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Geheimnisse in der Tiefe

28.02.2004

Mit einigen ermutigenden Anfangserfolgen haben Taiwans Unterwasserarchäologie-Pioniere die Erkundung des endlosen Meeresbodens in Angriff genommen, wo gesunkene Schiffe gefunden wurden und untergegangene Zivilisationen vermutet werden.

Im April 1995 stellte das Nationale Geschichtsmuseum (National Museum of History, NMH) in Taipeh mit der Hilfe des Bildungsministeriums der Republik China ein Team zur Erforschung des Wracks eines gesunkenen Schiffes zusammen, das vor mehreren Jahren von dem Fischer und erfahrenen Taucher Huang Jia-jin in Gewässern bei der Penghu-Inselgruppe(澎湖) vor Taiwans Westküste entdeckt worden war. Monate später startete dieses Unterwasserarchäologieteam, die erste und bislang einzige staatliche Gruppe dieser Art im ganzen Land, an der Fundstelle in einer Wassertiefe von 20 Metern ein Ausgrabungsprojekt. Die Mannschaft konnte Hunderte von Objekten bergen, die derzeit im Kulturamt des Kreises Penghu ausgestellt werden. Das Kulturamt hofft, in Zukunft einmal ein Museum für Unterwasserarchäologie-Funde einrichten zu können, das Besucher auf den Archipel lockt und jene Schätze bewahrt, die aus den Gewässern um Penghu gehoben wurden.

"Dieses Museum ist eine gute Idee", lobt Huang Yung-chuan, stellvertretender Direktor des NMH, der die Aufsicht über das Penghu-Unterwasserprojekt führte. "Ich fürchte jedoch, dass wir noch viel mehr werden finden müssen, bevor die Ausstellung genug Touristen anlocken kann." Die Expedition von 1995, die vom Chinesischen Unterwassertechnologieverband in Taipeh unterstützt worden war, stellte das erste systematische Unterwasserarchäologieunternehmen in Gewässern um Taiwan dar. "Das Schiff ist nicht besonders alt", schätzt Huang. "Doch allein die Tatsache, dass wir die Mission erfüllt und aus den Erfahrungen gelernt haben, ist viel bedeutsamer als die geschichtliche Datierung des Fundes." Die Jiangjyun No. 1(將軍一號), benannt nach einem nahe gelegenen Eiland, war ein Frachtschiff von rund 21 Metern Länge und 5 Metern Breite. Vor etwa 150 Jahren während der Qing-Dynastie (1644-1911) transportierte das Holzschiff Baumaterialien, darunter Backsteine, Dachziegel und Tongegenstände, entlang der häufig befahrenen Route an Chinas Südostküste, als es unweit der Penghu -Inselgruppe unterging.

Das Gebiet, wo man das Boot entdeckte, bietet eine Reihe von Anhaltspunkten, warum das Schiff gekentert sein könnte. Die Penghu-Inseln sind aus einer Basaltmasse gebildet, die sich über den Meeresspiegel erhebt, und sie sind voller merkwürdiger Gesteinsformationen und unregelmäßiger Uferlinien. Außerdem ist der Archipel von zahlreichen Riffen und Untiefen umgeben. Mit anderen Worten: Für Bootsführer ist Penghu ein tückisches Fahrwasser. Der heftige Nordostmonsun im Winter, häufige Taifune im Sommer sowie starke Strömungen bedeuten für das Navigieren in der Taiwanstraße zusätzliche Gefahren. Der Meeresgrund unter diesem trügerischen Stück Ozean birgt möglicherweise die höchste Zahl gesunkener Schiffe der Welt -- nach der Schätzung von Huang Yung-chuan liegen in den Gewässern um Penghu mindestens 1000 gesunkene Schiffe. Der Antiquar weist darauf hin, dass sich der Schiffsverkehr in der Taiwanstraße seit Ende des 10. Jahrhunderts entwickelte, nachdem Chinas Südostküste eines der größten Schifffahrts- und Schiffsbauzentren der damaligen Welt wurde und Penghu ein wichtiger Knotenpunkt im Schifffahrtsnetz jener Zeit war. Während der Qing-Dynastie, als die Jiangjyun No. 1 unterging, war die Inselgruppe immer noch ein bedeutender Anlaufpunkt für Schiffe, die durch den Pazifik segelten.

