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Taiwan Today

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01.01.2001
Die Exponate beim jährlichen Chinesischen Nahrungsmittelfest Taipeh sind für die Besucher der reinste Augenschmaus.

Für die Einwohner Taiwans gibt es viele Gründe, unzufrieden zu sein: korrupte Politiker, mangelnde öffentliche Sicherheit, Verkehrschaos, steigende Jugendkriminalität und und und. Auf der anderen Seite beschwert sich so gut wie niemand über die Ernährungslage. Das ist kein Wunder -- es gibt so viele Hotels, Restaurants, Cafés und Garküchen, dass auch der wählerischste Gourmet auf der Insel am Ende auf seine Kost(en) kommt.

Diese Feststellung lässt sich auch statistisch belegen. Nach Angaben der Generaldirektion für Budget, Rechnungswesen und Statistik (Directorate General of Budget, Accounting and Statistics , DGBAS) existierten Ende 1999 in Taiwan nicht weniger als 49 645 gastronomische Unternehmen, 85 Prozent davon waren Essbetriebe wie Restaurants, die übrigen 15 Prozent hatten ihren Schwerpunkt auf Getränken: Kneipen, Cafés, Teehäuser und andere. Vor 15 Jahren erzeugte die Branche einen Jahresumsatz von rund 23 Milliarden NT$ (821 Millionen Euro), 1990 waren es schon 50 Milliarden NT$ (1,78 Milliarden Euro), und 1999 erreichte der Umsatz schwindelerregende 148 Milliarden NT$ (5,28 Milliarden Euro).

Die tatsächlichen Werte wird man allerdings noch deutlich höher ansetzen müssen, weil die offiziellen Statistiken weder die kleine Garküche um die Ecke noch den mobilen Nudelstand auf dem Nachtmarkt erfassen, denn die sind nicht bei der Lokalverwaltung angemeldet und zahlen auch keine Steuern. Nach der Schätzung von Tony Hsu, Herausgeber der chinesischsprachigen Zeitschrift Gourmet World Magazine und Besitzer von zwei Restaurants, gibt es auf der Insel mindestens 100 000 gastronomische Betriebe. Wer hungrig in den Gelben Seiten blättert oder eine Internet-Suchmaschine konsultiert, hat die Wahl zwischen chinesischer, US-amerikanischer, französischer, mexikanischer, italienischer, deutscher, griechischer, thailändischer oder vietnamesischer Küche und anderen, und man kann sich in Taipeh für wenig und auch für teuer Geld den Bauch vollschlagen.

In Taiwan gibt es ein Sprichwort: "Alle drei Schritte kommt man an einem Schrein vorbei, und alle fünf Schritte an einem Tempel." Hsu, der seit seinem Grundschulabschluss vor fast vierzig Jahren im Geschäft ist, hat diesen Spruch auf seine Weise abgewandelt: "Alle drei Schritte kommt man an einer Garküche vorbei, und alle fünf Schritte an einem Restau rant." Und das ist noch nicht mal besonders übertrieben.

Im Laufe ihrer gesamten 3500-jährigen Geschichte haben die Chinesen der Nahrungsaufnahme immer besondere Aufmerksamkeit beigemessen, denn die entscheidende Frage war oft nicht, wie man die Außenpolitik durchführen sollte, sondern, wie und wo man etwas zu futtern herkriegen sollte. Bis heute ist "Hast du schon gegessen?" eine übliche Begrüßungsformel in Taiwan, mehr noch als "Wie geht's?". Im alten China galten " sieben grundlegende Dinge" im Alltag als unentbehrlich: Feuerholz, Reis, Speiseöl, Salz, Sojasauce, Essig und Tee. Vor über 2000 Jahren schrieb Lu Pu-wei, Premierminister der Qin-Dynastie (221-207 v. Chr.), eine Abhandlung über die Benutzung eines Herdes und Gewürze. Zwar war das eigentliche Thema die Beherrschung eines Landes, aber seine kunstvolle Verwendung von Metaphern bewies, dass die Esskultur zu jener Zeit bereits hoch entwickelt war.

