nicht und welche Strafen einen erwarten, wenn man gegen die Vorschriften verstößt. Aber von Ermutigungen seitens der Regierung in Form von Steuerbefreiungen oder Investitionsanreizen ist darin nichts zu entdecken."
Auch gibt es Anzeichen für weitere Probleme. Während die Sender und Systemanbieter mit einer Reihe von Bestimmungen im neuen Gesetz nicht einverstanden sind, konzentrieren die meisten von ihnen ihre Kräfte jetzt auf das in der Vorbereitung steckende Satelliten-TV-Gesetz, das ebenfalls beträchtlichen Einfluß auf ihr Geschäft haben wird. Laut dem GIO bedienen zur Zeit 37 auf Taiwan ansässige Satellitenkanäle die Zuschauer auf der Insel. Weitere 15 Sender operieren von außerhalb der Grenzen der Republik China. Im September vorigen Jahres stimmte der Exekutiv-Yüan einem Entwurf für das Satelliten-TV-Gesetz zu, der jetzt auf seine Verabschiedung durch den Legislativ-Yüan wartet. Taiwans Kabelkanäle sind nicht besonders glücklich über die offensichtliche Bevorzugung ausländischer Satellitensender und der drei öffentlichen Sender in dem Gesetzentwurf, die alle uneingeschränkt in das Fernsehen aus dem All investieren dürfen. Dies steht in direktem Kontrast zum Kabel-TV-Gesetz von 1993, das ausländische Investitionen in den Kabelmarkt auf eine indirekte Anteilseignerschaft von maximal 20 Prozent limitiert und Kapitaleinlagen der drei staatlichen Sender völlig verbietet.
Das neue Gesetz wird hingegen eine 100prozentige Anteilseignerschaft ausländischer und staatlicher Sender an Satelliten-TV-Unternehmen auf Taiwan zulassen. Somit kommen auch die Kabel-Systemanbieter leicht an die Programme dieser Kanäle heran und versorgen dann wiederum ihre Kunden damit. Das ist zwar schön für die Kabel-Systemanbieter, aber für die Kabelsender bedeutet es einen Schlag ins Gesicht, denn ihr Geschäft ist es, die Systemanbieter mit Programmen zu versorgen. Die meisten Kunden werden das von finanzstarken ausländischen und staatlichen Sendern produzierte Programmangebot vorziehen, und die Systemanbieter werden dementsprechend vorrangig solche Programme anbieten. Im Endeffekt bedeutet dies, daß die staatlichen und ausländischen Produktionen eine noch stärkere Konkurrenz für die Kabelkanäle darstellen werden als zuvor. "Wir haben nichts gegen einen fairen Wettbewerb", sagt Lee Tain-dow. "Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt die eigenen Kabelsender gegen die viel fortgeschritteneren und erfahreneren ausländischen Satelliten- und hiesigen öffentlichen TV-Sender ins Rennen zu schicken ist, als würde man einen Leichtgewichtboxer gegen einen Schwergewichtler antreten lassen."
Nicht jeder sieht allerdings so schwarz. Für die Regierung ist das neue Satellitenfernsehgesetz eine weitere Möglichkeit der Liberalisierung und Internationalisierung für Taiwans Medienindustrie und ein Beitrag zum Aufbau der Insel zu einem Medienzentrum im asiatisch-pazifischen Raum. Thomas Yu ist überzeugt, daß die Gesetze des freien Marktes sich letztendlich durchsetzen werden und daß die Verbraucher nicht unbedingt alle ausländischen Sendungen mögen werden. Darüber hinaus müssen die Systemanbieter darauf achten, daß sie bei der Auswahl ihrer Programme auch deren Popularität einbeziehen, damit sich die Ausgaben für die Beschaffung lohnen. Dafür geben sie zwischen 20 und 40 Prozent ihrer gesamten Betriebskosten aus. Yu nennt das Beispiel des Senders Asia Business News (ABN), der Schwierigkeiten hatte, für sein Programm Systemanbieter zu finden. "Von der Produktionsqualität her bietet ABN erstklassige Sendungen an", sagt er. "Doch was die Nachfrage angeht, sind die Systemanbieter nicht daran interessiert, eine Menge Geld auszugeben, um einen kleinen Zuschauerkreis zu bedienen."
