Zwei Generationen der Chen-Familie arbeiten gemeinsam daran, dass ein vor 50 Jahren ersonnenes Schweinefleischprodukt weiterhin ein Spitzenerzeugnis bleibt.
Das Nahrungsmittelunternehmen Tzu Wei Chen Food Co. Ltd. hat seinen Sitz in der südtaiwanischen Stadt Tainan, und sein Name ist den meisten Verbrauchern sicher nicht vertraut. “Black Bridge”(黑橋), das Warenzeichen und der Markenname der Firmenprodukte, ist dagegen in Taiwan zu einem Synonym für Würste geworden. Seit mehreren Jahrzehnten nun schon bilden sich vor jedem traditionellen Feiertag lange Schlangen vor den Black Bridge-Filialen, wenn die Kunden sich auf das Aroma der berühmten Würste freuen.
Die Legende Black Bridge fing vor gut 50 Jahren an, als Chen Wen-hei neben einer asphaltgedeckten Holzbrücke über den Tainan-Kanal einen winzigen Imbiss-Stand aufstellte. Wie die meisten Menschen seines Alters arbeitete der heute 76-jährige Chen damals in allen möglichen Jobs, um nach Abschluss der Volksschule seine Familie zu unterstützen. Mit 16 Jahren begann er in einem Fleischverarbeitungsbetrieb in Tainan zu arbeiten. Nach zwei Jahren dort hatte er die Tricks des Gewerbes gelernt und machte seinen eigenen Laden neben der “schwarzen Brücke” auf, und er widmete sich der Herstellung von Schweinehack und Dörrfleisch.
Chens Unternehmen wurde durch seinen Pflichtwehrdienst unterbrochen, doch kurz nachdem er 1957 seine Verpflichtungen den Streitkräften gegenüber erfüllt hatte, kehrte der nun 25-jährige Chen zur schwarzen Brücke zurück und machte einen weiteren Laden auf, der Schweine-Trockenfleisch für den Großhandel produzieren sollte. Für die Herstellung war keine aufwändige Ausstattung erforderlich -- das Schweinefleisch wurde erst in einem Ofen erhitzt und dann fein gehackt. Zwar konnte er mit langen Arbeitszeiten genug verdienen, um seine Familie zu unterstützen, doch kam das Geschäft wegen der schlechten Wirtschaftslage nicht recht in Schwung. Unerschrocken suchte Chen nach einem Produkt, das ihm den Durchbruch bringen sollte. Die Erleuchtung kam, als ihm auffiel, dass alle Produkte auf dem damaligen Wurstmarkt trocken und salzig waren. Chen witterte eine Gelegenheit und machte sich mit seiner Frau Lin Jhu ans Werk, um einen Weg zur Verbesserung der traditionellen Wurst zu finden.
Saftig und geheim
Robert Chen ist das jüngste von Chen Wen-heis vier Kindern und heute stellvertretender geschäftsführender Direktor von Black Bridge. Nach seinen Worten wurden traditionelle Würste durch Trocknen und Salzräuchern konserviert, da Kühlschränke noch nicht verbreitet waren. Den Markttrends zum Trotz machte Chen senior sich daran, eine innovative neue Wurst zu schaffen. Er bestand darauf, nur die frischsten Stücke von Schweine-Hinterbeinen zu verarbeiten, und hielt sich an eine goldene Regel, 70 Prozent mageres Fleisch und 30 Prozent Fett zu verwenden. Anstatt das Fleisch zu trocknen und zu salzen, entwickelte Chen Wen-hei eine gesetzlich geschützte Pökelmethode, um das Fleisch saftig und feucht zu halten. Eine geheime Gewürz- und Kräutermischung wurde zusammengestellt, welche der Wurst ein einzigartiges Aroma verleiht. Obendrein lehnte er es ab, Füllmaterialien zu benutzen, mit denen andere Hersteller die Masse ihrer Produkte vergrößern und gleichzeitig die Kosten senken.