Seitdem fanden Tausende von Zutaten und zahllose Zubereitungsmethoden Eingang in die chinesische Kochkunst, aber die bedeutendsten chinesischen Regionalküchen kennen heute nicht mehr als etwa 3000 verschiedene Zutaten und vielleicht vierzig Zubereitungsmethoden. Auf der Grundlage von den verfügbaren Zutaten und Gewürzen der verschiedenen Regionen Chinas unterscheidet man acht Hauptstile: Peking, kantonesische Küche, Chaozhou, Fujian, Hakka, Jiangzhe, Shanghai und Sichuan. Nach einer anderen häufig benutzten Einteilung werden fünf Hauptgruppen genannt: leichtes Essen in Ostchina, saures Essen im Westen, süße Speisen im Süden, salzige Zubereitung im Norden und scharfe Gerichte in der Mitte.

Als erster chinesischer Kochstil hielt die Fujian-Küche Einzug in Taiwan, als vor mehreren hundert Jahren die frühesten Einwanderer aus der Taiwan gegenüberliegenden Festlandprovinz übersetzten. Die wichtigsten Zubereitungsmethoden sind Dämpfen, Schmoren und Braten, und viele Gerichte haben eine suppige Konsistenz. Während der japanischen Kolonialzeit (1895-1945) wurde dieser Stil durch japanische Einflüsse bereichert. Heute genießt der Taiwaner an sich gern geschnittenen rohen Fisch japanischer Art ("Sashimi"), eine würzige Sauce aus Ketchup, Knoblauch, Ingwer, Soja und Zucker für Meeresfrüchte, die ebenso aus Japan stammt wie der in vielen Restaurants auf der ganzen Insel servierte eingelegte Rettich. Viele der älteren Taiwaner, die ihre Jugend in der japanischen Kolonialzeit erlebten, gehen heute noch gern in japanische Restaurants, wo sie ihr Essen in fließendem Japanisch bestellen und in dieser Sprache auch einen Plausch mit dem Küchenchef halten.

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Die Grenzen verschiedener Stile verwischen sich. Ein Buffet ist sicher keine chinesische Erfindung, aber in Taiwan bieten zahlreiche Hotels Buffets mit chinesischen Speisen an.

Als das chinesische Festland 1949 in die Hände der Kommunisten fiel, flüchteten viele Menschen aus allen Teilen Chinas nach Taiwan und brachten natürlich auch ihre Kochkunst mit. Manche machten eigene Restaurants auf und erhielten so ihre alten kulinarischen Regionaltraditionen in Taiwan am Leben. Sie führten Maultaschen und Dampfnudeln sowie andere Zubereitungen aus Weizenmehl ein, was jahrtausendelang in China nördlich des Yangtze-Flusses das Grundnahrungsmittel schlechthin war. Im Süden hatte der Reis diese zentrale Rolle inne.

Diese "Festland-Restaurants" waren für die Durchschnittsbürger der damaligen armen Bauerngesellschaft Taiwans schlichtweg zu teuer. "In meiner Kindheit lautete die Frage nicht, was man essen wollte, sondern was man zu essen bekommen konnte", erinnert sich die Hausfrau Wang Min, die Mitte der dreißiger Jahre im Städtchen Ilan an Taiwans Ostküste zur Welt kam. "Es gibt ein taiwanisches Sprichwort: 'Spare nicht für die Regenzeit, wenn du heut nichts zu beißen hast.' Das bringt es einigermaßen auf den Punkt." Als ältestes Kind der Familie musste Wang schon früh lernen, für ihre jüngeren sieben Geschwister zu kochen, während die Eltern sich auf dem Feld abrackerten. Sie kochte vor allem Süßkartoffeln aus eigenem Anbau, Reis und Gemüse. Fleisch gab es nur zu besonderen Anlässen wie Chinesisch-Neujahr, oder wenn eine der Hennen im Hof ihren Geist aufgab.

Nach ihrer Hochzeit vor vierzig Jahren zog Wang nach Taipeh. Die meisten Menschen drehten auch weiterhin jeden Cent dreimal um und aßen daheim, aber anstatt Gemüse aus eigenem Anbau verwendete man zunehmend gekauftes Gemüse vom traditionellen Markt. Bis heute sind übrigens diese traditionellen Märkte immer noch ein wenig beliebter als Supermärkte. Nach einer im Jahre 1999 durchgeführten Studie des Landwirtschaftsrates der Republik China ( Council of Agriculture, COA) kauften 83 Prozent der Befragten ihren täglichen Bedarf auf traditionellen Märkten ein, während die Supermärkte auf 81 Prozent kamen.