Vom Satelliten-TV-Gesetz abgesehen hat der Übergang zu einer gesetzlichen Regelung viele Kabel-Systemanbieter finanziell bereits arg strapaziert. In den verwegenen Zeiten des vierten Kanals bestand ihre Grundausrüstung aus einer Satellitenschüssel, Videorecordern, Videobändern, Kabeln und einer Riesenportion Dreistigkeit. "Sie wissen, wie eine Leitung zu installieren und zu benutzen ist", urteilt Lee Tain-dow, "aber man kann nicht von ihnen erwarten, daß sie wissen, wie man ein Netzwerk aufbaut." Die im Laufe von zwanzig Jahren entstandenen Kabelnetze haben die Insel wie wild wachsender Efeu bedeckt. Es wird einen beträchtlichen Aufwand an Zeit, Personal und Geld kosten, um das Durcheinander in Ordnung zu bringen und ein vernünftiges Netz zu installieren. "Ehrlich gesagt sieht es nicht so aus, als wäre [unter den Systemanbietern] irgendjemandem daran gelegen, das Kabelknäuel zu entwirren, für dessen Entstehung zwanzig Jahre ins Land gingen", sagt Andy Pan. "Wir können nur unser Bestes versuchen, um die Vorschriften einzuhalten."
Den Systemanbietern bereiten die gestiegenen Kosten für den Vertrieb ihrer Programmpakete bei weitem das größte Kopfzerbrechen. Bevor es für die Branche eine gesetzliche Regelung gab, drängten sich in einem Servicegebiet manchmal zwanzig oder sogar dreißig Kanal-4-Anbieter. Viele von ihnen machten trotzdem fette Gewinne, weil sie keine Gebühren für Senderechte bezahlten, geringe oder überhaupt keine Produktionskosten hatten und weil sie ihre PR, Werbeaktionen und ihren Abonnentenservice mit minimalem Personalaufwand betrieben. King's Channel gibt laut Andy Pan bis zu acht Millionen NT$ (knapp 346 000 DM) monatlich für die Programmbeschaffung aus. Zum Vergleich: Zu Kanal-4-Zeiten beliefen sich die monatlichen Ausgaben dieses Systemanbieters nur auf 30 000 NT$ pro Monat (1620 DM) für das Ausleihen von Videofilmen. Außerdem waren über 60 Prozent der monatlichen Abonnementsgebühren in Höhe von 700 NT$ (38 DM) für King's Channel Reingewinn. Heute sind für den Anbieter nur noch sieben Prozent der Gebühren Nettogewinn.
Aufgrund der explodierenden Kosten versuchen die Systemanbieter natürlich händeringend, ihre Umsätze zu steigern, von denen die Abonnementsgebühren 90 Prozent ausmachen. Da jedoch so viele Systemanbieter um Marktanteile kämpfen, ist eine Gebührenerhöhung für sie die letzte Rettung. Jeder einzelne braucht eine größere Abonnentenschaft, um die Einnahmen zu steigern und die Betriebskosten auszugleichen. King's Channel benötigt zum Beispiel mindestens 35 000 Abonnenten, um kostendeckend zu arbeiten. Derzeit haben rund 75 Prozent der inselweit 200 Systemanbieter weniger als 30 000 Kunden, davon einige sogar nur ein paar tausend. Eine einfache Rechnung verdeutlicht die Problematik. Laut dem neuen Kabel-TV-Gesetz sind in jedem der 51 Servicegebiete der Insel bis zu fünf Systemanbieter erlaubt. Wenn alle 5,6 Millionen TV-Haushalte auf Taiwan einen Kabelanschluß hätten und auf die maximal möglichen 255 Systemanbieter verteilt würden, hätte jeder nur etwas mehr als 20 000 Abonnenten. Ohne eine beträchtliche Gebührenerhöhung wäre ihr Geschäft unrentabel.
