"Old MacDonald had a farm, E-I-E-I-O! And on this farm he had some chicks, E-I-E-I-O! ..." Voller Begeisterung krähen die Dreikäsehochs in der Jenai-Grundschule dieses englische Lied, und man sieht ihnen ihren Spaß auch an. "Der Englischunterricht ist super", schwärmt der Drittkläßler Ting Wei-hsiang. "Es macht total Spaß. Wir spielen viele Spiele und singen viele Lieder, alle auf Englisch. Und das Beste: Es gibt keine Hausaufgaben!"
Jenai ist eine von neunzehn Grundschulen in Taipei, die an einem experimentellen Englisch-Lehrprogramm des Städtischen Bildungsamtes (Taipei City Government Bureau of Education , TBOE) teilnehmen. Im ersten Jahr dieses Vierjahresplanes (Juli 1997 bis Juni 1998) wurde Englisch in der dritten Klasse der Grundschule unterrichtet und wird in den kommenden drei Jahren auch in der vierten, fünften und sechsten Klasse eingeführt. Wenn alles klappt, wird die Stadt Taipei auch in den übrigen 149 Grundschulen Englischunterricht einführen. (Gegenwärtig überläßt die Zentralregierung den jeweiligen Stadt- und Kreisverwaltungen die Entscheidung darüber, ob in der Grundschule -- die in der Republik China sechs Jahre dauert -- Englisch unterrichtet werden soll. Kaohsiung führt ein ähnliches Programm wie Taipei durch, aber in den übrigen Gebieten der Insel ist die Entwicklung uneinheitlich.)
"Beim Englischunterrichten muß der Lehrer unbedingt das Interesse der Schüler erregen und ihr Selbstvertrauen aufbauen", weiß John Chen, Vollzeit-Englischlehrer bei Jenai. "Das geht mit Liedern, Spielen, Reimen und Rollenspielen. Viel Üben und Wiederholen ist natürlich ebenfalls unverzichtbar." Am wichtigsten sei es aber, die Schüler zum aktiven Sprechen zu motivieren. "Sie müssen immer Gelegenheit haben, zu verstehen und ihre Gedanken und Wünsche in einfachem Englisch auszudrücken -- ohne Übersetzung. Die Schüler sollen die Sprache als Kommunikationsmittel begreifen und nicht nur als ein zusätzliches Pflichtfach." Im Schulalltag freut sich Chen immer am meisten darüber, wenn ihn Schüler auf Englisch begrüßen. "Dann habe ich das Gefühl, was erreicht zu haben. Das belebt meine Begeisterung für das Unterrichten."
Die 33jährige Hausfrau Chien Feng-ling hat drei Kinder in der Jenai-Grundschule und freut sich, daß die Schule in diesem Programm ist. "Damit hätten sie schon viel früher anfangen sollen", meint sie. "Man darf nicht erst in der Mittelschule mit Englisch anfangen, denn dann haben die Kids auch einen Haufen anderer Fächer und nur noch wenig Zeit fürs Englischlernen." Die Folgen kennt sie aus eigener Erfahrung. Ihr Mann mußte auf Anweisung seines Chefs in Australien arbeiten, und die ganze Familie zog für zwei Jahre dorthin. Chien mußte immer wieder feststellen, daß die Englischkenntnisse der taiwanesischen Schüler denen der Schüler aus anderen südostasiatischen Ländern stark unterlegen sind. "Man kann nicht abstreiten, daß Englisch heute von den meisten Menschen auf der Welt gesprochen wird", behauptet sie. "Ich bin sehr besorgt, und ich frage mich, wie wir bei unserer schlechten Englisch-Sprachausbildung mit den anderen Ländern mithalten sollen." Sie appelliert an die Bildungsbehörden, ihre Bemühungen zur Förderung von umfassenderem und beschleunigtem Englischunterricht an Grundschulen zu verstärken.
