Theoretisch haben Taiwans Jugendliche nicht viel Verantwortung zu tragen. Mit 15 Jahren sind die meisten mit ihrer 9-jährigen Pflichtschulzeit fertig, mit 18 dürfen sie Autos fahren, und mit 20 erhalten sie das aktive Wahlrecht. Doch den größten Einfluss haben die jungen Leute mit ihrem Konsumverhalten, also der Verwendung ihres Geldes. Nach Zahlen der Generaldirektion für Budget, Rechnungswesen und Statistik ( Directorate General of Budget, Accounting and Statistics , DGBAS) macht in Taiwan die Altersgruppe zwischen 10 und 24 Jahren ungefähr ein Viertel der Gesamtbevölkerung von 22,3 Millionen Menschen aus. Nach Einschätzung von Chang Der-chung, Professor an der Abteilung für Lebenswissenschaften der National Open University (NOU), enthält dieses Segment der Gesellschaft über fünf Millionen Menschen, die jeden Monat im Schnitt je 1000 NT$ (30 Euro) oder mehr für Einkäufe oder Freizeitaktivitäten ausgeben, insgesamt 60 Milliarden NT$ (1,8 Milliarden Euro) im Jahr. Wenn man bedenkt, dass viele junge Leute zusätzlich eigenes Geld verdienen, dann steigt diese Zahl noch einmal beträchtlich an.
Das Buhlen um den Bimbes der Jugendlichen ist für Firmen und Händler eine lebhafte Angelegenheit -- aus gutem Grund. Laut einer Konsumstudie der NOU im vergangenen Jahr gaben 46 Prozent der befragten Jugendlichen zwischen 10 und 24 Jahren den größten Teil ihres Geldes für Esswaren aus. Der Rest der Befragten verwendete das Geld bevorzugt für Unterhaltungszwecke oder kaufte Klamotten. Internet-Cafés, Karaoke-Studios und Kinos werden besonders gerne aufgesucht. "In Bezug auf Geldausgeben läuft diese Gruppe oft Modefimmeln hinterher und ist fasziniert von Vielfalt und äußerer Erscheinung", analysiert Chang Der-chung. " Die Jugendlichen kaufen alles, was ihnen gefällt, auch wenn es sich dabei um teure Designerware handelt."
Werden diese Konsumverhaltensmuster von der heutigen Konsumkultur geformt oder umgekehrt? Eins ist sicher, nämlich dass der Markt voller Produkte ist, die speziell auf jugendliche Verbraucher zugeschnitten wurden, und dabei haben sich zahlreiche Marketingkonzepte als erfolgreich erwiesen. "Heranwachsende konsumieren eher Symbole als wirkliche Produkte", glaubt Kuo Cheng, Professorin für Werbekunde an der National Chengchi University in Taipeh. Mit ihrer Einstellung "Geld ausgeben, weil's Spaß macht" fügen die Jugendlichen sich nahtlos in die ebenso gesinnte Gesellschaft ein, aber die Fixierung auf Symbole ist bei impulsiven Teenagern besonders ausgeprägt. "Sehr oft kaufen Teenager Produkte, weil ihre Lieblings -Popstars dafür Werbung machen", fügt sie hinzu.

Prof. Kuo bemerkt, dass für viele junge Verbraucher der Akt des Kaufens bedeutsamer ist als das erworbene Produkt. "Wenn Heranwachsende in Gruppen einkaufen gehen, kann es durchaus sein, dass sie gerade eigentlich gar nichts Besonderes brauchen", meint sie. "Sie gehen eher einkaufen, um sich mit Freunden zu sozialisieren, denn das fördert ein Gefühl der Solidarität." Durch den Konsum von Waren finden junge Leute eine Verbindung mit der Welt und entwickeln ihre Identität, sei es als Individuum oder als Gruppe.
