Der deutsche Film "4 Freunde & 4 Pfoten", der im Oktober 2003 in deutschen Kinos angelaufen war, wurde beim Internationalen Kinderfernseh- & -Filmfestival Taiwan als Eröffnungsfilm gezeigt. Die Regisseurin Gabriele Heberling (Jahrgang 1957) und der Produzent des Films Bernd Gaul (Jahrgang 1955), die bei dem Festival anwesend waren, fanden trotz ihres umfangreichen Programms die Zeit, Taiwan heute einige Fragen zu beantworten. Es folgen Auszüge aus den Interviews.
Taiwan heute: Wie kam Ihre Reise nach Taiwan zustande?
Bernd Gaul: Die kam zustande, weil die Festspielleitung unseren Film "4 Freunde & 4 Pfoten" als Eröffnungsfilm für das gesamte Taiwan-Filmfestival eingeladen hat, aber auch für die Spezialkategorie German film.
Wie ist der Film entstanden? Wer hatte die Idee?
Gaul: Die Idee hatte ich selber, schon vor fünf Jahren. Dann hat man die mit verschiedenen Autoren, letztendlich in Kooperation mit mir und meinem Koproduzenten, entwickelt, und wie allgemein üblich bei Spielfilmen dauert es von der ersten Idee bis zur Realisierung drei bis fünf Jahre. Gabriele Heberling war die Wahl als Regisseurin, weil ich sie von der Filmhochschulzeit kannte und als gute Handwerkerin schätze, die auch mit Kindern gut zurechtkommt.
Was könnte man in der westlichen Filmindustrie vom asiatischen Film lernen?
Gaul: Das sind Sachen, die man nicht unbedingt miteinander vergleichen kann. Ich glaube, die ganze asiatische Art des Filmemachens ist noch eine Kunst, bezogen mit vielen Leuten im Bild umzugehen und mit vielen Statisten zu arbeiten, das kann sich in Westeuropa oder in den USA schon fast keiner mehr leisten. Die Kamera ist meistens wahnsinnig toll, die Ausstattung und Farbdramaturgie großartig. Die Asiaten sind meines Erachtens auch sehr schnell. Eine Freundin von mir lebte mal in Hongkong und hat gesehen, wie die da am Hafen und am Meer mit sehr vielen Leuten ein Filmset innerhalb von paar Stunden aufgebaut, was gedreht und dann wieder abgebaut haben. Das hätte in Deutschland wahrscheinlich Wochen gedauert.
Wieviel Zeit hat man denn jetzt für Ihren Kinofilm gebraucht?
Gaul: Die erste Idee kam vor fünf Jahren, und dann dauert es ein, zwei Jahre, bis das Buch entwickelt ist. Bis man mit dem Buch die Finanzierung angehen kann, das dauert auch noch mal ein halbes Jahr oder ein Jahr, dann wurde gedreht, und die Postproduktion hat sich auch über ein Jahr hingezogen. Bis schließlich der Kinostarttermin festliegt, gehen nochmal anderthalb Jahre ins Land.
Wie lange braucht man vom Drehbeginn bis zum Drehschluss?
Gaul: Für die reine Dreharbeit waren sechs Wochen eingeplant, die haben wir auch fast geschafft, wir mussten noch so ein paar Tage hinterher nachdrehen. 32 Drehtage waren geplant, und wir hatten dann 40 oder 42 Tage. Schon allein vom Etat her geht's nicht anders, weil die Produktion ja auch ausgesprochen personalintensiv ist. Wenn da jeden Tag hundert Leute rumstehen, kostet der Tag 100 000 Mark oder 50 000 Euro.
Haben Sie schon mal asiatische oder taiwanische Kinderfilme gesehen?
Gaul: Asiatische Kinderfilme nicht. Wobei ich dazu sagen muss, ich bin kein spezieller Kinderfilmproduzent. Das war eher eine einmalige Geschichte, dass man versucht hat, einen sehr guten und sehr lustigen Kinderfilm zu machen, weil die anderen, die man so gesehen hat, immer so langweilig waren. Ich kenne viele andere asiatische Produktionen, hauptsächlich diese Filme aus der alten Hongkong-Zeit. Was ich wahnsinnig toll fand, waren diese Super-Actionfilme von John Woo 吳宇森(*1946), diese spezielle Art und Weise im Genre Hongkong-Kino. Was für uns als Europäer relativ verblüffend ist, mit wie viel Statisten die gearbeitet haben, mit wie viel technischen Tricks und diese ganzen akrobatischen Dinge. Einer meiner Lieblingsfilme ist "Tiger and Dragon"(臥虎藏龍) von Lee Ang李安 (*1954). Ein phantastischer Film, der technisch, praktisch, akrobatisch plus sehr sentimental und emotional ist.