Die Rektorin von Jenai, Chen Yen-ho, vertritt den gleichen Standpunkt. "Wir möchten dieses Programm auf allen Stufen umsetzen, weil wir die Bedeutung von Englisch als internationaler Sprache anerkennen, und wir streben das Ideal gleicher Lernchancen an", beteuert sie. "Mit der Förderung grundlegender Sprachfähigkeiten fängt man am besten dann an, wenn die Schüler noch klein sind." Die Hauptprobleme sind Lehrermangel und Haushaltsengpässe. Im Moment ist die Schule dem Zeitplan des TBOE sogar noch voraus und hat bereits mit der Umsetzung des Englischunterrichts in der dritten, vierten und fünften Klasse begonnen.
An der Jenai-Grundschule wird derzeit allerdings nur einmal die Woche Englisch unterrichtet, und Chen gibt auch zu, daß das bei weitem nicht ausreicht. Zum Ausgleichen dieses Defizits hat die Schulleitung in jedem Klassenraum einen Fernseher und Videorecorder installiert, mit denen jeden Morgen zwischen 8.05 und 8.20 Uhr englische Lehrvideos gezeigt werden, nach denen die Lehrer etwa eine Viertelstunde lang den Stoff wiederholen. Die Anschaffung dieser Geräte wurde durch großzügige Spenden der Eltern von insgesamt fünf Millionen NT$ (263 000 DM) möglich. "Die Schüler sollen jeden Tag etwas Englisch hören können, damit sie sich langsam, ohne Druck und ganz natürlich an die Sprache gewöhnen."
Im Zeitalter von Globalisierung und Internet braucht man nicht mehr darüber zu streiten, daß so früh wie möglich mehr und besseres Englisch unterrichtet werden soll. " Wir müssen nun sehen, wie wir dieses Programm wirksam fördern", teilt Chen mit. "In der Vergangenheit -- ich meine mich und meine Generation -- konnten die meisten Hochschulabsolventen kaum Englisch lesen und schreiben. Bei einer Begegnung mit Ausländern wurde man rot und brachte kein Wort heraus." Entsprechend glaubt sie, daß die in Taiwan verbreiteten Lehrmethoden und Ziele gründlich geprüft und überarbeitet werden müssen. "Die Ziele auf dem Grundschulniveau sind Sprechen und Hörverstehen. Die Schüler sollten so viel wie möglich zum Englischsprechen ermuntert werden, und die Lehrmethoden sollten interessant, lebendig und locker sein."
Die Rektorin der Jenai-Grundschule beklagt den Mangel an Vorausplanung besonders in Lehrerkollegs, der den Unterricht von Fremdsprachen in Taiwan schon lange behindert. "Es gibt bei diesem Programmexperiment hinsichtlich der Qualität der Lehre eine Menge Skepsis", räumt sie ein. Zur Zeit wird der Englischunterricht bei Jenai von ausgebildeten Englischlehrern, privaten Hilfslehrern und freiwilligen Eltern durchgeführt. "Englischunterricht in Grundschulen ist neu in Taiwan. Wir können nur hoffen, daß wir auf experimentellem Wege die beste Methode zur Umsetzung des Programms ermitteln können und dabei Probleme ausbügeln", hofft Chen.
Soll man auf der Grundschulebene ausgebildete Sprachlehrer anheuern, oder kriegen es die Klassenlehrer genauso gut hin? Nach Chens Ansicht haben beide Ansätze ihre Vorteile. "Sprachexperten sind natürlich professioneller, wogegen die Klassenlehrer bei Zeit und Themen flexibler sind", gibt sie zu bedenken. "Entscheidend ist, daß die Zielsprache in das Leben der Schüler eingeflochten werden muß." Chen ist sich bewußt, daß die Aufgabe des Englischunterrichtens -- wie ursprünglich vom TBOE vorgesehen -- wegen der begrenzten Mittel auf absehbare Zeit vor allem von privaten Hilfslehrern abhängen wird. Nur wenn diese nicht gut genug sind, müssen ausgebildete Sprachlehrer oder Elternfreiwillige einspringen.
