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Spiegel der Geschichte

01.03.2001
Tempel wie hier der Lungshan-Tempel in Lukang sind meist gut erhalten, weil die Gläubigen für regelmäßige Renovierung sorgen.

In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts legte Taiwan die Grundlagen für seinen atemberaubenden wirtschaftlichen Aufstieg, aber jenes Jahrzehnt war auch gekennzeichnet von Ablehnung durch den Rest der Welt. Die Wahrung eines internationalen Profils erwies sich als sehr schwierig, und folglich wandte sich die Aufmerksamkeit der Menschen der Kultur ihrer heimatlichen Scholle (xiangtu鄉土) zu. Künstler und Schriftsteller ließen sich zunehmend von taiwanischen Themen inspirieren. Architekten experimentierten mit neuen Stilen, die die Einzigartigkeit der Insel widerspiegeln sollten. Kulturfachleute entwarfen ehrgeizige Programme zur Erforschung und Restaurierung historischer Stätten und Relikte. Diese xiangtu-Welle kulminierte in der Verabschiedung des Gesetzes über die Bewahrung des Kulturerbes im Jahre 1982. Etwa 300 Gebäude -- davon 40 Prozent öffentliches Eigentum, der Rest in Privatbesitz -- wurden seitdem zu historischen Stätten erklärt, die restauriert und erhalten werden müssen.

Der Entwurf eines Gesetzes ist indes nur der erste Schritt. Seit 1982 haben sowohl zuständige Regierungsbehörden als auch private Denkmalschutzorganisationen und Gelehrte mit akutem Geld- und Personalmangel zu kämpfen gehabt. Andere Hindernisse waren Gleichgültigkeit der privaten Besitzer historischer Gebäude und offene Feindseligkeit von Befürwortern einer Wirtschaftsentwicklung um jeden Preis.

Wenn Denkmalschutz und Restaurierung bedeuten, dass der Originalzustand einer historischen Stätte wiederhergestellt werden soll, dann kann man nur sehr wenige Denkmalschutzprojekte auf der Insel als vollen Erfolg bezeichnen. Daher muss man vorsichtig sein, wenn man von diesen "geschützten" Stätten Rückschlüsse auf Taiwans Geschichte ziehen möchte, denn die meisten Originalbauten sind bereits unwiederbringlich verloren, verwüstet von Wind und Regen, Vernachlässigung, Krieg und der ewigen Habgier.

Was erzählt Taiwans architektonisches Erbe uns vor diesem Hintergrund über seine Geschichte?

Der Legende nach gab es erste Berührungen zwischen Taiwan und dem chinesischen Festland, als während der Qin-Dynastie (221-206 v. Chr.) eine kaiserliche Flotte auf der Suche nach einem Wundermittel rübergeschickt wurde, das den Ersten Kaiser unsterblich machen sollte. Es wird allgemein angenommen, dass in den folgenden Jahrhunderten Abenteurer und Kaufleute die Insel besucht haben, aber diese haben keine Spuren hinterlassen.

Im Jahre 1624 unterzeichneten der Hof der Ming-Dynastie (1368-1644) und die Holländer einen Vertrag, der letzteren Außenposten auf Taiwan gewährte, wofür die Holländer sich als Gegenleistung zum Rückzug von den auf halbem Weg zwischen China und Taiwan gelegenen Penghu-Inseln (Pescadoren), die sie zwei Jahre zuvor besetzt hatten, verpflichteten. Die Holländer landeten im Süden der Insel unweit des heutigen Tainan und begannen umgehend mit dem Bau des Forts Zeelandia, bald darauf folgte in der Nähe der Bau des Forts Provintia. Für die Holländer war Taiwan aufgrund seiner geographischen Lage und des fruchtbaren Bodens eine ideale Kolonie und Handelsstützpunkt, andererseits hatten sie mit dem Widerstand der Ureinwohner und der chinesischen Einwanderer zu kämpfen. Sorge bereiteten auch Angriffe der Briten, Portugiesen und Spanier. Die Kanonen auf den von den Holländern gebauten Forts zielten sowohl aufs Meer als auch auf das Hinterland. Der Feind war überall.

Spiegel der Geschichte

Mit wachsendem Wohlstand entstanden in Taiwan immer mehr luxuriöse Häuser und Privatgärten im han-chinesischen Stil.