Zwar ist der Unterwasser-Suchtrupp gerade erst mit den ersten bedeutsamen Ergebnissen aus Penghu zurückgekehrt, aber Archäologen haben auf der Landmasse des Archipels mit seinen 64 Inseln Dutzende von historischen und prähistorischen Stätten ausgemacht. Auf der Hauptinsel Taiwan waren einige archäologische Entdeckungen zu einer Zeit gemacht worden, als die Archäologie eine Blüte erlebte, nämlich zu Beginn der japanischen Kolonialzeit (1895-1945). Ein Ethnologieseminar in der "Kaiserlichen Universität Taihoku"(台北帝國大學) -- Taihoku ist die japanische Aussprache von Taipeh, die im März 1928 gegründete Hochschule heißt heute "National Taiwan University" -- führte zu der Gründung der Anthropologieabteilung der Uni im Jahre 1949.

Diese Abteilung, die als das archäologische Zentrum des Landes gilt, war ursprünglich mit der Aufsicht über das Penghu -Projekt beauftragt worden, bevor die Aufgabe dem NMH übertragen wurde. "Sie sind auf prähistorische Studien spezialisiert, und wir konzentrieren uns auf die historische Periode", begründet Huang Yung-chuan, der seit über 30 Jahren für das Mu seum arbeitet und glaubt, dass der vergleichsweise neue Bereich der Unterwasserarchäologie eine wichtige Ergänzung der entsprechenden Disziplin auf dem Trockenen sein könnte. Außerdem sind nach seinen Worten die aus dem Meer hervorgeholten Funde oft in unberührtem Zustand. "Historische Vermächtnisse auf dem Land können leicht vom Menschen manipuliert werden", weiß Tian Wen-miin, Professor an der Abteilung für Ozeanografie an der staatlichen Sun Yat-sen Universität in Kaohsiung. "Doch wenn sie tief im Wasser verborgen liegen, sind sie in Sicherheit."

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Archäologie ein viel wissenschaftlicheres Fach als vorher, und professionelle Archäologen bemühten sich, dubiosen Praktiken wie dem Plündern kultureller Stätten und der Grabräuberei ein Ende zu bereiten.

Im Wasser versunkene Stätten wurden erst ein Jahrhundert später wissenschaftlich unter die Lupe genommen, nachdem moderne Unterwassergeräte erfunden worden waren. Dank Atmungsgeräten können die Forscher länger unter Wasser bleiben, und das Sonar hilft den Archäologen, mittels Schallwellen Objekte im Wasser zu orten. Selbst mit diesen unschätzbaren Erfindungen sind Ausgrabungen unter Wasser bei schlechtem Wetter und wegen unvorhersagbaren Strömungen nach wie vor deutlich schwieriger als an Land. "Wenn man an Land arbeitet, kann man sich Zeit lassen und sogar neben der Stätte ein Nickerchen halten, doch aufgrund der Gezeiten beträgt die Phase des sicheren Tauchens nur zwei Stunden am Tag", enthüllt Huang Yung-chuan rückblickend auf seine Erfahrungen während der Ausgrabung der Jiangjyun No. 1.

Verständlicherweise bestand die erste Gruppe, die sich in Taiwan mit Unterwasserarchäologie befasste, aus Tauchern. "Wir sind die Hände und Augen der Gelehrten und Experten", prahlt Shieh Shin-shi, Gründer des Tauchverbandes Chinese Taipei und Direktor des im Mai 2003 gegründeten Instituts für Unterwasserarchäologie Taiwan (Taiwan Underwater Archaeology Institute, TUAI). "Wir hatten etwas Merkwürdiges gesehen und verständigten die Historiker, Archäologen, Geologen und Kulturspezialisten, damit sie eine Bewertung vornähmen." Der erfahrene Taucher machte seine erste ungewöhnliche Unterwasser-Entdeckung im Jahre 1982 vor Penghu, wo der Volksmund von einer alten versunkenen Stadt irgendwo zwischen den Inseln munkelt. Aufgrund der Legende bat ein Beamter der Kreisverwaltung Shieh, die Gewässer um die Inseln zu untersuchen. Schließlich fand Shieh versunkene mauerähnliche Strukturen vor der Insel Hujing(虎井嶼), wörtlich "Tigerbrunnen-Insel".

Durch nachfolgende Untersuchungen fand man heraus, dass die Strukturen aus zwei einander kreuzenden Mauern von mehreren Hundert Metern Länge und rund drei Metern Höhe bestehen -- eine verläuft von Norden nach Süden, die zweite von Westen nach Osten. 2002 fanden Shieh und andere Taucher eine weitere mauerähnliche Struktur gut 25 Kilometer südlich von Hujing vor den ebenfalls zu Penghu gehörenden Inseln Dongji(東吉嶼) und Siji(西吉嶼). In einer Tiefe von 25 bis 30 Metern entdeckten sie eine von West nach Ost verlaufende Gesteinsformation von etwa 100 Metern Länge, einem Meter Höhe und 50 Zentimetern Breite. Sonarbilder zeigten mehrere ähnliche Gebilde in der Nähe.

