Die Gongs, welche in der traditionsreichen Lin Wu-Schmiedewerkstatt im osttaiwanischen Ilan gehämmert werden, symbolisieren nicht nur zu festlichen Anlässen den Klang der Götter, sondern haben heute auch ihren Platz in der Welt der modernen Musik.
Mit einem Schlag auf den Mittelwulst entlockt man dem großen Gong in Peikangs Matsu-Tempel einen tiefen, donnernden Klang. Der Nachhall breitet sich wie Wellen in einem Teich aus -- erst baut der Ton sich langsam auf und zerbirst dann wogend. Manche halten das für die Stimme von Matsu(媽祖), die Göttin des Meeres und die Beschützerin der Seefahrer. Andere sprechen Matsu das Monopol auf diesen überirdischen Klang ab und nennen ihn schlicht "göttlichen Donner".
Es ist nicht überliefert, wann Handwerker erstmals diese riesigen pfannenförmigen Instrumente schufen. Doch der tiefe, nachhallende Bass von Gongs ist das Herzstück der jahrhundertealten Peikuan-Musik(北管), die während der Qing-Dynastie (1644 -1911) vom chinesischen Festland nach Taiwan gebracht wurde. Peikuan-Musik wurde bei traditionellen Opern, Tempelfeierlichkeiten, öffentlichen Zeremonien und Festen gespielt. Die Gongs liefern den Rhythmus für die begleitenden Zimbeln, Schalmeien, Trommeln und Saiteninstrumente. Weil Peikuan-Musik die Klangkulisse für Feste und kaiserliche Festspiele bot, wurde sie oft von mobilen Kapellen gespielt, und der tiefe, gleichmäßige Klang des Gongs trieb die Prozessionsteilnehmer voran oder mahnte die Passanten, den Weg für eine herannahende offizielle Prozession freizumachen.
Zur Erschaffung des "göttlichen Donners" plagten die Handwerker sich mit ihren Hämmern und verarbeiteten Eisen und Bronze zu Gongs. Die traditionellen Herstellungsmethoden werden heute noch von den Handwerksmeistern der Lin Wu-Schmiede angewandt, einem Familienbetrieb im nordosttaiwanischen Städtchen Ilan. Diese Werkstatt war es auch, die mit der Anfertigung des Prozessionsgongs für den Matsu-Tempel in Peikang beauftragt wurde, und als das gute Stück im Jahre 1985 dann ausgeliefert wurde, war es der größte Gong der Welt -- 1,82 Meter Durchmesser und 160 Kilogramm Gewicht. Das Mammutgerät war der Stolz des Werkstattgründers und Familien-Patriarchen Lin Wu. Diese Leistung wurde indes sieben Jahre später von seinen Söhnen und Enkeln noch übertroffen: Einen vollen Monat hämmerten acht Handwerker einen gigantischen Gong mit 2,38 Metern Durchmesser und über 400 Kilogramm Gewicht, der heute den ebenfalls der Göttin Matsu geweihten Tienhou-Tempel in der zentraltaiwanischen Gemeinde Lukang bedröhnt.
Als das Monstrum fertig war, hatte es einen Bass, der aus Urtiefen zu kommen schien. "Je größer der Gong, desto tiefer der Ton", erläutert Lin Lieh-chi, sechster Sohn von Lin Wu und heutiger Leiter des Familienbetriebes. "Die Größe und die Klangstärke eines Gongs spielt für das Ansehen des Tempels eine Rolle, besonders bei gleichzeitig stattfindenden Feiern, wenn die Paradetruppen zweier Tempel einander auf der Straße begegnen und in Wettbewerbsstimmung kommen." Derzeit sind Tempel die Hauptkundschaft der Gonghersteller. Doch die Bestellungen kommen nicht nur von den Tempeln selber, sondern auch von großzügigen Gläubigen, die ihrem Tempel einen Gong schenken wollen. Schätzungsweise 85 Prozent der gesamten Nachfrage nach Gongs werden von der Lin Wu-Schmiede gedeckt.
