29.04.2025

Taiwan Today

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"Das Kapital ist ein scheues Reh"

01.05.1999
Dr. Hilmar Kaht—“Die Asienkrise hat in Taiwan zu einer Diversifizierung der Absatzmärkte geführt, insbesondere in Richtung Europa.
Dr. Hilmar Kaht, Jahrgang 1941, studierte Volkswirtschaft in Hamburg und trat 1971 in den Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland ein. Nach mehreren Verwendungen in der Zentrale des Auswärtigen Amtes in Bonn sowie in den Botschaften Moskau, Rabat (Marokko) und Antananarivo (Madagaskar) war Dr. Kaht von 1986 bis 1988 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland im Tschad. Seit Juli 1997 leitet er das Deutsche Wirtschaftsbüro in Taipei. In einem Exklusiv-Interview mit Freies China sprach Dr. Kaht über den wirtschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und der Republik China, den Investitionsstandort Taiwan und die Auswirkungen der Asienkrise auf die Insel. Es folgen Auszüge.

Freies China: Herr Dr. Kaht, worin bestehen -- abgesehen vom Visa-Service -- die Hauptaufgaben des Deutschen Wirtschaftsbüros?

Dr. Hilmar Kaht: Das Deutsche Wirtschaftsbüro wurde 1981 als Büro des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) gegründet. Wir unterstützen hier wie in allen anderen Wirtschaftsbüros die Wirtschaft in beide Richtungen. Das heißt, wir fördern einerseits die deutschen Unternehmen, die auf den taiwanischen Markt streben, in Taiwan Handel treiben oder Investitionen tätigen wollen. Umgekehrt fördern wir aber auch taiwanische Unternehmen, die auf den deutschen Markt wollen. Eine ganz wichtige Aufgabe ist die Unterstützung der Beteiligung von taiwanischen Unternehmen an deutschen Messen. Wie Sie wissen, stellten bei der CeBit taiwanische Unternehmer in diesem Jahr schon zum zweiten Mal das größte Kontingent von weit über 500 Teilnehmern.

Aufgabe unseres Büros ist auch die Förderung des Standorts Deutschland. Wir haben ungefähr 200 taiwanische Unternehmen, die in Deutschland investiert haben. Der größte Teil sind allerdings Handelsunternehmen, ungefähr 100 in Düsseldorf und in Hamburg ungefähr 70. Einige davon, wie Acer und andere, haben Produktionsbetriebe in Deutschland. Davon hätten wir gerne mehr.

Wir werben übrigens nicht nur für den Investitionsstandort, sondern auch für den Studienstandort Deutschland. Wir denken, daß mehr Taiwaner in Deutschland studieren sollten. Ein Vorteil liegt auch darin, daß das Studium in Deutschland kostenlos ist, im Gegensatz zu anderen Ländern. Wir denken, daß es an Informationen über Studienmöglichkeiten in Deutschland fehlt.

Hat beim Handel zwischen Taiwan und der Bundesrepublik Deutschland die Informationstechnik den größten Anteil?

Laut Statistik sind Maschinen und Fahrzeuge die Hauptprodukte -- und zwar in beide Richtungen, sowohl bei den deutschen Exporten nach Taiwan als auch bei den taiwanischen Exporten nach Deutschland. Das sind vor allem deutsche Werkzeugmaschinen, die hier verkauft werden, aber eben auch taiwanische Werkzeugmaschinen bei uns. Das zeigt, daß wir einen Austausch zwischen zwei hochindustrialisierten Volkswirtschaften haben. Natürlich spielt der IT-Bereich im taiwanischen Export mit Vorerzeugnissen -- Computerteilen, Keyboards usw. -- eine große Rolle.

Welche Bereiche der deutschen Exporte nach Taiwan würden Sie gerne stärker fördern?

Ich glaube, der Austausch spiegelt die Wirtschaftskraft beider Seiten wider. Wir denken, daß die mittelständische Wirtschaft beider Seiten stärker gefördert werden sollte. Wir fördern im Grunde die gesamte Palette der deutschen Produkte, wobei natürlich auch die Nahrungsmittel und Konsumgüter eine Rolle spielen. Wenn ein Unternehmen oder eine Branche sich um den taiwanischen Markt bemüht, dann fördern wir das, aber wir selbst setzen keine Prioritäten und sagen, wir müssen jetzt die deutsche chemische Industrie -- die übrigens eine wichtige Rolle in Taiwan spielt -- mehr fördern. Es ist ein subsidiäres Tätigwerden, wir werden nur tätig zur Unterstützung.