Ihrem Ehemann zuliebe erlernte Wang auch die Zubereitung traditioneller Fuzhou-Rezepte, beispielsweise Maultaschen mit einer Hülle aus dünnen Schweinefleischscheiben anstatt Teig. Sie teilte ihre Kochkunst auch mit Freundinnen vom chinesischen Festland und aus anderen Teilen Taiwans. "Wir waren alle Hausfrauen, und das Kochen für unsere Familien spielte in unserem Leben eine zentrale Rolle, daher waren Lebensmittelpreise und Rezepte unsere Hauptgesprächsthemen", erzählt Wang. "Damals hing es größtenteils von der Kochkunst ab, ob man als gute Ehefrau galt."

Im Zeitalter der Mikrowelle und der Doppelverdiener verliert die Kochkunst inzwischen stark ihre frühere Bedeutung. "Vor vierzig Jahren galt Auswärtsessen als Sünde", berichtet Tony Hsu. "Vor zwanzig Jahren wurde das dann zu einer Freizeitmaßnahme der Familie, was man sich ein bis zwei Mal die Woche gönnte. Heute haben viele Familien in ihren Wohnungen hübsche Kücheneinrichtungen, die blitzsauber und funkelnagelneu aussehen, weil da nie jemand kocht." Angesichts der Statistiken ist das keine Überraschung. Zahlen von der DGBAS ergeben, dass die jährlichen Ausgaben eines Durchschnittshaushalts fürs Auswärtsessen von 31 523 NT$ (1125 Euro) im Jahre 1994 auf 44 510 NT$ (1589 Euro) im Jahre 1999 stiegen, und im gleichen Zeitraum stieg die Gesamtzahl der Haushalte von 5,6 Millionen auf 6,5 Millionen. Anders betrachtet gaben alle Taiwaner zusammen im Jahre 1999 atemberaubende 112 Milliarden NT$ (4 Milliarden Euro) mehr fürs Auswärtsessen aus als nur fünf Jahre vorher.

Unvermeidlicherweise wurde mit dem steigenden Lebensstandard auch die Welt kleiner, mehr Taiwaner reisten ins Ausland, und besonders in der Altersgruppe unter dreißig schlug nun die Stunde des US-amerikanischen Fastfood. Im Frühling 1984 eröffnete McDonald's die erste Taiwan-Filiale, ein Jahr später zog Kentucky Fried Chicken (KFC) nach. Viele andere Firmen folgten, aber nicht alle erhielten die erwünschte Resonanz der Kundschaft und mussten schließlich dichtmachen, etwa Hardee's und Wendy's.

Wer durchhielt, konnte sich mit der Zeit einen stattlichen Marktanteil sichern. "Wir sind schnell, erschwinglich und sauber", prahlt der 19-jährige Student Lee Chin-chen, der seit über zwei Jahren in Taipeh in einer McDonald's-Filiale jobbt. "Viele Kunden kommen wegen der lockeren Atmosphäre her, und das ist auch so von uns beabsichtigt."

Für viele Kunden ist McDonald's mehr als einfach nur ein Fastfood-Restaurant. Besonders junge Leute setzen sich dort gern zum Lesen, Hausaufgaben machen oder einfach nur zum Zeitvertreib hin. Für die kleineren Kinder ist die Spielecke eine unwiderstehliche Attraktion. "Wenn ich meine vierjährige Tochter frage, wo sie zu Abend essen möchte, dann will sie immer zu McDonald's", sagt der Verkaufsingenieur Leo Fan. "Ich bin zu alt für Hamburger, und ich weiß auch, dass sie sich mehr für die Spielecke als das Essen interessiert, aber kann ich Nein sagen?" Solche Worte sind natürlich Musik in den Ohren von Franchisern. Vom geschäftlichen Standpunkt aus sind Eltern wie Fan und das Heer enkelverliebter Großeltern eine riesige und größer werdende Goldgrube für Taiwans Fastfoodketten.

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Auch Pizza ist in Taiwan absolut angesagt. Die US-amerikanische Kette Pizza Hut eröffnete 1986 ihre erste Taiwan-Filiale, zwei Jahre später folgte Domino's Pizza, und beide zusammen haben mittlerweile über 200 Filialen auf der Insel. Ihre übliche Betriebsweise ist Pizza zum Mitnehmen und Pizza zur telefonischen Bestellung, daher brauchen sie nur eine relativ kleine Ladenfläche ohne Gästeraum und haben so in Taiwans engen und überfüllten Großstädten im Gegensatz zur Konkurrenz keine Probleme, geeignete Ladenlokale zu finden. Die Pizzaboten schlängeln sich bei jeder Witterung mit wendigen Mopeds durch den dicksten Verkehr und garantieren so eine angenehm schnelle Lieferung ofenfrischer Ware.

