Die reine Zahl der im Nationalen Palastmuseum aufbewahrten Objekte übersteigt jede Vorstellungskraft. Über 650 000 Gegenstände sind katalogisiert, und die Sammlung wächst durch Schenkungen und Ankäufe ständig weiter. Der Museumsbau ist erdbeben- und taifunsicher und mußte wegen des Wachstums der Sammlung bis heute fünfmal erweitert werden, wodurch sich die ursprüngliche Ausstellungsfläche verdreifachte. Heute verfügt das Nationale Palastmuseum über eine Ausstellungshalle, 7 Galerien und 22 Ausstellungsräume.
Die Kunstwerke werden nach zwei Prinzipien ausgestellt: Dauerausstellungen und wechselnde Sonderausstellungen. Dieses Prinzip bietet sich an, weil aus Platzgründen unmöglich alle Objekte gleichzeitig gezeigt werden können. Tatsächlich ist in den Ausstellungsräumen lediglich für maximal 15 000 Objekte Platz vorhanden. Die Dauerausstellung besteht aus Gegenständen, die für die verschiedenen Objektarten der Sammlung repräsentativ sind, damit ausländische Touristen bei einem einmaligen Besuch des Museums einen besseren Überblick über das chinesische Kulturerbe und seine seit Jahrtausenden ununterbrochene Kontinuität erhalten können.
In den Sonderausstellungen mit Themenschwerpunkten werden die Objekte alle zwei bis drei Monate ausgetauscht, so daß Besucher sich jeweils von einem bestimmten Kunstbereich ein genaueres Bild machen können. Pro Jahr können so insgesamt rund 60 000 Gegenstände gezeigt werden. Wer also jedes einzelne Stück der Kaiserlichen Sammlung einmal gesehen haben möchte, würde dafür rein rechnerisch zehn bis zwölf Jahre brauchen.
Manche Objekte könnte man aber aus Sicherheitsgründen auch gar nicht für längere Zeit ausstellen. Gerade Kalligraphien und Gemälde, die teilweise schon viele Jahrhunderte alt und altersbedingt brüchig geworden sind, dürfen nicht ständig auf- und zugerollt oder längere Zeit dem Licht ausgesetzt werden. "Jedes unserer Gemälde und Kalligraphien wurde bereits restauriert", berichtet Chin Hsiao-yi, seit 1983 Direktor der Nationalen Palastmuseums.
Besonders empfindliche Gemälde wurden zum Schutz vor dem Zahn der Zeit in eine restriktive Kategorie eingestuft. 1984 zählten 20 Werke zu dieser Kategorie, und bis 1995 wurde die Kategorie auf 70 Werke ausgedehnt. "Die Restriktionen dienen dem Schutz der jahrhundertealten Werke vor Rissen, Flecken und Verblassen durch zu langes Ausstellen", erklärt Lin Po-ting, Kurator der Gemälde- und Kalligraphieabteilung des Museums. Bei vielen dieser kostbaren Stücke wurde die Tusche oder Farbe direkt auf Seidengewebe aufgetragen, und diese Werke neigen zu schnellem Verfall, wenn sie zu hoher Luftfeuchtigkeit, zu starkem Licht oder Temperaturschwankungen ausgesetzt werden.
Normalerweise werden jedes Jahr nur 20 Stücke dieser Kategorie jeweils für 40 Tage zwischen Oktober und November -- wenn die Luftfeuchtigkeit in Taiwan am niedrigsten ist -- ausgestellt. Liebhaber klassischer chinesischer Malerei und Kalligraphie haben daher nur selten Gelegenheit, diese empfindlichen Stücke direkt in Augenschein nehmen zu können. Im Jahre 1995 veranstaltete das Nationale Palastmuseum anläßlich seines siebzigjährigen Bestehens jedoch eine Sonderausstellung, in der siebzig bedeutende Kalligraphien von der Tang-Dynastie (618-906) bis zur Ming-Dynastie (1368-1644) gleichzeitig gezeigt wurden.