Chen Wen-heis neue Wurst war zwar immer noch aus Schweinefleisch, doch sie war sofort ein Erfolg. “Sie können sich vorstellen, wie die Dinge aufgemischt wurden, als eine süße und saftige Wurst aus frischem Schweinefleisch auf den Markt kam”, schmunzelt Robert Chen. “Die traditionelle trockene und salzige Wurst wurde sofort verdrängt, und Black Bridge wurde das beliebteste Produkt auf dem Markt.” Zwar hatte der kleine Betrieb noch nicht einmal einen Namen, doch wusste bald jeder in Tainan, dass man zum “Laden neben der schwarzen Brücke” gehen sollte, wenn man Würste brauchte.
1963 zog Chen Wen-hei mit seinem Geschäft in die Haian Road um, den geschäftigsten Marktplatz der Stadt. Sechs Jahre später war die Nachfrage so groß geworden, dass er die Produktionsstätte zwei Mal verlegen musste und schließlich 1979 am heutigen Standort im Anping-Industriegebiet von Tainan landete.
Der Ruf von Black Bridge verbreitete sich, und die Würste wurden zu einem beliebten “Souvenir” für Touristen, die zu Besuch nach Tainan kamen. Ab der zweiten Hälfte der sechziger Jahre wollten sich immer mehr Touristen nach Besichtigung der historischen Stätten der Stadt vor der Heimfahrt einen Abstecher zur schwarzen Brücke nicht nehmen lassen. Den Ansturm der Touristen zu bewältigen war nicht immer einfach, denn alle halbe Stunde trafen Busse mit 40 Insassen ein. In einer Zeit, in der es noch keine Taschenrechner gab, mussten die Angestellten von Black Bridge die blühenden Verkäufe mit Hilfe eines Abakus abrechnen.
Verbriefte Qualität
Der Schwerpunkt von Black Bridge auf Produktqualität hat dafür gesorgt, dass das Unternehmen beständig gedieh. Seit 1987 tragen alle Fleischprodukte von Tzu Wei Chen das Agrarstandards-Gütesiegel “Certified Agricultural Standards” vom Landwirtschaftsrat (Council of Agriculture, COA). Im Jahre 2002 erhielt die Fabrik ein Zertifikat für die Einhaltung der Standards “Gefährdungsanalyse und kritische Lenkungspunkte” (Hazard Analysis Critical Control Point, HACCP), ein in ternational anerkanntes System von Kriterien, mit dem Hygiene und Sicherheit bei der Nahrungsmittelproduktion gewährleistet wird.
Robert Chen findet, dass Black Bridges Erfolg neben seinem Ruf guter Qualität auch viel der schnellen Wirtschaftsentwicklung in Taiwan zu verdanken hat, die zu einer größeren Kaufkraft und Verbreitung von Kühlschränken in Haushalten führte, wodurch man frisches Fleisch aufbewahren konnte.
Nach mehreren Erweiterungen hat Black Bridges automatisierte Fabrik heute eine Fläche von rund 10 000 Quadratmetern. Das Unternehmen betreibt 14 Verkaufsfilialen in Taipeh, Taichung, Tainan und Kaohsiung, und in anderen Städten gibt es 10 Vertragsläden. Black Bridge beschäftigt 160 Arbeitnehmer in der Produktion, 40 für Verwaltung und Logistik, außerdem gibt es 100 Verkaufskräfte in den Geschäften. Die Firma produziert und verkauft jedes Jahr über 4000 Tonnen Wurstwaren, was sie zu Taiwans führender Wurstmarke macht. Zwar sind exakte Zahlen nur schwer zu bekommen, doch Marktbeobachter schätzen, dass Black Bridge etwa 50 Prozent des einheimischen Wurstmarktes kontrolliert.