Diese Suche nach dem "Selbst" wird von der Popkultur oft noch angeheizt. "Die Popmusik-Branche ist sehr geschickt bei der Schaffung einer Traumwelt, in der fröhliche Teens bereitwillig unmittelbare Befriedigung und Identität kaufen", weiß Wang Hui-yu, Vertrauenslehrerin in einer Oberschule. Sie weist darauf hin, dass zwischen der von der Popmusik vermittelten Botschaft und der Interpretation dieser Botschaft oft ein Widerspruch besteht. Popstars singen oft von ihren persönlichen Problemen und fordern die jugendlichen Fans auf, ihre einzigartigen Qualitäten zu feiern. In Wirklichkeit jedoch zwingen die Popstars ihren Fans quasi Konformität auf, indem sie ihnen vormachen, wie man zu leben hat und wie man modisch auf der Höhe bleibt. "Sie sagen den Kids, sie sollten auf ihre eigenen Gefühle hören", enthüllt Wang. "Tatsächlich drängen die Stars den Jugendlichen ihre Gefühle auf."
Lin Yi-min, Leiter der Jugendkultur-Abteilung der Karriere-Stiftung, beobachtet den Einfluss des Konsumzwangs auf leicht zu beeindruckende junge Leute ebenfalls mit Argwohn. "Konsumenten ohne Durchblick werden in Mitleidenschaft gezogen, wenn sie immer den neuesten Trends folgen", warnt er. Der Drang, völlig unbrauchbaren Mist zu kaufen, bewegt sich bei Jugendlichen vermutlich auf einer unterbewussten Ebene, auf der anderen Seite verdienen sich Jugendliche eigenes Geld mit dem ausdrücklichen Ziel, das Geld auch wieder auszugeben.

Ein Lächeln gratis dazu. Die Mehrheit der jobbenden Jugendlichen ist im gastronomischen Bereich tätig, etwa Fastfood-Restaurants oder Cafés.
Teilzeitarbeit ist bei Taiwans Jugendlichen nichts Ungewöhnliches, vor allem in den Sommer- und Winterferien. Nach Auskunft der DGBAS enthält das gesamte Arbeitskräftepotenzial der Republik China nicht weniger als 12,6 Prozent Voll- und Teilzeitarbeiter zwischen 15 und 24 Jahren. " Dieses Segment der Arbeitnehmerschaft ist gekennzeichnet durch niedrige Löhne, hohe Fluktuation und miese Arbeitsbedingungen", beschreibt Lin. Er weist überdies darauf hin, dass ihre Einkünfte sich auf dem gleichen Niveau bewegen wie die Löhne für ausländische Gastarbeiter, und viele von ihnen werden von ihren Arbeitgebern auch nicht versichert.
Im Zuge der Entwicklung von Taiwans Wirtschaft in den letzten Jahren wanderten immer mehr der jungen Arbeitnehmer vom Fabrikationsbereich zum Dienstleistungssektor ab. Laut einer im Jahre 2000 durchgeführten Umfrage der Karriere -Stiftung arbeiteten 49,4 Prozent der jugendlichen Jobber in der Gastronomie, vor allem Fastfood-Restaurants und Cafés, und weitere 33,3 Prozent verdienten sich ihr Geld in Lebensmittelgeschäften und Supermärkten. Ein Fünftel der Befragten malochte in der Fabrikation. Bei den meisten Teilzeitjobs für Jugendliche werden nur minimale Kenntnisse verlangt, und der Stundenlohn beträgt im Schnitt nicht mehr als 93 NT$ (2,81 Euro).
Die gleiche Umfrage ergab auch, dass 55,8 Prozent der Jobber sich für eine bestimmte Anschaffung Arbeit gesucht hatten, während 41,7 Prozent sich zur Aufbesserung der Kasse und Bestreitung des Lebensunterhalts in ein Angestelltenverhältnis begaben. Manche arbeiten aber auch aus nicht-wirtschaftlichen Gründen. "Einer der Hauptgründe dafür, dass manche Schüler arbeiten gehen, liegt in ihren unbefriedigenden Schulleistungen", verrät Lin Yi-min. "In einer solchen Lage bleibt den Schülern nichts anderes übrig, als sich nützliche Arbeitserfahrung zu erwerben."
