Es gibt viele Gründe zum Lernen einer Fremdsprache -- das erfährt man schon bei einem Besuch in der Ta'an-Abendschule in Taipei. Eine der ältesten Schülerinnen, eine gesetzte Dame über fünfzig, hat ein klares Ziel: Sie will Leute mit einfachem Englisch begrüßen können. "Dadurch wird das Leben leichter", glaubt sie. "Manche Erwachsene kennen im Gegensatz zu ihren eigenen Kindern noch nicht mal das Alphabet, wie sollen sie da etwa ein Nummernschild lesen können?"
Eine typischere Antwort gibt Yang Shu-fen, eine junge Mutter über dreißig. "Ich lerne Englisch, damit ich meinem Sohn helfen kann, wenn er mit dem Englischlernen anfängt", begründet sie. Heutzutage fangen die Kinder sehr viel früher damit an als ihre Eltern, und daher fühlen sich immer mehr Eltern nicht auf der Höhe der Zeit. Manche verteidigen ihre Unkenntnis zumindest einer Fremdsprache mit verpaßten Förderchancen oder Berufstätigkeit. Der Ehrgeiz einer besser informierten und besser gebildeten jungen Generation bringt Taiwan auf den Kurs einer schnellen Internationalisierung und schafft die dringender werdende Notwendigkeit, mit dem Rest der Welt zu kommunizieren.
Viele Firmen und Organisationen bemühen sich, die steigenden Anforderungen zu erfüllen. Jeder große oder mittlere Buchladen in Taiwan hat eine große Auswahl von englischorientierten Audiocassetten, Büchern und Magazinen im Angebot. Mindestens acht im Inland herausgegebene Monatszeitschriften, die oft auch zu Rundfunk- oder Fernsehanstalten gehören, bieten zweisprachige Artikel (Englisch-Chinesisch) zur Verbesserung der Englischsprachkenntnisse an. Die Schwerpunkte der Zeitschriften reichen von Grammatik und Satzbau-Analyse über Konversation bis zu schwierigeren Themen mit Auszügen aus anspruchsvollen englischen Nachrichtenmagazinen.
Die großen auflagenstarken Monatszeitschriften sind gewöhnlich nicht ganz so anspruchsvoll. In Studio Classroom gibt es Lektionen für Anfänger und Fortgeschrittene, und Let's Talk in English ist sogar vergleichsweise einfach. Beide wurden 1962 bzw. 1981 von "Overseas Radio and Television" -- einer christlichen Gruppe, die sich der Verbreitung des Evangeliums in Taiwan verschrieben hat -- gegründet und sprechen am Englischlernen interessierte Einheimische an, unabhängig von Alter und Beruf. Mit insgesamt über 320 000 Stück verkaufen sich die beiden Zeitschriften besser als alle anderen Periodika der Konkurrenz.
Die Verleger haben das steigende Interesse an Englisch erkannt und geben die Zeitschriften seit 1993 bzw. 1994 auch als CD ROM heraus. Studio Classroom hat seit 1997 sogar noch mehr Publikum: Sein neues Kabelfernsehprogramm kann sowohl in Taiwan als auch in Nordamerika empfangen werden.
Wie konnten diese beiden Monatszeitschriften ihre Popularität so lange aufrechterhalten? "Wir bieten praktisches und nützliches Englisch, aber wir schreiben auf verschiedene Weise auch über andere Orte der Welt, damit die Menschen in Taiwan mehr Ereignisse aus anderen Ländern mitbekommen", sagt Ruth Devlin, Redakteurin bei Studio Classroom und seit fünfzehn Jahren in Taiwan ansässig. Der von ihr wiedergegebene Gedanke war besonders vor der Aufhebung des Kriegsrechts im Jahre 1987 von Bedeutung, als Taiwans Einwohner noch nicht so viel Reisefreiheit hatten wie heute. Damals gab es in Taiwan auch nur sehr wenige Zeitschriften zum Englischstudium. "Wenn man Interesse an dem Stoff hat, lernt man schneller", bemerkt Devlin. "Das ist unser Lehrkonzept."
Zur Maximierung des pädagogischen Erfolgs wenden die Periodika leicht unterschiedliche Methoden an. Studio Classroom beispielsweise druckt die chinesischen Übersetzungen seiner Artikel immer am Schluß des Heftes, wogegen manche anderen Zeitschriften zweisprachige Seiten haben. Devlin hält die letztere Methode nicht für vorteilhaft, weil manche Leser die beiden Sprachen dann als gleich ansehen könnten. "Und das sind sie nicht", hält sie dagegen. "Es ist besser, wenn man zuerst nur in Englisch denkt und dann nur in Chinesisch."