Ist der Import und Export in beide Richtungen ausgeglichen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich habe die taiwanische Statistik von 1998, und da haben wir deutsche Exporte nach Taiwan: 5,1 Milliarden US$, und wir haben taiwanische Exporte nach Deutschland von 4,1 Milliarden US$. Mit anderen Worten ist da ein Defizit zu Lasten von Taiwan von einer Milliarde Dollar. Nehmen Sie aber die deutsche Statistik, dann sieht es genau umgekehrt aus. Wir haben im vergangenen Jahr danach etwa 9,5 Milliarden DM taiwanische Exporte nach Deutschland und 8,8 Milliarden DM deutsche Exporte nach Taiwan. Da haben Sie genau umgekehrt ein Defizit zu Lasten Deutschlands. Das liegt daran, daß die taiwanische Statistik den Transithandel über den Hafen Rotterdam als niederländische Destination berechnet. In Wirklichkeit ist Rotterdam aber der Hafen für einen großen Teil Westdeutschlands, das Ruhrgebiet, so daß ich eher der deutschen Statistik vertraue insofern, als ich glaube, daß Taiwan mehr nach Deutschland exportiert als umgekehrt.

Das ist besonders unter Berücksichtigung des Größenverhältnisses zwischen Deutschland und Taiwan -- Bevölkerung, Fläche etc. -- bemerkenswert.

In der Tat. Taiwan ist für Deutschland der drittwichtigste Handelspartner in der Region nach Japan und Festlandchina, der dritte in der asiatisch-pazifischen Region, ungefähr gleichauf mit Korea, aber vor Australien und anderen, und das ist in der Tat bemerkenswert. Das spiegelt die Leistungskraft der taiwanischen Wirtschaft wider. Umgekehrt ist Deutschland für Taiwan der wichtigste Handelspartner in Europa. Wir sind für Taiwan ein wichtiger Absatzmarkt, der viertwichtigste für Taiwan nach den USA, Japan und Festlandchina. Dieser intensive Wirtschaftsaustausch zwischen Taiwan und Deutschland zeigt die Bedeutung unserer Beziehungen.

Sind aufgrund der Asienkrise und der härteren Konkurrenz die Exporte Taiwans nach Deutschland zurückgegangen?

Natürlich ist im Rahmen der Asienkrise der Wettbewerb stärker geworden, auch mit den Nachbarländern wie Korea, die eine ähnliche Produktpalette haben. Aber ich kann nicht sagen, daß die taiwanischen Unternehmen in Deutschland darunter gelitten haben. Die taiwanischen Exporte sind zwar im vergangenen Jahr weltweit gesunken, ich glaube, um 8 Prozent, aber die taiwanischen Exporte nach Deutschland sind um 9 bis 10 Prozent gestiegen. Allgemein sind die Exporte nach Europa gestiegen und nach Deutschland besonders stark. Europa und Deutschland sind in gewisser Weise ein Ventil der Diversifizierung in der Asienkrise. Insofern leiden die taiwanischen Unternehmen in Deutschland nicht unter der Asienkrise, sondern sie haben im Gegenteil durch die veränderten Wechselkurse bessere Absatzchancen.

Es zeigt sich, daß die taiwanische Wirtschaft von der Asienkrise nicht unberührt bleibt, das zeigt sich in den sinkenden Exporten Taiwans. Dieser Exportrückgang macht sich auch bei einzelnen taiwanischen Unternehmen bemerkbar. Ein Exportrückgang ist natürlich nicht so leicht zu verkraften. Was aber Taiwans Beziehung zu Europa und speziell zu Deutschland betrifft, so sind die taiwanischen Exporte gestiegen. Man muß da sehr differenzieren, wie die Asienkrise sich auf taiwanische Unternehmen auswirkt. Taiwan ist bisher relativ gut aus der Krise hervorgegangen, und ich habe keine Zweifel, daß Taiwan die weitere Entwicklung positiv gestalten wird, sowohl die Unternehmen als auch die taiwanische Regierung. Die Asienkrise hat in Taiwan zu einer Diversifizierung der Absatzmärkte geführt, insbesondere in Richtung Europa.

