Für die besten Sporttaucher der Welt ist Taiwan zwar vielleicht nicht die erste Wahl, aber mit einer Küstenlinie von fast 1600 Kilometern, Korallenriffen und einem subtropischen Klima ist das Gebiet ideal für Taucher, die nach einer neuen Unterwasserlandschaft suchen.
Sporttauchen ist ein Hobby, das süchtig machen kann. Wer auf der Suche nach Nervenkitzel das erste Mal ins Wasser geht, wird möglicherweise gleich nach der Rückkehr zur Wasseroberfläche den nächsten Tauchgang kaum mehr erwarten können, und erfahrenere Taucher sind oft geradezu besessen von der Suche nach dem idealen Ort, dem perfekten Taucherlebnis.
Schöne Stellen zum Tauchen findet man überall um Taiwan. Die Insel, durch deren Mitte der Wendekreis des Krebses verläuft, hat eine Küstenlinie von 1141 Kilometern Länge (zusammen mit der benachbarten Pescadoren-Inselgruppe [Penghu澎湖] sogar 1566 Kilometer), und es gibt viele küstennahe Inseln zu erkunden. Schon allein diese Eigenschaften sollten eigentlich reichen, Taiwan als Taucherparadies anzuerkennen, doch wenn von berühmten asiatischen Tauchstätten die Rede ist, wird Taiwan selten erwähnt.
Es gibt mehrere Gründe dafür, dass Taiwan in Sporttaucherkreisen relativ wenig bekannt ist -- die mangelnde Begeisterung für den Sport in der einheimischen Bevölkerung; militärische Beschränkungen für die Küstengebiete, die bis vor kurzem den Zugang zum Meer erschwerten; und nicht zuletzt der Mangel an Einrichtungen für Taucher. Zwar kann der Tauchsport auf der Insel auf eine 40-jährige Geschichte zurückblicken, doch Tauchen als Freizeitsport wurde in Taiwan erst in den letzten 15 Jahren populär. Vor Mitte der sechziger Jahre war Freizeittauchen in Taiwan im Prinzip die Domäne von Ausländern, vor allem von auf der Insel stationierten US-amerikanischen Soldaten. Zu jener Zeit wurde der Sport auch ein paar Einheimischen bekannt gemacht, und einige von ihnen gründeten 1967 Taiwans ersten einheimischen Tauchklub. Doch auch dann hielt sich die allgemeine Annahme, Tauchen sei ein Hobby für Angehörige der Streitkräfte, für Ingenieure, Akademiker und Fischer.
Vor der Aufhebung des Kriegsrechtes im Juli 1987 fanden es einheimische Enthusiasten zudem schwierig, die reichen Tauchgründe von Taiwan zu erkunden. Unter dem Kriegsrecht war ein großer Teil der Küstenlinie bewachtes militärisches Sperrgebiet. Zivilisten durften diese Gebiete nicht betreten und auch keine Boote in die Nähe der gesperrten Zonen bringen. Diese Beschränkungen entfielen erst 1987, und der Zugang zum Meer wurde leichter.
Nachdem Tauchen als Freizeitsport endlich "aufgetaucht" war, hatten die Anhänger dieses Vergnügens keine großen Schwierigkeiten mehr, Menschen zu den attraktiven lokalen Gewässern zu locken. Dank des schnell steigenden Lebensstandards und der Einführung der Fünf-Tage-Woche hatten die Taiwaner endlich auch genug Zeit und Geld, Hobbys wie Sporttauchen aufzunehmen.
Nach dem schweren Erdbeben in Zentraltaiwan am 21. September 1999 galten einige Sehenswürdigkeiten auf der Insel wegen Beschädigung eine Zeitlang als unsicher, daher wandten sich manche Taiwaner auf der Suche nach Freizeit-Alternativen dem Meer zu. Was auch immer die Gründe sein mögen, die See spielt im Denken der Menschen in Taiwan allmählich eine größere Rolle.
