Obwohl die Zeiten sich ändern, ist ein Besuch auf einem traditionellen Nachtmarkt nach wie vor ein Vergnügen und für Touristen eine beliebte Methode, eine Abendmahlzeit einheimischer Art zu bekommen.
Attraktionen wie das Nationale Palastmuseum, der Wolkenkratzer Taipei 101, die Nationale Demokratie-Gedächtnishalle Taiwan (ehemals Chiang Kai-shek-Gedächtnishalle) oder der Taroko-Nationalpark haben Touristen aus der ganzen Welt zu einem Besuch in Taiwan veranlasst. Doch vielleicht ist es keine so große Überraschung, dass der größte einzelne Besuchermagnet der Insel die Nachtmärkte sind.
Kein Zweifel, zwischen 2003 und 2006 standen laut einer jährlichen Studie des Tourismusamtes Taiwan Nachtmärkte ganz oben auf der Liste von Touristenzielen, die Ausländer gern besuchten. Gemäß den Ergebnissen der Studie gingen 41 Prozent aller ausländischen Touristen auf einen Nachtmarkt, 27 Prozent fuhren zum Nationalen Palastmuseum, 25 Prozent zu Taipei 101 und 21 Prozent zur Nationalen Demokratie-Gedächtnishalle Taiwan. Unter den fraglichen Nachtmärkten schoss der Shihlin-Nachtmarkt in Taipeh mit 34 Prozent der ausländischen Besucher den Vogel ab, gefolgt vom Liuho-Nachtmarkt in Kaohsiung (4 Prozent).
Was ist der Grund dafür, dass Taiwans Nachtmärkte nicht nur für die lokalen Anwohner, sondern auch für ausländische Besucher etwas sind, das man gesehen haben muss?
Taiwans Nachtmärkte sind in erster Linie Ansammlungen von kleinen Ständen und Straßenhändlern, die eine Vielzahl lokaler Delikatessen feilbieten, kleine Happen, Getränke, Süßigkeiten und reguläre Mahlzeiten. Viele der Erwerbstätigen dort sind seit Jahrzehnten im Geschäft und brüsten sich damit, bei ihren traditionellen Originalrezepten geblieben zu sein.
Zur Hauptgeschäftszeit, wenn auf den Nachtmärkten so richtig was los ist, müssen die Kunden sich vor ihren Lieblingsständen um einen Platz drängeln und eventuell auch einen Tisch mit Fremden teilen, wenn sie eine Mahlzeit im Sitzen einnehmen wollen. Die Händler lassen bei der Präsentation ihrer Ware eine große Sorgfalt walten und legen Fleisch, Meeresfrüchte und Gemüse offen aus, um hungrige Passanten anzulocken.
Abgesehen von Speisen und Getränken ist auf den meisten Nachtmärkten eine große Vielfalt von Waren zu haben. Von Accessoires, Kleidung, Schuhen, Spielzeug und CDs bis zu Antiquitäten und Kunsthandwerk gibt es fast alles. Das meiste davon wird zu relativ niedrigen Preisen verkauft, die man durch Feilschen zuweilen noch runterhandeln kann.
Die Verkäufer setzen unterschiedliche Mittel ein, um die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden auf sich zu lenken, darunter grelle Beleuchtung, laute Musik oder auffällige Dekoration an der Vorderfront von Läden und Ständen. Manche stehen auf Stühlen und brüllen ihre Verkaufssprüche in ein Megaphon. Viele platzieren ihre Karren eng aneinander oder breiten ihre Waren auf dem Boden aus und sorgen so dafür, dass die Kunden sich an ihren Ständen vorbeiquetschen müssen und währenddessen einen guten Blick auf das Verkaufsangebot werfen können.
Auf den Nachtmärkten herrscht eine Atmosphäre wie beim Karneval, was oft durch die Anwesenheit von Wahrsagern komplettiert wird, und es gibt Läden, die eine Kurzmassage bieten, Vorstellungen in kleinen Schaubuden und Straßenkünstler, die einen Einkaufsbummel in eine Nacht voller Unterhaltung verwandeln.
