Die Diskussion über das Für und Wider von Zeitarbeit-Vermittlungsagenturen hält an, doch von neuen Regierungsvorschriften verspricht man sich eine Klärung der Differenzen.
Die 35-jährige Fachhochschulabsolventin Hsu Hui-ling arbeitet seit letztem Jahr Teilzeit als Buchhalterin, nachdem sie eine Vollzeitstelle bei einer ausländischen Firma, für die sie sechs Jahre lang gearbeitet hatte, kündigte. "Ich wollte einen höheren Abschluss erwerben, aber gleichzeitig auch nicht aufhören zu arbeiten, denn ich muss über die Entwicklungen auf dem neuesten Stand bleiben, um wettbewerbsfähig zu sein, und natürlich brauche ich das Geld", erklärt sie.
Hsu gehört zu den immer zahlreicher werdenden Taiwanern, die sich lieber über eine Zeitarbeit-Vermittlung einen Job suchen statt auf dem traditionellen Arbeitsmarkt. Hsus Arbeitsvertrag, unterzeichnet von ihr, ihren Arbeitgebern und der Vermittlungsagentur, definiert die Arbeitsaufgaben und Arbeitszeiten und vereinbart außerdem, dass die Arbeitskraft keine Überstunden und keine Dienstreisen über die Stadtgrenzen hinaus machen muss.
Dieses Arrangement kommt Hsu sehr gelegen, auch wenn es nach Ansicht der Gewerkschaften Zeit ist, dass die Regierung angemessene Bestimmungen zur Regulierung erlässt -- eine Aussicht, die Vertreter von Zeitarbeit-Agenturen mit Sorge erfüllt. Sie befürchten, dass die neuen staatlichen Bestimmungen, die bis zum Jahresende in Kraft treten sollen, vor allem auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer ausgerichtet sein werden und Beschränkungen verhängen, welche die Flexibilität der Zeitarbeitsvermittler untergraben.
Es ist ein kompliziertes Problem. Hsu bemerkt, dass Zeitarbeit zwar weniger Jobsicherheit und das Fehlen von Zusatzleistungen wie Rentenversicherung und bezahlten Urlaub bedeutet, aber es hat auch seine Vorzüge. "Anders als im Westen haben taiwanische Angestellte eher lange Arbeitszeiten und trauen sich nicht, das Büro zu verlassen, bevor der Chef nach Hause geht, selbst wenn sie nichts zu tun haben", enthüllt sie. "Als Zeitkraft kann ich immer pünktlich gehen, ohne mir über die Reaktion des Chefs oder der Kollegen Gedanken zu machen, und es wirkt sich auch nicht auf die Bewertung meiner Arbeit aus."
Es profitieren nicht nur ein paar Arbeitnehmer, auch Unternehmen haben festgestellt, dass Angestellte auf Zeit ihren Betrieb flexibler und anpassungsfähiger an schnell veränderliche Situationen machen, besonders im Falle einer Krise. "Zeitarbeit-Vermittlungsagenturen sind in den letzten fünf Jahren hier in Taiwan immer beliebter geworden, besonders nach großen Ereignissen wie dem schweren Erdbeben am 21. September 1999, der ernsten Wirtschaftskrise 2001 und 2002 und der Angst vor SARS 2003", bemerkt Vivian Wang, Manager bei Intelligent Manpower Corporation (IMC). "Die beiden größten Vorteile bei einem solchen Service -- spürbare Senkung der Betriebskosten und Flexibilität beim Reagieren auf Krisen -- sind in der Geschäftswelt sehr willkommen."
Eine 2003 vom Rat für Arbeitnehmerangelegenheiten (Council of Labor Affairs, CLA) -- einer Behörde im Ministeriumsrang -- durchgeführte Umfrage ergab, dass 11,2 Prozent der taiwanischen Firmen im Folgejahr Zeitarbeiter einstellen wollten, bei der Umfrage 2002 hatte der Wert noch 3,3 Prozent betragen. Unterdessen hat der Rat für Wirtschaftsplanung und entwicklung (Council for Economic Planning and Development , CEPD) bekannt gegeben, dass es in Taiwan rund 80 000 Zeitarbeiter gibt. Fast 28 Prozent -- die größte Gruppe -- haben mit Verwaltungs- und Verkaufsarbeit zu tun, gefolgt von Herstellung, Lagerhausverwaltung und Sicherheitsdienst-Personal. Nach der Einschätzung des CEPD wird diese Zahl bis 2008 auf 300 000 in die Höhe schnellen.