Nach Angaben der Marketingmanagerin von Black Bridge, Frances Yeh, macht das Wurstangebot der Firma 90 Prozent ihrer Einkünfte aus, die restlichen 10 Prozent kommen von anderen Produkten wie Trockenschweinefleisch und sonstigen Erzeugnissen aus der Rind- und Schweinefleischverarbeitung. Obwohl viele Waren der Konkurrenz in Supermärkten zu haben sind, gibt es abgesehen von Kühlwürsten und Kühlschinken von Black Bridge die Produkte der Firma ausschließlich in den eigenen Verkaufsfilialen und Vertragsläden des Unternehmens. Yeh erläutert, dass in Supermärkten Fleischprodukte eine Haltbarkeit von 360 Tagen haben müssen, doch bei der aktuellen Technologie und dem Verzicht auf künstliche Konservierungsstoffe halten sich die Waren von Black Bridge nur 180 Tage. “Wenn wir, um unsere Produkte in die Regale von Supermärkten zu kriegen, Konservierungsstoffe verwenden oder die Qualität sonstwie einschränken müssten, dann müssen wir ohne Supermärkte zurechtkommen”, verkündet sie.
Ein Vertrauensvotum
Der Weg von Black Bridge zum Erfolg war nicht immer glatt. Einer der schwersten Schläge, den Taiwans Fleischmarkt hinnehmen musste, war der Ausbruch der Maul- und Klauenseuche Mitte der neunziger Jahre. “Monatelange war es praktisch so, dass niemand mehr Schweinefleisch aß”, berichtet Chen Shih-wei, Sektionschef in der Produktionsmanagement-Abteilung von Black Bridge. “Unsere Produktion sank auf etwa ein Zehntel der normalen Menge.” Doch laut Robert Chen war die Störung durch die Maul- und Klauenseuche langfristig für das Unternehmen sogar hilfreich. “Die Leute sind wohl für eine Weile verunsichert, doch man kann Schweinefleisch nicht für ewig vom Speiseplan streichen”, versichert er. “Wenn sie schließlich zum Markt zurückkehren, halten sie sich nur an die Marken mit dem besten Ruf.”
Black Bridge war offensichtlich eine solche Marke. Während viele Fleischproduzenten während der Seuche dichtmachten, gewann Black Bridge das Vertrauen der Verbraucher und erholte sich innerhalb mehrerer Monate.
Alles im Familienkreis
Chen Wen-hei und seine Frau kümmerten sich drei Jahrzehnte lang um alles, von der Produktion bis zur Schaffung neuer Geschmacksrichtungen, bis Robert Chen einstieg. Robert studierte im Hauptfach Spanisch und liebt Sprachen und das Kulturerbe dahinter, und ihm war die Herstellung und der Verkauf von Würsten zunächst eigentlich wurscht. Später, als Personalmangel herrschte, wurde er überredet (oder eher “angeworben”), bei Black Bridge mitzuhelfen. Doch während er praktisch von Würsten umgeben aufwuchs, bat man ihn, in der Fabrik am unteren Ende der Karriereleiter anzufangen. In zehn Jahren eignete er sich jedes Detail des Gewerbes an, und nach und nach arbeitete er sich in die Etagen der Entscheidungsträger hinauf.
Vater und Sohn bestehen beide darauf, ausschließlich Produkte von bester Qualität herzustellen, doch sie verfolgen unterschiedliche Marketingstrategien. Chen Wen-hei verließ sich ziemlich stark auf Mundpropaganda. “Die ältere Genera tion hat ihre eigenen Vorstellungen darüber, wie das Marketing vor sich gehen sollte”, weiß Chen junior. “Ihre Methode war im Hinblick auf das damalige Umfeld wohl gut. Doch als das gewerbliche Umfeld und die Verbrauchergewohnheiten sich zu verändern begannen, mussten wir in einen anderen Gang schalten, um am Ball zu bleiben.”
Verglichen mit seinem Vater ist Robert Chen bei der Vermarktung der Marke viel aggressiver. Er spricht mit den Medien, wirbt im Fernsehen und in Zeitschriften. Der jüngere Chen spielte auch eine wichtige Rolle dabei, Produkte anderer Unternehmen ins Sortiment der Einzelhandelsfilialen von Black Bridge aufzunehmen.