Anders als versunkene Schiffe, die eindeutig menschlichen Ursprungs sind, haben diese Unterwasserstrukturen eine Debatte darüber ausgelöst, ob sie von Menschenhand geschaffen wurden oder Naturphänomene sind. Shieh Shin-shi und Huang Yung-chuan sind überzeugt, dass bei der Entstehung der Mauern Menschen die Hand im Spiel hatten. Zum Beweis zeigt Shieh auf ein paar Löcher in einer der Mauern, die mit geraden, abgerundeten Kopfsteinen gefüllt sind. "Die Steine wurden möglicherweise dort hineingelegt, um den Wind abzuhalten", spekuliert er. Außerdem sind die Mauern ziemlich gerade, was laut Huang darauf hindeutet, dass sie künstlich sein könnten. Shieh: "Abgesehen von Bäumen und dem Meeresspiegel gibt es keine Formen in der Natur, die auch nur entfernt den linearen Entwürfen ähneln, welche dem menschlichen Geist zusagen." Geologen halten jedoch dagegen, dass vulkanische Ausbrüche von Basaltlava, der verbreitetsten Gesteinsart auf Penghu, ebenfalls lineare Konturen erzeugen können.

Sollte jemals eine Erklärung gefunden werden, die alle Seiten überzeugt, dann könnten die Funde ein Bild von Taiwans frühesten Bewohnern zeichnen. Diese abnormalen Gesteinsformationen könnten der Beweis für eine prähistorische Zivilisation sein, die älter ist als alles, was man sich bisher vorgestellt hat, und möglicherweise über 10 000 Jahre zurückreicht, als der Meeresspiegel gegen Ende der letzten Eiszeit dramatisch anstieg. "Neue Entdeckungen im Penghu-Archipel könnten uns deutlichere Vorstellungen über Taiwans frühere Bewohner geben", sinniert Tian Wen-miin.

Zur Erforschung dieser Möglichkeit kam 2001 der britische Schriftsteller Graham Hancock, der ausführlich über verschwundene Zivilisationen auf der ganzen Welt geschrieben hat, nach Penghu und tauchte zusammen mit Shieh Shin-shi vor der Insel Hujing. Der erfolgreiche Autor war von der Nord-Süd- und Ost-West-Ausrichtung der kreuzförmigen Struktur schwer beeindruckt. Um festzustellen, ob sie von Menschen gebaut worden sein könnte, wandte er an der mauerähnlichen Gesteinsmasse den "Messer-Test" an. "Die Fugen zwischen den Blöcken [die Seite an Seite eng aneinander liegen] können in manchen Fällen mit einem Messer angebohrt werden", schrieb Hancock in dem Buch Underworld ("Unterwelt"), das seine Unterwasser-Expeditionen im Mittelmeer sowie vor Indien, Japan und Taiwan beschreibt. "Es war mir auch möglich, das Messer bis ans Heft hineinzutreiben und es vollständig um einzelne Blöcke herum zu bewegen." Nach seiner Schlussfolgerung weist die einheitliche Form der Blöcke auf menschliches Eingreifen hin.

Sowohl Hancock als auch Shieh Shin-shi haben außerdem megalithische Strukturen unter der Wasseroberfläche bei Yonaguni(與那國島) besichtigt, einer nicht allzu weit von Taiwans Ostküste entfernt liegenden japanischen Insel. Manche Gelehrte glauben, dass die Strukturen bei Yonaguni religiösen Zwecken dienten. Shieh und sein Institut planen die Erforschung einer ähnlichen Struktur vor der Küste des südwesttaiwanischen Kreises Pingtung und auch einer Struktur in den Gewässern vor dem südosttaiwanischen Landkreis Taitung, die wie ein künstlicher Pfad auf dem Meeresboden aussieht.

Im Bereich der Unterseeforschung hat das TUAI nun allmählich genug Wasser unterm Kiel, und um mehr Menschen für die Aufgaben auszubilden, bietet es Gelehrten Tauchunterricht und Tauchern Archäologiekurse. Im weiteren Verlauf der Dinge erwartet Huang Yung-chuan die Einrichtung einer Universitätsabteilung, die sich ausschließlich mit Meeresarchäologie befasst. In dem Bereich winken atemberaubende Möglichkeiten, da man gerade erst begonnen hat, den Gewässern um Taiwan ihre Geheimnisse zu entreißen. Wer sich für das Studium von Taiwans Unterwassererbe interessiert, kann in der Unterseewelt, die bislang in Finsternis gehüllt war, schon den ersten trüben Lichtschimmer erkennen.

(Deutsch von Tilman Aretz)

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