Für Angestellte wie Hsu, die als Zeitarbeiterin in fünf verschiedenen Unternehmen beschäftigt war, bietet der Job eine Vielfalt von Erfahrungen, die sie bei einer einzelnen, stabilen Stelle nicht würde machen können. "Ich habe eine Menge von den verschiedenen Branchen gelernt und meine Fähigkeit zur Anpassung an unterschiedliche Umgebungen in kurzer Zeit verbessert", glaubt sie. "Ich baue meine Erfahrung und Qualifikationen auf, was später bei der Suche nach einem guten Vollzeitjob hilfreich sein sollte."
Laut Hsu sind die meisten Firmen, die Zeitarbeiter einstellen, ausländische Unternehmen, einheimische börsennotierte Firmen und Regierungsbehörden, die große Aufgabenbereiche zu verwalten haben. "Ich denke, dass Menschen, die nach eigener Einschätzung nicht genug Erfahrung haben oder die einfach mehr Flexibilität möchten, mit einer Arbeitsvermittlung zusammenarbeiten sollten", wirbt sie. "So etwas kann den Zeitarbeiter auf eine Laufbahn vorbereiten, indem er eine Vielzahl von Arbeitsbedingungen, Firmenkulturen und neue Leute kennen lernt. Zuallererst muss man aber aufgeschlossen sein und sich schnell an Veränderungen anpassen."

Zeitarbeit-Vermittlungsagenturen wie Intelligent Manpower führen mit Bewerbern Vorstellungsgespräche durch.
Für Hsu Chin-tai, stellvertretender Direktor des Personalbüros im halboffiziellen Forschungsinstitut für industrielle Technologie (Industrial Technology Research Institute, ITRI), ist die Beschäftigung von Zeitkräften die effizienteste und kostensparendste Methode, den Personalstand des Instituts zu halten. Im ITRI arbeiten rund 700 Angestellte auf Zeit, das sind 10 Prozent des Gesamtpersonals. Nach Hsus Worten besetzen die Zeitarbeiter im Allgemeinen zwei Arten von Stellen -- zum einen Aufgaben außerhalb des Kernbereichs, die zur verwaltenden oder unterstützenden Arbeit zählen, zum anderen findet man unter den Zeitarbeitern Fachleute, die kurzfristige Spezialprojekte übernehmen.
"Wir haben festgestellt, dass die Zeitarbeiter unsere Wettbewerbsfähigkeit steigern", berichtet Hsu. "Dadurch kann das Management sich auf das Kerngeschäft konzentrieren, und wir sparen Ausgaben bei Gehaltserhöhungen, Rentenversicherung, Urlaubsgeld und Entlassungsabfindungen." Andererseits erhalten die Zeitarbeiter laut Hsu genauso viel Monatslohn wie die regulären Angestellten, und wenn sie besonders gute Leistungen erbringen, bekommen sie Prämien.
Nach Auskunft von Shelly Wu, Managerin der 104 Human Resource Corporation, gibt es in Taiwan rund 1000 Zeitarbeit-Vermittlungen, und wegen des Drucks zur Senkung der Arbeitskosten wächst die Branche weiter. Laut einer Umfrage, welche die Firma im Jahre 2002 über die Gründe durchführte, warum Firmen Zeitkräfte beschäftigen, gaben 54 Prozent der Befragten an, dass sie durch die Zeitarbeit-Vermittlungen ihre Personalkosten kontrollieren könnten, während 45,5 Prozent mit Zeitkräften freie Stellen besetzten. Anpassung an saisonale Nachfrage und Bedarf an Mitarbeitern mit besonderen Kenntnissen waren andere Gründe.