Doch sogar beim Fastfood ist eine schleichende "Taiwanisierung" nicht zu übersehen. Bei Hamburgern und Pizzen gibt es selbstverständlich die ganzen Standardaromen, aber es gibt auch überraschende neue Variationen. Schweinefleischburger mit einer scharfen Sauce nach japanischer Art oder Pizza nach Thai-Art mit viel Süßmais gehören zu den Marketingstrategien zur Werbung neuer Kunden.

Auf der anderen Seite wiederum wurden einige der Konzepte, die den ungeheuren Erfolg des westlichen Fastfood überhaupt erst möglich machten, auch von manchen chinesischen Restaurants übernommen. "Fastfood-Unternehmen haben das Konzept der Kettenrestaurants nach Taiwan gebracht, wo sich das Geschäft sehr viel schneller entwickelt", verrät Tony Hsu. "Noch wichtiger ist, dass sie in Sachen Qualität, Service und Hygiene neue Maßstäbe setzten und einheimischen Garküchenbesitzern den Anstoß gaben, umzudenken und seriöse Gastronomen zu werden."

Das Schlüsselwort dabei ist "Import". In den letzten 15 Jahren hat sich die Zahl der Geschäfte, die importierte Nahrungsmittel verwenden, exorbitant erhöht. Der Verkauf von Fertig- und Halbfertigprodukten hat sich zwischen 1985 und 1999 von 86 Millionen US$ auf 852 Millionen US$ fast verzehnfacht, während der Import von Molkereiprodukten im gleichen Zeitraum von 88 560 Tonnen auf 232 316 Tonnen stieg.

"Taiwans Internationalisierung hat mehr Ausländer angelockt, und dank des Wirtschaftswachstums konnten die Einheimischen ins Ausland reisen und dort fremde Speisen probieren", analysiert Shen Sung-mao, der 1988 das private Chinesische Nahrungs- und Getränkeinstitut gründete, das sich auf Taiwans Gastronomie konzentriert. "Bei zunehmender Nachfrage steigt auch das Angebot. Heutzutage findet man hier fast alle möglichen Arten ausländischer Restaurants, und es gibt fast alle Arten ausländischer Lebensmittel zu kaufen." Shen weist jedoch auch darauf hin, dass viele ausländische Res taurants zwar anfangs importierte Zutaten für größere Authentizität verwenden, aber sobald sie sich einen guten Ruf aufgebaut haben, gehen sie aus Kostengründen allmählich zu billigerem einheimischen Ersatz über.

Laut Tony Hsu ist der typische Gast in einem ausländischen Restaurant zwischen dreißig und fünfzig, denn dieser kann sich das Essen leisten, hatte schon größeren Kontakt mit der Außenwelt und fühlt sich zu alt für McDonald's. Eine Folge ist eine erhöhte Interaktion zwischen dem Koch und dem Gast. Gäste in einem chinesischen Restaurant bekamen den Küchenchef früher so gut wie nie zu Gesicht, aber bei Köchen westlicher Speisen gehört es zum guten Ton, zwischen den Tischen umherzuschlendern und die Gäste nach ihrer Meinung zur Qualität von Speisen und Service zu befragen. Mittlerweile wird auch für immer mehr chinesische Köche der Austausch mit den Gästen zu einem normalen Bestandteil der Arbeit. "Die Kunden mögen es, wenn sie ihre Vorlieben und Abneigungen dem Koch mitteilen können", interpretiert Hsu. "Selbst wenn es ihnen dieses Mal nicht so besonders schmeckt, kommen sie trotzdem wieder, weil sie mit der für die Zubereitung zuständigen Person gesprochen haben und hoffen, dass er zugehört hat."

Man sollte aber nicht dem irrigen Glauben verfallen, dass ausländische Essgewohnheiten die einheimischen Sitten vollkommen verdrängen. Ein großer Teil der Bevölkerung Taiwans kann immer noch nicht richtig mit Messer und Gabel umgehen. Besonders ältere Mitbürger, also die Hauptklientel der altmodischen, "orthodoxen" chinesischen Restaurants, wünschen sich eher Beständigkeit als Wandel. Da ist Enttäuschung in vielen Fällen vorprogrammiert.

