Wenn durch eine plötzliche Bewegung oder ein Geräusch ein Schmetterlingsschwarm aufgescheucht wird, scheint die Luft förmlich in Farben zu explodieren. Einst flatterten unzählige Exemplare dieser hoch empfindlichen Insekten in Taiwan herum, doch inzwischen schrumpfen der Bestand und die Artenvielfalt. Ein im Tierschutz engagierter Insektenforscher bemüht sich, den Trend umzudrehen.
Jedes Jahr im Dezember, wenn der Winter einsetzt, ereignet sich in Taiwan ein ebenso stilles wie lebhaftes Naturschauspiel -- etwa eine Million Schmetterlinge ziehen wegen der kühlen Winde in die wärmeren südlichen Regionen der Insel. Der Instinkt lockt sie zu mehreren Ruheplätzen, vor allem nach Maolin(茂林) im Landkreis Kaohsiung, wo sie bis zum März bleiben. Der Anblick von Hunderttausenden von Edelfaltern mit lila Flügeln, die sich farblich je nach dem Winkel der einfallenden Sonnenstrahlen zu verändern scheinen, ist für die meisten Menschen ein faszinierendes Naturspektakel. Das Ereignis ist umso bemerkenswerter, weil auf der ganzen Welt nur an zwei Orten das Wandern von Schmetterlingen zu wärmeren Überwinterungsorten bekannt ist. In Nordamerika ziehen die Monarchfalter ( Danaus plexippus) für den Winter nach Mexiko. Doch während Mexiko im Prinzip nur einer einzelnen Schmetterlingsart zum Überwintern dient, lassen sich in Taiwan vier Arten vorüberziehender Edelfalter und mindestens sechs Arten von Fleckenfaltern nieder.
Taiwan wird nicht ohne Grund das "Königreich der Schmetterlinge" genannt. Die Insel beherbergt fast 400 Schmetterlingsarten und hat aufgrund der vielen unterschiedlichen Höhenlagen eine der höchsten Dichten von Schmetterlingsarten der Welt. In den sechziger Jahren, als Taiwans Handel mit den geflügelten Insekten einen Höhepunkt erreichte, wurden Schmetterlinge per Kilo verkauft. Damals entstand an Orten wie Puli 埔里(Zentraltaiwan) eine blühende Branche, die Schmetterlinge in Ziergegenstände verwandelte.
Lebensräume für Schmetterlinge, darunter die Überwinterungsorte, werden aufgrund der Wirtschaftsentwicklung jedoch kleiner. Laut Chan Chia-lung, Gründer und Vorstandsmitglied der 1996 entstandenen Gesellschaft zum Schutz von Schmetterlingen der Republik China, zerstörten in den achtziger Jahren im Flachland unweit der Berge lebende Han-Chinesen durch Anlegung von Obstgärten einen von Schmetterlingen zum Überwintern genutzten Ort in einem Tal bei der Gemeinde Liukuei 六龜(Landkreis Kaohsiung). Gleichzeitig verschwanden zwei früher in Taiwans Ebenen häufig gesehene Arten, der Juvia -Fleckenfalter (Euploea phaenareta juvia) und der Monarchfalter, nach Chans Angaben vollständig von der Insel.
Im Vergleich dazu ist der am Fuß des Zentralmassivs gelegene Ort Maolin noch in einem unberührteren Zustand und lockt im Winter auch weiterhin Schmetterlinge an. Maolin ist im Hinblick auf die Einwohnerzahl die kleinste Stadtgemeinde der Insel; die knapp 2000 Einwohner gehören überwiegend den Ureinwohnerstämmen Rukai(魯凱) und Paiwan(排灣) an. "Die Ureinwohner sind seit Generationen von diesem Land abhängig, daher haben sie ein engeres Verhältnis und eine tiefere Zuneigung zur Natur", beschreibt Chan. "Deswegen hat die Umwelt dort noch eine größere Chance, intakt zu bleiben."