Unterdessen hatten die Spanier 1626 an der Nordspitze Taiwans Fuß gefasst und an zwei Orten mit dem Bau von Festungen begonnen: Fort San Salvador in Keelung und Fort Santo Domingo in Tamsui. Letzteres ist heute eine historische Stätte Erster Klasse (siehe auch den Artikel auf Seite 8). Während ihres Aufenthaltes in Taiwan von 1626 bis 1642 ließen die Spanier Einwanderer aus Festlandchina gemeinsam mit den Ureinwohnern an Pionierprojekten wie der Gewinnung von Schwefel in Peitou (Nordtaiwan) arbeiten. Zur Verbreitung des Katholizismus wurden außerdem Kirchen errichtet, von denen heute allerdings keine mehr steht, und es kamen auch Missionare auf die Insel, die ihren Glauben predigten, Kranke heilten und ein wenig westliche Medizin lehrten, bevor sie 1642 von den protestantischen Holländern vertrieben wurden.

Gegen Ende der holländischen Herrschaft lebten auf Taiwan rund 100 000 Menschen. Mit dem Ming-General Cheng Cheng-kung (1623-1662), im Westen auch unter dem Namen Koxinga bekannt, kamen 1661 zusätzlich 30 000 chinesische Soldaten mit ihren Angehörigen. Koxinga benutzte Taiwan als Basis für einen Angriff auf die Qing-Dynastie (1644-1911). Aus Furcht vor Attacken Koxingas auf das chinesische Festland ließ der Qing-Hof die Küstenregionen der Taiwan direkt gegenüberliegenden Provinz Fujian evakuieren. Viele der betroffenen Menschen dort sahen sich ihrer Existenzgrundlage beraubt und gingen daher nach Taiwan, wo sie zahlreiche Häuser und Tempel errichteten. Nur wenige dieser Bauten waren von Dauer, aber ein paar Tempel stehen noch, freilich stark renoviert. Der Konfuziustempel in Tainan beispielsweise wurde ursprünglich im Jahre 1665 erbaut, aber der heute stehende Bau ist einer Rekonstruktion aus dem Jahre 1712 nachempfunden.

Im Jahre 1683 fiel schließlich ganz Taiwan in die Hände der Qing-Dynastie, welche die Insel bis 1895 beherrschte. Die mandschurischen Despoten der Qing kümmerten sich kaum um eine Entwicklung ihres Übersee-Besitztums und begnügten sich damit, Taiwan nicht zu einem Piratenstützpunkt oder einer Basis für staatsfeindliche Umtriebe werden zu lassen. Aus Fujian und dem Ostteil der südchinesischen Provinz Guangdong kamen Einwanderungswellen, und Taiwans Gesamtbevölkerung stieg bis 1887 auf rund 2,5 Millionen Menschen. Der wichtigste Wirtschaftszweig war natürlich die Landwirtschaft, aber der Handel nahm allmählich zu.

Im Leben dieser Einwanderer aus der Zeit der Qing-Dynastie spielte Religion eine große Rolle. Sie bauten viele Tempel, darunter Schreine für die Erdgötter, aber auch außerordentlich reich verzierte mehrgeschossige Gebäude zu Ehren der größeren Gottheiten. Einige dieser Andachtsstätten wie der Lungshan-Tempel in Taipeh und der gleichnamige Tempel im zentraltaiwanischen Lukang (beachten Sie dazu auch den Artikel auf Seite 20) blieben gut erhalten und sind bis heute wichtige spirituelle Zentren. Dank einer genauen Datierung dieser Bauten und einem Vergleich ihrer jeweiligen Größe können Historiker heute darauf schließen, wann die umliegenden Gegenden landwirtschaftlich erschlossen wurden oder sonstwie wirtschaftliche Bedeutung erlangten.

Mit der Zunahme der Bevölkerung stieg auch die Zahl der Siedlungen. Politisch wichtige Zentren und Siedlungen in Küsten- und Gebirgsregionen waren zu jener Zeit in der Regel auf die eine oder andere Art befestigt, um die Verwaltungsbeamten und Einwohner vor den Ureinwohnern und asozialen Elementen -- darunter damals auch Piraten -- zu schützen. Manche dieser Konstruktionen, darunter das Nord- und das Südtor in Taipeh, blieben erhalten und wurden renoviert, auch wenn sie durch diese Prozedur oft jünger aussehen, als sie tatsächlich sind.

Der Qing-Hof richtete in Taiwan auch 13 Bildungsämter ein und baute etwa 60 Schulen. Die Ämter vereinigten normalerweise die Funktionen von konfuzianischen Tempeln und lokalen Bildungsbehörden in sich. Der heute noch in Changhua (Zentraltaiwan) stehende Konfuziustempel war eines dieser Bildungsämter, wenngleich die meisten der Schuleinrichtungen verschwunden sind.

Die Gebäude dieser Periode reflektieren im allgemeinen die von den festlandchinesischen Einwanderern mitgebrachten traditionellen Stile. Allerdings machte sich in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine zweite Welle ausländischer Architektur bemerkbar, als nach dem Vertrag von Tientsin 1858 die taiwanischen Häfen Tamsui, Keelung, Anping (bei Tainan) und Takou (das heutige Kaohsiung) dem Westen geöffnet wurden. Ausländische Kaufleute und Missionare bauten Residenzen, Firmenbüros und Kirchen im westlichen Stil, aber auch davon stehen heute nur noch wenige.