Wie die Einheimischen
“Die Menschen besuchen Nachtmärkte, um zu essen, einzukaufen oder einfach, um zu bummeln und dabei die erregende Atmosphäre -- manche sagen auch ‘Chaos’ -- zu genießen”, beschreibt Yu Shuenn-der, Wissenschaftler an der Academia Sinica. “Ihre große Beliebtheit ist ein Zeichen für ihre Bedeutung als kulturelle, wirtschaftliche und soziale Institution.”
Obwohl die Position der Nachtmärkte wegen ihrer “Unordnung” an den gesellschaftlichen Rand gedrängt wird, scheint sich ihre symbolische Bedeutung als kulturelle Institution im Laufe der Zeit zu erhöhen, so Yu.
“Immer mehr Nachtmärkte werden als wichtige Symbole für Taiwans verbliebene volkstümliche Kultur herausgehoben”, doziert er. “Sie sind für die Taiwaner neben Tempeln, lokalen Museen und älteren Stadtvierteln zu typischen Stätten geworden, wo sie ihren ausländischen Gästen eine ‘authentische’ Erfahrung der Lokalkultur vermitteln können.”
Im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Rolle hingen die Nachtmärkte mit dem einheimischen produzierenden Gewerbe zusammen, was vor allem zwischen den siebziger und neunziger Jahren der Fall war, da die dort verkauften Waren in der Regel auf der Insel hergestellt worden waren. Damals waren die Nachtmärkte wichtige Verkaufskanäle für Taiwans kleinere und mittlere Unternehmen.
Auf dem Liuho-Nachtmarkt wird die quirlige Atmosphäre durch Straßenkünstler bereichert. (Foto: Courtesy Management Committee for the Liuho Night Market)
Heute dienen die Nachtmärkte als wichtiger Puffer zwischen der “richtigen” Wirtschaft und der informellen Wirtschaft, und sie bieten Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen, die keine regulären Jobs finden können. Die auf Nachtmärkten angebotene Ramschware kommt indes heute meist aus Fabriken in China, Vietnam oder Südkorea, da Taiwan bei der Herstellung von Billigprodukten seinen Wettbewerbsvorteil eingebüßt hat.
“Die Veränderungen bei der Handelsware auf den inländischen Nachtmärkten im Hinblick auf ihren Herkunftsort drückt Taiwans industriellen Wandel aus und zeigt die Auswirkungen der Globalisierung”, definiert Yu. “Heute kann man erfahren, was die internationalen Modetrends in anderen Teilen Asiens sind.”
Nach Yus Worten greifen die taiwanischen Geschäftsleute neue Trends rasch auf, und Nachtmarkthändler bieten nicht nur schnell modische Artikel für den lokalen Markt an, sondern verhökern auch noch veränderte Designs, die “poppiger” gemacht wurden, selbst wenn man dabei gelegentlich über das Ziel hinausschoss. So nehmen Nachtmarktverkäufer beispielsweise ein Imitat eines Rockdesigns aus Tokyo, das sich dort bestens verkauft, in ihr Sortiment auf, machen den Rock aber kürzer und das Band daran breiter sowie lassen eine größere Auswahl an Farben fabrizieren.
Internationale Einflüsse
Entsprechend lassen sich solche internationalen Einflüsse auch bei den angebotenen Esswaren erkennen. Neben taiwanischen Snacks sind chinesische Teigbällchen, Rindersteaks amerikanischer Art, vietnamesische Frühlingsrollen sowie japanisches Teppanyaki und Reiskuchen auf Taiwans Nachtmärkten zu gewöhnlichen Optionen geworden. Oft werden jedoch manche der Zutaten, Saucen und Zubereitungsmethoden an den einheimischen Geschmack angepasst.
Beispiel Steak. Früher galten Steaks als teuer und “exotisch” und waren nur in westlichen Spitzenrestaurants zu haben. Mitte der siebziger Jahre begannen jedoch ein paar Händler, billige Steaks auf Nachtmärkten zu verkaufen, und bald wurde das Gericht auf der ganzen Insel zum Verkaufsschlager.
