28.04.2025

Taiwan Today

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Die Beziehungen zwischen Taipei und Washington und die pragmatische Diplomatie der Republik China

01.07.1997

Die meisten Länder der Erde erkennen unter dem Ein-China-Prinzip die Volksrepublik China als alleinige Regierung Chinas an. Das Ein-China-Prinzip wird auch von Taiwan vertreten. Wieso streben Sie dann eine eigene internationale Identität für Taiwan an?

Wir treten allerdings für das Ein-China-Prinzip ein -- aber unter "ein China" verstehen wir die Republik China auf Taiwan. Seit 1912 sind wir ein souveräner Staat. Wir haben Anspruch auf die Rechte eines souveränen Staates, einschließlich Vertretung in allen internationalen Organisationen und normale diplomatische Beziehungen mit allen anderen souveränen Staaten. In Artikel 1 der Konvention über die Rechte und Pflichten eines Staates von Montevideo aus dem Jahre 1933 wird ein Staat folgendermaßen definiert: Er hat eine feste Bevölkerung, ein abgegrenztes Territorium, eine Regierung und ist zur Aufnahme und Unterhaltung von Beziehungen mit anderen Staaten in der Lage. Alle diese Voraussetzungen werden von uns erfüllt. Unsere souveräne Regierung übt die Verwaltung über klar definierte Gebiete mit über 21 Millionen permanenten Einwohnern aus und wird von etwa 30 Ländern anerkannt. Der Druck der VR China ist der einzige Grund dafür, daß uns andere Länder nicht anerkennen. Dieser Druck ist zwar sehr ärgerlich, ändert aber nichts an unserem Status als souveräner Staat. Im Artikel 3 der Konvention von Montevideo wird explizit festgestellt: 'Die politische Existenz eines Staates hängt nicht von der politischen Anerkennung durch andere Staaten ab.' Wir sind ein souveräner Staat, egal ob uns die VR China anerkennt oder nicht.

Die Führung der VR China behauptet, daß wir keine normalen diplomatischen Beziehungen unterhalten könnten, weil wir nur eine Provinz der VR China seien. Dies ist völlig falsch. Die Regierung der VR China hat noch nie die effektive Verwaltungshoheit über Taiwan innegehabt, nie auch nur einen Cent Steuern eingetrieben oder junge Männer in ihre Volksbefreiungsarmee (VBA) eingezogen. Tatsächlich können ihr Personal, ihre Flugzeuge oder ihre Schiffe nur mit unserer Genehmigung in unser Territorium eindringen.

Kurz gesagt, wir sind ein souveräner Staat und haben als solcher gemäß internationalem Recht einen Anspruch auf einen normalen internationalen Status und normale internationale Beteiligung.

Man sollte vielleicht noch hervorheben, daß die pragmatische Außenpolitik der Republik China auf Taiwan eindeutig nicht auf eine "Unabhängigkeit Taiwans" abzielt, wie es uns die VR China absurderweise vorwirft. Nur wenn der internationale Status der Republik China nicht in Frage gestellt wird, kann sie vielmehr auf gleichberechtigter Ebene mit dem chinesischen Festland Gespräche über eine Wiedervereinigung aufnehmen. Pragmatische Diplomatie ist für die Republik China daher ein unentbehrlicher Bestandteil des allgemeinen Vereinigungsprozesses der gesamten chinesischen Nation.

Japan unterhält seit 1972 normale diplomatische Beziehungen mit der VR China. Die Vereinigten Staaten von Amerika erkennen die Regierung der VR China seit 1979 als alleinige Regierung Chinas an. Seitdem haben Japan und die USA ihre diplomatischen Beziehungen mit der Republik China beendet und pflegen statt dessen inoffizielle Beziehungen mit Taiwan. Warum bitten Sie dann die USA und andere Staaten um Beistand zur Aufnahme in die verschiedensten internationalen Organisationen, darunter die UNO?

Die Wirklichkeit ist nicht so einfach, wie Sie es darstellen. Weder Japan noch die Vereinigten Staaten haben den Souveränitätsanspruch der VR China über Taiwan anerkannt.