Wieviele Menschen in Taiwan regelmäßig auf Tauchstation gehen, lässt sich nicht genau sagen, doch die wachsende Zahl von Tauchvereinen und -schulen auf der Insel lässt den Schluss zu, dass Tauchen auf dem Vormarsch ist. Der 1967 gegründete "Tauchverband Chinese Taipei" umfasst 80 Tauchvereine mit teilweise stark unterschiedlichen Mitgliederzahlen (zwischen ein paar Dutzend und über tausend Mitglieder). Tauchen ist zugegebenermaßen kein simples Hobby: Man benötigt einen Tauchschein, teure Ausrüstung und auch ein gewisses Maß an Schneid.
Auf dem Weg zum Sporttaucher versucht man es oft zunächst mit dem Schnorcheln, und dazu braucht man nur eine Taucherbrille, einen Schnorchel und ein Paar Schwimmflossen. Doch beim Schnorcheln muss man zum Atmen nahe der Wasseroberfläche bleiben, wer Tauchgänge in größere Tiefen oder Unterwasserausflüge von längerer zeitlicher Dauer unternehmen möchte, muss etwas mehr Zeit und Geld opfern und Sporttauchen lernen. Abgesehen von der Ausrüstung braucht man einen Tauchschein, zu dessen Ausstellung weltweit mehrere Organisationen berechtigt sind, etwa die "Professional Association of Diving Instructors", die "National Association of Underwater Instructors" oder "Scuba Schools International".
Rund um die Insel gibt es zahlreiche qualifizierte Tauchschulen, die Kurse anbieten. Den Tauchschein erhält man nach Absolvierung eines kurzen Kurses über die Wissenschaft des Tauchens (einschließlich oberflächliche Informationen über den menschlichen Körper und seine Reaktion auf die Beatmung mit Pressluft unter Wasser) und Unterweisung in den erforderlichen Unterwasser-Schwimmtechniken. Der Kurs endet mit mehreren Übungs-Tauchgängen im offenen Meer unter den wachsamen Blicken eines erfahrenen Lehrers. Die Ausbildung dient der Sicherheit des Novizen, und wer mit Tauchsituationen nicht zufrieden stellend fertig wird, erhält so lange keinen Tauchschein, bis die Anforderungen erfüllt werden. Nach Erhalt des Tauchscheins steht es dem frisch gebackenen Taucher frei, an Tauchaktivitäten auf der ganzen Welt teilzunehmen.
Ein Grundkurs für den Tauchschein kostet etwa 5000 NT$ (119 Euro). Die meisten Kursanbieter verlangen von dem Schüler, sich zumindest eine Taucherbrille, Flossen, einen Schnorchel und einen Taucheranzug zuzulegen. Während diese Artikel in der Regel erschwinglich sind, kosten speziellere Geräte wie Atemregler und Tarierhilfen mehr, doch diese können bei den Vereinen gegen eine geringe Gebühr ausgeliehen werden. Insgesamt sind die Kosten für die Grundausstattung und den Tauchscheinkurs in Taiwan vergleichsweise gering.
Klares Wasser, warmes Wetter und eine üppige Meeres-Flora und -Fauna machen Taiwan zu einem hervorragenden Revier für Taucher, und zum Tauchen besonders geeignete Stätten, die man entlang der gesamten Küste finden kann, sind bequem von jeder größeren Stadt aus zu erreichen. Kenting(墾丁) an Taiwans Südspitze ist der beliebteste Tauchplatz der Insel. Als Teil des Nationalparks Kenting, des ältesten Nationalparks auf Taiwan, ist die Umwelt einschließlich der Küstengewässer dort gut erhalten. Die Gegend ist im Winter der wärmste Teil Taiwans, so dass man dort das ganze Jahr über tauchen kann. Die Tauchsaison in Nordtaiwan dauert ungefähr von Mai bis September, danach gilt die Wassertemperatur dort als zu niedrig für sicheres Schwimmen.
In dem kleinen Städtchen Nanwan, wenige Kilometer nördlich von Kenting, haben mehrere vollständig ausgestattete Geschäfte für Taucherbedarf ein breites Ausrüstungssortiment im Angebot, darunter auch Verleih von Ausstattung, Füllen von Pressluftflaschen, Tauchführer und Boote, auch wenn man schöne Tauchstellen eigentlich genauso gut ohne Boot finden kann. An fast allen Teilen der Küste kann man traumhafte Fleckchen entdecken.