Die Agenturen können nach Wus Worten den Lebenslauf des Bewerbers prüfen, Interviews durchführen und für ihre Firmenkunden geeignete Kandidaten aussuchen, was Zeit und Ressourcen spart. Die Firma verfügt auch über Berater, welche die Firmenkunden zur Einschätzung ihrer Finanzsituation und des Managementstils besuchen, sich aber auch gleichzeitig bemühen, die besten Honorarpakete für die Zeitarbeiter zu finden, und sich um die Beschäftigungs-Zusatzleistungen wie Kranken- und Arbeitslosenversicherung kümmern.
Wu räumt ein, dass die Gewerkschaften die Zeitarbeit-Vermittlungen mit Vorbehalten betrachten und zu bedenken geben, dass die Arbeitgeber sich wegen solcher Agenturen ihrer Verantwortlichkeiten entziehen könnten und die Arbeitnehmer ihrer Arbeits-Sonderleistungen und Jobsicherheit beraubten. Wu hält dem entgegen, dass Agenturen wie die ihre im Gegenteil Benachteiligten wie Studierenden und Menschen mittleren oder höheren Alters helfen, auch wenn sie keine Auskunft darüber erteilt, welche Gebühr die Agentur von den Löhnen der vermittelten Personen einbehält.
Sun You-lien, Generalsekretär der Arbeitsfront Taiwan, hat seine Zweifel darüber, ob solche Dienstleistungen in Taiwan gefördert werden sollten. Der Grund dafür sei das Fehlen einer umfassenden Bewertung, wie das neue Gewerbe Taiwans Arbeitsmarkt beeinflussen werde. "Niemand streitet ab, dass manche Menschen Zeitarbeit annehmen, weil das zu ihren Bedürfnissen passt, aber es stimmt auch, dass ihre Löhne und Arbeitsbedingungen nicht so gut sind wie die der regulär in der Firma angestellten Kollegen", enthüllt er und fügt hinzu, dass die Gewerkschaften gegen Verträge sind, bei denen nur der Arbeitgeber profitiert.
Laut Sun sollte die Regierung, bevor sie Bestimmungen für die Branche erlässt, bei Arbeitnehmern und Firmen Umfragen durchführen und sorgfältig einschätzen, welche Branchen häufig die Dienste von Zeitarbeit-Vermittlungen in Anspruch nehmen, wie viele Menschen als Zeitkräfte arbeiten und wie sich ihre Löhne und andere Arbeitsbedingungen von denen regulärer Angestellter unterscheiden. Obwohl man die möglichen Auswirkungen noch nicht gründlich erforscht habe, behauptet Sun, hat die Regierung Zeitarbeit-Vermittlung bereits auf die Liste der zwölf bedeutenden Dienstleistungssektoren gesetzt, für die Unterstützung und Förderung vorgesehen sind.
Wu wiederum macht geltend, dass Zeitarbeiter Jobmöglichkeiten bekommen, die es sonst für sie nicht gäbe, und in vielen Fällen werden Zeitarbeiter später als reguläre Angestellte übernommen. Außerdem seien Zeitarbeit-Vermittlungen besonders geeignet für Leute, die sich nicht darüber klar sind, welche Laufbahn sie einschlagen sollen, denn Zeitarbeiter kommen mit vielen unterschiedlichen Branchen in Kontakt.
Wus Agentur arbeitet seit dem Beginn des Outsourcing- und Vertragspersonal-Services im Januar 2003 eng mit über 100 Unternehmen zusammen. Pro Monat werden ungefähr 600 Personen vermittelt, und diese Zahl soll nach den Erwartungen der Agentur bis zum Jahresende auf 1000 steigen.
IMC war 1991 als Suchagentur für Führungspersonal gegründet worden und hat in den letzten Jahren bei seinem Service für die Vermittlung von Zeitpersonal ebenfalls eine rapide zunehmende Nachfrage erlebt. Zeitarbeiter machen nun 60 Prozent des Gesamtgeschäfts aus, vor zehn Jahren waren es nicht mehr als 20 Prozent gewesen. Laut Vivian Wang hat die Agentur rund 6000 vermittelbare Kandidaten in ihrer Datenbank. Pro Monat werden 3500 Zeitarbeiter vermittelt, doppelt so viel wie vor drei Jahren. Alle Kandidaten müssen die Interviews der Agentur, Fähigkeits-Tests und Vorabschulung absolvieren, bevor sie für Stellen vermittelt werden.