Im Mai 1895 begann mit der Landung der Japaner in Nordtaiwan ihre 50-jährige Kolonialherrschaft über die Insel. Die neuen Herren taten viel für Taiwans Infrastruktur -- Häfen und Landstraßen wurden neu gebaut und erweitert, und es wurden eine moderne Eisenbahn und Kommunikationseinrichtungen angelegt. Die Japaner entwarfen sogar phantastische Stadtentwicklungspläne -- zum Beispiel sollte Taipeh als politisches Zentrum ausgebaut werden, Taichung als Wohngebiet sowie Keelung und Kaohsiung als Industriehäfen.

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Tainans Konfuziustempel wurde 1665 noch vor der Eroberung der Insel durch die Qing gebaut und soll auch Taiwans erste offizielle Schule beherbergt haben. (Chang Su-ching)

Viele japanische Gebäude, besonders Verwaltungsgebäude, Schulen und Hospitäler, enthielten westliche Design- und Bau-Konzepte. Eine beachtliche Anzahl dieser Bauten, darunter der Präsidentenpalast (siehe dazu auch den Artikel auf Seite 28), der Kontroll-Yuan (die Regierungsaufsichtsbehörde der Republik China), der Exekutiv-Yuan (quasi das Regierungskabinett oder der Ministerrat) sowie einige Gebäude der National Taiwan University und der Pädagogischen Hochschule Taiwans in Taipeh werden heute noch genutzt.

In gewisser Weise legten die Japaner so die Grundlagen für Taiwans Modernisierung. Diese "Japanisierung" hatte jedoch zwei Seiten: Für jedes neu errichtete Gebäude wurden Dutzende von traditionellen Bauten im chinesischen Stil abgerissen.

Im Zweiten Weltkrieg wurden Taiwans Ressourcen voll und ganz für Japans Kriegsmaschinerie ausgebeutet, und nach der Niederlage der Japaner 1945 befand die Insel sich in einem ziemlich schlechten Zustand. Gemäß den Vereinbarungen der Alliierten in Kairo 1943 und Jalta 1945 wurde Taiwan an China zurückgegeben, und die KMT-Regierung übernahm die bestehenden Gebäude für offizielle Zwecke. Allerdings sah die Regierung sich außer Stande, den neu auf Taiwan eingetroffenen chinesischen Truppen und ihren Familien Unterkünfte zu bieten, und auch vom privaten Sektor war da keine Hilfe zu erwarten, denn die verbliebenen kümmerlichen Ressourcen wurden sämtlich zur Beseitigung der Kriegsschäden benötigt.

In den fünfziger Jahren startete die Regierung mehrere Wirtschaftsentwicklungspläne, und in dem folgenden Jahrzehnt zeigten sich auch die Ergebnisse. Eines der Nebenprodukte war ein dramatischer Wandel in Taipehs architektonischer Landschaft. Die viergeschossigen Apartmenthäuser der frühen sechziger Jahre wurden allmählich von Hochhäusern mit zehn oder mehr Etagen überragt. Erste kommerzielle Hochhäuser wurden errichtet. Diese neuen Bauten zeigen in gewisser Weise auch Taiwans Annäherung an die westliche Kultur. Traditionelles chinesisches Design starb zwar nicht vollkommen aus, aber heute sieht man es nur noch vereinzelt bei modernen Neubauten, etwa dem Nationalen Palastmuseum oder dem Märtyrerschrein in Taipeh.

Man kann darüber streiten, ob die großangelegte Übernahme ausländischer Architekturkonzepte ein Fluch oder ein Segen ist. Viele moderne Hochhäuser haben beispielsweise hitzeabsorbierende Glasfassaden, weswegen man mehr Strom für die Klimaanlagen benötigt -- kaum ein geeignetes Konzept auf einer subtropischen Insel wie Taiwan. Unangemessene und schlecht durchgesetzte Stadtplanungsgesetze verstärken praktisch noch den Eindruck, dass viele zeitgenössische Architekten ihren Auftrag darin sehen, möglichst protzig so viel Geld wie möglich zu verpulvern. Und während man eilig eine glitzernde Zukunft schafft, verliert man natürlich nur allzu schnell die Notwendigkeit der Erhaltung der Vergangenheit aus den Augen.

In dieser Ausgabe betrachtet Taipeh heute das, was von Taiwans altem architektonischen Erbe noch vorhanden ist, was erhaltenswert ist, und was dazu getan wird.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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