"Ich kann von ein und derselben Speisekarte ein scharfes Tofugericht im Sichuan-Stil, Fischkopf nach Shanghaier Art, Pekinger Feuertopf und kantonesischen Bratreis bestellen", empört sich die 70-jährige, aus Shanghai stammende Hsu Wen -hua. "Das steht alles auf der Karte, aber nichts schmeckt echt, denn alle Speisen wurden mit der Zeit ein wenig geändert. Das ist kein negatives Werturteil, aber wir alten Leute können die Gerichte nicht mehr so bekommen, wie sie in unserer Heimat geschmeckt haben."

Nach der Beobachtung von Shen Sung-mao, Autor von etwa dreißig Büchern über Kochkunst und Gastronomie-Man agement, ist heutzutage einer der Gründe für das Verschwinden klassischer Aromen die kritische Einstellung vieler Köche gegenüber klassischen Gerichten. Ihrer Ansicht nach sollten sich alle Küchen mit der Zeit entwickeln, daher experimentieren sie mit verschiedenen Zutaten und probieren alternative Zubereitungsmethoden aus. Oft kann man die Resultate auf dem Chinesischen Nahrungsmittelfest Taipeh probieren.

Diese Veranstaltung ist das größte "Fressfest" in Taiwan und findet seit 1990 jährlich statt. Organisiert wird es vom Touristikverband Taiwan, unterstützt vom Tourismusamt, und die chinesische Esskultur soll dabei im besten Licht dargestellt werden. Die Veranstalter fördern den internationalen kulinarischen Austausch, organisieren Aktionen zur Förderung und zum Austausch kulinarischer Fertigkeiten und versuchen allgemein die Kommunikation zwischen Gastronomieprofis aus der ganzen Welt zu verbessern. In den vergangenen drei Jahren waren die jeweiligen Schwerpunktthemen Tee, Obst und Tofu, und das Elfte Chinesische Nahrungsmittelfest Taipeh im August 2000 stellte Meeresfrüchte in den Mittelpunkt.

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Ein thailändisches Buffet in Taipeh. 1999 gaben die Taiwaner fürs Auswärtsessen satte 4 Milliarden Euro mehr aus als 1994.

Ein vielleicht noch wichtigerer Grund für den Niedergang mancher klassischer Gerichte ist möglicherweise, dass die Vorlieben der Menschen sich immer wieder mal ändern, beim Essen wie auch in den meisten anderen Lebensbereichen. Als die Zentralregierung der Republik China sich 1949 nach Taiwan zurückzog, wurden Gerichte im Jiangzhe-Stil populär. Scharfe Gerichte à la Sichuan waren in den sechziger und siebziger Jahren beliebt, und als die Börse auf dem Höhepunkt war, gingen gerade die teuersten Gerichte weg wie warme Semmeln.

"Um zu überleben, braucht ein Restaurant etwas von diesem und ein wenig von jenem", rät Shen. "Der Vorteil ist, dass man in ein und demselben Restaurant die berühmtesten Gerichte verschiedener Stile bestellen kann. Der Preis dafür ist freilich, dass den Restaurants, Köchen und Stilen die individuelle Note abhanden kommt." Andererseits spielt nach Shens Einschätzung bei der Auswahl des Restaurants, in dem man speisen möchte, Stil gar nicht mehr die wichtigste Rolle. In Taipeh fragt man wegen des Verkehrschaos viel eher nach den Parkmöglichkeiten am Restaurant. Dann kommen Atmosphäre, die Gerichte und der Service -- in dieser Reihenfolge.

Auf der Prioritätenliste steht der Preis dagegen meistens recht weit unten, denn bei den Chinesen ist es Sitte, ihre Gäste in einem möglichst teuren Restaurant zu bewirten. Bei guter Wirtschaftslage florieren Restaurants mit Langusten und Seeohren, doch bei einer Wirtschaftsflaute geraten diese exklusiven Gasthäuser in Bedrängnis, denn dann verzichten die Taiwaner lieber ganz auf ein Festmahl mit Freunden, als mit ihnen ein preisgünstigeres Restaurant aufzusuchen. "Im Prinzip kommt es da auf den richtigen Zeitpunkt an", spekuliert Shen. "Je nach Wirtschaftslage ist das Geschäft entweder super oder miserabel."