Das TBOE ist sich der Zweifel und Kritik besorgter Eltern und Bildungsexperten an dem Einsatz der Klassenlehrer für Englischunterricht sehr wohl bewußt. Zeng Tsan-jin, ein Sektionsleiter im TBOE, erklärt die Strategie des Amtes folgendermaßen: "Wir wollen ein natürliches Lernumfeld schaffen. Private Hilfslehrer haben den meisten Kontakt mit den Schülern, können die Sprache mit verschiedenen Themen verbinden und ihren Unterricht dadurch lebendiger und praxisnäher gestalten." Außerdem hebt er hervor, daß die Schulen in dem Pilotprojekt aufgrund der derzeit angespannten Finanzlage der Stadtverwaltung aus ihren vorhandenen Ressourcen das Beste machen müssen.
Zeng räumt dennoch ein, daß Klassenlehrer einer Zusatzausbildung bedürfen, bevor sie auf die Kids losgelassen werden. "Die Lehrer müssen immer auf dem laufenden bleiben und neue Entwicklungen in sich aufnehmen, und zwar nicht nur in ihrem Fachbereich, sondern auch in anderen Bereichen", empfiehlt er. "Deswegen ist die richtige Heranbildung von privaten Hilfslehrern ein sehr wichtiges Thema für uns. Sie brauchen regelmäßige arbeitsbegleitende Fortbildungen für zweisprachiges Unterrichten."
Zeng fügt hinzu, daß bei der Verfügbarkeit von gutem Unterrichtsmaterial und anderen Hilfsmitteln wie Audio- und Videocassetten jeder Lehrer die notwendigen Fertigkeiten erwerben können sollte. "Die Lehrer brauchen kein schwieriges Vokabular oder komplizierte grammatische Regeln zu unterrichten", betont er. "Die Englischkenntnisse der Lehrer sind daher für uns nicht die Hauptsache. Die Lehrmethoden sind viel wichtiger als der Umfang des Stoffes." Er erwartet jedoch, daß in Zukunft bei Bedarf auch Bewerber mit guten Englischkenntnissen eingestellt werden können.
Bisher haben sich insgesamt neunzehn Grundschulen zur Teilnahme an dem Programm des TBOE gemeldet, während weitere 93 Schulen Englisch als Wahlfach anbieten. "Wir denken vor allem darüber nach, wie wir die Ausbildung universeller gestalten können, damit alle Schüler und nicht nur ein paar davon profitieren", überlegt Zeng. "Bis zum Jahr 2001 ist das Ziel [in den neunzehn Schulen] umfassender Englischunterricht von der dritten bis zur sechsten Klasse." Schulen mit Personalmangel oder unzureichenden Einrichtungen werden aber nicht bestraft. Wenn auf der anderen Seite Schulen wie die Jenai-Grundschule die Phasen des Programms schneller als vorgesehen umsetzen können, freut sich das TBOE natürlich ganz besonders.
Die Schulen in dem Projekt erhalten von der Stadtverwaltung für die Lehrerfortbildung und die Anschaffung von Lehrmaterial und Hilfsmitteln einen Zuschuß in Höhe von drei Millionen NT$ (158 000 DM). "Der Vierjahresplan soll das Interesse der Schüler am Englischlernen und ihr Selbstvertrauen steigern", verkündet Zeng. "Dazu müssen die Kinder die Sprache in einer entspannten und fröhlichen Atmosphäre erlernen, ohne den Druck von Prüfungen und Hausaufgaben."
Es gab bereits Forderungen nach dem Aufbau eines Systems für Bewertung und Einstellung von Lehrern und die Auswahl von Standard-Lehrbüchern. Zeng möchte jedoch nur ungern etwas unterstützen, das den gegenwärtigen Trend zur Schulautonomie hemmen könnte. "Schulen sollen aufgrund ihrer Bedürfnisse und Bedingungen ihre eigenen Entscheidungen treffen können." In der Praxis müssen die Schulen letztlich jeweils ihre eigenen Lehrerbewertungskommissionen einrichten.