Gabriele Heberling: Hier auf dem Festival habe ich noch keinen taiwanischen Film gesehen, aber ich habe taiwanische Filme in Berlin auf dem Festival gesehen, ich kann die Titel aber jetzt nicht wiederholen. Ich habe asiatische Filme in Berlin auf dem Kinderfilmfestival gesehen, weil ich vorwiegend in fremdsprachige Filme gehe, hauptsächlich weniger aus dem Norden Europas, sondern aus dem Iran, Irak oder Japan, weil darin meistens die Kultur und die Lebensweise, die Problematik der Menschen in diesen Ländern widergespiegelt wird. Und deswegen interessiert es mich. Zum einen wegen den Filmen als solchen, aber auch wegen der Soziokultur, die da über diese Filme rüberkommt.
Inwiefern unterscheiden sich diese asiatischen Filme inhaltlich von deutschen Kinderfilmen?
Heberling: Ich habe japanische Filme gesehen, die eigentlich Features waren, also einfach irgendwie erdachte Geschichten, die lustig waren, Actionfilme, die Unterhaltungswert hatten und in Richtung Mainstream tendierten. Und ich habe auch sehr problembeladene Filme gesehen, aber eher aus dem asiatischen Bereich, einen aus dem Iran, wo es zum Beispiel darum ging, dass ein Geschwisterpaar nur ein Paar Schuhe hatte und deswegen nicht zur Schule gehen konnte. Dann haben diese Kinder sich jeden Tag die Schuhe geteilt, und einmal ist der Junge zu spät gekommen, und das Mädchen hatte furchtbare Angst. ("Kinder des Himmels" [Bachehaye Aseman/Children of Heaven], Iran 1997, Drehbuch und Regie: Majid Majidi. Red.) Also Sozialproblematik kommt sehr oft rüber. Das kann natürlich auch wiederum daran liegen, dass auf den Festivals sehr oft und gerne diese Themen genommen werden.
In der Sichtweise liegt für mich der Unterschied, dass ich bisher fast nur problembeladene Filme gesehen habe, wo ich manchmal ganz traurig rausgegangen bin und gedacht habe, ach, ich würde gerne auch mal einfach einen Film sehen aus den Ländern, weil die doch auch alle Action gucken. Die Kinder haben doch nicht nur Probleme. Ganz krass ist es für mich manchmal, wenn ich im Kino beim Festival die Kinder um mich rum angucke und denke, jetzt haben sie was gesehen über ein Land und gehen raus und heulen. Und das macht mich manchmal traurig. Ich glaube, es gibt da auch anderes.
Mein Film hat eine andere Thematik, ich habe auch ganz bewusst keinen moralischen Zeigefinger hochgehoben, weil die Kinder im Leben genug Moral haben. Filme machen ist auch Träume verwirklichen oder Träume leben. Träume brauchen wir einfach alle, ob Kind oder Erwachsene. Und manchmal, finde ich, sollte kleines und großes Kino die Chance bieten, einfach auch mal alles zu vergessen und Spannung zu erleben, mitzufiebern, mitzulachen, mitzuweinen, mitzuzittern, einfach vergessen -- so, was früher der Ansatz für Kino auch war.
Machen Sie hauptsächlich Kinderfilme, oder haben Sie auch andere Projekte gemacht?
Heberling: Ich habe bisher eigentlich hauptsächlich Actionfilme gemacht, liebe aber Kinder über alles und behaupte jetzt mal (meine Tochter würde mir sofort widersprechen), dass ich irgendwo immer noch ein Kind geblieben bin. Irgendwo habe ich mir was erhalten, deswegen ist es mir nicht schwer gefallen. Ich wollte immer Kinderfilme machen, bin aber auch da meinem bisherigen Sein treu geblieben und habe einige Actionelemente in dem Film mit untergebracht, was auch wiederum den Kindern gefällt! Denn das ist die Lebenswelt der Kinder, die rennen in irgendwelche Spielsalons und fahren mit irgendwelchen Autos Rennen und schlagen sich oder sonst irgendwas, da ist es mir doch lieber, ich bau schöne Actionelemente ein, die nicht brutal sind und wo keiner zu Schaden kommt, wo eigentlich nur Gutes getan wird, anstatt dass die Kinder irgendwelche Filme von Bruce Lee 李小龍(1940-1973), wo sie sich die Zähne einschlagen, angucken.