Nach Schätzung von Tony Hsu ist es ein ständig wechselnder Personenkreis von täglich etwa 500 Menschen, die Taipehs teuerste Restaurants in Gang halten. Die Spitzenrestaurants müssen sich quasi diese Klientel teilen, die im Schnitt 80 Euro oder mehr pro Mahlzeit ausgibt. Bei schlechter Wirtschaftslage kann die Konkurrenz in dieser dünnen Atmosphäre extrem hart werden. Manche der teuren Restaurants suchen dann ihr Heil in Preissenkungen. Als Taiwans Aktienindex bei 10 000 Punkten lag (heute liegt er bei 6000), musste man für ein Menü mit Haifischflossensuppe locker mit 50 bis 60 Euro rechnen. Heute ist es möglich, das gleiche Menü mit nur unwesentlich schlechteren Zutaten für 15 Euro zu bestellen, man muss nur wissen wo.

Wenn man die Eröffnung eines piekfeinen teuren Restaurants mit Spekulieren am NASDAQ vergleicht, dann entspricht der Betrieb eines kleinen und schmucklosen Nachbarschaftsimbisses mit billigem Essen ungefähr der Investition in Staatsanleihen. "Die Leute essen in diesen Garküchen, weil sie weder Zeit noch Energie haben, selbst zu kochen", behauptet Shen Sung-mao. "Das ist eine von der Wirtschaftslage unabhängige Angewohnheit. Wenn Chinesen nicht Gäste nobel zu bewirten haben und es also nicht ums Gesicht-wahren geht, dann sind sie ziemlich sparsam."

Zwischen den beiden Extremen gibt es noch die normalen Mittelklasse-Restaurants, die aber auch ihre eigenen Probleme haben. Für eine tägliche Mahlzeit sind sie ein wenig zu teuer, für Hochzeitsbanketts oder wichtige Geschäftsessen jedoch nicht pompös genug. Zur Verbesserung einer lahmen Geschäftslage greifen die Inhaber nicht selten auf kleine Tricks zurück, und laut Shen kann "ein wenig Kosmetik" (eine taiwanische Redewendung, die an hübsche Kellnerinnen in kurzen Röcken denken lässt) wahre Wunder wirken.

Tony Hsu ist ebenfalls der Ansicht, dass ein preiswertes Restaurant ein weniger riskantes Unternehmen ist als ein Nobelschuppen, aber gewisse Erwägungen spielen bei schlichtweg jedem Einzelhandelsunternehmen eine Rolle, etwa die Lage: Ein erfolgreiches Restaurant muss gut in seine Gegend passen. Der Verkauf von Maultaschen oder nordchinesischem Essen würde ökonomisch keinen Sinn machen, wenn in der Gegend überwiegend ältere Taiwaner wohnen.

Ein fast die gesamte gastronomische Branche betreffendes Problem ist der chronische Mangel an fachlich qualifiziertem Personal. Früher konnte man nur durch eine drei- bis fünfjährige Lehrzeit in der Küche Koch werden. In dieser Lehrzeit erwarb man die Grundkenntnisse und arbeitete dann zu ihrer Vertiefung weitere drei bis fünf Jahre. Viele Restaurantköche von heute wurden in Berufsschulen ausgebildet, aber die Neulinge sind oft nicht so gut, wie es ihre Abschlusszeugnisse glauben machen. "Mehr Theorie als Erfahrung", fasst Hsu dieses Phänomen zusammen. "Sie wissen alle, wie man die Zutaten und Zubereitungsschritte in einem Computer auflistet, nur können Computer dummerweise nicht kochen."

Dieses Problem wird sich möglicherweise abschwächen, weil immer mehr Berufsschulen mit Kochkursen ihre Lehrmethoden verbessern. Welche Situation auf frischgebackene Küchenchefs der Zukunft wartet, ist dagegen eine interessante Frage. Es wäre schön, wenn Taiwans Gastronomie weiter blühen, wachsen und gedeihen würde und dabei zahlreicher und anspruchsvoller werdenden Gourmets eine immer größere Vielfalt an Stilen anbieten könnte. Für Zyniker gibt es dagegen zwei relevante Fragen: Wie lange wird es dauern, bis erstens auch das letzte "orthodoxe" Restaurant mit nur einem einzigen Kochstil von einer Restaurantkette geschluckt wird und zweitens die Mikrowelle das einzige Kochgerät in der durchschnittlichen taiwanischen Küche ist?

(Deutsch von Tilman Aretz)

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