Wang Hui-yu sieht das Bildungssystem Taiwans zwar nicht so kritisch, doch auch sie fordert ihre Schüler auf, außerhalb der Schule Erfahrungen im wirklichen Leben zu sammeln. "In der heutigen pluralistischen Gesellschaft leistet die Schule nur einen Teilbeitrag bei der Bildung der Schüler", findet sie. Die Lehrerin ist allerdings darüber besorgt, wie die Schüler ihr Geld verdienen und ausgeben. Es gab schon Berichte, dass Jugendliche CDs kopieren und dann an ihre Mitschüler verhökern, dass Jugendliche Geld von ihren Eltern klauen, und manche geben ihr ganzes Geld für ihre Hobbys aus, auch zu Lasten anderer Dinge wie Ernährung. "Für die jungen Leute gibt es heutzutage so viele Versuchungen", seufzt Wang. "Viele von ihnen sind sich der Gefahren dabei nicht bewusst." Sie nennt das Beispiel einer Mittelschülerin, die mit ein paar Mitschülerinnen einen Betelnuss-Stand aufmachen und zum Anlocken männlicher Kunden in aufreizender Kleidung posieren will.

Wer über die Konsumwut junger Verbraucher lamentiert, sollte bedenken, dass dieses Konsumverhalten durch erwachsene Werbeund Marketingexperten geschürt wird.
Freiwillige ehrenamtliche Arbeit, eine Möglichkeit zur Nutzung und Kanalisierung der Energie und der Leidenschaft junger Leute, ist dagegen relativ selten. Chang Der-chung von der NOU unterstützt als Berater der staatlichen Jugendkommission ihre Bemühungen zur Förderung ehrenamtlicher Arbeit. Nach seinen Worten haben sich in den USA über 70 Prozent der Jugendlichen über 14 Jahre in freiwilliger Arbeit engagiert, in Taiwan sind es aber nur 30 Prozent. Bei jüngeren Leuten ist die Zahl sogar noch niedriger. "Eine aktive Branche freiwilliger Arbeit im sozialen Bereich ist ein Kennzeichen einer voll entwickelten Gesellschaft", behauptet Chang. "Ihre Förderung ist Sache sowohl der Regierung als auch des privaten Sektors."
Immerhin bemüht man sich bereits, Jugendliche für freiwillige Arbeit zu erwärmen. Einige Universitäten verlangen von ihren Studierenden die Ableistung solcher Dienste, und im Rahmen aktueller Veränderungen des Hochschulaufnahmesystems müssen Oberschüler, die sich um Aufnahme an einer Universität bewerben, verbindlich ein Minimum von acht Stunden unbezahlter Arbeit verrichten. Die neuen Regelungen haben aber auch schon Probleme verursacht. Eine Oberschullehrerin hatte ihren Schülern die Ableistung Hunderter von freiwilligen Arbeitsstunden bescheinigt, ohne nachzuprüfen, ob diese Arbeit auch wirklich ausgeführt worden war.
Chang Der-chung beharrt darauf, dass der Mangel an Personal zur Beaufsichtigung dieses Programms durch die Zusammenarbeit mit Fachleuten in akademischen Kreisen, Wohlfahrtsorganisationen und der Regierung gelöst werden kann. Es ist überdies ein Schulungsprogramm für Jugendliche und ein Einstufungssystem erforderlich, damit man für die Studierenden Tätigkeiten findet, für die sie auch geeignet sind. "Für einen unerfahrenen freiwilligen Arbeiter ist es besonders wichtig, von Leuten mit Erfahrung Anleitung zu erhalten", empfiehlt er. "Die Regierung und private Freiwilligenorganisationen sollten in diesem Bereich die Entwicklung personeller Expertise fördern." Wenn junge Leute mehr Informationen über und mehr Gelegenheit zu freiwilliger Arbeit bekommen, dann können sie nach Changs Ansicht Beiträge für die Gesellschaft leisten und von den Erfahrungen profitieren.
"Die Jugendlichen lernen von den Erwachsenen", formuliert Lin Yi-min von der Karriere-Stiftung. "Wenn so etwas wie jugendliche Subkultur existiert, dann muss die etablierte Gesellschaft sie zu verstehen und zu tolerieren versuchen. Man darf es nicht den jungen Leuten anlasten, wenn sie blind den Trends hinterherrennen, die von Erwachsenen geschaffen werden."