Anzeichen von Entwicklung haben indes auch Maolin erreicht -- das Örtchen ist wegen der heißen Quellen und anderer Attraktionen zu einem Touristenziel geworden. Als Chan um 1990 zum ersten Mal das Schmetterlingstal von Maolin zu Forschungszwecken als begeisterter Hobby-Entomologe besuchte, war er von den Edelfaltern nicht sonderlich beeindruckt, da sie nicht selten waren. Als er das Gebiet 1999 noch einmal besuchte, war er von der stark gesunkenen Zahl überwinternder Schmetterlinge schockiert. Nach seiner Schätzung waren 200 000 Schmetterlinge wegen eines neuen Parkplatzes, der für Touristen gebaut worden war, aber einen Teil der Winter-Heimstätte der Insekten zerstört hatte, verschwunden.
Chan beschloss, etwas zu tun, und wandte sich an den Landwirtschaftsrat ( Council of Agriculture, COA) der Zentralregierung um Beistand. Seit 1999 arbeitet er im Auftrag des COA an der Organisierung und Durchführung eines Naturschutzprojekts mit einem Jahresetat von 600 000 NT$ (15 380 Euro). Seine Anstrengungen erregen sogar über die Reihen von Schmetterlingsfreunden hinaus Aufmerksamkeit. Im November 2002 wurde Chan wegen seiner Arbeit von der Umweltschutz-Stipendienorganisation Ford Motor Company Conservation and Environmental Grants lobend erwähnt und erhielt eine Million NT$ (25 640 Euro).
Bei Chans Umweltschutzprojekt geht es um die Erziehung der Einwohner von Maolin über die Bedeutung des Schutzes der Schmetterlinge und ihrer Lebensräume. Die Resultate dieser Anstrengungen werden nun langsam erkennbar. Ein Gebiet wurde als Schmetterlings-Schutzgebiet markiert, und einige Einwohner haben begonnen, Chan beim Patroullieren der Täler, Führen von Besuchern und Anbauen von Pflanzen als Nahrung für die Schmetterlinge und ihre Larven zu helfen. Die Aktivisten haben auch drei Winter damit verbracht, Zehntausende von Schmetterlingen zum Nachverfolgen der genauen Wanderrouten zu markieren, da diese Routen bis heute unbekannt sind. "Wir müssen noch mehr Schmetterlinge markieren", drängt Chan. "Wir müssen auch mehr für die Publizierung unserer Forschung tun, damit Leute uns verständigen, dass und wo sie einen markierten Schmetterling gesehen haben."
Chan ist überzeugt, dass die Einwohner von Maolin heute ein wacheres Bewusstsein für den Schmetterlingsschutz haben, was zur Erhaltung der Schmetterlings-Lebensräume wichtig ist. Ein Anzeichen dafür, dass dieses Bewusstsein an Boden gewinnt, gab es im Dezember 2002 mit der Gründung der Schmetterlingstal-Schutzgesellschaft in Maolin, eine von nur zwei Schmetterlings-Schutzgesellschaften in Taiwan. "Warum sollten wir Einheimische uns beim Schutz unserer Werte immer auf Außenstehende verlassen?" fragt Kuo Liang-hwei, der Gründer der Gesellschaft. "Die Winterlebensräume der Schmetterlinge liegen außerordentlich nahe an Orten, wo sich Menschen tummeln, daher brauchen sie besondere Pflege."

In den sechziger Jahren, als der Handel mit Schmetterlingen in Taiwan seinen Höhepunkt erreichte, wurden die geflügelten Insekten per Kilogramm verkauft und kommerziell zu Ziergegenständen verarbeitet. (Luis M. Chong L.)