Wie in westlichen Restaurants wird auch die taiwanische Variante mit zusätzlichen Gängen wie Suppe, Brot und einem Getränk serviert. Anders wiederum sind die Nudeln und das Gemüse, die gemeinsam mit dem Fleisch auf einem heißen gusseisernen Teller angerichtet werden, wobei unmittelbar vor dem Servieren ein rohes Ei auf die brutzelnde Speise geschlagen wird.
Die 50-jährige Chuang Su-yueh verkauft seit 30 Jahren auf dem Shihlin-Nachtmarkt Steaks und behauptet stolz von sich, eine der führenden Händlerinnen dort zu sein. “Am Anfang, als ich mein Geschäft aufbaute, überlegte ich lediglich, dass ich etwas Besonderes anbieten wollte, und da kamen mir Steaks in den Sinn”, erinnert sie sich. “Ich nahm ein paar Anpassungen am Aroma, an der Zubereitung und am Preis vor, und jetzt läuft das Geschäft gut.”
Chuang sagt, ihre Steaks, die in Scheiben zu jeweils einer Unze (28 Gramm) Gewicht serviert werden, sind nicht schlechter als die, welche man in regulären Steakhäusern vorgesetzt bekommt. Dagegen kosten sie nur 150 bis 250 NT$ (3,19--5,32 Euro), so dass sie auch für junge Leute erschwinglich sind, darunter Studierende, ihre Hauptkundschaft.
Unterdessen sind in den letzten Jahren immer mehr Ausländer bei Chuang eingekehrt. Konsum durch Ausländer macht heute ein Drittel ihres Geschäftes aus, so Chuang. “Mein Koch spricht Japanisch”, prahlt sie und ergänzt mit einem schüchternen Lächeln: “Was mich selbst betrifft, so weiß ich, dass ich eine Fremdsprache lernen sollte, aber ich denke, dafür bin ich zu alt. Nichtsdestoweniger sind diese Touristen alle sehr nett. Wir verständigen uns mit Handzeichen und Körpersprache.”
Ebenso unterhält Dai Li-yu, die über vierzig ist, seit etwa 30 Jahren einen Stand auf dem Shihlin-Nachtmarkt. Im Angebot sind vor allem Austernomelettes und im Wok frittierter Tintenfisch, der in einer dicken Suppe serviert wird.
“Die Rezepte für diese Speisen habe ich von meinem Opa”, berichtet Dai, die in dritter Generation auf dem Nachtmarkt arbeitet. “Ich denke, dass diese Art von traditionellem Aroma die Kunden anlockt und wir dadurch im Geschäft bleiben können. Für eine größere Vielfalt habe ich jedoch unser Angebot diversifiziert und nun Reisspeisen und verschiedene Arten von Nudelgerichten ins Menü aufgenommen. Und bei den Omelettes können die Kunden auch Garnelen oder Tintenfisch auswählen, wenn sie keine Austern mögen.”
Dai hat festgestellt, dass immer mehr Ausländer ihren Stand besuchen, vor allem aus Japan und Südostasien. Es kamen sogar Reisegruppen mit Führer vorbei, und sie fertigte aufgrund der neuen Nachfrage Speisekarten auf Japanisch und Englisch an.
Viele Nachtmarkt-Händler traditioneller Delikatessen wie Austernomelettes sind stolz darauf, ihren Originalrezepten treu geblieben zu sein.
Berühmte Delikatessen
Nach den Worten von Lin Tien-lai, dem Vorsitzenden der Selbstverwaltungsorganisation des Shihlin-Nachtmarktes, sind die Leckerbissen, für die der Nachtmarkt berühmt ist, vor allem Austernomelettes, in Reis verpackte Würstchen, extragroße Hühnerstücke, Steaks, gebratene japanische Fischkuchen sowie “kleines Brötchen im großen Brötchen” -- ein kleines Brötchen mit einer süßen Füllung oder Bohnenkrautfüllung, das frittiert und dann zerquetscht wird, um anschließend in eine weiche äußere Schicht eingewickelt zu werden. Außerdem gibt es auf dem Nachtmarkt eine große Auswahl an Fruchtsäften und Perlen-Milchtees.