Japans Standpunkt ist in dem Gemeinsamen Tanaka-Chou-Kommuniqué vom September 1972 dargelegt, in dem es heißt:

Die Regierung der VR China bekräftigt, daß Taiwan ein untrennbarer Teil des Territoriums der VR China ist. Die Regierung Japans versteht und respektiert diesen Standpunkt der Regierung Chinas und beharrt in Übereinstimmung mit Artikel 8 der Deklaration von Potsdam auf ihrem Standpunkt.

Der Artikel 8 der Deklaration von Potsdam [vom August 1945, Anm. d. Red.] bestätigt die Deklaration von Kairo aus dem Jahre 1943, nach der Japan, das damals als Kolonialmacht die Souveränität über Taiwan beanspruchte, die Insel an die Republik China zurückgeben müsse -- und eben nicht an die VR China. 1951 gab Japan im Friedensvertrag von San Fran cisco seinen Souveränitätsanspruch auf Taiwan auf, ließ aber offen, an wen die Souveränität übergeben werden solle. Kurz gesagt, die VR China hat überhaupt keinen rechtlich gültigen Souveränitätsanspruch auf Taiwan.

Im Shanghaier Kommuniqué von 1972 haben die VR China und die USA ihre jeweiligen Standpunkte getrennt niedergelegt. Die VR China erklärt:

Die chinesische Seite [die VR China] bekräftigt ihren Standpunkt: ... Taiwan ist eine Provinz Chinas, die bald dem Mutterland zurückgegeben werden soll; die Befreiung Taiwans ist eine innere Angelegenheit Chinas.

Der unklare Begriff 'Mutterland' soll hier einen Begriff in der Deklaration von Kairo ersetzen, in der die Rückgabe Taiwans an die Republik China vorgesehen ist. Ich muß wohl kaum darauf hinweisen, daß die Republik China 1972 noch bestand und bis zum heutigen Tage sehr stabil ist.

Im gleichen Kommuniqué von Shanghai stellen die USA fest:

Die Vereinigten Staaten erkennen an, daß es für alle Chinesen auf beiden Seiten der Taiwanstraße nur ein China gibt und daß Taiwan ein Teil Chinas ist. Die US-Regierung stellt diese Position nicht in Frage. Sie bekräftigt ihr Interesse an einer friedlichen Lösung der Taiwanfrage durch die Chinesen selbst.

Gegen diese Erklärung der USA haben wir keinerlei Einwände. Es muß aber auf jeden Fall betont werden, daß die USA die Standpunkte aller Chinesen beider Seiten lediglich zur Kenntnis nehmen und nicht anerkennen. Taiwan ist ein Teil Chi nas, und die Volksrepublik auf dem chinesischen Festland ist auch ein Teil Chinas. Sowohl die Republik China als auch die VR China sind Teile eines geteilten China. Desweiteren schließen wir uns dem Interesse der Amerikaner an einer friedlichen Beilegung des Streits zwischen uns und der VR China vorbehaltlos an. Einen anderen Weg zur Lösung dieses Konfliktes sehen wir nicht.

Warum redet Taipei nicht mit Peking, um ein Abkommen oder eine Zustimmung für Taiwans internationale Beteiligung und den von Ihnen gewünschten internationalen Status zu erhalten?

Als souveräner Staat brauchen wir weder eine Zustimmung noch eine Genehmigung eines anderen Staates zur uns zustehenden internationalen Beteiligung. Hat Ihre Regierung denn Peking um Erlaubnis gefragt, als sie die Teilnahme am Regionalforum der ASEAN oder an einem anderen internationalen Forum beschloß? Pekings Obstruktionspolitik ist der einzige Grund dafür, daß wir von vielen internationalen Organisationen ausgeschlossen sind und viele Länder keine normalen diplomatischen Beziehungen mit uns unterhalten wollen. Wie kommen Sie darauf, daß die ihren Standpunkt ändern, wenn wir mit Peking reden?

Immer wenn die Beziehungen zwischen den USA und der VR China in gutem Zustand sind, dann sind auch die Beziehungen zwischen Taiwan und dem chinesischen Festland gut. Wenn umgekehrt sich die Beziehungen zwischen Washington und Peking verschlechtern, wächst auch Pekings Druck auf Taipei. Daher liegt es im Interesse Taipeis, die Beziehungen zwischen Washington und Peking nicht zu behindern.