"Wir wollen Gongs, die einen hochwertigen Klang erzeugen, laut genug sind, so dass man sie auch in größerer Entfernung hören kann, und lange nachhallen", verkündet Lin Ken-teng, Verwaltungschef der Forschungsgesellschaft für Nankuan (南管)und Peikuan sowie des Tsantien-Tempels in der Gemeinde Linkou, Landkreis Taipeh. "Die Gongs aus der Lin-Werkstatt haben bekanntermaßen alle diese Eigenschaften. Ich habe seit über siebzig Jahren mit der Familie zu tun. Der Tsantien-Tempel hat sechs Exemplare von der Familie gekauft, darunter zwei Stück für den gelegentlichen Gebrauch." Die von der Lin Wu-Schmiede hergestellten Gongs sind aus Bronze, die nicht so leicht rostet wie Eisen und deswegen bessere Klangqualität und Haltbarkeit garantiert. Dennoch müssen die Instrumente gepflegt werden, denn im Laufe der Zeit entsteht auch bei Bronzegongs Rost, der den Klang beeinträchtigt. Außerdem können Gongs natürlich Risse bekommen, wenn man sie fallen lässt.
Die Lin-Familie produziert zwar nach wie vor traditionelle Gongs, stellt aber auch feiner gestimmte Instrumente her, so dass zeitgenössischen Musikern präzisere Rhythmusinstrumente zur Verfügung stehen als traditionelle Gongs. Man kann heute Gongs kaufen, die auf einen bestimmten Ton gestimmt sind, und Bestellungen für solche Instrumente können außer bei der Lin Wu-Schmiede sonst nirgends auf der Insel bearbeitet werden. In der Werkstatt können Gongs verschiedener Größen mit insgesamt 26 Musiknoten geschmiedet werden, also zwei Oktaven auf der chromatischen Tonleiter. Jeder gestimmte Gong der Lin-Familie entsteht nach Tausenden von manuellen Hammerschlägen mit bis zu 20 Kilo schweren Hämmern. Die erste Garnitur von 13 auf unterschiedliche Noten gestimmten, handgemachten Gongs kam zur Begleitung einer Aufführung des taiwanischen U-Theaters bei einem Gastspiel beim Festival d'Avignon in Frankreich 1998 zum Einsatz. Im gleichen Jahr besuchte der bekannte kanadische Musiker Matthew Lien auf seiner zweiten Taiwanreise die Lin-Werkstatt und zeichnete den Klang von Gongs als Klangelement für seine nächste CD auf.

Am Schluss wird der ganze Gong geglättet und poliert. Einer der letzten Arbeitsgänge besteht im Auftragen von Goldfarbe als Rostschutz.
Normalerweise dauert die Hauptgeschäftszeit für Gongs vom zehnten zum dritten Mondkalendermonat -- ungefähr November bis April, wenn die meisten Tempelfeste stattfinden. Während dieser Periode bekommt die Lin-Werkstatt in der Regel fünf bis sechs Aufträge im Monat, in der Saure-Gurken-Zeit wird nur ein Gong im Monat geschmiedet. In den letzten Jahren kamen indes mehr Bestellungen von Künstlern und Darstellern herein, vor allem von Künstlergruppen, die traditionelle Kunst auf die Bühne bringen. Beispielsweise gaben die berühmten Lan Yang-Tänzer, eine 1966 gegründete traditionelle Tanzgruppe in Ilan, vergangenes Jahr bei der Lin-Werkstatt zwölf fein gestimmte Gongs in Auftrag. Um eine gleichmäßige Klangqualität und Stimmgenauigkeit zu erreichen, baute Lin Lieh-chi mit seinen Brüdern und Neffen fast hundert Stücke, aus denen dann das letzte Dutzend mit 99-prozentiger Exaktheit gestimmt wurde.
"Die einfache Struktur unserer Produkte verblüfft viele Menschen, die wissen möchten, wovon die akustischen Eigenschaften abhängen", berichtet Lin Lieh-hui, zweitältester Bruder der Familie. "Die Form bestimmt den Klang." Der Produktionsprozess beginnt mit der Auswahl geeigneter Materialien. Die kurze Erwähnung der Suche nach hochwertigen Materialien für die Gongherstellung veranlasst Lin zu erzählen, wie sein Vater das Geschäft begann. Lin Wu wurde 1916 in der Gemeinde Lotung, Landkreis Ilan, geboren. Seine Familie handelte mit Bambuswaren, und der junge Lin trug zum Familieneinkommen bei, indem er als Lieferant für einen örtlichen Nudelimbiss arbeitete. Auf Rat eines Verwandten gab er den Job als Laufbursche jedoch auf und wurde Lehrling in einer Schmiede des Ortes. Von Anfang an stand für ihn fest, dass er sich eines Tages selbständig machen wollte. Nach wenigen Jahren war es dann soweit: Lin Wu und seine beiden Brüder eröffneten ihre eigene Schmiede.