Lin erläutert, dass der Shihlin-Nachtmarkt im Prinzip sieben Tage die Woche rund um die Uhr offen ist: Von zwei Uhr morgens bis mittags dient er als Markt für Frischwaren wie frisches Fleisch, Meeresfrüchte, Obst und Gemüse, von zwei Uhr nachmittags bis halb zwei in der Frühe werden gekochte Speisen und Snacks feilgeboten.
Zur Zeit sind auf dem Nachtmarkt fast 540 Stände in Betrieb. Die Zahl der täglichen Besucher wird unter der Woche auf 30 000 geschätzt und steigt an Wochenenden und Feiertagen auf 50 000. Oft kann man in der Gegend ganze Flotten von Reisebussen sehen.
Lin schreibt die Beliebtheit des Nachtmarktes der großen Auswahl von Speisen, Handelsware und Unterhaltungsmöglichkeiten zu, die nicht viel kosten und mit schnellem Service verfügbar sind. Daneben hat die Inbetriebnahme der Schnellbahnstation am Nachtmarkt Shihlin im Jahre 1997 eine bequeme Verkehrsanbindung geschaffen und so die Besucherzahlen gesteigert.
“Für vielleicht 200 NT$ (4,25 Euro) kann man sich an vielen verschiedenen Snacks erfreuen und mit einem vollen Magen nach Hause gehen”, wirbt Lin. “Dazu bekommt man sein Essen schnell, da die meisten Händler sehr erfahren sind. Und wenn man modische Klamotten oder ungewöhnliche Artikel sucht, ist man auf unserem Nachtmarkt an der richtigen Adresse.”
Lin fügt hinzu, dass der gegenwärtige Bau, in dem die Stände für Esswaren untergebracht sind, durch eine neue Einrichtung ersetzt wird, die momentan in Bau ist und im Jahre 2010 fertig werden soll. Der Neubau wird mit verbesserter Lüftung, besseren sanitären Anlagen und besserer Beleuchtung ausgestattet sein, außerdem mit Parkmöglichkeiten, so dass die Besucher die angebotenen Speisen in einem angenehmeren Umfeld probieren können.
Entsprechend arbeitet auch ein anderer beliebter Nachtmarkt, der Liuho-Nachtmarkt im südtaiwanischen Kaohsiung, an einer Verbesserung seiner Umgebung im Hinblick auf sanitäre Einrichtungen, Marktordnung und Besuchersicherheit.
Im Jahre 1987 erklärte die Stadtverwaltung Kaohsiung eine “Marktaktivitäts-Zone” von etwa 380 Metern zwischen 6 Uhr nachmittags und 2 Uhr früh zum Fußgängerbereich, so dass während dieser Zeit das Befahren der Zone mit Mopeds und Autos verboten ist. Tag für Tag werden an den Straßenrändern dort die Marktstände aufgebaut.
Verbesserungen
Die Stadtverwaltung arbeitet seit 2003 auch mit dem Verwaltungskomitee des Liuho-Nachtmarktes zusammen, um eine Reihe von Reformen einzuleiten, darunter die Installierung von Beleuchtung, Beschilderung, Systemen für Recycling und Abwasseraufbereitung sowie Erneuerung des Straßenbelags. Dazu empfiehlt sie den Händlern, Uniformen und Mützen zu tragen, und sie bietet entsprechende Schulung über Umgang mit Nahrungsmitteln und Hygiene. Infrastrukturprojekte wie Toiletten, Parkplätze und ein Touristeninformationszentrum wurden gleichfalls gestartet.
Laut Chan Chin-han, Berater im Verwaltungskomitee des Nachtmarktes, erfreut sich der Nachtmarkt dank der zentralen Lage und der Nähe zum Bahnhof Kaohsiung (zehn Minuten zu Fuß entfernt) eines munteren Geschäfts. Chan rechnet damit, dass die Eröffnung der MRT-Schnellbahnlinien in Kaohsiung mehr Geschäftsgelegenheiten für den Markt schaffen wird.