Es besteht Grund zur Sorge, denn die Öffentlichkeit hat Maolin bereits als Überwinterungsort für Schmetterlinge zur Kenntnis genommen, besonders nachdem im Oktober 2001 das Landschaftsschutzgebiet Maolin eröffnet worden war. Chan hat nichts dagegen, dass der Fremdenverkehr zu der Stadt kommt. Tatsächlich können Besucher heute an Ausflügen mit Führung zum Schmetterlingstal teilnehmen, wenn sie sich vorher beim Gemeindebüro vor Ort angemeldet haben. Seiner Ansicht nach sollte Ökotourismus sich nur unter der Bedingung entwickeln, dass gleichzeitig ein komplettes Naturschutzprojekt stattfindet. Der Naturschützer ist optimistisch, Taiwans erstes offizielles Rückzugsgebiet für Schmetterlinge und Insekten schaffen zu können, und er hält es für möglich, durch Aufteilen des Schutzgebietes in verschiedene Sektoren und deren Einstufung gemäß ihrer Eignung für menschliche Betätigung ein Gleichgewicht zwischen Wirtschaftsentwicklung und Umweltschutz zu finden.
Im Allgemeinen haben sich Maolins Bedingungen als Winterrefugium für Schmetterlinge dank der Aufmerksamkeit für den Ort in den letzten Jahren verbessert. Nach Ansicht von Umweltschützern muss aber noch mehr getan werden, wenn Taiwan seinen Ruf als "Königreich der Schmetterlinge" nicht gefährden will. Nach der Beobachtung von Chen Shih-yang, dem Präsidenten der Schmetterlings-Schutzgesellschaft, ist das Fangen von Schmetterlingen in großen Mengen für kommerzielle Zwecke selten geworden, vor allem weil es sich nicht mehr lohnt. Statt dessen sieht Taiwan sich einer viel verheerenderen Entwicklung gegenüber -- die Zerstörung der Schmetterlings-Lebensräume durch das Vordringen des Menschen. "Willkürliche Landgewinnung und das Anlegen von Grabstätten haben den Lebensräumen der Schmetterlinge großen Schaden zugefügt", enthüllt Chen. "Sie sind ganz besonders empfindliche Wesen. Wenn man die Pflanzen zerstört, von denen sie abhängig sind, haben sie kaum eine Überlebenschance."
Gefährdete große Schmetterlinge haben die Aufmerksamkeit der Regierung und von Umweltschützern erregt, etwa der Vogelflügler (Troides magellanus) auf der Orchideeninsel und der Breitschwanz-Ritterfalter ( Agehana maraho), Taiwans "Nationalschmetterling". Laut Chen sind jedoch gerade die kleineren, unbekannteren Arten vom Aussterben bedroht, noch bevor sie entdeckt oder klassifiziert werden können.
Um das Problem bei der Wurzel zu packen, versucht die Schmetterlingsgesellschaft das Bewusstsein der Öffentlichkeit für den Schmetterlingsschutz mit Schulungslagern für Grundschullehrer und dem Angebot von Ausflügen mit Führung zu Schmetterlingslebensräumen zu wecken. Nach Chens Angaben locken diese Aktivitäten zur Spitzenzeit im Sommer über 100 Leute gleichzeitig an. Die Schmetterlingsgesellschaft ruft auch zum Pflanzen von Bäumen und anderer Pflanzen an öffentlichen Orten wie Parks oder an Autobahnen auf, um Nahrungsquellen für die Schmetterlinge zu schaffen.
Dieses Jahr arbeitet Chen an einem Projekt zur Umwandlung einer Straße in einem Vorort von Taipeh in einen Modellpfad für Schmetterlinge. "Ich hoffe, dass dies ein Langzeitprojekt werden wird, das mit der Unterstützung der Anwohner noch mindestens zehn Jahre weiterlaufen wird", teilt er mit. In der Tat ist Umwelt- und Naturschutz eine langfristige Verpflichtung. Die jungen Bäume brauchen Jahre zum Wachsen, und wahrscheinlich wird es sogar noch länger dauern, bis der Schutz von Schmetterlingen zu einer Angelegenheit von breitem öffentlichen Interesse wird. Doch der Erfolg der Bemühungen von Maolin ist ermutigend. Zwar ist Taiwan vielleicht kein Paradies für große Mengen von Schmetterlingen mehr, doch es mehren sich die Anzeichen, dass es bei den Versuchen, sie zurückzuholen, Fortschritte gibt.
(Deutsch von Tilman Aretz)