Da aus Platzgründen gleichzeitig nur höchstens zwei Prozent der Sammlung ausgestellt werden können, wird der Rest in Lagerräumen aufbewahrt. Früher dienten dazu Höhlen, die man bis zu 200 Meter tief in die Berge unmittelbar hinter dem Palastmuseum getrieben hatte und die buchstäblich "bombensicher" waren. 1985 wurde dann ein hochmoderner Magazinbereich mit 250 000 Quadratmetern Fläche fertiggestellt, in dem Temperatur und Luftfeuchtigkeit per Computersteuerung reguliert werden. Eine 3 Millionen US$ teure Alarmanlage schützt vor Diebstählen, und eine Brandschutzanlage kann Feuer mit einem Spezialgas löschen, das Flammen erstickt, so daß die gelagerten Kunstgegenstände im Brandfall nicht durch Löschwasser beschädigt werden.
Der technische Aufwand zur Lagerung ist nicht zu unterschätzen, da sich die optimalen Lagerungsbedingungen für die verschiedenen Objektarten teilweise sehr voneinander unterscheiden: Die ideale Luftfeuchtigkeit beispielsweise für Bronze, alte Gemälde oder Lackarbeiten muß jeweils gesondert reguliert werden. Falsche Lagerung kann irreparable Schäden zur Folge haben.
Die meisten gelagerten Kunstgegenstände sind in gut gepolsterten metallenen Schiffskisten erdbebensicher verstaut. Die empfindlicheren Kalligraphien und Rollbilder werden dagegen in Schränken aus Kampferholz verwahrt, weil Kampferholz von Natur aus Insekten fernhält. Weil zusätzlich auch noch chinesische und westliche Insektenbekämpfungsmittel verwendet werden, gab es bisher praktisch keinen von Insekten angerichteten Schaden.
In den Ausstellungsräumen wird die Temperatur konstant zwischen 15 und 20 Grad Celsius reguliert. Vielen Besuchern ist das zu kühl, aber die Sicherheit der Artefakte geht vor. Die relative Luftfeuchtigkeit wird zwischen 50 und 75 Prozent gehalten, außer bei den Räumen mit Bronzeobjekten: Dort darf die Luftfeuchtigkeit nicht mehr als 40 Prozent betragen. Das Licht wurde besonders auf die Schonung der Kunstgegenstände abgestimmt. Der gesamte Ausstellungsbereich wird mit Videokameras überwacht und die Aufnahmen sechs Monate lang gespeichert.

Aus China, aber kein Chinakohl!: Diese kunstvolle Schnitzerei aus weiß-grüner Jade ist eines der berümtesten Jadeobjekte in der Sammlung des Nationalen Palastmuseums. “Fei-ts’ui”-Jadekohl, Länge 18,7 cm. Ch’ing-Dynastie(1644-1911)
Die Leitung des Nationalen Palastmuseums begnügt sich aber nicht mit der Aufbewahrung, Restaurierung, Sortierung und Ausstellung der vor den Japanern und Kommunisten geretteten Kunstschätze. Die Sammlung wird vielmehr beständig erweitert. Während der Kaiserzeit kamen neue Objekte durch Schenkung (wobei dem Kaiser oft auch Fälschungen angedreht wurden), Kauf oder Konfiskation zur Sammlung. Von der letzteren Methode macht das Nationale Palastmuseum dem Vernehmen nach keinen Gebrauch, aber es kauft bis heute von Antiquitätenhändlern, Privatsammlern und Gelehrten so manches wertvolle Stück. "Ich bin diesen Leuten für ihre Großzügigkeit sehr dankbar, denn sie verlangen normalerweise Preise, die weit unter dem tatsächlichen Wert liegen -- wenn man den Wert überhaupt in klingender Münze ausdrücken kann", lobt Direktor Chin.
Weil der Jahresetat auf 1,5 Millionen US$ begrenzt ist, kauft das Palastmuseum nur Kunstwerke der im Hause noch unterrepräsentierten Kategorien. "Wir versuchen zunächst einmal, die durch ein früheres unzureichendes Konzept entstandene Lücke zu füllen und kaufen daher Artefakte der früheren Dynastien, insbesondere Bronzestücke aus der Shang- und Chou-Dynastie (16. bis 3. Jahrhundert v. Chr.)", fährt Chin fort. Auf dem chinesischen Festland kann das Nationale Palastmuseum allerdings bis heute weder einkaufen noch ausleihen.
Spenden sind natürlich immer willkommen, und darüber hinaus verwahrt das Palastmuseum auch Besitzstücke privater Kunstliebhaber. "Wir haben die besten Einrichtungen zum Schutz von Kunstwerken, deswegen schicken uns manche Erben ihre Kunstwerke her, aber nicht nur zur Aufbewahrung und Erhaltung, sondern auch, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen", freut sich Chin. Das Palastmuseum bietet auch besseren Schutz vor Dieben und Erdbeben. Oft sind unter diesen Leihgaben alte und äußerst wertvolle Stücke, die aber zur Kaiserzeit wegen Desinteresse oder Aberglauben der Herrscher nicht in die Sammlung aufgenommen worden waren.