Der Handwerksbetrieb bewahrte die Brüder auch davor, von der japanischen Kolonialverwaltung zum Militärdienst gepresst zu werden -- zu dieser Zeit hatte Japan bereits ganz Asien mit Krieg überzogen. Anstatt Gewehr bei Fuß stehen zu müssen, wurden sie zu Wartungsarbeiten für die japanische Armee abkommandiert. Als die Kolonialverwaltung ihre Politik gegen die Entwicklung einer Lokalkultur verstärkte, wurden viele Künstlergruppen zu Untätigkeit und Auflösung gezwungen. Infolgedessen wurden Teile der Ausrüstung dieser Gruppen billig und in großer Menge zum Verkauf angeboten. In der Schmiede tauchten Musikinstrumente auf, darunter zwei kleine in China hergestellte Eisengongs. Für Lin Wu waren das nicht nur Raritäten, sondern Modellstücke, die studiert werden wollten.
Am Ende der japanischen Kolonialzeit (1895-1945) begann Lin Wu mit der Herstellung seiner frühesten Gongs. Nach einem sorgfältig geplanten Ablauf von Schneiden, Formen und Hämmern des ausgewählten Eisenstückes übertraf schon sein erster Gong in puncto Klangqualität die Modelle. Ermutigt durch das Ergebnis, das auch erste Bestellungen mit sich brachte, machte Lin Wu mit Unterstützung seiner Brüder eine eigene Schmiede auf und vertiefte seine Forschung über die Herstellung von Gongs. Seine Eisengongs waren zwar laut genug, erbrachten aber nicht den von Lin gewünschten tiefen, andauernden, konsistenten und weit tragenden Klang.
Zur Erzeugung eines tieferen Tones wollte Lin mit Bronze experimentieren, doch in der Nachkriegszeit waren neue oder hochwertige Bronzebleche fast unmöglich zu bekommen. Erst nach der Wiedereröffnung der Häfen für den Handel konnte Lin schließlich einige Stapel neue Bronzebleche erwerben. Daraus stellte er ein paar Bronzegongs her, die er zu hohen Preisen verkaufte. Doch aus technischen Gründen konnte Lin Wu damals nur Gongs in zwei Größen fertigen, nämlich mit 60,5 Zentimeter Durchmesser und mit 72,7 Zentimeter Durchmesser. Am schwierigsten wurde es, den Durchmesser des Gongs ohne Beeinträchtigung der Klangqualität zu vergrößern. Diesen Durchbruch erzielte Lin, als zwei Gongs von der indonesischen Insel Java zur Wartung bei ihm angeliefert wurden.
Lin Wu polierte die Stücke, lötete sie neu und stimmte sie, und da hatte er endlich genau den Klang, nach dem er gesucht hatte. Daraufhin bot er den Eigentümern kostenlose Wartung und eine Mietgebühr an, um die Gongs für eine monatelange Untersuchung behalten zu können. Danach war Größe kein Hindernis mehr. Lin Wu und seine Söhne produzierten immer größere Gongs und wurden zu Meistern in ihrem Gewerbe. Im Jahre 1987 brachte ihm sein Können den angesehenen Kulturpreis Folk Art Heritage Award ein, der seit 1985 alljährlich an verdiente Volkskunstmeister verliehen wird. Lin Wu starb zwei Jahre nach der Ehrung, aber seine Kunst lebt in den Händen seiner Söhne weiter.
Heute wenden Lins Söhne die gleiche Methode der Gongherstellung an, die ihr Vater sich selbst mühevoll erarbeitet hatte. Mit einem Zirkel werden auf einem Bronzeblech das kreisrunde Zentralstück und der Rand aufgezeichnet und dann als zwei getrennte Teile ausgeschnitten. In der Mitte des Zentralstückes wird dann der hervorstehende Wulst für den Gongschlag gehämmert, und der Rest wird ebenfalls in die gewünschte Form geschlagen. Das Randstück (die Zarge) wird geschnitten und so geformt, dass es nach dem Festlöten an das runde Zentralstück eine sich verjüngende Schürze bildet. Dank des geneigten Winkels der Zarge zur Oberfläche kann der Gong tief nachhallen. Die Verbindungsnaht wird dann geglättet und poliert. Das Verfahren endet mit dem Stimmen des Gongs, wobei die für die Größe passendste Note gewählt wird. Dieser letzte Schritt erfordert ein feines Ohr und die langjährige Erfahrung des Gongschmieds.