Nicht jeder möchte Englisch durch eine Zeitschrift lernen. Viele Leute ziehen es vor, wenn ein leibhaftiger Lehrer vor ihnen steht, der mit ihnen redet und Dinge erklärt. An Schulen mit Englischunterricht für Erwachsene herrscht in Taiwan heute kein Mangel mehr, und normalerweise findet sich für jeden Kenntnisstand eine Klasse, die sich auch im Terminkalender unterbingen läßt. Abendschulen sind schon lange Bestandteil der Bildungslandschaft, und neuerdings schießen den Universitäten angeschlossene Sprachinstitute wie das LTTC (Language Training and Testing Center) der National Taiwan University wie Pilze aus dem Boden. Organisationen wie die YMCA runden das Bild ab.
Außer manchen ergänzenden Abendschulen, die nur chinesische Lehrer haben, beschäftigen alle diese Organisationen sowohl einheimische als auch muttersprachliche Lehrer. Unabdingbare Einstellungsvoraussetzung für Lehrer ist gewöhnlich ein Bachelor-Grad, aber mit einer Qualifikation für TESL (Teaching English as a Second Language) und Lehrerfahrung hat ein Bewerber natürlich eindeutig bessere Karten. Das Sprachinstitut der Soochow University bietet Englisch-, Japanisch- und Deutschkurse an. Chinesische Lehrer, die meist auch die regulären Studierenden der Soochow University unterrichten, machen die Grammatiklektionen und die Textlektüre, während Muttersprachler den Konversationsunterricht übernehmen.
Der Markt wird aber zweifellos von den großen Abendschulen (auf Chinesisch buhsiban補習班) wie der English Language School International (ELSI), Hess, Gram oder Jordan beherrscht. Diese haben zu Recht einen guten Ruf und können es sich leisten, bei der Einstellung neuen Personals wählerisch zu sein. Sarah Yin ist Projektleiterin bei der Caves Educational Training Co., die sich die Verbesserung der Fähigkeiten von einheimischen Englischlehrern in Oberschulen, buhsibans und Organisationen wie der YMCA zum Ziel gesetzt hat. "Wenn ein leitender Angestellter einer großen Firma an einer bekannten buhsiban Unterricht nimmt und dort einen schlechten Lehrer hat, dann wirkt sich das unausweichlich negativ auf das Image der Schule aus", weiß sie.
Die Sprachenschule ELSI nimmt diese Erkenntnis sehr ernst. Das Unternehmen ist seit 1982 in Taiwan aktiv und hat fünfzehn Niederlassungen auf der ganzen Insel, davon neun in Taipei. Die einheimischen Lehrer in dieser großen Sprachenschule müssen fließend Englisch sprechen können, und die Lehrer der Anfängerklassen müssen eine gute Aussprache haben. Für Yin sind das Mindestanforderungen, aber am allerwichtigsten ist für sie, daß die Schüler sich an den Gebrauch von Englisch im täglichen Leben gewöhnen.
Dazu muß der Lehrer die Schüler ständig dazu bringen, daß sie Fragen stellen und mit ihrem eigenen Kopf denken. "Ich predige meinen Schülern immer wieder, daß man Englisch nicht allein durch zweimal wöchentlich je drei Stunden Unterricht an einer Abendschule erlernen kann", führt Yin aus. "Wer wirklich gutes Englisch lernen will, muß auch für sich selbst üben."
Im Prinzip kann jeder englische Muttersprachler einen Job als Englischlehrer in Taiwan ergattern, solange er einen Bachelor-Abschluß in der Tasche hat und die Anforderungen für eine Arbeitserlaubnis erfüllt. Ausländer oder Überseechinesen unterrichten oft Fortgeschrittenenkurse, in denen ausschließlich Englisch gesprochen wird, während einheimische Lehrer die Anfänger- und Grundstufenkurse übernehmen, in denen auch das Chinesische benutzt werden darf. "Wenn ein ausländischer Lehrer außer Englisch auch noch Chinesisch oder eine andere Sprache sprechen kann, dann reißt man sich um ihn (oder sie)", stellt Yin fest. Viele glauben nämlich, daß Lehrer mit Chinesischkenntnissen mehr Verständnis für die taiwanesischen Schüler haben, weil sie selbst die Schwierigkeiten beim Lernen einer Fremdsprache kennengelernt haben.