Zeng ist ein enthusiastischer Anhänger des Programms und kennt die angesprochenen Bedürfnisse. "Die Diskussion über die Durchführbarkeit des Plans haben wir schon längst hinter uns", meint er lässig. "Der Trend ist nicht mehr aufzuhalten. Wir gehen schrittweise vor und sollten nicht warten, bis die Bildungsbehörden plötzlich Hals über Kopf alles umkrempeln." Mit dieser Einsicht ist Zeng nicht allein; seit der Umsetzung des Plans haben viele Kreise und Städte (darunter Kaohsiung, die zweitgrößte Stadt in Taiwan) nachgezogen, und die Zentralregierung unterstützt bekanntermaßen solche Initiativen.
Sung Jen-han, eine Verwaltungsbeamtin in der Grundschulabteilung des Bildungsministeriums, merkt an, daß das Ministerium gegenwärtig in Kooperation mit Akademikern und Sprachlehrexperten an der Frage arbeitet, ob Englisch in den regulären Lehrplan aufgenommen werden soll. " Es gibt verschiedene Ansichten über die Machbarkeit von Englischunterricht auf Grundschulniveau", verrät sie. " Wir werden alle diese Meinungen berücksichtigen, ebenso die Qualität des verfügbaren Lehrpersonals, und noch vor September dieses Jahres eine Entscheidung fällen. Bis dann muß nämlich ein neuer Standardlehrplan formuliert sein."
In Taiwan hatte sich Fremdsprachenunterricht seit langem fast ausschließlich auf Englisch konzentriert. Durch das Entstehen der sogenannten "Weltgemeinschaft" und Taiwans zunehmende Verbindungen aller Art mit den Staaten der Welt erhalten inzwischen jedoch auch andere Fremdsprachen immer mehr Aufmerksamkeit. "Die frühere Fixierung auf Englisch ist in einer nach Bildung und Information hungernden Welt nicht länger angemessen", formuliert Jow Ying-haur, Direktor der Abteilung für höhere Schulbildung im Bildungsministerium. "Die Schüler sollten mehr Wahlmöglichkeiten erhalten und durch entsprechende Sprachausbildung die Kulturen, Sitten und Gebräuche anderer Nationen verstehen lernen."

Ein großes Hindernis einer breiten Fremdsprachenausbildung in Taiwans Oberschulen ist der chronische Mangel an einheimischem qualifiziertem Lehrpersonal.
Zur Vereinfachung dieses Prozesses startete das Bildungsministerium im Jahre 1993 ein dreijähriges experimentelles Oberschulprogramm mit einer zweiten Fremdsprache als Wahlfach. Je nach individueller Vorliebe der jeweiligen Schule werden Kurse in Französisch, Spanisch, Japanisch und Deutsch als zusätzliche Unterrichtsveranstaltung angeboten. "Solche Kurse sollten nicht zur Pflicht gemacht oder als Vorbereitung für die Fremdsprachenabteilungen der Hochschulen benutzt werden", warnt Jow. "Unser Hauptziele sind die Anregung des Interesses der Schüler am Erlernen von Fremdsprachen und die Pflege einer internationalen Perspektive durch die Erweiterung der Kenntnisse in globalen Angelegenheiten."
Der Plan bietet finanzielle Zuschüsse, um Schulen das Experiment mit Fremdsprachenkursen schmackhaft zu machen. Sobald der neue Oberschul-Lehrplan für das nächste Jahr bekanntgemacht ist, müssen die Schulen je nach den Bedürfnissen der Schüler und der Verfügbarkeit von Personal und Ressourcen entscheiden, ob die Kurse mit einer zweiten Fremdsprache ein reguläres Angebot werden sollen. Jow hofft, daß die Eltern die Wünsche ihrer Kinder berücksichtigen und diejenigen, die gerne eine zweite Fremdsprache lernen möchten, nicht daran hindern werden. "Der Hauptgrund dafür, daß wir eine zweite Fremdsprache als Wahlfach und nicht als Pflichtfach anbieten, ist der, daß wir ein Höchstmaß an Flexibilität bewahren wollen", erläutert er. "Die Schüler sollten frei nach ihren Wünschen und Interessen entscheiden dürfen. Das entspricht dem Geist der Liberalisierung im Bildungsbereich -- einer Richtung, die das ganze Bildungswesen Taiwans nehmen sollte."