"Als das Kabel-TV-Gesetz entworfen wurde, kamen wir mit der Regierung überein, daß fünf Systemanbieter in jedem Gebiet eine gute Methode wären, um ein Monopol zu verhindern", sagt Andy Pan . "Nach dem ersten Geschäftsjahr erkannten wir, daß fünf zu viele sind." Thomas Yu schlägt der Regierung die Möglichkeit vor, pro Servicegebiet nur noch ein oder zwei Anbieter zuzulassen. Dadurch könnten die personellen und finanziellen Probleme der Branche behoben werden, und die Anbieter könnten den zur Finanzierung ihres Betriebs nötigen Abonnentenstamm bekommen. "Teilen wir uns den Markt", rät er. "Kämpfen wir nicht darum."
Unter den vielen kleineren Systemanbietern tobt der Wettbewerb besonders unbarmherzig. Sie verlangen weitaus niedrigere Gebühren, manche sogar nur 300 NT$ (16 DM) pro Monat. King's Channel konkurriert in einem 190 000 Haushalte umfassenden Servicegebiet mit sieben solcher Billiganbieter. Alle acht haben gemäß dem Übergangsgesetz des GIO Anbieterlizenzen erworben, aber nur drei von ihnen, darunter auch King's Channel, haben einen Antrag auf staatliche Genehmigung in vollem Umfang gestellt. Laut Andy Pan haben die übrigen fünf nicht die Absicht, einen solchen Antrag einzureichen, so daß sie fortfahren, die Umsätze der anderen drei zu schmälern und ihre eigenen Gewinne zu maximieren, bis der erste mit allen Vollmachten ausgestattete Anbieter in dem Gebiet einziehen wird.
Es überrascht also nicht, daß sich schon jetzt die Spreu vom Weizen trennt. Um zu überleben, haben sich viele Systemanbieter zusammengeschlossen. King's Channel ist zum Beispiel das Produkt einer Fusion von elf unabhängigen Systemanbietern und hat 40 000 Abonnenten. Hai Sun Union setzt sich aus fast zwanzig Anbietern zusammen und bedient die südlichen Taipeier Vororte Panchiao und Tucheng. Mit 80 000 Kunden ist Hai Sun Union Taiwans größter Kabel-Systemanbieter.
Um sich über Wasser zu halten, bediente man sich noch anderer Wettbewerbsstrategien. Einige produzieren eigene Sendungen wie Regionalnachrichten, medizinische Ratgeber und Rechtsberatung, bei der die Zuschauer anrufen und live ihre Fragen stellen können. Andere unterstützen karitative Organisationen, um die Verbindung zu den Gemeinden in ihren Servicegebieten zu stärken. "Der Systemanbieter muß sich als verantwortungsbewußtes Mitglied der Gemeinschaft präsentieren", betont Andy Pan. "Ich weiß, es klingt wie eine abgedroschene Phrase, aber ehrlich gesagt ist es unsere einzige Überlebenschance."
Während die Sender und Systemanbieter um Marktanteile kämpfen, bereitet die Richtung, in die sich Taiwans Kabel-TV-Industrie bewegt, vielen Branchenkennern Sorgen. "Die Kabelkanäle sehen sich als reine Sender [nicht als Programmproduzenten]", sagt Lee Tain-dow. "Taiwan schaffte ein Wirtschaftswunder, weil es lernte, wie man sich entwickelt und seine Produkte in die regionalen und weltweiten Märkte exportiert. Wir brauchen Produktionstalente und müssen in der Lage sein, Fernsehprogramme zu exportieren."
Eine Erhebung des Fachbereichs Kommunikationswissenschaften der Fu Jen-Universität über Kabel- und Satelliten-TV-Programme hat ergeben, daß ein Drittel der untersuchten 68 örtlichen Kabelsender ausschließlich einheimische Produktionen anbieten, aber fast die Hälfte überhaupt keine solchen Programme bringen. Von 119 befragten Systemanbietern gaben die meisten an, daß sie nicht einmal drei Stunden täglich mit ihren Eigenproduktionen füllten. Und dieses eher dürftige Angebot besteht größtenteils aus Billigproduktionen wie Talkshows, Diskussionssendungen mit Zuschauertelefon, Nachrichten, Teleshopping und Unterhaltungssendungen.