Die atemberaubende Landschaft des Nationalparks Kenting erstreckt sich bis unter die Wasserlinie. Die Klippen am Ufer führen zu ausgedehnten Korallenriffen voller Leben. Die Sicht ist ausgezeichnet, und in den Korallenschluchten tummeln sich Wassertiere und pflanzen aller Art. Diese Riffe bieten ein nahezu unbegrenztes Gebiet für Entdeckungsreisen, und ein Taucher kann leicht Höhlen und Tunnels finden, die sich zu erkunden lohnt. Dabei ist indes Vorsicht geboten. Der größte Teil der Küste vor Kenting ist felsig und durch starke Brandung gekennzeichnet. Kräftige, unberechenbare Strömungen erhöhen die Gefahr für unerfahrene oder ortsunkundige Taucher, deswegen lässt man sich am besten von einem Führer begleiten.
Die Penghu-Inselgruppe westlich von Taiwan, welche die Portugiesen aufgrund des großen Fischreichtums "Pescadoren" nannten, ist ebenfalls ein Taucherparadies. Zwar gibt es dort heute wahrscheinlich nicht so viel Fisch wie im 16. Jahrhundert zur Zeit der Ankunft der Portugiesen, aber immer noch genug, um das Tauchen interessant zu machen. Die Gewässer um Penghu sind durch starke Strömungen gekennzeichnet, daher eignet sich die Gegend besser für erfahrene Taucher. Diese starken Strömungen machen das Tauchen zwar schwierig, führen aber auch viel größere Fische mit sich, die man anderswo nicht zu Gesicht bekäme.
Die Grüne Insel(澎湖), gut 30 Kilometer vor Taiwans Südostküste, ist bei Tauchern gleichfalls beliebt. Der Tapaisha-Strand(大白沙) an der Südspitze der Grünen Insel ist ein erstklassiger Tauchplatz. Die abgelegene Lage des Strandes garantiert hervorragende Sicht und die Gelegenheit, aufregende Unterwassertiere und -pflanzen zu sehen. Weitere beliebte Tauchplätze findet man an der Nordostküste der Insel und um die Orchideeninsel (Lanyu蘭嶼), 66 Kilometer östlich von Taiwans Südspitze.
Besonders enthusiastische Taucher können leicht in einen Tauchrausch verfallen und geschäftig von einer Tauchstelle an Taiwans Küste zur nächsten eilen, so groß ist die Auswahl. Wer die erforderliche Ausrüstung zur Hand hat, kann im Prinzip an jeder beliebigen Stelle am Ufer vor Taiwan ins Wasser hüpfen.
Freizeittauchen in Taiwan hat im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern keine so lange Geschichte, doch die einheimischen Tauchfreunde haben schnell ein waches Bewusstsein für die Bedeutung des Umweltschutzes entwickelt. Zum Schutz der Meeresökologie werden oft Umweltschutzaktionen veranstaltet. Im November 2002 entfernten beispielsweise Tauchvereine in Kenting in Zusammenarbeit mit der Nationalparkverwaltung zwei Tonnen Plastiktüten, Flaschen, Fischernetze und anderen Müll aus dem Meer.
Doch während zum Schutz des Gebietes Zeit und Energie aufgewendet werden, ist die restlose Beseitigung der Abfälle für die umweltbewussten Helfer schwierig, da sich der Müll schneller ansammelt, als die Freiwilligen ihn wegräumen können. Manche Leute betrachten das Meer als bequeme Müllkippe, und was versinkt, ist für sie verschwunden. Das ist auch einer der Gründe dafür, dass die Tauchvereine so eifrig für ihren Sport werben, denn nach ihrer Überzeugung werden Menschen, welche einmal die Schönheit der Unterwasserwelt gesehen haben, nie wieder ein Stück Abfall in die See werfen.
Noch ist Taiwan auf den Karten der Tauchfreunde nicht so dick eingezeichnet wie Thailand oder Malaysia, aber das könnte sich bald ändern. Taiwan hat eine reiche Meeresökologie und eine atemberaubende Unterwasserlandschaft zu bieten, daher besitzt die Insel das Potenzial, zu einer der beliebtesten Adressen für Taucher aus aller Welt zu werden.
(Deutsch von Tilman Aretz)