Im Mai 1996 machte in Taiwan ein spektakulärer Vorgang Schlagzeilen: Die französische Firma Matra Transport, Vertragspartner bei Taipeis erster Schnellbahnlinie, warf das Handtuch und schloß ihr Taipeier Büro. Nach diesem Schritt prophezeiten viele Beobachter, daß die Mucha-Strecke -- ein 450 Milliarden NT$ (26,4 Milliarden DM) teures, auf hohen Säulen gebautes oberirdisches Schnellbahnsystem, an dessen Verwirklichung Matra beteiligt war und das den südöstlichen Vorort Mucha mit der Innenstadt von Taipei verbindet -- binnen eines halben Jahres dichtgemacht und eine Bauruine mit Schrottwert bleiben würde. Nach drei Jahren jedoch entspricht die Strecke heute nicht nur offiziell dem Standard ISO 9002 für den Fahrgasttransport, sondern hat sogar über 54 Millionen Passagiere befördert. Deus ex machina? Wohl kaum -- die hartnäckigen Bemühungen der TRTC-Mitarbeiter haben ihre Früchte getragen.
Als Betreiber von Taiwans erstem Schnellbahnsystem ( Mass Rapid Transit, MRT) hatte die TRTC es natürlich nicht leicht. Während der Probefahrten auf der Mucha-Strecke brachen Brände aus, es platzten Reifen, und man entdeckte Risse in den Betonsäulen. Und weniger als zwei Monate nach der Inbetriebnahme der Strecke türmte der Vertragspartner. In der Anfangsphase war das System also ohne erfahrenes Personal und mußte daher zahlreiche Pannen und Verzögerungen hinnehmen. Zu allem Unglück wurde das gesamte System im Sommer 1996 durch Blitzschlag lahmgelegt. In jener Zeit war die Mucha-Strecke das Gespött der Medien, und viele Menschen vermochten dem System kein Vertrauen mehr entgegenzubringen. Die Folge: Zwischen Juli 1996 und Juni 1997 lag das tägliche Passagieraufkommen im Schnitt nicht höher als rund 40 000 Personen.
Es blieb indes nicht so. Seit dem holprigen Start der Mucha-Strecke wurden mittlerweile drei weitere Strecken eingeweiht: Im März 1997 wurden die Tamsui-Strecke als das erste Großraum-Schnellbahnsystem und Ende 1998 die Chungho-Strecke und der Nordabschnitt der Hsintien-Strecke ihrer Bestimmung übergeben. Derzeit werden die drei neuen Strecken im Schnitt von insgesamt rund 252 000 Fahrgästen pro Tag genutzt. Die Mucha-Strecke mitgerechnet, hatte das gesamte MRT-System bisher über 158 Millionen Fahrgäste. Wenn gegen Ende dieses Jahres zwei weitere neue Strecken eröffnet werden, wird das Transportvolumen sicher noch schneller zunehmen.
Die große Zahl der Schnellbahnbenutzer im Großraum Taipei birgt natürlich auch ein enormes kommerzielles Potential. Um Werbeflächen entbrannte ein ungewöhnlich heftiger Konkurrenzkampf, obwohl solche Flächen beispielsweise in der Schnellbahnstation am Hauptbahnhof Taipei dreimal so teuer vermietet werden wie gleichgroße Flächen im benachbarten Hauptbahnhof selbst. Der Gesamtpreis für Werbung auf den Bahnsteigen der Strecken Hsintien und Chungho, in den Korridoren der Haltestellen und in den Waggons hat 170 Millionen NT$ (10 Millionen DM) erreicht und kommt damit nahe an die Werbepreise im Internationalen Chiang Kai-shek-Flughafen in Taoyuan heran.
Wie hat die TRTC es bloß geschafft, ihre Krisen zu überwinden und eine neue, erfrischend muntere Episode in der Geschichte von Taiwans öffentlichen Verkehrsmitteln einzuleiten? Lee Po-wen, Vorsitzender der TRTC, erklärt das so: "Nach dem Rückzug von Matra bat die TRTC sofort viele Professoren und Experten aus dem In- und Ausland, eine technische Beratungsgruppe zu organisieren. Zur Entschlüsselung der Computer-Software des Systems wandte die TRTC sich auch an mehrere bekannte private Computerfirmen. Dank ihrer Hilfe funktioniert die Mucha-Strecke reibungslos, und bei Schwierigkeiten wie Systemausfällen können sie sich auch effizient um das Problem kümmern." Lee fügt noch hinzu, daß die TRTC-Mitarbeiter mittlerweile die meisten Systemprobleme selbst beheben können.
Auch die Ausbildung menschlicher Ressourcen trug zu der Erholung der Mucha-Strecke bei. Vor Matras Rückzug hatte die TRTC eine Gruppe eigener Leute zu einer Schulung beim französischen Vertragspartner losgeschickt. Diese Ingenieure bildeten dann wiederum neue Ingenieure aus und klärten für einen reibungslosen Betrieb alle nötigen praktischen Grundlagen. "Mit Hilfe dieser bei Matra geschulten Ingenieure haben wir uns genügend Material und Ersatzteile besorgt", freut sich Lee.
Zusätzlich zur Aktualisierung der technischen Ressourcen konnte die TRTC durch die Einführung des Systems für internationale Qualitätsverwaltung und Qualitätsgarantie ISO 9000 das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Sicherheit des Schnellbahnsystems wiederherstellen. Im Juli 1998 erreichte die Mucha-Strecke den ISO-9002-Standard. Es war das erste Mal, daß ein staatliches Verkehrsunternehmen in Taiwan wegen der Erfüllung internationaler Qualitätsstandards gelobt wurde.