Des weiteren meinen viele Medienexperten, daß der Markt von kurzfristigen Interessen dominiert werde. Im Dezember letzten Jahres widmete die Branche zum Beispiel fast alle Eigenproduktionen den Parlamentswahlen. Wahlspots machten einen großen Teil des über die Kabelkanäle gesendeten Material aus. Die Sender schlugen daraus zweifelsohne ihr Kapital in Form erheblich erhöhter Umsätze, aber viele Marktbeobachter bezweifeln, ob diese Erfahrung Taiwans Kabelfernehen auf internationaler Ebene vorangebracht hat. "Waren auch ausländische Zuschauer interessiert? Haben diese Sendungen unsere Produktionsqualität verbessert?", fragt Lee Tain-dow. "Für die meisten Zuschauer im Ausland sind unsere Wahlen von geringem Interesse."
Lee erklärt weiterhin, daß die schlechte Produktionsqualität ein unvermeidliches Nebenprodukt von zwei Jahrzehnten der ungezügelten Entwicklung der Branche seien. Vor der geetzlichen Regelung produzierten die Anbieter des vierten Kanal keine eigenen Sendungen und benötigten folglich auch keine Studios, Ausrüstung, Schauspieler oder Produktionspersonal. Obwohl jetzt einige Kabelkanäle und Produktionsfirmen auf diesem Gebiet investieren, erleben sie auch, daß die immer größer werdende Zahl der Kanäle zu einem gravierenden Mangel an qualifizierten und talentierten Arbeitskräften geführt hat. Ein paar von ihnen haben es geschafft, dem Trend ein Schnippchen zu schlagen. Rebar Tele-Communication hat eine Produktionsleiter und Regisseure beispielsweise von den drei Staatssendern abgeworben. "Ursprünglich konnten wir uns Talente dieses Kalibers nicht leisten, und erfahrene Leute waren an der Arbeit in einer so unausgereiften Branche nicht interessiert", gibt Thomas Yu zu. "Jetzt aber haben wir einen soliden Ruf, einen Plan für unsere zukünftige Entwicklung und das Geld für qualifizierte Mitarbeiter." Lee Tain-dow hebt jedoch hervor, daß es sich dabei tatsächlich nur um eine Umverteilung der existierenden Ressourcen handele. Wie er meint, könne man der Lage nur durch Investitionen in die Ausbildung neuer Talente Herr werden.
In der Kabel-TV-Branche ist man sich einig, daß es noch einen langen Weg zurückzulegen gilt, bevor man zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für ausländische Medienunternehmen werden kann. Doch selbst wenn die Firmen der Branche expandieren und die nötigen Talente anwerben wollten, woher sollen sie dafür das Geld nehmen? Die Antwort muß lauten: von den Abonnenten. Und warum nicht?! "Vergleichen Sie nur die Kosten für einen Kinoabend mit denen für die zahllosen Filme im Kabelfernsehen", sagt Andy Pan. "Finden Sie das fair?" Viele Systemanbieter teilen Pan's Ansicht, obwohl die Abonnenten die Dinge verständlicherweise in einem etwas anderen Licht sehen. In dem heillosen Durcheinander sind noch keine Anzeichen für eine Entwirrung zu entdecken, und bei so vielen Händen, die an den verschiedenen Kabelenden ziehen, versucht man in der Branche nach Kräften, eine gemeinsame Grundlage zu finden. "Das Fundament des Marktes sollte eine kooperative Beziehung zwischen dem Gesetzgeber, den Kabelkanälen, den Sysemanbietern und den Abonnenten sein", meint Lee Tsu-chen von Hai Sun Union. "Es scheint aber zwischen ihnen keinen Konsens zu geben. Auf uns kommen noch viele große Konflikte zu."
(Deutsch von Christiane Gesell)