Die Führung in Taipei ist sich sehr wohl bewußt, daß Peking entschieden gegen ihre Betreibung einer pragmatischen Diplomatie ist, weil Peking damit das Ein-China-Prinzip verletzt sieht. Der VR China mißfällt auch das Werben der Republik China im Kongreß der USA um Beistand zur Zulassung zu einer Reihe von multilateralen internationalen Organisationen. Wir würden die Aufnahme Taiwans in so viele internationale Organisationen wie möglich sehr begrüßen. Aber jedesmal, wenn wir auf Verlangen des Kongresses, in dem Taiwan viele Sympathien genießt, in die Bresche springen, wird Peking fuchsteufelswild. Dann leiden unsere Beziehungen mit Peking, und Taipei wird auch in Mitleidenschaft gezogen. Warum unternimmt die Regierung in Taipei so oft Dinge, die ihr später selber schaden?

Erstens betreffen die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Amerikanern und der VR China viele Bereiche und Aspekte. Ihr Dissens mit Peking bei der Taiwanfrage ist nur eins von vielen Problemen. Was ist mit den Menschenrechten, der Öffnung des Marktes, dem Schutz des Urheberrechts, der Weitergabe von Massenvernichtungswaffen, zum Beispiel Raketentechnik und ABC-Waffen? Selbst wenn Taiwan plötzlich von der Landkarte verschwände, könnte Ihr Streit mit Peking in diesen Punkten auch nicht von heute auf morgen gelöst werden. Wenn es die sogenannte Taiwanfrage nicht gäbe, würde Peking sich einen anderen Grund zur Ablehnung Ihrer Forderungen in den oben genannten Fragen ausdenken. Also machen Sie bitte nicht Taiwan für jede Verschlechterung Ihrer Beziehungen mit der VR China verantwortlich.

Zweitens sollte die Republik China nicht als Unterpfand in den Beziehungen zwischen den USA und der VR China herhalten müssen. Es bestehen drei parallele Beziehungen, Washington-Taipei, Washington-Peking und Taipei-Peking. Als sich die Beziehungen zwischen Washington und Peking unmittelbar nach dem Tienanmen-Massaker 1989 verschlechterten, änderte sich an den Beziehungen zwischen Taipei und Peking gar nichts. In den letzten Monaten haben sich die Beziehungen zwischen Washington und Peking verbessert, aber Peking steht uns unverändert feindselig gegenüber. Es gibt da nicht den geringsten Zusammenhang.

Drittens haben wir tatsächlich in der einen oder anderen Sachfrage bei Ihrer Regierung und dem Kongreß Lobbyarbeit geleistet. Wir halten uns dabei aber ebenso wie Japan oder Israel streng an die Gesetze der Vereinigten Staaten.

Viertens wird sich Pekings Politik uns gegenüber nicht ändern, egal ob wir uns um amerikanische Unterstützung für die Zulassung zu internationalen Organisationen oder um den Verkauf von Defensivwaffen an uns bemühen oder nicht. Ungeachtet unserer Ablehnung der "ein Land, zwei Systeme"-Formel wird Peking auch weiterhin behaupten, daß wir die Beziehungen zwischen Washington und Peking stören wollten.

Die Clinton-Regierung verfolgt nun eine Politik der Einbindung mit dem Ziel einer grundlegenden Verbesserung der Beziehungen zur VR China. Wie denkt Taipei über diese Initiative?

Wir begrüßen die Einbindungspolitik und wünschen der Initiative allen Erfolg. Wenn das Konzept aufgeht, verspricht man sich davon eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen und mehr Stabilität und Aufschwung in der asiatisch-pazifischen Region. Die Clinton-Administration will diese Politik mit Hilfe eines strategischen Dialoges durchführen, womit gegenseitige Besuche auf höchster Ebene gemeint sind. Dabei gilt die Voraussetzung, daß die VR China nicht als Feind betrachtet wird, und es gilt das Konsensprinzip. Die VR China soll ins internationale System eingebunden und ferner friedlich umgestaltet werden. Das soll durch die Verbreitung westlicher oder moderner Werte (etwa Menschenrechte, demokratische Herrschaft, Rechtsstaat) mittels Kultur- und Bildungsaustausch, Handel und Investitionen erreicht werden. Das ist eine gute Sache.