"Ich sage meinen Schülern immer, daß ich Chinesisch und auch einige andere Sprachen gelernt habe, daher kenne ich die Probleme", behauptet Virginia Welch, eine US-amerikanische Anglistin, die schon in den USA ausländische Schüler unterrichtet hatte. Seit vier Jahren arbeitet sie für ELSI, und neben ihren Klassen in einer der ELSI-Niederlassungen in Taipei unterrichtet sie auch Angestellte der Citibank, eine Englischklasse in einer Oberschule und einen Englischklub in einer anderen Oberschule. Sie weiß aus eigener Erfahrung, daß Fehler zum Lernprozeß dazugehören. Dies den chinesischen Schülern begreiflich zu machen ist besonders deswegen wichtig, weil Fehler oft mit Gesichtsverlust gleichgesetzt werden.
Natürlich hat nicht jeder Muttersprachler das Zeug zum Lehrer, aber nur allzu häufig bekommen ausländische Lehrer in abgelegeneren Teilen Taiwans auch bei unzureichender Qualifikation eine gute Stelle. "In kleinen Orten, wo man so gut wie nie eine Langnase zu Gesicht bekommt, hat ein Ausländer schon gewonnen, wenn er nur im Klassenraum erscheint, selbst wenn er völlig unvorbereitet ist", prangert Yin an.
Viele Nachhilfeschulen versagen auch bei der Aufgabe, die Schüler der richtigen Kursstufe zuzuweisen. "In dieser Hinsicht hat ELSI strenge Kriterien", behauptet Welch. "Mir ist aber mindestens eine große Nachhilfeschule in Taipei bekannt, die zur Einstufung neuer Schüler keine mündlichen Prüfungen durchführt. Die Neulinge müssen dann halt verschiedene Klassen ausprobieren." Welch weiß natürlich, daß viele Leute sich trotzdem für solche Schulen entscheiden, einfach weil sie billiger sind.
Bei einer buhsiban können niedrige Kursgebühren schlechte Qualität zur Folge haben. Viele Firmen organisieren aber auch kostenlosen Sprachunterricht für ihre Angestellten, und der ist oft gut und obendrein bequem. Große Unternehmen wie das Grand Formosa Regent Hotel, die Citibank und der Auto- und Mopedhersteller Sanyang Industry Co. haben eine sogenannte "interne buhsiban".
Sanyang stellt jedes Jahr ausländische Lehrer ein, meistens von Abendschulen, und bietet den Firmenmitarbeitern je einen Kurs in Englisch und Japanisch mit einer Dauer von dreieinhalb Monaten an. Zweimal die Woche erhalten die Angestellten nach Feierabend je drei Stunden Unterricht. Die Klassenstärke wird derzeit auf maximal zwanzig Teilnehmer beschränkt, und die Zahl der Klassen variiert zwischen zwei und sieben. "Die Kursgebühren werden komplett von der Firma getragen", prahlt Sanyangs Personalchef Lin Jung-hwa. "Das ist schon anders als eine dieser buhsibans in der Stadt. Sanyang investiert direkt in die Bildung der Angestellten. Langfristig kann die Firma leichter mit den ausländischen Partnern und Kunden umgehen, und das lohnt sich sehr."
Ein anderes Merkmal der firmeninternen buhsibans ist, daß sich der Unterricht auf die von den Angestellten bei ihrer Arbeit benötigte Terminologie konzentriert. " Die firmeninternen Fremdsprachenkurse sind absolut praxisorientiert", betont Lin. "Die Mitarbeiter lernen, was sie wirklich wissen müssen." Der Unterricht erwies sich als so erfolgreich, daß Sanyang bei Gelegenheit auch Sprachunterricht für Thai und Vietnamesisch organisiert -- Thai deswegen, weil Sanyang in Taiwan viele Gastarbeiter aus Thailand beschäftigt, und Vietnamesisch, weil Sanyang den vietnamesischen Markt ins Visier genommen hat. Lin orakelt: "Vielleicht richten wir später sogar Spanisch-Klassen ein, weil Sanyang sich auch nach Lateinamerika ausdehnt."
Wie bei vielen großen Unternehmen auf der Insel sind auch bei Sanyang Fremdsprachenkenntnisse hilfreich für den beruflichen Aufstieg. Die Teilnehmer brauchen keine Kursgebühren zu bezahlen, müssen aber eine Geldsumme hinterlegen, die nur nach Bestehen der Prüfung am Kursende zurückerstattet wird. Nach Lins Angaben besteht jedoch fast jeder die Prüfung, und er macht sich auch keine Illusionen über die Grenzen solcher Kurse. Perfektion ist jedenfalls nicht das Ziel. "Wir verlangen lediglich, daß sich die Teilnehmer hinterher einigermaßen mit Ausländern verständigen und grundlegendes fremdsprachiges Material lesen können. Das reicht schon."