Taiwan hat seine Hauptmärkte in der pazifischen Region -- USA, Japan, Festlandchina. Dieses sind und bleiben natürlich wichtige Märkte für Taiwan, aber trotzdem muß Taiwan sich wie Deutschland auch anderen Märkten zuwenden. Ich meine mit Diversifizierung nicht nur den Handel, sondern auch die Investitionen. Taiwanische Investitionen sind sehr stark auf die traditionellen Partner konzentriert, und ich denke, daß sie sich künftig auch mehr nach Europa richten sollten. Unser Bemühen ist es, taiwanische Investitionen nach Deutschland zu lenken, Handel und Investitionen hängen eng zusammen.

Manche deutsche Bundesländer sind hier sehr aktiv bei der Werbung für Investitionen.

Das stimmt, Investitionen sind ein ganz wichtiger Punkt. Die Bundesländer werben in Taiwan intensiv um Investitionen. Wir glauben, daß wir gerade in den neuen Bundesländern Investitionsbedingungen anbieten, die sehr günstig sind, wo es zudem eine Reihe wichtiger Investitionsförderungen gibt. Sie können im Groben sagen, wenn Sie einen Dollar in den neuen Bundesländern investieren, bekommen Sie einen zweiten Dollar an Unterstützung von den Bundesländern. Ich glaube, daß es hier einfach auch an Informationen fehlt. Insofern bemühen sich die Bundesländer einzeln, aber auch gemeinsam, zum Beispiel die fünf neuen Bundesländer, Seminare zu veranstalten und Informationen über Marktchancen zu geben. Das ist ein ganz wichtiger Bereich unserer Arbeit.

Die Investitionen Taiwans in Ostdeutschland haben allerdings kaum zugenommen, weil der Markt nicht so optimistisch ist wie erwartet.

Das ist richtig. Wir würden uns mehr Investitionen aus Taiwan in Deutschland wünschen. Sie haben recht, daß die gesamtwirtschaftliche Lage die Investoren zu mehr Zurückhaltung veranlaßt hat, wenn die Kapazitäten hier gerade in der Informationstechnologie nicht ausgelastet sind. Und wenn die Exporte weltweit zurückgehen, dann überlegen sich die Unternehmen natürlich schon, ob sie neue Investitionen tätigen wollen. Es gibt einige sehr erfolgreiche taiwanische Investitionen, in Thüringen, in Brandenburg, aber der Umfang ist aus unserer Sicht noch steigerbar.

Es gibt doch sicher noch Möglichkeiten zur Verbesserung der Investitionsbedingungen in Deutschland.

Die Investitionsbedingungen werden von einem Investor sehr intensiv geprüft, und Sie wissen, daß die Bundesregierung eine Senkung der Gewerbesteuer anstrebt, um den Standort Deutschland attraktiver zu machen, nicht nur für ausländische Investoren, sondern ganz allgemein auch für deutsche Investoren. Das heißt, wir bemühen uns, den Standort Deutschland, die Investitionsbedingungen zu verbessern, und es hat in dieser Richtung bereits eine ganze Reihe erfolgreicher Maßnahmen gegeben. Es ist ein zweiseitiger Prozeß: Das eine sind die Informationen über den Standort Deutschland, die Investitionsvorteile, andererseits ist es aber auch das Bemühen, in Deutschland die Standortbedingungen weiter zu verbessern.

Halten Sie den Informationsstand in Taiwan über die Bedingungen in Deutschland für ausreichend?

Der ist mit Sicherheit nicht ausreichend. Die taiwanischen Investoren wissen im Grunde zu wenig über deutsche Standortbedingungen. Es ist unsere Aufgabe, da mehr Informationen zu geben. Die Standortbedingungen sind in Deutschland auch von Land zu Land sehr verschieden: In den neuen Bundesländern sind sie besonders günstig. Sie sind auch sektoral verschieden -- die Werkzeugmaschinenindustrie etwa ist in Baden-Württemberg konzentriert usw. Insofern hat jedes der Bundesländer auch verschiedene Standortvorteile. Da besteht in der Tat Informationsbedarf.

Ist Taiwan Ihrer Meinung nach ein geeigneter Investitionsstandort?

