Freies China: Frau Hagemann, das Goethe-Institut, mit dem das DK sehr eng zusammenarbeitet, ist nach dem berühmten deutschen Dichter benannt, dessen Geburtsjahr sich 1999 zum 250. Mal jährt. Könnten Sie etwas über das "Goethe-Jahr" sagen?
Sabine Hagemann-Ünlüsoy: Das Goethe-Jahr wird in Deutschland sehr groß gefeiert. Das kleine Weimar ist in diesem Jahr europäische Kulturhauptstadt, und rund um die Welt bemühen sich germanistische Abteilungen und Theaterabteilungen darum, ein modernes Goethe-Bild zu entwickeln. Hier im DK gibt es auch sehr lange Vorbereitungen zum Goethe-Jahr.
Meine Vorgängerin, Frau Hoesch, hatte ein Traumprojekt: Es gab in der VR China eine sehr berühmt gewordene Faust-Inszenierung, in welcher Mephisto -- der Teufel im Faust -- als Frau dargestellt und gespielt wird. Diese Idee hat auch in Deutschland positiv Furore gemacht, denn sie bringt ein neues Licht in die Beziehungen zwischen Faust und Mephisto. Mephisto, der Teufel, als eine attraktive Frau -- mit teuflischen Interessen natürlich. Bei dieser Inszenierung handelte es sich um den Faust I. Und die ganz große Idee -- ich muß gleich sagen, sie realisiert sich nicht -- war dann, hier in Taiwan mit einem jungen einheimischen Theaterregisseur eine Faust II-Inszenierung zu machen und einen Theaterwissenschaftler aus Deutschland für ein großes Symposion dazu einzuladen.
Warum kann ein so wunderbares Projekt, von dem natürlich ein deutsches Kulturzentrum träumt, sich nicht realisieren? Einmal ist die Theatergruppe der VR China inzwischen in alle Winde zerstreut. Es gibt als Hinterlassenschaft Videoaufzeichnungen und die großen Presseberichte dazu, aus China wie aus Deutschland. Der Regisseur, ein sehr renommierter älterer Regisseur, ist jetzt mit völlig anderen Projekten beschäftigt.
Der junge taiwanesische Regisseur hier will sich nicht in diesen Schatten stellen, sondern seine eigenen Kreationen machen, und ihm persönlich gefällt der Faust I aus der VR gar nicht so gut. Er würde ihn völlig anders inszenieren, und das finde ich gut so. Das spricht aber gegen die geplante Verknüpfung. Ich denke, bei diesem Faust-Projekt kann man die Dynamik der Kulturszene entdecken. Das, was vor 2 Jahren vielleicht noch gegangen wäre, ist längst passé. Man muß neue Ansätze finden. Es gibt auch neue Ansätze, aber die würden Geld kosten. Dieses Geld ist im Moment nicht da.
Das Goethe-Jahr ist sozusagen die Plattform zur Entwicklung neuer Ideen, etwa den berühmten Roman Goethes, die "Wahlverwandtschaften", in ein modernes Tanztheater umzusetzen. Das ist natürlich eine sehr interessante Idee, nicht nur weil das Tanztheater hier auf Taiwan sehr interessant ist, sondern auch weil dieser Roman sich dafür unglaublich eignet.
Worauf möchten Sie persönlich bei Ihrer Arbeit im DK den Schwerpunkt legen?
Ganz sicher auf den Bereich Dokumentarfilm, weil ich glaube, daß es da einen produktiven Aufbruch hier in Taiwan gibt und weil ich weiß, daß die Deutschen im Bereich Dokumentarfilm sehr viele gute Filme produziert haben, die aber noch recht unbekannt sind. Das hat natürlich auch sehr viel mit der Sprachbarriere zu tun. Bei Dokumentarfilmen denkt man eher an die BBC als ausgerechnet an die Deutschen.