Der Plan hatte ursprünglich nur die Auswahl von zehn Schulen auf der ganzen Insel für das Projekt vorgesehen, aber die Resonanz auf das erste Jahr war so positiv, daß die Zahl der einbezogenen Schulen auf 18 erhöht wurde. Zu Redaktionsschluß wurden in den Oberschulen 26 Französischkurse, 82 Japanischkurse, 2 Spanischkurse und 12 Deutschkurse veranstaltet.
Abgesehen von der Festlegung bestimmter Lernziele will das Bildungsministerium die Lehrinhalte, -methoden oder Unterrichtsdauer nicht diktieren und sich auch nicht in die Einstellungs- und Prüfungsverfahren für Lehrer einmischen. "Dies ist ein Zeitalter zunehmender Schulautonomie, und das Ministerium respektiert diesen Trend", behauptet Jow. "Die gegenwärtige Rolle des Bildungsministeriums ist, Schulen zur Umsetzung des Programms in der von uns als richtig erachteten Richtung zu ermuntern und ihnen im Falle von Schwierigkeiten Unterstützung angedeihen zu lassen. Das Ministerium sollte nicht zu stark in die Entscheidungsfindung und Verwaltungsarbeit der jeweiligen Schulen einbezogen werden."
Trotzdem bietet das Ministerium Zuschüsse zur Ausgabendeckung an, etwa für Lehrmaterial und Lehrerhonorare. Es bat auch die Kaiping-Berufsschule, die Tamkang-Oberschule und die Ginling-Mädchenoberschule in Taipei um die Zusammenstellung von Lehrmaterialien für Französisch bzw. Deutsch oder Japanisch und stellte jeder Schule dafür eine Million NT$ (53 000 DM) zur Verfügung. " Natürlich ist schon eine Menge Lehrmaterial auf dem Markt", weiß Jow. "Wir möchten den Schulen in dem Programm noch eine zusätzliche Option bieten, haben aber nicht die Absicht, ihre Lehrmaterialien als standardisierte Lehrbücher zu verlegen." Das Institut Français, das Deutsche Kulturzentrum und der japanische Austauschverband haben wesentliche Unterstützung angeboten, helfen bei der Erstellung von Material und geben Tips für Lehrmethoden.
Hsia Hui-wen, Rektor der Kaiping-Berufsschule in Taipei, ist ein begeisterter Anhänger des Programms des Bildungsministeriums zur Förderung einer zweiten Fremdsprache in den Oberschulen. "Taiwan ist eine Inselwirtschaft, die sehr von der Kommunikation mit der Außenwelt abhängt", argumentiert er. "Sprachen sind das grundlegendste und wichtigste Kommunikationsmittel. Wer Informationen zuerst bekommt, hat mehr Handelsgelegenheiten, und zu der Fähigkeit der schnellen Informationsbeschaffung gehören auch Fremdsprachenkenntnisse."
Hsia selbst hat gar nicht erst die Initiative des Ministeriums abgewartet. Direkt nach seinem Amtsantritt als Schulrektor vor sechs Jahren begann er mit der Förderung des Japanischunterrichts. Seine Weitsicht zahlte sich aus: Vor zwei Jahren wurde Kaiping als Vorzeigeschule ausgewählt, die in dem neuen Projekt des Bildungsministeriums eine Schlüsselrolle spielen sollte. Seitdem hat Hsia auch zweimal wöchentlich veranstaltete Französischkurse eingeführt.