Bei der Analyse des Marktes erkannte Robert Chen, dass Black Bridge viele treue Kunden in der Altersgruppe 40 bis 60 hatte, also Menschen, die quasi mit Black Bridge-Würsten aufgewachsen waren. Der Nachteil war, dass es nicht genug jüngere Kunden gab. Daher zielt eine der Marketingstrategien von Chen junior darauf ab, ausländische Produkte hereinzubringen, um junge Verbraucher anzulocken, denen westliches Essen gefällt und die nicht viel Zeit in der Küche verbringen können oder wollen. Seit 2002 bietet Black Bridge Produkte an, die von Johnsonville Sausage aus den USA und dem italienischen Salami- und Schinkenerzeuger Volpi hergestellt werden. Laut Frances Yeh waren die Verkaufsergebnisse der ausländischen Produkte jedoch durchwachsen. Manche liefen in bestimmten Geschäften äußerst gut, in anderen Filialen dagegen schlecht.
Die neuen Produkte hatten allerdings die erhoffte positive Nebenwirkung -- sie lockten mehr junge Leute in die Black Bridge-Filialen und machten sie mit den im Inland fabrizierten Waren des Unternehmens bekannt. Da Black Bridge-Erzeugnisse zudem bei Touristen aus Hongkong beliebt sind, schmiedet die Firma Pläne, dort die erste Auslandsfiliale zu eröffnen.
Keine Kompromisse
Robert Chen versucht überdies, neue Konzepte einzuführen, um die ehrwürdige Marke weiter auszubauen. Anstatt sich nur auf Fleischwaren zu beschränken, will der stellvertretende geschäftsführende Direktor Black Bridge als Lieferanten anderer traditioneller taiwanischer Snacks wie Ananaskekse und Grünebohnen-Kekse etablieren. Yeh beharrt jedoch darauf, dass Black Bridge bei Qualität keine Kompromisse eingehen wird, und es werden intensive Nachforschungen über die Geschichte und Produktionsabläufe anderer Hersteller durchgeführt, bevor man ihre Produkte ins Verkaufssortiment in den Black Bridge-Filialen aufnimmt.
Wenn man den Umstand bedenkt, dass der Marktanteil von Black Bridge bei taiwanischen Fleischprodukten stetig gestiegen ist, scheinen Robert Chens neue Methoden das richtige Rezept zu sein. Doch während die Marketingstrategien überwiegend vom Sohn ersonnen werden, liegen die Produktionsaufsicht und die Entwicklung neuer Produkte immer noch beim Vater. Chen Wen-hei kreiert neue Geschmacksrichtungen und billigt Produkte, die vom Forschungs- und Entwicklungsteam des Unternehmens geschaffen werden. “Wie Weinexperten oder Parfümtester, die über ein hohes Maß an Sensibilität für solche Erzeugnisse verfügen, hat mein Vater die Begabung, die Aromen von Fleischprodukten zu bewerten”, behauptet Robert Chen. “Es ist schwer zu erklären, aber alles, was er abgenickt hat, verkauft sich gut.” Laut Yeh wurden 17 der 26 Artikel in der Produktlinie von Black Bridge durch Chen Wen-hei entwickelt. Der zeitlose Verkaufsschlager der Firma ist nach wie vor die Wurst nach dem Originalrezept, das der Firmengründer vor 50 Jahren hervorbrachte.
Die asphaltgedeckte Holzbrücke ist unterdessen längst durch eine Betonbrücke ersetzt worden, welche die Bezeichnung “Annan-Brücke” trägt. Die Automatisierung des Herstellungsverfahrens bei Black Bridge, die Produktionsmenge, die Marketingstrategien und viele andere Dinge haben sich gleichfalls gewandelt. Eine Sache ist jedoch unverändert -- das Beharren der Firma auf ihrem Motto, dass “man eine gute Wurst mit einem guten Herzen macht”. Und ebenfalls gleich geblieben in den letzten 50 Jahren sind die langen Schlangen von Kunden, die vor den Black Bridge-Filialen das Aroma der berühmten Würstchen kosten wollen.