Für ein großes Filmfestival beispielsweise braucht man meiner Ansicht nach nicht das DK. Die Filme sind bekannt, man geht auf die großen Filmfestivals in Europa, und dann gibt es das berühmte Golden-Horse-Filmfestival hier. Das DK engagiert sich für die noch unbekannten Regisseure und Filme. Das nächste größere Veranstaltungsprojekt im Bereich Film steht schon fest: die Filme "Ostdeutschland heute". Das sind neue Filme aus dem Osten Deutschlands, und zwar sowohl Spielfilme als auch Dokumentarfilme. Wir arbeiten dabei mit dem Filmarchiv zusammen. Die Filme werden Ende März/Anfang April vorgeführt und sind sehr spezifisch. Das DK möchte diese Filmvorführungen, die ja eine sehr subjektive Perspektive von einzelnen deutschen Filmemachern zeigen, verbinden mit Vorträgen von hiesigen Deutschlandexperten, die sich zum Teil lange in Deutschland aufgehalten haben und aus der hiesigen Perspektive etwas über die Entwicklungen in Deutschland nach der Wiedervereinigung sagen können.
Einer meiner großen Wünsche ist auch, wenn bekannte Künstler wie z. B. Anne-Sophie Mutter oder Pina Bausch nach Taiwan kommen, dann möchte ich diese großen Künstler gerne für einen halben Tag für das DK gewinnen und mit ihnen in die Universitäten und Kunstakademien gehen, um ihnen vorzustellen, was hier bei den Jugendlichen und Studenten vor sich geht und wie man in der jungen Generation -- den Künstlern der Zukunft -- zur Kunst steht. Dazu möchte ich so etwas pflegen wie eine Teehaus-Tradition, das heißt, ich möchte eine Pina Bausch nicht nur mit dem berühmten taiwanesischen Cloudgate-Tanztheater zusammenkommen lassen, sondern auch mit, sagen wir, Professoren aus dem Bereich des Tanztheaters, und so zu einem Austausch mit den künstlerischen Bildungsinstitutionen führen.
Neben dem intellektuellen und künstlerischen Anspruch, den das DK mit Sicherheit vertreten muß, um Künstler mit Künstlern zusammenzuführen, gibt es aber auch den Aspekt, daß man Kultur genießen darf, daß Kunst Spaß machen muß, daß man Freude haben muß, daß ein Film z. B. nicht langweilig sein darf. Ich denke, daß die Qualitätsfrage dabei auch eine sehr große Rolle spielt.
Worin liegt Ihrer Meinung nach die Bedeutung der Kulturarbeit?
Dort, wo es kein lebendiges kulturelles Leben gibt, gibt es auch weder wirtschaftliche Entwicklung noch kreative Forschung, die Neues entdeckt. Kultur eröffnet einen Spielraum und eine Freiheit, wo man Dinge ausprobieren und Risiken eingehen kann, die produktiv sind. Auch, wenn das Ergebnis vielleicht nicht das große Kunstwerk ist, ist der Prozeß selbst wichtig, denn er setzt Kreativität frei. Das macht die große gesellschaftliche Bedeutung von Kultur aus.
Kultur führt uns zusammen: Wenn wir einen schönen Film sehen, in dem dann vielleicht alle zusammen weinen, weil es eine so traurige Liebesgeschichte ist, dann weinen -- oder lachen -- die Oppositionspolitiker mit den Regierungspolitikern zusammen. Deshalb habe ich mir wahrscheinlich auch diesen Beruf ausgesucht: Es ist faszinierend, wie unterschiedliche Leute sich bei kulturellen Veranstaltungen zusammenfinden, ohne daß sie beispielsweise ihre politischen Unterschiede auch nur eine Sekunde aufgeben.
Ein Schwerpunkt der Arbeit des DK betrifft die Sprachausbildung für Deutsch als Fremdsprache. In Taiwan konzentriert sich Fremdsprachenunterricht gerade in Schulen überwiegend auf Englisch. Hat Deutsch da eine Chance?
Die erste Rundreise, die ich hier durch Taiwan gemacht habe, hat mich in die Deutschabteilungen der Universitäten geführt. Das ist kein Zufall: Mit den Deutschabteilungen verbindet sich die Perspektive für die Schulen, denn dort wird die Deutschlehrerausbildung gestaltet. Andererseits geht es auch um Literatur und um Übersetzungen, ein weiterer Arbeitsbereich des DK.