Eine andere Option für Leute, die lieber ihr Englisch üben als Grammatikregeln auswendig lernen wollen, ist die Mitgliedschaft in einem Fremdsprachenklub oder -verband. Am bekanntesten ist im Inland der Verein "Toastmasters International", eine gemeinnützige Bildungsorganisation, die die Kommunikationsfähigkeiten und Führungsqualitäten ihrer Mitglieder verbessern möchte. Dieser US-amerikanische Verband ist seit über vierzig Jahren in Taiwan vertreten, und es bestehen mittlerweile 35 Klubs auf der ganzen Insel, über die Hälfte davon in Taipei.
Benjamin Lien ist 36 Jahre alt und Vorsteher eines der Klubs in Taipei. Er räumt ein, daß viele Klubmitglieder bei Toastmaster kein gutes Englisch sprechen können, weist aber auch darauf hin, daß der Klub eher ein Schauplatz zum Üben und weniger zum Erlernen der Sprache ist. Im Juli 1997 gründete Lien den "Flying International English Club", der seinen kuriosen Namen der Tatsache verdankt, daß die Klubräume der Luftwaffe der Republik China gehören; aber Lien wünscht sich auch, daß die Klubmitglieder eines Tages Englisch so sicher wie ein Vogel das Fliegen beherrschen. "In diesem Klub gehört das Englischlernen zum Alltag, und der dahinterstehende Gedanke ist, daß man beim Sprechen nicht verkrampft sein soll", formuliert er in ausgezeichnetem Englisch. "Man kann hier auch neue Freunde kennenlernen und den eigenen Horizont erweitern."
Flying International möchte seinen Mitgliedern auch quasi ein zweites Zuhause bieten, daher hat Lien die Klubräume mit Sofas, einem Fernsehgerät, einem Tischtennistisch und einer Bar ausgestattet. Er betrachtet es als ein Freizeitzentrum, in dem jeder Englisch und nichts anderes sprechen soll, egal wie miserabel die Sprachkenntnisse auch sind. "Ich ermuntere die Leute sogar zu Fehlern", bekennt Lien. "Dann fühlt sich nämlich keiner gehemmt."
Lien verbringt so viel Zeit wie möglich in seinem Klub, und an Samstagen lädt er Gäste ein, die über ihre Erfahrungen sprechen sollen und hinterher Fragen der Klubmitglieder beantworten. Der Klub ist von vier Uhr nachmittags bis zehn Uhr abends geöffnet, und jeden Tag legt Lien ein Diskussionsthema fest. Einmal im Monat gibt es eine Sonderveranstaltung, etwa ein einfaches Abendessen oder einen Schwof. Zu festgelegten Zeiten halten ausländische Muttersprachler Kurse ab. Eine der Kursleiterinnen ist Marcy Huber, eine US-Amerikanerin über sechzig und Mitglied der National Speakers Association in den USA. Als Mitbegründerin von Flying International ist sie für die Einweisung der vier anderen ausländischen Lehrer im Klub zuständig.
Die Mitglieder -- derzeit etwa neunzig -- bezahlen zur Deckung der Kursgebühren, der Miete für die Klubräume und anderer Kosten einen Mitgliedsbeitrag. Laut Lien sind die meisten Mitglieder gebildete Leute, die in der Nähe des Klubs wohnen und ihre Karrierechancen durch Englischlernen verbessern wollen. "Ich möchte Flying International in einen Gemeindeklub verwandeln und auch anderswo solche Klubs gründen", plant Lien. Im November letzten Jahres erschien in einer der bekanntesten Tageszeitungen des Landes ein Artikel über den Klub, in der die Atmosphäre gelobt wurde, und bei der Zeitung gingen von der ganzen Insel Anrufe mit Anfragen darüber ein.