Das Programm wird laut Hsia von den Eltern zwar einerseits wegen der spürbaren Vorteile durch das Erlernen einer Fremdsprache begrüßt, aber andererseits sind manche der Eltern besorgt, daß ihre Sprößlinge durch das Programm weniger Zeit zum Lernen in den anderen Fächern haben und sich deswegen ihre Chancen bei den zentralen Eingangsprüfungen der Universitäten -- bei denen derzeit außer Englisch keine Fremdsprache geprüft wird -- verschlechtern. Hsia wünscht sich eine Aufhebung dieser Beschränkung. "Gemessen an den Anstrengungen zum Ausbau des internationalen Handlungsspielraums sind Taiwans Beziehungen zu Europa, Lateinamerika und den asiatischen Ländern ebenfalls wichtig", unterstreicht er. "Es ist Zeit, daß wir auch entsprechend viel Gewicht auf das Studium der Sprachen dieser Länder legen."
Gegenwärtig rekrutieren sich die Lehrer für eine zweite Fremdsprache an den Oberschulen aus drei Bereichen: Manche sind Hochschulprofessoren, andere sind Muttersprachler der jeweiligen Sprache, die auf Empfehlung eines Professors als Teilzeitkräfte eingestellt werden, und einige sind regulär ausgebildete Vollzeit-Pädagogen, die nicht auf die Zielsprache spezialisiert sind. In keiner dieser drei Kategorien gibt es genügend Leute, und der Mangel qualifizierter Lehrkräfte mit der erforderlichen linguistischen Expertise hat sich als schwerwiegendes Hindernis erwiesen. "Es gibt keine einheimischen Lehrer, die die formalen Anforderungen zum Unterrichten von Französisch, Japanisch oder Spanisch an Taiwans Oberschulen erfüllen", seufzt Hsia. "Leider tun die Ausbildungsstätten für Lehrer nichts zur Heranbildung von Sprachexperten."
Deswegen läuft es oft darauf hinaus, daß ausgebildete Lehrer, die beispielsweise zufällig etwas Französisch können, dann diese Sprache unterrichten, obwohl sie ein anderes Fachgebiet haben und eigentlich keine Sprachlehrer sind. Andererseits gibt es äußerst fähige Leute, die eine formelle Ausbildung in Französisch durchlaufen haben und es auch unterrichten könnten, von den Oberschulen aber nicht als reguläre Vollzeitlehrer angestellt werden dürfen, weil sie keinen pädagogischen Abschluß haben.
Mehrere Universitäten, darunter renommierte Institutionen wie die Fu Jen Catholic University, die Tamkang University, die Chinese Culture University und die National Taiwan University bieten Lehrerstudiengänge für zweite Fremdsprachen an, aber nach dem Examen müssen die Absolventen noch ein einjähriges Referendariat in einer Oberschule unter der Aufsicht eines zum Unterrichten einer zweiten Fremdsprache befugten Lehrers anhängen -- und gegenwärtig gibt es keine. "Eine Zwickmühle", kommentiert Hsia.
Wer macht denn dann die Arbeit? Bosco Yu, Leiter der Fremdsprachenabteilung und Französischlehrer an der Kaiping-Berufsschule, ist ein Beispiel, wenn auch kein repräsentatives. Er erwarb an der Katholischen Universität Louvain (Belgien) einen Magister und Doktorgrad in Pädagogik, arbeitete anschließend noch zehn Jahre in Belgien und gab dort Chinesen sowohl Englisch- als auch Französischunterricht. Yu ist voll des Lobes über die Förderung einer zweiten Fremdsprache durch das Bildungsministerium.
Laut Yu soll der Fremdsprachenunterricht an den Oberschulen nicht der Prüfungsvorbereitung dienen, sondern den Schülern ein Verständnis für andere Länder vermitteln und ihnen dabei helfen, eine globale Perspektive zu erwerben. Er merkt an, daß der Einigungsprozeß in Europa fortschreitet und die asiatischen Länder diesem Vorbild folgen werden, daher sei eine angemessene Vorbereitung gefordert, und der Schwerpunkt sollte dabei eindeutig auf Kommunikation gelegt werden. "Schüler sollen den praktischen Umgang mit der Sprache lernen, ohne sich über den Lernumfang Sorgen machen zu müssen", fordert er. "Wenn sie die Sprache wirklich beherrschen wollen, können sie später an der Universität weitermachen."