Das Erziehungsministerium weitet jetzt im Rahmen seiner Bildungsreform den Fremdsprachenbereich aus: Das Englische wird an den Grundschulen und eine zweite Fremdsprache wird an den Oberschulen als Wahlfach eingeführt. Es geht dem Ministerium nicht einfach darum, daß mehr Sprachen gekonnt werden. Es geht auch darum, das Bildungssystem zu öffnen, es davon zu befreien, ein reines Pauksystem zu sein, und statt dessen auch Kreativität zu fördern. Das kann man besonders durch die Wahlfächer erreichen, die von der Disziplin der laufenden Tests weitgehend befreit sind. Die Lehrer in diesen Fächern müssen sich richtig Mühe geben, die Schüler für sich zu gewinnen, damit diese Schüler auch bleiben. Das ist im Rahmen eines an Leistung orientierten Schulsystems natürlich nicht einfach. Es gibt tatsächlich zahlreiche Eltern, die ihre Kinder in den Ferien zu einem Deutsch-Projekt statt zu einem Leistungskurs schicken. Das finde ich ganz toll, überhaupt nicht selbstverständlich.
Das DK unterstützt diese Initiative des Erziehungsministeriums mit allen seinen Möglichkeiten. Es führt für die Kinder in den Oberschulen, die Deutsch lernen, in den Ferien Projekttage durch. Die Grundidee kam vom Erziehungsministerium selbst: Etwa 100 Kinder [im Alter zwischen 13 und 17] werden in die Universität eingeladen. Es ist natürlich in dem Alter ganz interessant, das Studentenleben kennenzulernen. Die Jugendlichen wohnen in den Studentenheimen und essen in der Studentenkantine. Das Programm umfaßt den ganzen Tag, es beginnt morgens um acht und endet abends um neun. Am Vormittag gibt es Deutschunterricht, aber dieser Unterricht folgt nicht wie in der Schule einem Buch, sondern es werden Unterrichtsprojekte zu Themen wie Meine Hobbys", Meine Schule" etc. durchgeführt. Am Nachmittag gibt es freie Gruppen wie Theaterspielen oder große Puzzles machen aus Deutschlandbildern, um damit die Klasse zu schmücken. Abends werden Filme gezeigt. Es geht darum, daß sie ihre Angst vor der fremden Sprache verlieren. Wenn man keine Angst vor der fremden Sprache hat und noch jung ist, lernt man diese Sprache viel besser, übrigens auch phonetisch.
Das DK hat sehr viel Arbeit in dieses Projekt gesteckt. Das DK hat die Lehrer ausgewählt und das Unterrichts- und Freizeitprogramm vorbereitet. Es ging dabei darum, Themen und Aktivitäten zu finden, die für Jugendliche interessant sind und die sie leisten können, denn das ganze Programm sollte auf Deutsch durchgeführt werden. Alles war erlaubt -- nur nicht Langeweile. Und Überforderung auch nicht. Das setzt eine sehr präzise Vorbereitung voraus. Denn: Wenn die Atmosphäre nicht stimmt oder Streß bzw. Langeweile aufkommen, dann reagieren die Jugendlichen sofort. Sie warten nicht ab, ob es sich gelohnt hat, daß sie gekommen sind. Das entscheiden sie ad hoc und nicht am Ende. Wenn sich das Pilotprojekt bewährt und sich ein Freiraum finden läßt für die Jugendlichen, die ja einen sehr engen Stundenplan haben, dann werden wir hier am DK weitere Wochenend- und Ferienprojekte anbieten.
Wann sollen diese Wochenendprojekte starten?
Das hängt von dem Erfolg des Pilotprojektes ab. Wir wollen vor allem das Lernen des Lernens vermitteln und Sprachprojekte als Ferien- und Kulturprojekte anbieten, das heißt als Projekte, nicht als normale Sprachkurse. Wenn das Pilotprojekt von den Jugendlichen akzeptiert wird, dann wird es sicher im nächsten und im übernächsten Jahr wiederholt, und wenn die Lehrer an den Schulen uns sagen, es gibt Interesse, dann organisieren wir im DK Spezialkurse für Jugendliche. Vielleicht nehmen wir den Samstagnachmittag oder jeden zweiten Samstagvormittag. Das Wichtigste ist, daß die Jugendlichen das Deutschlernen als persönliche Bereicherung erleben und im besten Falle sogar zu ihrem Hobby machen.
Wo liegt für Sie der signifikanteste Unterschied zwischen Äthiopien und Taiwan?