Fertige Gongs können noch feingestimmt werden. In den letzten Jahrzehnten hat die Werkstatt der Lin-Familie über 100 Gongs verschiedener Größen angesammelt.
Der ältere Lin scheint nicht nur seine Arbeitstechniken an seine Erben weitergegeben zu haben, sondern auch seine Beharrlichkeit und innovativen Geist. Einer seiner Söhne, Lin Lieh-chi, hat die Gongs zu leichter kontrollierbaren Musikinstrumenten weiterentwickelt. Auch auf andere Art trat er in die Fußstapfen seines Vaters -- 1995 bekam er ebenfalls den Kulturpreis Folk Art Heritage Award verliehen. Die Haupteinnahmequelle der Familie ist zwar mittlerweile längst Maschinenbau geworden, doch die Söhne führen die Gongherstellung aus anderen Gründen weiter. "Das Gongschmieden ist heutzutage eindeutig nicht mehr so einträglich wie früher", bedauert der vierte Sohn Lin Lieh-chung, der heute viel Zeit als Instrumentalist verbringt. "Wir bauen aber weiterhin Gongs, um die Tradition aufrechtzuerhalten und die Fähigkeiten meines Vaters als Familienerbe zu bewahren."
Nach Ansicht von Chen Jun-ren, dem Leiter der Stadtbücherei in Ilan, führt die Lin-Familie nicht nur eine Familientradition weiter, sondern hält auch ein Stück Gemeindegeschichte am Leben. "Die Lokalverwaltungen laden die Lin-Werkstatt immer wieder zur Teilnahme an verschiedenen Kulturveranstaltungen ein", verrät er. "Eine größere Bekanntheit in der Öffentlichkeit kann solchen Handwerkern klar machen, dass sie angesehen sind und geschätzt werden. Die harte Arbeit der Lin-Werkstatt hat nicht nur die Familienehre bewahrt -- sie erhält auch einen kostbaren kulturellen Schatz für das Volk." Das Volk scheint darauf zu reagieren: Die Werkstatt selbst wird mehr und mehr zu einer touristischen Sehenswürdigkeit.
Im Laufe der Jahrzehnte haben sich bei der Lin-Familie über hundert Gongs der verschiedensten Größen angesammelt, die ebenso wie Lin Lieh-chis Gongsets mit 13, 15 oder 26 Noten schon zu zahlreichen Anlässen vorgeführt wurden. Zu den jüngeren Veranstaltungen mit Gongs aus dem Hause Lin Wu zählen das normalerweise im August stattfindende Wasserlaternenfest(水燈節) sowie Ausstellungen vom Kunstzentrum National Center of Traditional Arts, außerdem das beliebte Internationale Folklore- und Volksspiel-Kinderfest in Ilan, das die Kreisverwaltung alljährlich ab dem 1. Juli ausrichtet und das 40 Tage dauert. Gongs aus der Lin-Werkstatt kamen auch bei dem Konzert Drachentango der kanadischen Künstler Amanta Scott und David Tomlinson im April letzten Jahres zum Einsatz.
Vielleicht wäre Lin Wu überrascht, wenn er sehen könnte, zu was für einer Institution sein Familienbetrieb sich entwickelt hat. Sein privates Interesse, erweckt durch zwei ausrangierte chinesische Gongs, hat zwei Generationen seiner Familie angesteckt, die das Familieninstrument immer noch weiter perfektionieren. Vielleicht wäre er außerdem überrascht darüber, wie es um sein Handwerk bestellt ist -- ein scheinbar paradoxer Zustand aus sinkender Profitabilität und steigendem kulturellen Wert. Die Gongherstellung ist heute eines der alten Handwerke, dem sich nur noch wenige junge Leute widmen. Doch die Lin-Familie bleibt bei der Stange. "Das Handwerk unseres Vaters wird in der Familie bleiben", geloben die Brüder wie aus einem Munde. "Unsere Jungens werden geschult, es weiterzuführen." Wer in Ilan ist und die berühmte Werkstatt mit eigenen Augen sehen will, bekommt nach einer kurzen Frage den Weg gewiesen -- zur Lin Wu-Schmiede, bitte.