Yu setzt sein Prinzip praktisch um, indem er in seinem Unterricht echtes Alltagsfranzösisch unterrichtet und nicht zu viel Zeit mit detaillierten Erklärungen von Grammatik und Syntax verschwendet. Ein häufig auftretendes Problem ist, daß die Schüler die grammatischen Regeln akribisch lernen und damit gute, schöngebaute Sätze basteln. In dem jeweiligen Land verstehen Muttersprachler dann natürlich kein Wort, weil dort niemand so spricht. Daher würde sich Yu wünschen, daß die derzeit üblichen Prüfungsfragen -- die den Schwerpunkt auf das Auswendiglernen von grammatischen Regeln und Vokabular legen -- in einer Weise überarbeitet werden, daß die Schüler zeigen können, was sie wirklich gelernt haben.
Das Bildungsministerium bat Yu und einen anderen Lehrer um die Vorbereitung französischen Lehrmaterials, woran sie jetzt seit über einem Jahr arbeiten. "Es geht uns vor allem darum, das Interesse der Schüler anzustacheln", stellt Yu fest. "Dazu wollen wir Inhalte der Bereiche Geschichte, Kultur und dortige Sitten einführen und das in einer lebendigen, vielfältigen Weise präsentieren." Abgesehen davon wollen sie mehr Gewicht auf die Aussprache legen, damit die Schüler bei einer Frankreichreise sicher sein können, auch verstanden zu werden.
Yu räumt ein, daß die verfügbaren Ressourcen in Taiwan begrenzt sind, aber glücklicherweise erhielt er die Unterstützung von vielen verschiedenen Helfern, darunter von einheimischen Universitätsprofessoren, Mitarbeitern des Institut Français in Taipei und vor allem dem Centre International d'Etude pédagogique in Frankreich (eine dem Goethe-Institut vergleichbare Institution, die weltweit Französischunterricht fördert), das die neuesten Lehrmethoden und -materialien lieferte. "In der Zukunft wird das Leben unserer Kinder global sein", prophezeit Yu. "Je früher sie sich darauf vorbereiten, desto besser."
Wie will das Bildungsministerium bei der Schaffung einer neuen Generation von qualifizierten Lehrern für eine zweite Fremdsprache vorgehen? Jow Ying-haur teilt mit, daß das Ministerium sich auf eine Änderung der gegenwärtig restriktiven Bestimmungen vorbereitet. Es wird vorgeschlagen, daß am Programm des Ministeriums beteiligte Professoren Sprachpraktikanten ausbilden dürfen, damit so die erste Generation geprüfter Lehrer für eine zweite Fremdsprache herangezüchtet werden kann. Freilich leugnet Jow nicht, daß das nur eine Notlösung ist. "Die Regierung sollte in der nächsten Zeit auf die Ausbildung von Vollzeitlehrern mit Expertise in einer zweiten Fremdsprache hinarbeiten", schlägt er vor. "In dieser Experimentierzeit wird das Ministerium den Bedarf für solches Lehrpersonal einschätzen und entsprechend planen."
Für viele Beobachter lautet in dieser Situation das Schlüsselwort "experimentell". Es taucht überall auf, im Englischprogramm für Taipeis Grundschulen ebenso wie bei der Entwicklung eines umfassenden Systems für den Unterricht einer zweiten Fremdsprache, und daraus ergibt sich die Frage: Wenn die nicht-chinesischen Sprachen so wichtig sind, warum braucht die Regierung auf allen Ebenen dann so lange, um endlich zu handeln? Besorgte Eltern können nur hoffen, daß nicht zu viele Jahre ins Land gehen werden, bis ihre Kinder mit einem selbstsicheren Lächeln auf einen Touristen zugehen und die magischen Worte aussprechen können, nach denen sich verwirrte Ausländer so sehnen: "Can I help you?"