Die entscheidende Frage dabei ist: Werden die Machthaber der VR China auch mitspielen und sich anpassen? Sie glauben nämlich die Ziele der amerikanischen Strategie sehr wohl zu durchschauen. Ihrer Ansicht nach wollen die USA sie zur Annahme internationaler Normen und Standards bringen, damit die VR China nicht noch mehr Einfluß gewinnt und die USA eventuell sogar als Führungsmacht der Region ablöst. Ebenso sind ihnen die langfristigen Folgen eines friedlichen Umbaus klar: Ende der chinesischen kommunistischen Diktatur, Schluß mit ihren Privilegien und den ihrer Familien als herrschende Klasse -- das haben sie aus dem Zerfall der Sowjetunion gelernt. Diese Katastrophe schieben sie auf Gorbatschows leichtsinnige Schwächung der leninistischen Partei.

Wir haben genügend Belege dafür, daß die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) oder die Führung der VR China keineswegs auf eine Annahme der internationalen Standards erpicht sind. Die betrachten sie als amerikanische Spielregeln, die den USA auf Kosten der VR China nützen. Es gibt ein treffendes chinesisches Sprichwort: "Den Tiger um sein Fell bitten" (為虎謀皮). Die Führung der KPCh zu einer friedlichen Umformung ihrer Partei aufzufordern bedeutet nicht weniger, als den Tiger um sein Fell zu bitten. Sie verstehen nicht gerade viel von der richtigen Führung ihres Landes und der Befreiung ihres Volkes vom Joch der Armut. Sie sind aber auch nicht so dumm, einer friedlichen Umformung tatenlos zuzusehen. Wir wünschen der Clinton-Regierung alles Gute. Natürlich werden wir diese Initiative in keiner Weise hintertreiben, auch wenn die Parteigänger der VR China in Amerika uns das Gegenteil vorwerfen.

In den letzten Jahren hat sich der Nationalismus in der VR China verstärkt. Auch aus diesem Grund werden die Führer der VR China Taiwan gegenüber eine harte Haltung einnehmen. Ein sinnvoller Kompromiß wird dadurch erschwert. Welche Auswirkungen kann das auf die trilateralen Beziehungen haben?

Bisher hat die Führung der KPCh ihre Diktatur mit dem Marxismus, Leninismus und den Mao-Tsetung-Ideen gerechtfertigt. Das läuft nicht mehr. Mit dem spektakulären Scheitern des kommunistischen Experiments haben sie in einer primitiven Form des Nationalismus nützlichen Ersatz gefunden. Sie schüren den extremen Nationalismus, um den unausweichlichen Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur abzuwenden. Die Taiwanfrage beispielsweise haben sie zur Anstachelung antiamerikanischer Gefühle benutzt. Das läßt für Taiwan Schlimmes ahnen. Wenn sie die Taiwanfrage nicht hätten, würden sie sich irgendwas anderes zur Aufpeitschung ihres fremdenfeindlichen chinesischen Nationalismus ausdenken. Nationalismus ist jedoch ein zweischneidiges Schwert, mit dem sie sich leicht ins eigene Fleisch schneiden können, und das wissen sie ganz genau. Beispielsweise haben sie ihre eigenen Bürger zurückgepfiffen, die von Japan Entschädigung für die Kriegsverbrechen verlangen wollen. Sie beuten ihre Version vom Nationalismus wirklich mit hohem Risiko aus.