Es gibt in Taiwan offensichtlich einen sehr großen Bedarf für gute Möglichkeiten zum Englischlernen. Kommen die Einrichtungen im Inland aber qualitativ an einen Studienaufenthalt in den Ländern, in denen Englisch gesprochen wird, heran? "Der Englischunterricht in Taiwan konzentriert sich zu sehr auf Lesen und Schreiben", kritisiert Virginia Welch, und Sarah Yin stimmt ihr zu: "Die Folge ist, daß oft noch nicht einmal die einheimischen Englischlehrer die Sprache gut beherrschen." Yin hat festgestellt, daß viele Taiwanesen sich für Lehrerjobs in Abendschulen bewerben, um dort durch den Kontakt mit Muttersprachlern ihre eigenen Englischkenntnisse zu verbessern.
Welch ist sich auch der "kulturellen Frage" bewußt, die immer dann aufkommt, wenn die Problematik "Englischunterricht für Asiaten" erörtert wird. Sie bestreitet nicht, daß westliche Ausländer Englisch als Fremdsprache wegen der Verwandtschaft europäischer Sprachen im allgemeinen besser sprechen als Asiaten. Es ist aber auch nicht zu leugnen, daß Menschen aus dem abendländischen Kulturkreis im Klassenraum weniger ein Blatt vor den Mund nehmen als Asiaten. In Asien genießt der Lehrer ein relativ hohes Ansehen und bestimmt das Geschehen im Klassenraum vollkommen, so daß Schüler eher selten selbst die Initiative ergreifen und etwas ohne Aufforderung durch den Lehrer tun. Welch gibt auch ein Beispiel: "Wenn der Lehrer sagt: 'Es ist heiß', dann würde ein westlicher Schüler aufstehen und das Fenster öffnen. Ein Asiate würde dagegen nur nicken und bestätigen, 'Ja, es ist heiß'."
Diese kulturelle Last wiegt bei Erwachsenen möglicherweise schwerer als bei Kindern. "Erwachsene haben viel mehr Angst davor, Fehler zu machen", weiß Lien. "Weil sie sich außerdem viel zu sehr auf die in der Schule gelernte Grammatik konzentrieren, sprechen sie nicht so flüssig." Wer sich mit der chinesischen Umgangssprache beschäftigt hat, weiß, daß Satzbau und Grammatik völlig anders sind als im Englischen. Ein typischer Vorwurf frustrierter westlicher Ausländer beim Sprachstudium lautet, Chinesisch habe keine Grammatik, und man braucht Jahre, bis man einfach ins Chinesische umschalten kann wie etwa ein französischer Muttersprachler ins Spanische.
Ein langer Auslandsaufenthalt wird von vielen immer noch als die beste Methode zum Englischlernen betrachtet. Auch Ruth Devlin von Studio Classroom ist der Ansicht, daß man eine Fremdsprache am schnellsten in dem jeweiligen Land lernen kann, "denn Kultur und Sprache gehören zusammen -- je besser man das Land kennt, desto leichter lernt man die Sprache." Das ist nicht falsch, aber manche Schüler verlassen im Ausland nur ungern das warme Nest eines chinesischsprachigen Bekanntenkreises, beispielsweise in Kalifornien. " Ich habe schon allzu viele Taiwanesen von dieser Sorte gesehen, die sich bei lokalen Sprachenschulen um Jobs bewerben", meint Sarah Yin verächtlich. "Deren Englisch kann man fast überhaupt nicht verstehen."
Yin und Lien haben dagegen nie im Ausland gelebt oder studiert und sind trotzdem lebende Beweise dafür, daß man auch in Taiwan sehr gut Englisch lernen kann. " Beim Lernen einer Fremdsprache sind Begabung und die richtige Einstellung das A und O", philosophiert Lien.
Auch Welch kennt ein paar zweisprachige Taiwanesen, die ihr Englisch komplett in Taiwan gelernt haben. Wie haben die das bloß geschafft? "Man kann durch Lesen, Radiohören und Sprechen mit Freunden eine englische Lernumgebung schaffen", findet sie. Was versteht sie unter "gutem Englisch"? "Wenn man sich verständlich machen kann, dann ist das gutes Englisch. Normalerweise stören die grammatischen Fehler der Chinesen die westlichen Ausländer nicht."
Ist es im heutigen Taiwan schwer, Englisch zu lernen? Quellen zum Englischlernen sind nicht schwer aufzutun, und Sprachschüler haben eine breite Palette von Möglichkeiten zur Auswahl, daher sollte die Antwort "nein" lauten. Die Grundvoraussetzung für den Erfolg ist vielleicht die Entschlossenheit, Englisch zum Teil des eigenen Lebens zu machen und unablässig nach Gelegenheiten zum Gespräch mit Ausländern zu suchen. Bei der richtigen Einstellung ist die Wahl der Mittel dann vielleicht nur zweitrangig.