"Ohne die Hilfe von Matra war es sehr schwer für uns, aber wir haben es geschafft", prahlt Lee. Seiner Ansicht nach sind die Leistungen der Mucha-Strecke der Klugheit und der harten Arbeit der Mitarbeiter zu verdanken. "Anders als viele ältere Regierungsmitarbeiter sind die Leute hier bereit, sich für die Verbesserung dieser Firma einzusetzen. Ihre harte Arbeit und bedingungslose Hingabe rühren mich sehr."
Hsu Wan-te, Manager der Geschäftsabteilung der Mucha-Strecke, teilt diese Gefühle. "Meine Leute arbeiten sehr hart. Beispielsweise gibt es jedes Jahr Kooperationen zwischen dieser Abteilung und Sozialbehörden oder privaten Organisationen. Von Juli 1997 bis Juni 1998 hatten wir über dreißig Großveranstaltungen, die aber alle von nur einer Person organisiert worden waren. Wir haben ja nicht viel Personal, und die Mitarbeiter haben auch nicht viel Zeit zum Lernen, daher müssen wir effizient sein." Hsu hat beobachtet, daß viele seiner Mitarbeiter sich deswegen permanent weiterbilden -- jederzeit und überall.
"Ich weiß, daß viele der für Werbung zuständigen Mitarbeiter auch im Urlaub oder während Ausflügen mit der Familie auf Werbeveranstaltungen und Reklame achten", lobt Hsu. "Die TRTC ist zwar eine staatliche Firma, aber die Arbeitsbelastung der Angestellten hier ist nicht geringer als in einem privaten Unternehmen." Einige der Mitarbeiter haben Hsu gesagt, daß sie bei früheren Beschäftigungsverhältnissen in privaten Firmen nie so hart arbeiten mußten wie bei der TRTC.
Wegen dieser Bemühungen um Selbst-Motivierung hat sich das Image der TRTC stark gewandelt. "Ich bin stolz, in dieser Firma zu arbeiten", skandiert James Zijnk, der seit fast acht Jahren bei der TRTC ist und kürzlich in die Geschäftsabteilung versetzt wurde. "Anfangs hatten viele Menschen Zweifel an unserer Kompetenz, aber inzwischen ist die Schnellbahn ein Symbol für Sicherheit, Bequemlichkeit, Komfort und Sauberkeit."
Daß alle Schnellbahnstationen wirklich sehr sauber sind, fällt jedem Fahrgast auf. Anders als an vielen Bahnhöfen und Busstationen in Taiwan liegt in Taipeis Schnellbahnhaltestellen kein Abfall herum. "Das Essen und Trinken in den Zügen und den Haltestellen ist den Passagieren strengstens verboten", teilt Lee mit. "Zuwiderhandelnde bekommen eine Geldstrafe aufgebrummt. Wir bestehen darauf, den Fahrgästen eine saubere Umgebung zu bieten, auch wenn manche Leute die Geldstrafen gerichtlich anfechten. Die MRT-Mitarbeiter sammeln außerdem jeden herumliegenden Müll sofort ein."
Die TRTC sorgt nicht nur mit einer sauberen Umgebung für den optischen Genuß der Fahrgäste unterwegs, sondern stellt auch in vielen Stationen Kunstwerke aus. " Mit dem Kauf einer Fahrkarte erhält der Schnellbahnpassagier nicht nur eine bequeme Reisemöglichkeit, sondern kann während der Fahrt obendrein auch noch Kunstwerke bewundern", wirbt Zijnk.
Besondere Bedürfnisse der Fahrgäste werden ebenfalls nicht vernachlässigt. Für die Sicherheit der weiblichen Passagiere am späten Abend beispielsweise hat die Firma an jeder Haltestelle einen speziellen Wartebereich für Frauen markiert. Für Körperbehinderte schuf die TRTC eine hindernisfreie Umgebung, darunter besondere Bodenfliesenspuren zur Orientierung für Blinde, ein besonderer Eingang und Aufzug sowie Abstellplatz für Rollstühle in den Waggons. Für die Gesundheit der Passagiere hat die TRTC Exklusivarrangements für Service durch alle größeren Krankenhäuser entlang der Strecken getroffen. Wenn ein Fahrgast aufgrund eines Unfalls durch den Zugbetrieb oder Funktionsstörungen der Einrichtungen verletzt wird, kann der oder die Betreffende sich auf Kosten der TRTC in einer dieser Kliniken behandeln lassen.
Trotz der geradezu sensationellen Erholung von dem Fehlstart 1996 wird bei der TRTC unablässig über weitere Verbesserungen des Service nachgedacht, und Vorschläge aus der Öffentlichkeit sind jederzeit willkommen. Das ganze Jahr über liegen in den Haltestellen Fragebögen aus, in denen die Passagiere ihre Ansichten gegenüber der TRTC artikulieren können. Ein- oder zweimal im Jahr führt die TRTC in den Haltestellen Umfragen zur Einschätzung der Zufriedenheit der Passagiere durch. Gemäß einer im März dieses Jahres durchgeführten Umfrage liegt die allgemeine Zustimmungsrate für die Schnellbahn bei über 98 Prozent. Aus dieser Zahl ist ersichtlich, daß viele Bürger in Taipei neues Vertrauen in das Schnellbahnsystem gefunden haben. Der TRTC ist selbst das noch nicht genug. "Die gegenwärtigen Errungenschaften sind nur ein Anfang", behauptet Lee. "In Zukunft wird die TRTC der Öffentlichkeit noch größere Bequemlichkeit bieten und die Schnellbahn in Taipei zu einem der besten Schnellbahnsysteme der Welt machen."