Äthiopien hat in Afrika eine ganz besondere Position, weil Äthiopien nie kolonialisiert war. Das heißt, Äthiopien hat sich seine alten Traditionen bewahrt. Äthiopien hat eine schriftsprachliche Tradition, die in vorchristliche Zeit zurückreicht, und ist eines der ersten Länder, die christianisiert worden sind. Das Besondere an Äthiopien ist das große Traditionsbewußtsein. Dazu hat sicher auch die Abgeschlossenheit des Berglandes beigetragen: Die Hauptstadt Addis Abeba beispielsweise liegt 2600 Meter hoch, und man schaut von der Hochebene zweitausend Meter hinunter in den ostafrikanischen Grabenbruch, das berühmte Rift Valley", das sich vom Roten Meer bis Südafrika hinzieht. Wenn ich mich hier umschaue und die Berge sehe, dann erinnert mich beim Flug nach Kaohsiung die Schönheit und Ursprünglichkeit des Berglandes an Äthiopien. Aber der ganz große Unterschied ist natürlich die große Weite Afrikas, die Endlosigkeit der Landschaften.
Hier in Taiwan haben wir ein hochindustrialisiertes, sehr erfolgreiches und sehr kleines Land. Taiwan sucht nach seinen Wurzeln, um im Rahmen eines größeren China seine eigene Zukunft zu definieren. Ganz gleich, wie die politischen Entscheidungen fallen werden, Taiwan wird immer sein eigenes Profil haben wollen. Und das kann es nur haben, wenn es sich seiner eigenen Wurzeln bewußt ist. Nachdem Taiwan sich in sehr kurzer Zeit mit atemberaubender Geschwindigkeit industrialisiert hat, ist nun der Moment der Besinnung gekommen.
In Afrika finden wir, besonders in Äthiopien, kein Zukunftsbewußtsein: Man schaut zurück. Man erinnert sich an große Zeiten, und die wunderbaren Geschichten, die man sich erzählt, sind gleichzeitig voll Traurigkeit, weil Afrika im Augenblick wirklich der verlorene Kontinent ist. Die Künstler, mit denen ich dort zusammengearbeitet habe, haben mir erklärt, wie die bittere Armut ihr Leben und ihre Zukunft zerstört: "Ich glaube, es kann niemand ermessen, was es heißt, wenn ich mir Sorgen darum machen muß, ob meine Kinder morgen essen werden oder nicht." Das heißt, in Afrika kommen existenzielle Fragen, die ein ganz anderes Lebensbewußtsein schaffen, sehr intensiv und ganz auf den Tag bezogen.
Für mich ist Taiwan im Vergleich zu Afrika wie Europa. Hier leben wir ein modernes Leben und haben eine Zukunft. In Afrika gab es die ganz große Herausforderung, ob ein Kulturinstitut einen Beitrag zur Lösung der existenziellen Probleme leisten kann, wenigstens indirekt: Eine Zukunft zu finden auf der Basis der eigenen Tradition.
Nach Taiwan bin ich gekommen, weil ich sehr gerne ein kleines Kulturzentrum leite und nicht ein großes Institut, in dem man die Arbeit aufteilt und auf der Management-Ebene durchführt. Die Spracharbeit, kulturelle Verbindungsarbeit und eigene Programmarbeit gehen in den kleinen Instituten sehr eng ineinander über. Vielleicht sollte ich auch noch das Stichwort kulturelle Verbindungsarbeit" erläutern: Damit ist gemeint, daß Kultur viele verschiedene Aspekte hat und auf unterschiedlichen Ebenen weiterentwickelt wird. Dabei unterstützt das DK bereits bestehende Beziehungen zwischen den Institutionen wie z. B. Museen, Tanztheater etc. Diese Kulturbeziehungen werden auch von kommerziellen Kulturinstitutionen gepflegt, besonders im Filmbereich. Das DK versucht darüber hinaus, auch weniger beachtete kulturelle Aspekte und Strömungen zu zeigen. Taiwan entdeckt gerade, wieviele Traditionen dieses kleine Land in sich vereinigt und wie reich und vielfältig seine Kultur ist. Auch das andere Deutschland und die anderen, unbekannteren Traditionen zu zeigen, dafür arbeiten und werben wir in unserer Programmarbeit.
Hatten Sie nach Ihrer Ankunft in Taiwan einen Kulturschock?