Unter dem Deckmantel des Nationalismus wollen sie ihren Widerstand gegen die von den USA und dem Westen propagierte bestehende internationale Ordnung verschleiern. Mit dem Nationalismus üben sie auch in der Taiwan-Frage Druck auf Wash ington aus. Ebenso benutzen sie den Nationalismus zur Ablehnung berechtigter Forderungen der Weltgemeinschaft und zur Rechtfertigung ihrer haltlosen Forderungen an die Weltgemeinschaft. Sie verlangen beispielsweise die Zulassung zur Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) nach ihren eigenen Bedingungen. Neuere Beispiele sind ihre ebenso planmäßigen wie heimlichen Verkäufe von Raketen und Massenvernichtungswaffen an Pakistan und weitere Staaten des mittleren Ostens. Ich frage Sie: Sollen die USA ihnen völlig ungeachtet ihrer Handlungen entgegenkommen? Wollen die USA Peking zu Gefallen die Spielregeln und die bestehende internationale Ordnung über Bord schmeißen? Und sind die USA zu all dem bereit, obwohl die VR China vorrangig die USA als dominierende Großmacht der Region verdrängen und neue Spielregeln bestimmen will? Manche Amerikaner glauben, friedliche Koexistenz sei nur mit beiderseitiger Anpassung möglich. Einige Militärführer in der VBA sehen das anders. Sie sind bei sich schon zu dem Schluß gekommen, daß wegen des seit langem bestehenden tiefen Grabens zwischen beiden Ländern bei Ideologie, Sozialsystem und Außenpolitik eine grundlegende Verbesserung der sino-amerikanischen Beziehungen unmöglich sei.

Die VR China wirbt für "ein Land, zwei Systeme" als Ausweg aus der jetzigen Sackgasse. Manche in den Vereinigten Staaten machen geltend, daß die VR China sehr vernünftig und versöhnlich sei. Peking würde Taiwan schließlich ein weit größeres Maß an Autonomie als Hongkong gestatten. Sie verlangen ja nichts weiter, als daß die Republik China ihren Staatsnamen und ihre Staatsflagge aufgibt, das Präsidentenamt und den Exekutiv-Yüan des Premierministers abschafft und keine Universität mehr die Bezeichnung "National" in ihrem Namen verwendet. Sie würden Taiwan sogar bewaffnete Streitkräfte erlauben. Sie bestehen aber darauf, daß Taiwan solche Aktivitäten wie die "Staatschef-Diplomatie", "Alma-Mater-Diplomatie" und Streben nach Mitgliedschaft in internationalen Organisationen wie der UNO einstellt. Diese Aktivitäten wertet Peking als provokativ und setzt sie mit Vorbereitungen für eine formale Unabhängigkeit gleich.

Manche in den USA finden Taipeis Politik in der Tat provokativ und meinen, Taipei sollte sich mit Pekings Angebot zufriedengeben. Sie behaupten, Taipeis Verschleppungs- und Obstruktionspolitik könnte einen Krieg hervorrufen. Taipei spiele also mit dem Feuer. Ihrer Ansicht nach hätten Taipeis diplomatische Abenteuer der letzten Jahre Pekings militärische Abenteuer herausgefordert. Das verhieße für Frieden und Stabilität in der asiatisch-pazifischen Region nichts Gutes. Kurzum sei Taipei provokativ und leichtsinnig und könne sich selbst ins Unglück bringen. Was halten Sie von dieser Einschätzung?

Die Republik China ist seit 86 Jahren ein normaler souveräner Staat. Warum sollten wir den Führern in Peking zu Gefallen diesen Status aufgeben? Die halten an überholtem Gedankengut des 19. Jahrhunderts fest und sind von niemandem gewählt, also vertreten sie noch nicht einmal die Menschen auf dem Festland. Uns auf die gleiche Ebene wie Hongkong zu stellen ist unangemessen. Bis zum 30. Juni 1997 war Hongkong eine britische Kronkolonie. Wir sind und waren ein souveräner Staat, länger als die meisten UN-Mitgliedsstaaten.

Die Charakterisierung unserer pragmatischen Diplomatie als "diplomatisches Abenteurertum" ist sehr unfair. Wer behauptet, unsere pragmatische Diplomatie stachele die VR China zur Eindämmung unserer Außenbeziehungen an und sei die "Ursache" der unverschämten militärischen Bedrohung der VR China während der ersten direkten und freien Präsidentschaftswahlen der Republik China, der verwechselt Täter und Opfer. Die Linie der pragmatischen Diplomatie haben wir zur Abwehr der festlandchinesischen Versuche zur vollständigen Beseitigung unserer bereits geminderten internationalen Präsenz angenommen. Weil die VR China das nicht geschafft hat, hat sie zum Mittel der militärischen Einschüchterung (in Form von Raketentests) gegriffen und uns dann auch noch die Schuld dafür zugeschoben. Das ist doch ein absurdes Argu ment zur Verteidigung einer barbarischen Verletzung internationalen Rechts!