Heute hält IMC mit ungefähr 300 Firmen geschäftliche Kontakte, darunter Schwergewichte wie Chinatrust, Citibank, Intel, Microsoft und P&G. Die Agentur braucht nach Wangs Worten nur drei bis fünf Tage, um bei einem Kunden eine freie Stelle mit einem qualifizierten Bewerber zu besetzen. Das käme auch den Bedürfnissen und der Einstellung vieler junger Arbeitssuchender zupass, die oft keinen Bock haben, ihr Leben bei einer einzigen Firma zu verbringen. "Viele Leute wollen einfach nur ein gesundes Verhältnis zwischen Arbeit und Freizeit", weiß sie. "Es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand ein oder zwei Jahre arbeitet, Geld spart und dann eine Pause einlegt. Sie wollen nicht lange Zeit durch einen Job festgelegt sein. Organisationen müssen sich an den Gedanken gewöhnen, dass nicht jeder die ganze Zeit arbeiten will, selbst wenn es genügend Jobs gibt."
Zudem sind über 90 Prozent der taiwanischen Firmen kleine oder mittlere Unternehmen. Im Schnitt bleiben sie nur 10 bis 12 Jahre im Geschäft, so dass es immer schwieriger wird, den früher so begehrten Job fürs Leben zu finden, sagt Wang. "Die Zeiten der lebenslangen Beschäftigung sind vorbei. Wir befinden uns eindeutig in dem Jahrzehnt der zeitlich begrenzten Dienste."
Beim steigenden Bedarf an Zeitarbeit entwirft der CLA aus Vorschlägen von Branchenvertretern, Gewerkschaften, Gelehrten und Experten ein Arbeitsvermittlungsgesetz. Bis zum Jahresende soll der Gesetzentwurf dem Legislativ-Yuan(立法院) (also dem Parlament) vorgelegt werden, und das Gesetz soll klare Richtlinien für das gesamte Gewerbe aufstellen. Im Besonderen wird es die Pflichten der Vermittlungsagenturen und ihrer Firmenkunden klarstellen, etwa in Punkten wie wer für Sicherheit, Hygiene, Versicherung, Gehälter, Berufskrankheiten und verletzungen sowie berufliche Schulung von Zeitarbeitern zuständig ist.
Wang von IMC sieht dem Gesetz erwartungsfroh entgegen, hofft jedoch, dass die Regierung außer in Bereichen wie öffentliche Sicherheit nicht zu viele Beschränkungen umsetzt. Sie ergänzt, dass die Beschäftigungs-Sozialleistungen für Zeitarbeiter sich von denen für reguläre Angestellte, wie sie das Gesetz für Arbeitnehmerstandards vorsieht, unterscheiden sollten. "Die Regierung will die Arbeitnehmer schützen, aber sie könnte auch bewirken, dass sie Möglichkeiten verlieren [indem sie Zeitarbeit-Vermittlungsagenturen aus dem Gewerbe drängt]", warnt Wang.
Nach Angaben des CLA wird das Gesetz jedoch die Bandbreite der Arbeitsvermittlung erweitern, indem es alle Branchen außer Luftfahrt, Seefahrt, Bergbau, öffentlicher Transport und Gewerbe, die als gefährlich gelten, mit einbezieht. Es wird zudem für den Einsatz eines Zeitarbeiters eine Höchstdauer von einem Jahr verordnen, auch wenn eine Verlängerung auf zwei Jahre möglich wäre, wenn die Agentur und ihr Firmenkunde sich darüber einig sind.
Für junge Taiwaner wie die 25-jährige Berufsoberschulabsolventin Lee Ya-wen ist das eine gute Nachricht. Über eine Vermittlungsagentur bekam sie eine auf ein Jahr befristete Stelle als Verkaufsassistentin bei Chinatrust Financial Holding, und die Erfahrung macht ihr Spaß. "Ich kann hier eine Menge lernen, weil die Firma so groß ist", berichtet sie. "Man hat mich auch gefragt, ob ich nicht eine reguläre Angestellte werden möchte. Ich finde es gut, wenn Menschen unterschiedliche Bereiche erkunden können, besonders wenn sie jung sind, damit sie später nicht verpassten Chancen nachtrauern."
(Deutsch von Tilman Aretz)