Mein zweites Standbein ist beim Fernsehen, wobei vieler meiner Kollegen das immer abfällig "oh, ich mach auch Fernsehen" sagen. Für mich ist jeder belichtete Meter Film wichtig, egal ob fürs Fernsehen oder fürs Kino, wobei Kino natürlich schöner ist, wenn ich sehe, was die Kinder hier für einen Spaß gehabt haben. Dieses Riesenpublikum live mitzuerleben ist was anderes, als am nächsten Tag in der Zeitung zu lesen, wir hatten 5,5 Millionen Zuschauer beim Fernsehen. Das eine ist eine anonyme Geschichte, über die man sich freut, und bei der anderen, da schwingt die Seele mit, und das ist natürlich schöner.
Inwiefern haben denn die Kinder, die Sie hier bei den Filmvorführungen als Publikum erlebt haben, anders reagiert als Kinder in anderen Ländern?
Heberling: Ich würde nicht sagen, dass sie anders reagiert haben. Ich hatte das Gefühl, sie sind etwas offener und nicht so zugeballert mit Filmen, wie sie in Deutschland teilweise zugeballert sind. Ich weiß es nicht. Für mich haben sie sehr offen reagiert, und mich hat persönlich ganz besonders gefreut, dass sie's verstanden haben, obwohl der Film auf Deutsch mit englischen und chinesischen Untertiteln gezeigt wurde. Sie haben all die kleinen Nischen erkannt, die ich in den Film für mich und auch für die Erwachsenen eingebaut habe, einfach Feinheiten, wo ich gedacht habe, die sehe nur ich. Die haben die Kinder erkannt und haben sie belohnt, indem sie gelächelt haben, gelacht haben, geklatscht haben. Und da bin ich stolz auf mich, dass es mir gelungen ist, das umzusetzen, aber ich bin auch ganz stolz auf diese Kinder, dass sie so viel Gespür und Sensibilität haben, das zu sehen.
Gaul: Ich fand sehr sympathisch, dass die Kinder ganz offen und sehr aktiv gefragt haben, während man in Deutschland Kinovorführungen hat und dabei auch speziell Kinder oder Erwachsene, die viel verhaltener sind. Die gucken eher so rum wie früher im klassischen Schulunterricht ("Hoffentlich muss ich nichts sagen!"), und hier haben sich immer gleich zehn oder zwanzig gemeldet auf die Fragen. Fand ich toll. Und die waren ja auch total begeistert von dem Film, sind bei jedem Ding, das passiert ist, mitgegangen oder haben die Reaktionen freudig beklatscht. Wunderbares Publikum!
Wie reagieren die Kinder, die Sie begleiten, auf Taiwan?
Gaul: Sowohl mein Sohn Alexander als auch die andere Darstellerin, die dabei ist [Martha Reckers, Gabriele Heberlings Tochter. Red.], die sind schon einiges gewöhnt an Auslandsreisen und verschiedenen Erfahrungen, dass die jetzt nichts mehr so wahnsinnig beeindruckt, dass sie umfallen. Es ist eben einfach interessant und überwältigend, wenn man abends nach Taipeh reinfährt, diese Farbenvielfalt, die Neonleuchten, die chinesischen Schriftzeichen.
Heberling: Den Kindern gefällt es wahnsinnig gut, und sie haben schon gebettelt, ob wir nicht noch drei Tage länger bleiben können. Es gefällt ihnen, dass die Leute hier nett sind und sie sich frei bewegen können in dieser Stadt, wir waren auch schon in anderen Ländern, wo es zum Beispiel einfach nicht möglich war. Wir waren hier auf 'nem Nachtmarkt, Martha und ich, nachts um elf ganz allein, und einmal hab ich mich verzählt beim Rausgeld, da ist die Frau mir hinterhergelaufen und hat mir's Geld hinterhergetragen. In anderen Ländern habe ich dagegen oft die Erfahrung gemacht, dass ich als alleinreisende Frau mit Kind auch ein bisschen über den Leisten gezogen werde. Und hier ist eine Offenheit und eine Warmherzigkeit da, man könnte auch denken, das ist nur wegen dem Filmfest, aber ich beweg mich tatsächlich mit den Kindern auch in ganz anderen Gegenden. Wir fahren U-Bahn, wir fahren Omnibus. Was wir hier alles schon ganz allein unternommen haben, und zwar absichtlich, gleich am allerersten Tag sind wir zum Konfuziustempel, und dann sind wir runter zum Chiang Kai-shek -Denkmal, und die Kinder haben sich das alles angeguckt und waren einfach begeistert. Das Essen gefällt ihnen, und vor allem, dass sie sich so zu Hause fühlen.