Ein typisches Beispiel dafür sind die Bilder der vier Mönche, die der Ming-Dynastie auch nach der Machtübernahme der Ch'ing im Jahre 1644 weiterhin die Treue hielten. Die Ch'ing-Kaiser lehnten daher eine Aufnahme ihrer Bilder in die Kaiserliche Sammlung ab, und die Bilder gelangten in den Besitz privater Sammler. Heute sind sie ebenso im Palastmuseum zu sehen wie antike Waffen, die zur Kaiserzeit als unheilverheißend angesehen wurden.
Das Nationale Palastmuseum wird jährlich von drei Millionen Menschen besucht, aber die Vielfalt der ausgestellten Objekte macht das Museum auch und besonders für Forscher und Gelehrte interessant. Das Archiv und die Museumsbibliothek enthalten Schriftstücke aller Art, von kaiserlichen Tagebüchern und Erlassen bis hin zu Berichten über den religiösen, sozialen und familiären Lebensstil in den Dörfern. Diese Aufzeichnungen wurden seit der Tang-Dynastie angelegt. Viele der teilweise sehr alten Dokumente sind aber restaurationsbedürftig, und mit dieser Aufgabe ist die Konservierungsabteilung des Nationalen Palastmuseums betraut.
Um Chinesen wie Ausländern die chinesische Kultur näherzubringen, veranstaltet das Museum Kurse für verschiedene Altersgruppen. Die Themen dieser Kurse umfassen sämtliche Bereiche der chinesischen Kunst wie Kalligraphie, Jade, Keramik, Malerei, Porzellan und andere. Für Ausländer gibt es diese Kurse teilweise auch auf Englisch. Darüber hinaus werden Sonderkurse für Senioren und in den Schulferien Kurse für Teenager angeboten.
Neben diesen Informationskursen für Laien bietet das Museum aber auch noch professionellere Ausbildungsmöglichkeiten. Interessierte Kunsthistoriker oder Sinologen aus dem In- und Ausland können im Palastmuseum ein Praktikum machen und nach einer Ausbildung Führungen durch das Museum leiten. Für jeden, der ernsthaft an einer Laufbahn in ostasiatischer Kunstgeschichte interessiert ist, ist ein Praktikum im Nationalen Palastmuseum ein Muß; viele Spezialisten und Direktoren von Museen für orientalische Kunst haben sich dort ausbilden lassen. "Die freien Mitarbeiter im Palastmuseum kriegen zwar kein Geld, aber dafür erhalten sie eine erstklassige Ausbildung", urteilt die deutsche Sinologin Patricia Frick, die einmal in der Woche im Nationalen Palastmuseum Führungen auf Englisch leitet.
Wer das Museum nicht persönlich besuchen oder an den Kursen nicht teilnehmen kann, für den gibt es mehrere Publikationen des Nationalen Palastmuseums, darunter das Monatsblatt The National Palace Museum Monthly of Chinese Art . Archäologische Neuigkeiten sind in Five Thousand Years of Chinese Art nachzulesen, und in Chinese Treasures Overseas erfährt man vieles über Sammlerstücke ausländischer Kunstliebhaber und Galerien. Weitere Aktivitäten des Nationalen Palastmuseums zur Kunsterziehung der Öffentlichkeit umfassen Informationen über Kunstwerke im Internet (Adresse: http: //www.npm.gov.tw).
Selbst bei der Entspannung will das Nationale Palastmuseum keinen Stilbruch entstehen lassen: Im dritten Obergeschoß des Museums können Besucher im Klassischen Teehaus San-shi Tang bei einem Kännchen chinesischen Tees ein Päuschen einlegen, und nach Abschluß der Tour durch die Ausstellungsräume kann man den Tag durch einen kontemplativen Spaziergang durch den 16 000 Quadratmeter großen, im klassischen chinesischen Stil angelegten Chihshan-Garten mit mehreren Pavillons und einem kleinen See in der Mitte ausklingen lassen. Dabei kann man auch eine Ahnung von der Atmosphäre erhaschen, die chinesische Künstler im Laufe der Jahrhunderte beim Kunstschaffen inspiriert hat.