In der zweiten Hälfte des Jahres 1997 wütete in Ostasien eine Finanzkrise. In Thailand, Malaysia, Indonesien, Südkorea und auf den Philippinen stürzten die Währungen ab, und die Aktienmärkte brachen zusammen. Der Währungsverfall und die Wertverluste an den Aktienbörsen in Indonesien und Südkorea erreichten im Lauf eines halben Jahres fast 50 Prozent. Im selben Zeitraum verlor Taiwans Währung dagegen nur 15 Prozent ihres Wertes, während die Börse um 9 Prozent zurückging. Dies zeigt deutlich, daß Taiwan nur in relativ geringem Maße in Mitleidenschaft gezogen wurde.
In den meisten Ländern Ostasiens wurde nicht nur der Finanzsektor schwer getroffen, sondern auch die Bereiche Produktion, Konsum und Investitionen. Als Folge davon wurde dort das Wirtschaftswachstum so stark beeinträchtigt, daß sogar ein Minuswachstum möglich ist. Im Vergleich dazu ist Taiwans Finanzsektor nur wenig betroffen und zeigt im wesentlichen gute Ergebnisse. Das Wirtschaftswachstum lag im Jahr 1997 bei 6,8 Prozent, die Verbraucherpreise stiegen um 0,9 Prozent, und die Großhandelspreise fielen um 0,5 Prozent. Damit blieb Taiwans Wirtschaft trotz der Finanzkrise eindeutig auf Kurs.
Wie ist es Taiwans Wirtschaft gelungen, einen Sturm von solch gewaltigen Ausmaßen gut zu überstehen?
· Die Nationale Sparquote war über Jahre hinweg höher als die Bruttoinlandsinvestitionen. Im Jahr 1997 betrug der Überhang der Sparquote 2,56 Prozent des Bruttosozialprodukts. Investitionen in Taiwan werden sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor vor allem durch inländische Ersparnisse anstatt durch Auslandsschulden finanziert.
· Taiwan kann im Gegensatz zu den von der Finanzkrise in Mitleidenschaft gezogenen Ländern, die Jahr für Jahr gewaltige Zahlungsbilanzdefizite verzeichneten, seit vielen Jahren einen Zahlungsbilanzüberschuß vorweisen (1997: 7,7 Milliarden US$).
· Die Republik China verfügte 1997 über umfangreiche Devisenreserven von 83,5 Milliarden US$ -- genug, um acht Monate lang den Devisenbedarf für Taiwans Importe zu decken, während die Auslandsschulden der öffentlichen Hand lediglich 100 Millionen US$ betrugen. Ende 1997 besaßen Taiwans Finanzinstitute einschließlich der Offshore Business Units Aktiva im Wert von 29,7 Milliarden US$, denen Verbindlichkeiten in Höhe von 29,3 Milliarden US$ gegenüberstanden, so daß sich ein positiver Saldo von 400 Millionen US$ ergab.
· Die Republik China hat zudem mit einem schrittweisen Vorgehen die geeignete Art der finanziellen Liberalisierung gewählt. Dazu gehörten zunächst die Preisstabilisierung, die Liberalisierung des Handels und die Aufhebung der Beschränkungen bei Zinssätzen und Devisenkursen. Der nächste Schritt bestand dann in der Freigabe der Kapitalein- und -ausfuhren. Als die Krise um sich griff, besaß die Republik China im Gegensatz zu den Ländern, die ein an den US-Dollar gekoppeltes Währungssystem hatten und voll von der Finanzkrise getroffen wurden, flexible Wechselkurse.
· Die Unternehmen in der Republik China können auf solide Finanzierungsstrukturen zurückgreifen, denn Taiwans Bankensektor zeigt sich in unverändert guter Verfassung. Die taiwanesischen Unternehmen nutzten die boomende Aktienbörse des Jahres 1997, um an der Börse und im Tafelgeschäft ihr Eigenkapital zu erhöhen. Auf diese Weise konnten über 15,3 Milliarden US$ Kapital aufgebracht werden -- eine große Verbesserung der Eigenkapitalquote der Unternehmen.
· Die Industriestruktur der Republik China setzt sich hauptsächlich aus kleinen und mittleren Unternehmen zusammen (fast 98 Prozent aller Unternehmen in Taiwan sind kleine und mittlere Unternehmen). Dank ihrer geringen Größe können sie auf externe Erschütterungen relativ flexibel reagieren.
Taiwans Wirtschaft wurde im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts sehr rasch modernisiert. Heute machen kapital- und technologieintensive Produkte über 40 Prozent von Taiwans Gesamtexporten aus, während arbeitsintensive Erzeugnisse einen Anteil von weniger als 20 Prozent haben. Taiwans Exportstruktur gleicht damit mehr und mehr der Exportstruktur von Industrienationen. Der Hauptgrund für die Finanzkrise in Südostasien war ein durch starkes Überangebot bedingter Verdrängungswettbewerb auf dem Markt der exportverarbeitenden Industrien. Daher traf die Krise vor allem jene Länder schwer, die in Regionen lagen, in denen billige Arbeit subventioniert wurde. Vor mehr als zehn Jahren sah sich Taiwan gezwungen, seine traditionellen exportverarbeitenden Industrien aufzugeben. Nun liefert es hochwertige Rohstoffe, Bauteile und Anlagen und vermeidet dadurch, von jenen Ländern aus dem Exportmarkt gedrängt zu werden.
Nichts davon bietet eine vollständige Garantie dafür, daß Taiwan in Zukunft von wirtschaftlichen Problemen verschont bleiben wird. Dennoch kann seine Fähigkeit, die asiatische Finanzkrise bis jetzt gut zu überstehen, als eine Bestätigung der soliden Wirtschaftspolitik der Republik China gelten. Anstatt sich in Selbstgefälligkeit zu üben, bemüht sich Taipei jedoch weiter darum, Wege zu finden, wie Taiwans Wirtschaftskraft und Ressourcen dazu genutzt werden können, der gesamten Region wieder auf die Beine zu helfen, denn eine gesunde regionale Wirtschaft liegt im Interesse aller Nationen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) wird dazu aufgerufen, den von der Finanzkrise ernsthaft betroffenen Ländern zu helfen, doch seine Mittel sind begrenzt. Taiwan ist bereit, einen Teil dieser Last zu übernehmen, ist jedoch zur Zeit leider nicht Mitglied des IWF und kann daher nur über kostspielige indirekte Kanäle begrenzte Finanzhilfe leisten. Dies ist bedauerlich für jene Länder, die derartige Hilfen zur Wiederherstellung ihrer finanziellen Gesundheit suchen. Zum Wohle dieser Länder und der gesamten asiatisch-pazifischen Region sollte Taiwan so bald wie möglich der Zugang zu internationalen Wirtschaftsorganisationen wie der Welthandelsorganisation ( World Trade Organization, WTO) und IWF gewährt werden.
Chien-jen Chen(程建人), geb. 1939, ist Generaldirektor
des Regierungsinformationsamtes der Republik China.