Ohne Zweifel. Es gibt in Taiwan 140 deutsche Unternehmen, die sich hier niedergelassen haben, teilweise mit Handelsniederlassungen, aber zu einem großen Teil auch mit wichtigen Investitionen. Es handelt sich um Zulieferungen zur Informationstechnologie, Chemikalien und andere Dinge, insofern ist Taiwan ein wichtiger Investitionsstandort für die deutsche Industrie. Wir haben mehr deutsche Investitionen in Taiwan als taiwanische Investitionen in Deutschland.

Welche Verbesserungen für das Investitionsumfeld in Taiwan würden Sie sich wünschen?

Das Kapital ist ein scheues Reh, und ein Investor prüft die Investitionsbedingungen sehr kritisch. Verbesserungen sind natürlich immer möglich, man kann weiter liberalisieren, vor allem auch im Finanzsektor. Wesentlich ist auch Transparenz in den Genehmigungsbedingungen für Investitionen. Rechtssicherheit und Verfahrenssicherheit sind für Investoren ganz wichtig -- das gilt nicht nur für Taiwan. Das taiwanische Investitionsklima ist gut, die Rechtssicherheit und andere Dinge sind gegeben. Das zeigt sich ja auch darin, daß es eine ganze Menge deutscher Investitionen gibt, aber die Bedingungen lassen sich natürlich immer noch verbessern.

Viele deutsche Unternehmen hoffen, Taiwan quasi als Drehscheibe für Operationen in Asien und Festlandchina nutzen zu können, auch im Hinblick auf High-Tech-Projekte wie die Hochgeschwindigkeitsbahn.

Sie wissen, daß wir in Deutschland gerade im Verkehrsbereich, Nahverkehrsbereich, auch bei Hochgeschwindigkeitszügen, eine lange Erfahrung und Tradition haben, und daß wir, was die Verkehrsproblematik angeht in Ballungszentren -- wir haben in Taiwan ja sehr dichte Ballungszentren an der Westküste zwischen Taipei und Kaohsiung --, technische Lösungen anzubieten haben. Das gilt für die U-Bahn oder MRT-Schnellbahn, für Hochgeschwindigkeitszüge und für andere Lösungen des Nahverkehrs, da bieten wir Taiwan unsere Technologie an. Einige Projekte werden ja schon erfolgreich durchgeführt, die MRT in Taipei, Siemens ist dabei ganz intensiv beteiligt. Wir wünschen uns natürlich, daß diese Kooperation zum Beispiel auch beim Hochgeschwindigkeitszug erfolgreich fortgesetzt wird.

Taiwan erhofft sich von dem Hochgeschwindigkeitszugprojekt verstärkten Technologietransfer von Deutschland nach Taiwan. Halten Sie diese Hoffnung für berechtigt?

Ja, denn dieses wäre eine ganz neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Taiwan in einem Hochtechnologiebereich. Hochgeschwindigkeitszüge sind ein sehr kompliziertes und hochtechnisches System. Das würde unsere Zusammenarbeit auf ein neues Niveau heben. Übrigens bieten Deutschland und Frankreich -- Siemens und Alstom -- den Eurotrain ja gemeinsam an.

Kritiker haben die Befürchtung angemeldet, daß der finanzielle Umfang dieses Projektes die einheimischen Banken zu stark belastet und die Realisierung des Projektes daher schwierig werden könnte. Teilen Sie diese Befürchtungen?

Dieses Projekt ist eines der größten Infrastrukturprojekte der Welt, und natürlich ist die Frage der Finanzierung eines so umfangreichen Projekts eine ganz wichtige Frage. Ich habe aber keinen Zweifel daran, daß das Projekt finanzierbar ist. Einerseits haben die taiwanischen Banken sich engagiert, andererseits hat aber auch die taiwanische Regierung immer wieder deutlich gemacht, daß sie bereit ist, mit zu finanzieren, teilweise auch aus Postsparguthaben. Insofern habe ich an der Finanzierbarkeit keinen Zweifel, vor allen Dingen auch deshalb nicht, weil die Strecke zwischen Taipei und Kaohsiung eine so dichtbesiedelte Region durchfährt und das Passagieraufkommen so groß sein wird, daß es ein rentables Projekt ist. Es ist ja ein BOT-Projekt, das heißt, es wird in erster Linie unter privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu prüfen sein, ob der Zug rentabel ist. Da gibt es mehrere Kalkulationen, und alle gehen davon aus, daß das Passagieraufkommen groß genug ist, um den Hochgeschwindigkeitszug rentabel betreiben zu können.

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