Nein. Das lag aber vor allem daran, daß ich hierherkommen wollte. Ich bin mit positiven Vorurteilen hergekommen. Ich habe nämlich einen sehr bunten Freundeskreis, und in diesem Freundeskreis gibt es Asienreisende, die mir gesagt haben, Taipei sei eine der schönsten und zum Leben angenehmsten Städte in Ostasien, auch deshalb, weil es nicht ein so großer Moloch ist, sondern mit den drei Millionen Einwohnern noch überschaubar ist. Das würde ich bestätigen, wenn ich Taipei zum Beispiel mit Istanbul vergleiche. Istanbul ist die europäisch-asiatische Stadt, die ich besonders gut kenne. Im Vergleich zu anderen Großstädten ist Taipei meiner Meinung nach immer noch überschaubar.
Als ich herkam, war ich sehr erstaunt, daß es zwischen dem Internationalen Chiang Kai-shek-Flughafen in Taoyuan und Taipei Reisfelder gibt. Die habe ich fasziniert angeschaut. Ich habe den Eindruck -- das hat aber etwas mit einem intuitiven Eindruck zu tun --, daß die Hauptstadt Taipei nicht so getrennt ist von dem Land rundherum, wie man es zum Beispiel von den Städten Afrikas kennt -- Johannesburg [Südafrika] zum Beispiel, Nairobi [Kenia] oder Daressalam [Tansania]. Da gibt es die Hauptstadt, in die alle strömen, dort spielt sich alles ab. Und auf der anderen Seite gibt es die Tragödie des Landlebens, ohne Perspektive.
Taiwan hat viel gesundere Verbindungen. Taipei ist nicht einfach ein Wasserkopf, der vom Land isoliert ist, verglichen mit anderen Ländern. Mich persönlich erinnert Taipei so von der Größenordnung und der Übersichtlichkeit her ein bißchen an München, obwohl es viel mehr Einwohner hat. Man sagt ja von München, es sei die heimliche Hauptstadt, oder es sei die Stadt mit Herz, ein bißchen provinzielles Flair im positivsten Sinne. Das gefällt mir. Und die Lebendigkeit von Taipei natürlich auch. Das wiederum erinnert mich in vieler Hinsicht an Istanbul, das Leben auf den Straßen und das Chaos der Märkte mit den vielen Marktschreiern. Das findet man in Deutschland nicht. Hier in Taipei hat man diese Arkaden vor den Häusern, unter denen man sich bewegen kann. Das hat man dort teilweise auch. Aber natürlich ist der kulturelle Hintergrund einer modernen islamischen Kultur und einer alten griechisch-europäischen Kultur dort ein völlig anderer als hier in Taipei.
Sind Sie schon durch den Rest von Taiwan gereist?
Ich habe keine Lust, wie eine Touristin durch Taiwan zu reisen; ich bin keine Touristin. Ich habe dazu im Moment auch gar keine Zeit, weil zum Beispiel die Seminare für die Lehrer nur am Wochenende stattfinden können. Im Moment setze ich mich hauptsächlich mit der politischen Situation auseinander: Wie schaut das mit den Gesprächen über die Taiwanstraße aus, wie sahen die Wahlvorbereitungen aus, wie ist die Wahl [vom 5. Dezember 1998] verlaufen, wie ist das Wahlergebnis? Das sind ganz wichtige und sehr spannende Entwicklungen, denn Taiwan gehört zu den Ländern, die von allen Seiten politisch beobachtet werden. So klein, wie Taiwan ist, so wichtig ist es für die Zukunft Ostasiens. In dem Zusammenhang war ich völlig beschäftigt und habe die Wochenenden mit Lesen verbracht.
Das DK erfüllt auch die Funktionen einer inoffiziellen diplomatischen Vertretung. Sind wegen des Fehlens offizieller diplomatischer Beziehungen Kontakte mit Politikern hier für Sie problematisch?
Als Kulturinstitut sind wir natürlich nicht in einem politischen Auftrag hier, wir haben kein politisches Mandat, sondern sind für kulturelle Zusammenarbeit zuständig. Da Taiwan eine Demokratie ist, brauche ich selbst auch keine Berührungsängste beispielsweise gegenüber der Opposition zu haben. Es gibt keine Berührungsängste, auf welcher Ebene auch immer, und das gibt mir wirklich die Möglichkeit, mich sehr entspannt und sehr zu Hause zu fühlen.