“Wir waren früher vor allem für die lokalen Anwohner da”, erläutert er. “Doch unsere jüngsten Studien zeigen, dass Leute von außerhalb 70 Prozent der Kundschaft ausmachen. Die laufende Verbesserung der Sehenswürdigkeiten von Kaohsiung, darunter der Love River, der Fischereihafen Chijin und der Lotus-See, trug dazu bei, mehr Touristen in unsere Stadt und damit auch zu unserem Nachtmarkt zu locken. Daneben haben wir viele Veranstaltungen wie Fressmessen, Straßenvorstellungen und Marketingkampagnen organisiert, um die Zahlen zu steigern.”
Derzeit sind 196 Stände in Betrieb, etwa die Hälfte davon bieten Essbares an. Unter den bekannten Delikatessen im Angebot sind Reissuppe mit Meeresfrüchten, Papayamilch sowie Rippchensuppe mit chinesischen Heilkräutern. Außerdem gibt es in Liuho ein paar internationale Nahrungsmittel wie türkische Eiscreme und mexikanische Tortillas.
Der 55-jährige Chuang Chi-chang verkauft seit 34 Jahren Reissuppe mit Meeresfrüchten auf dem Nachtmarkt. Die von ihm zubereitete Reissuppe ist mit fünf verschiedenen Arten von Meeresfrüchten erhältlich -- Austern, Muscheln, Krebse, Garnelen und Tintenfisch -- und kostet 90 NT$ (1,91 Euro) pro Portion. Jeden Tag kommen rund 2000 Kunden, und er beschäftigt 10 Assistenten.
Meeresfrüchte-Reissuppe je nach Wahl mit Austern, Muscheln, Krebsen, Garnelen oder Tintenfisch kostet keine zwei Euro.
“Da Kaohsiung eine Hafenstadt ist, kann ich jederzeit einen frischen Fang bekommen und schmackhafte Speisen anbieten, so dass die Kunden gerne wiederkommen”, freut er sich. “Manche sind sogar bereit, im Stehen zu essen, wenn alle Tische besetzt sind. Gleichzeitig sind das wachsende Fremdenverkehrsgewerbe und die Inbetriebnahme der Hochgeschwindigkeits-Eisenbahn ebenfalls gut fürs Geschäft.”
Zheng Po-tzu, 74 Jahre alt, verkauft seit über vierzig Jahren auf dem Nachtmarkt frischen Fruchtsaft. Sein meistverkauftes Produkt ist Papayamilch zu 50 NT$ (1,06 Euro) den Becher. Neben riesigen Stapeln sauber gewaschener Früchte in der Auslage ist sein Stand mit den Fotos und Autogrammen vieler Berühmtheiten geschmückt.
“Frische, gutes Aroma und Sauberkeit sind meine Hauptregeln im Geschäft”, behauptet er. “Wenn unser Zeug gut genug ist, sind die Kunden auch bereit, zu zahlen und Schlange zu stehen. Außerdem behandle ich die Kunden wie Freunde.”
Nach 44 Jahren Erfahrung im Geschäft kann Zheng nur durch Anschauen erkennen, ob eine Frucht frisch und saftig ist. Er weiß auch, welche Sorten das beste Aroma besitzen, er kann ihren Zuckergehalt schätzen, und bei den Zutaten ist er nicht knauserig.
“Ich verwende braunen Zucker, nicht den billigeren weißen Zucker, und koche ihn stundenlang”, erzählt er zufrieden. “Ich nehme außerdem niemals Milch, die vom Vortag übrig blieb. Dies alles, zusammen mit frischen Früchten, ist das Rezept für meinen geschäftlichen Erfolg. Dank dieses Standes konnte ich meine vier Kinder großziehen, und heute haben sie alle eine gute Stelle als Beamte.”