Uns kann man doch nicht weismachen, die Formel "ein Land, zwei Systeme" sei nur eine symbolische Frage. Ist zu Beginn des Kalten Krieges Griechenland etwa der Forderung der Sowjetunion nachgekommen, als Gegenleistung für die Existenzgarantie den Staatsnamen und die Staatsflagge zu ändern und auf das Präsidentenamt, das Außenministerium und sogar den Erwerb von Defensivwaffen zu verzichten? Natürlich nicht.

Die Regierung der VR China hat angedeutet, daß Präsident Lee Teng-hui gerne das chinesische Festland besuchen darf -- vorausgesetzt, er kommt in einer "angemessenen Eigenschaft", etwa als Vorsitzender der [jetzigen Regierungspartei Taiwans] KMT. Andererseits lehnen sie unnachgiebig jede Auslandsreise Lees in welcher Funktion auch immer ab. Soll das vielleicht kommunistische Logik sein?

Im vergangenen Jahr stachelte Taipeis " diplomatisches Abenteurertum" Peking zu militärischem Abenteurertum an. Zur Verhinderung einer möglichen Eskalation mußte die US-Regierung zwei Flugzeugträger-Kampfverbände losschicken. Charles Freeman [ein ehemaliger US-Diplomat, Anm. d. Red.] warnte Taiwan davor, die USA in einen militärischen Konflikt hineinzuziehen und meinte, Taiwan könne keine Unabhängigkeit mit amerikanischem Blut erkaufen. Wie denken Sie über diese Beschreibung der Situation?

Peking hat die Militärmanöver und Raketentests zur Störung unserer Präsidentschaftswahlen durchgeführt, die ersten derartigen freien Wahlen überhaupt in der langen chinesischen Geschichte. Und warum? Weil eine vom Volk legitimierte Regierung von allen westlichen Werten derjenige ist, den die Despoten der VR China am meisten fürchten. Die schiere Existenz einer Demokratie auf Taiwan stellt eine Bedrohung für die kommunistische Diktatur auf dem Festland dar. Die Präsidentschaftswahlen hatten nichts mit einer Unabhängigkeit Taiwans zu tun, denn die Republik China ist doch sowieso schon seit langem ein souveräner Staat. Die Hoffnungen der VR China auf Beeinflussung des Wahlausgangs haben sich nicht erfüllt. Keiner der vier Präsidentschaftskandidaten ist für eine sofortige Wiedervereinigung eingetreten.

Die Entsendung der beiden Flugzeugträger-Kampfverbände haben wir sehr begrüßt. Die USA handelten in Übereinstimmung mit den Prinzipien im Abschnitt 2 des Taiwan Relations Act. Darin heißt es:

Es ist Bestandteil der Politik der Vereinigten Staaten, daß Frieden und Stabilität in der Region im erklärten politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interesse der Vereinigten Staaten liegen und internationale Angelegenheiten sind. ... Die Vereinigten Staaten betrachten jeden Angriff auf die Zukunft Taiwans auch unter Anwendung anderer als friedlicher Mittel, einschließlich Boykott oder Embargo, als Bedrohung des Friedens und der Sicherheit der westpazifischen Region und Grund zu schwerwiegender Besorgnis für die Vereinigten Staaten.

Die USA mußten auch zeigen, daß sie ihre Verpflichtung zu Frieden und Sicherheit in der asiatisch-pazifischen Region nach wie vor ernst nehmen. Hätten die USA dem unverschämten Druck der VR China mit ihren Militärmanövern und Raketentests untätig zugeschaut, dann hätten die Freunde und Verbündeten der USA ihren Glauben an die Ernsthaftigkeit des amerikanischen Engagements verloren. Damit sich so etwas wie der Koreakrieg niemals wiederholt, ist es sehr wichtig, daß die Amerikaner standhaft bleiben und ein unmißverständliches Signal an Peking senden. Zaudern und Schwäche zeigen ist geradezu eine Aufforderung zu einem eigentlich vermeidbaren militärischen Konflikt.

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