Authentisches Aroma
Lutfi Kuyucu aus der Türkei, der mit einer Taiwanerin verheiratet ist, begann vor sechs Jahren damit, auf dem Liuho-Nachtmarkt Eiscreme zu verkaufen. Er ist ein witziger Typ und tanzt oft zu der türkischen Musik, die er an seinem Stand laufen lässt.
“Ich komme aus der türkischen Provinz Kahmaranmaras, wo die berühmteste kulinarische Spezialität Eiscreme ist”, sagt er. “Ich weiß, wie man die Eiscreme herstellt, und ich habe dieses Geschäft mit der Absicht aufgezogen, den guten Geschmack mit anderen zu teilen. Um das authentische Aroma zu bewahren, importiere ich neben Kochutensilien aus meiner Heimat sahlep, aus Orchideen hergestellt.”
Türkische Eiscreme wird für gewöhnlich in drei Geschmacksrichtungen angeboten -- Ziegenmilch, Schokolade und Zitrone. Nach Untersuchung des lokalen Marktes setzte Kuyucu schließlich fünf Sorten auf die Karte: Kuhmilch, Schokolade, Passionsfrucht, Erdbeere und Taro.
Zweifellos macht die Verfügbarkeit von leckeren Delikatessen aus verschiedenen Orten sowohl in Taiwan als auch im Ausland einen großen Teil des Reizes der einheimischen Nachtmärkte aus. Gleichzeitig wurden viele von ihnen umgebaut und sind nun sauberer geworden und besser organisiert.
Ein gutes Beispiel dafür ist der Nachtmarkt Huasi Street unweit des Lungshan-Tempels in Taipeh. Der 1987 renovierte Nachtmarkt hat 188 Stände, die hell erleuchtet sind und beide Seiten einer überdachten, 352 Meter langen Fußgängerpassage säumen. Der Eingang zum Nachtmarkt ist mit einem bunten Monumentalbogen im traditionellen chinesischen Baustil versehen. Huasi Street war der erste Nachtmarkt Taiwans, der für den Bedarf ausländischer Touristen vorgesehen war.
“Reis mit geschmortem Schweinefleisch, Reispudding, knuspriges Hühnchen, Schweinefleisch-Dampfnudeln, Stinktofu, Sushi, Frikadellen taiwanischer Art, Austernvermicelli... Alles, was man sich wünschen kann, haben wir hier”, verkündet Yu Po-sung, Vorsitzender des Einkaufskreisverbandes Huasi Street. “Gleichzeitig haben über 90 Prozent unserer Köche eine Lizenz und belegen regelmäßig Kurse im Bereich Umgang mit Nahrungsmitteln. All dies, gemeinsam mit einem sauberen Speiseumfeld, ist der Grund dafür, dass wir häufig die Ehre haben, ausländische Würdenträger als Gäste zu empfangen.”
Früher war der Huasi Street-Nachtmarkt -- auch unter dem Namen “Snake Alley” (Schlangengasse) bekannt -- ein Rotlichtbezirk und berühmt-berüchtigt für den Verkauf von Schlangengerichten einschließlich Schlangenwein, der angeblich wie ein Aphrodisiakum wirken soll. In den letzten Jahren haben wegen des Verbots der Prostitution in Taipeh und der Umsetzung von Wildtier-Schutzgesetzen solche “lokalen Merkmale” an Bedeutung verloren. Heute sind nur noch einige wenige Schlangenläden übrig, und die Schlangen werden zumeist von Zuchtfarmen verkauft und dürfen nicht öffentlich geschlachtet werden.
“Entsprechend dem Vorurteil, das viele Ausländer von Taiwans Nachtmärkten haben, stellen sie sich die Nachtmärkte als schmutzig, chaotisch und übelriechend vor”, glaubt Yu von der Huasi Street. “Wir bemühen uns, das zu verbessern, indem wir ein schönes Umfeld schaffen.Hoffentlich kann unser Markt eine beliebte kulturelle Sehenswürdigkeit für Touristen werden, die Taiwans typische Esskultur oder einfach einen Ort vorführt, wo man sich entspannen kann, wenn man einen schönen Abend haben will.”
(Deutsch von Tilman Aretz)